LG Zweibrücken – Az.: 4153 Js 2169/11 – 1 KLs – Beschluss vom 15.06.2012
Die Akten werden durch Vermittlung der Staatsanwaltschaft der Großen Jugendkammer (als Jugendschutzkammer) zur Entscheidung vorgelegt (§§ 209 Abs. 2, 209 a Nr. 2 b StPO).
Gründe
Die Anklage der Staatsanwaltschaft zur Großen Strafkammer legt den Angeschuldigten u.a. zur Last, in … und … zwischen 1989 und Februar 2011 durch vier selbständige Handlungen Personen unter 18 Jahren, die ihrer Fürsorge und Obhut unterstanden, gequält und roh misshandelt und sie dadurch in die Gefahr einer erheblichen Schädigung der körperlichen und seelischen Entwicklung gebracht zu haben und tateinheitlich dazu sie mit einem gefährlichen Werkzeug körperlich misshandelt und an der Gesundheit geschädigt zu haben (§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2, 225 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 2, 13, 25 Abs. 2, 52, 53 StGB).
Die angeschuldigten, erwachsenen Eheleute sind Eltern der Kinder …. (geboren am…), …. (geboren am ….), …. (geboren am .…) und … (geboren am ….). Spätestens im Zeitpunkt des 6. Lebensjahres des jeweiligen Kindes sollen beide Angeschuldigte bezüglich der Kinder den gemeinsamen Entschluss gefasst haben, die Kinder durch mindestens bis zur Volljährigkeit andauernde stets sich wiederholende Gewalttätigkeiten systematisch und geplant zu verletzen und zu demütigen. Bei den Gewalthandlungen ging es vor allem um Schläge und Tritte ins Gesäß, den Oberkörper und die Gliedmaßen, wobei Handbesen, Kehrbleche oder Gürtel eingesetzt wurden. Der Angeschuldigte soll die Gewalthandlungen überwiegend selbst vorgenommen, die Angeschuldigte sie gebilligt und nichts dagegen unternommen haben. Dadurch erlitten die Kinder zwischen dem 6. und 18. Lebensjahr nahezu täglich Schmerzen und teils erhebliche Verletzungen, wobei ärztliche Behandlungen nur bei gravierenden Verletzungen erfolgten. Neben körperlichen Schädigungen ging eine erhebliche Beeinträchtigung der psychischen Entwicklung, insbesondere bei … und … einher, wobei zu befürchten ist, dass sie auch ihr weiteres Leben nachhaltig und dauerhaft behindern werden.
Die Große Strafkammer hält sich für nicht zuständig.
Es handelt sich um eine Jugendschutzsache (§§ 26 Abs. 1, 2, 74 b GVG). Die Straftaten der Angeschuldigten betreffen als Opfer Kinder und Jugendliche zwischen ihrem 6. Und 18. Lebensjahr. Diese werden durch die Straftaten in ihrer körperlichen Integrität und seelischen Entwicklung geschädigt. Typische Straftatbestände dafür sind die Körperverletzung und die Misshandlung von Schutzbefohlenen in §§ 223, 225 StGB (vgl. Degener in SK-StPO, September 2007, § 26 GVG Rdnr. 3).
Nach § 26 Abs. 1 GVG besteht danach in Jugendschutzsachen eine Zuständigkeit von Erwachsenen- und Jugendgericht. Im Hinblick auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG kann die Vorschrift nicht dahin verstanden werden, dass die Staatsanwaltschaft ein uneingeschränktes Wahlrecht hat, wo sie Anklage erhebt (vgl. Degener a.a.0. § 74 b GVG, Rdnr. 4; Böttcher in Dölling/Duttge/Rössler, NK, 2. Auflage, § 26 Rdnr 1; Stern/Becker, GG, 2009, Art. 101 Rndr. 21; aA. BGH St13, 297). Es kommt hinzu, dass § 26 Abs.2 GVG weitere Zuständigkeitskriterien aufstellt. In Jugendschutzsachen soll der Staatsanwalt Anklage bei den Jugendgerichten nur erheben, wenn in dem Verfahren Kinder oder Jugendliche als Zeugen benötigt werden oder wenn aus sonstigen Gründen eine Verhandlung vor dem Jugendgericht zweckmäßig erscheint. Das hat zur Folge, dass vor dem Erwachsenengericht anzuklagen ist, wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben sind (vgl. Katholnigg, Strafgerichtsverfassungrecht, 2. Auflage § 26 GVG, Rdnr. 2). Hier liegen die Voraussetzungen aber vor. Ein Opferzeuge ist derzeit noch minderjährig und gilt als Jugendlicher. Auch andere Gründe legen eine Verhandlung vor dem Jugendgericht nahe. Jugendgerichte verfügen über Sachkunde und Erfahrung bei der Vernehmung kindlicher oder jugendlicher geschädigter Zeugen. Sie sind in der besonders geeigneten Lage, die Aussagen der Opferzeugen zu würdigen, die wie hier über Erlebnisse ihrer Kinder- und Jugendzeit im Alter zwischen 6 und 18 Jahren berichten (BGH St 13, 53, 59; LR – Siolek, 25. Auflage § 26 GVG Rdnr. 10). Die Jugendgerichte haben auch eine besondere Sachkunde bei der Feststellung des Ausmaßes des Schadens, den die Angeschuldigten durch die Taten den kindlichen und jugendlichen Opfern zugefügt haben (vgl. LR-Siolek a.a.O. Rn. 2).Den Aussagen der Opferzeugen kommt bei der Wahrheitserforschung deshalb besondere Bedeutung zu, weil die Angeschuldigten entweder keine Angaben machen oder die Vorwürfe bestreiten. Die jugendschutzspezifische Beurteilungskompetenz der Jugendgerichte drängt sich bei dieser Fallkonstellation geradezu auf. Der Umstand, dass drei der vier Opfer inzwischen Erwachsene sind, kann bei dieser Betrachtungsweise vernachlässigt werden (vgl. BGH, Beschluss v. 7.3.12, Az: 1 StR 6/12 Rn. 16 + 17, zitiert nach Juris). Das hat die Staatsanwaltschaft bei ihrer Anklage zur Großen Strafkammer nicht hinreichend bedacht. Weil die Voraussetzungen von § 26 Abs. 2 GVG wie dargelegt vorliegen, führt dies in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur beweglichen Zuständigkeit (BVerfGE9, 223 und 22, 254) dazu, dass Anklage beim Jugendgericht erfolgt (Katholnigg a.a.O. m.w.N.und Eschelbach in Beck OK, Stand 15.04.11, § 26 GVG Rn.4). In diese Richtung weist auch die geplante Neuregelung in § 26 Abs. 2 GVG nF. Sie bezweckt, dass nur noch in Ausnahmefällen bei der allgemeinen Strafkammer angeklagt wird und regelmäßig beim Jugendschutzgericht (vgl. Eisenberg HRRS 2011, 70).
Die Akten sind deshalb der Jugendkammer zur Übernahme und Entscheidung vorzulegen (vgl. Meyer/Goßner StPO, 54. Auflage, § 209 a Rdnr. 9).