Leitsatz
1. Eine Bewertung des Gerichts, ob das Anliegen als nützlich und wertvoll einzuschätzen und ob das verfolgte Ziel nach gerichtlicher Beurteilung zu billigen ist, verbietet sich, weil der Staat gegenüber der Grundrechtsbetätigung der Bürger auch im Interesse der Offenheit kommunikativer Prozesse inhaltsneutral bleiben muss.
2. Für das Tatbestandsmerkmal „bei der Vornahme einer Diensthandlung“ reicht es aus, dass der Täter die Kraft schon vor Beginn der Diensthandlung entfaltet, sofern diese – vom Täter auch so gewünscht – das spätere polizeiliche Tätigwerden deutlich erschwert.
3. Entscheidend für die Bewertung der Widerstandshandlung als „mit Gewalt“ ist die Intensität der Kraftentfaltung durch das materielle Zwangsmittel und damit zusammenhängend die Kraft, die aufgewandt werden muss, um diese zu überwinden.
4. Indem der Täter die mit Sekundenkleber benetzte Hand so auf die Fahrbahn drückt, dass Hand und Fahrbahn eine feste Verbindung eingehen, leistet er Widerstand mit Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 Alt. 1 StGB, wenn hierdurch vorsatzgemäß die nach Auflösung der Versammlung erfolgende polizeiliche Räumung der Fahrbahn durch Polizeibeamte deutlich erschwert wird.
5. Die Ablösedauer ist lediglich ein Anhaltspunkt dafür, wie stark die zu überwindenden Kräfte wirken. Ein schnelles, aber kurzzeitig kraftintensives Wegreißen kann ebenso für einen Widerstand „mit Gewalt“ sprechen wie eine vorsichtige Methode, bei der die die Vollstreckungsmaßnahme erschwerenden Kräfte über einen längeren Zeitraum gelöst werden.
Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin I vom 14. Dezember 2023 wird gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Die Angeklagte hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Tiergarten hat die Angeklagte am 6. Juni 2023 wegen (gemeinschaftlich begangener) Nötigung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt. Auf ihre Berufung hat das Landgericht Berlin I das Urteil des Amtsgerichts am 14. Dezember 2023 dahin abgeändert, dass die Angeklagte wegen (gemeinschaftlicher) Nötigung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt wird. Die Einzelstrafen wurden auf 30 Tagessätze und 40 Tagessätze zu je 15 Euro festgesetzt.
Dem Urteil liegen folgende tatsächliche Feststellungen zugrunde:
„Am 12. Juli 2022 beteiligte sich die Angeklagte an einer Straßensitzblockade der Gruppierung „Aufstand der letzten Generation“ auf der BAB 111 im Bereich der Ausfahrt H-Damm in Berlin. Sechs weitere Personen und sie setzten sich aufgrund eines zuvor gefassten gemeinsamen Tatplans um 8:45 Uhr am Ende der Autobahnabfahrt auf die Fahrbahnen, wobei sie sich so gleichmäßig über alle drei Fahrbahnen der Ausfahrt verteilten, dass zwischen ihnen kein Fahrzeug mehr durchfahren konnte, ohne sie zu gefährden bzw. zu verletzen. Die Angeklagte saß dabei auf der von den Fahrzeugen aus gesehen ganz rechten Fahrbahn. Als die hinzugerufene Polizei erschien, klebten sich ein Aktivist und drei Aktivistinnen, unter anderem die Angeklagte, mit jeweils einer Hand mittels Sekundenkleber auf der Fahrbahn fest, um sich so fest mit dieser zu verbinden. Die Absicht der Angeklagten war es dabei, die Störung des Verkehrs dadurch möglichst in die Länge zu ziehen, dass die von ihr erwarteten polizeilichen Maßnahmen zur Räumung der Straße erheblich erschwert würden. Die Angeklagte klebte sich zumindest auch deswegen fest, um sich der von ihr erwarteten polizeilichen Räumung nach Auflösung der Versammlung zu widersetzen.
Die Versammlung war nicht angemeldet. Durch EPHK Z wurde um 8:54 Uhr über Lautsprecher durchgesagt, dass wegen der Grundrechtseinschränkung für die blockierten Autofahrer der Versammlung ein neuer Ort auf dem Gehweg zugewiesen würde. Dies wurde um 9:00 Uhr nochmals wiederholt. Nachdem die Aktivistinnen und Aktivisten sich nicht an den neuen Versammlungsort begeben hatten, wurde die Versammlung durch Lautsprecherdurchsage durch EPKH Z um 9.08 Uhr aufgelöst. Die Angeklagte befolgte die Aufforderung, die Straße zu verlassen, nicht. Da sie festgeklebt war, konnten die Polizeibeamten sie – wie sie wusste – nicht einfach wegtragen, sondern mussten sie erst von der Straße lösen. Die Ablösung ihrer Hand dauerte von 9:39 Uhr bis 10:05 Uhr. Sodann wurde sie von zwei Polizeibeamten von der Straße getragen.
Die Angeklagte handelte zusammen mit den übrigen Aktivistinnen und Aktivisten, um mindestens die auf der Autobahnabfahrt befindlichen Fahrzeugführer bis zur Beendigung der Räumung der Blockade durch Polizeivollzugsbeamte bzw. bis zu einer rückwärtigen Ableitung aus der Autobahnabfahrt an der Fortsetzung ihrer Fahrt zu hindern und dadurch erhöhte öffentliche Aufmerksamkeit für die aus ihrer Sicht unzureichenden politischen Maßnahmen gegen ein Fortschreiten des Klimawandels und im Speziellen gegen zu hohen Ölverbrauch zu erzielen. Wie von der Angeklagten und ihren Mitgliedern beabsichtigt, kam es aufgrund der Blockade, welche die gesamte Breite der – im unteren Bereich über zwei und im oberen Bereich über drei Fahrspuren verfügenden – Fahrbahn der Autobahnabfahrt einnahm, zu erheblichen Verkehrsbeeinträchtigungen in Form eines Rückstaus zahlreicher Fahrzeuge. Bereits um 8:46 Uhr war die Autobahnausfahrt zwischen ihrem Beginn bei der Autobahn bis zu der von der Angeklagten und ihren Mittätern gebildeten Menschenkette im oberen Bereich am H-Damm, also über eine Länge von etwa 150 m, vollständig mit Fahrzeugen gefüllt, unter anderem einem Bus der BVG. Diesen Fahrzeugen war es zunächst nicht möglich, die Blockade zu umfahren. Erst nach und nach vermochten die Fahrzeuge – abgeleitet von den Verkehrsdiensten der Polizei – rückwärts von der Autobahnausfahrt auf die Autobahn zurückzufahren und ihren Weg fortzusetzen – wenn auch nicht über die zuvor beabsichtigte Autobahnausfahrt H-Damm. Die Zeugin X, die in der 3. Reihe der blockierten Fahrzeuge stand, steckte dort bis mindestens 9:05 Uhr fest, bevor sie rückwärts von der Polizei auf die Autobahn geleitet wurde.
Am 15. Juli 2022 strömte die Angeklagte gemeinsam mit zahlreichen weiteren Personen durch das Unterholz neben der Autobahn BAB 103 auf die Fahrbahn der Autobahnausfahrt Sachsendamm einige Meter vor der Ampel auf dem Sachsendamm. Der Polizei war es aufgrund der Anzahl der Aktivistinnen und Aktivisten nicht möglich, diese daran zu hindern, sich – entsprechend eines zuvor gemeinsam gefassten Tatplanes – auf die Fahrbahn zu setzen und teilweise dort zu verkleben. Die Aktivistinnen und Aktivisten formten spätestens um 7:45 Uhr zwei Blockadelinien etwa 15 m voneinander entfernt und schlossen zwischen beiden Linien einen Lkw ein. Die gesamte Breite der drei Fahrspuren wurde durch die Aktivistinnen und Aktivisten blockiert, wobei die Angeklagte – von den zum Stillstand gebrachten Fahrzeugen aus gesehen – in der ersten Blockade, die aus 18 Aktivisten und Aktivistinnen gebildet wurde, links vorne saß. Sie benetzte ihre Hand mit Sekundenkleber und klebte sich auf die Fahrbahn. Damit wollte sie die Störung durch die Blockade möglichst in die Länge zu ziehen, indem die Bemühungen der eingesetzten Polizeibeamten, sie nach der von der Angeklagten erwarteten Auflösung der Versammlung von der Straße zu entfernen, erheblich erschwert und in die Länge gezogen werden sollten.
Durch die Blockade kam es – wie von der Angeklagten beabsichtigt – zu einem erheblichen Rückstau sämtlicher Verkehrsteilnehmer, die sich zum Zeitpunkt des Blockierens auf den Fahrspuren im Bereich zwischen der A 100 und der Blockade befanden. Der Berufsverkehr auf sämtlichen Spuren der Autobahnabfahrt kam mindestens im Bereich bis zur BAB 100 zum Erliegen. Jedenfalls bis 8:30 Uhr standen noch Fahrzeuge auf der Autobahnausfahrt, bevor sie rückwärts von der Polizei aus der Abfahrt abgeleitet wurden und ihren Weg fortsetzen konnten.
Um 7:47 Uhr wurde durch PHK A gegenüber den Protestierenden eine erste beschränkende Verfügung erlassen mit dem Inhalt, dass es sich vorliegend um eine nicht angezeigte Versammlung handele, das Verhalten der Aktivisten und Aktivistinnen eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstelle und deswegen die Fahrbahn zu verlassen sei und die Versammlung zum neu zugewiesenen Versammlungsort auf dem Gehweg zu verlegen sei. Um 7:50 Uhr wies PHK A erneut auf den neu zugewiesenen Versammlungsort hin und gab bekannt, dass bei einem weiteren Nicht-Nachkommen der Beschränkung polizeiliche Maßnahmen folgen würden auch unter Anwendung von unmittelbarem Zwang. Schließlich wurde die Versammlung um 7:56 Uhr durch PHK A aufgelöst. Die Aktivisten und Aktivistinnen wurden darüber in Kenntnis gesetzt, dass die Polizei unmittelbaren Zwang gegen sie einsetzen würde, sollte der Auflösungsverfügung nicht nachgekommen werden. Die Angeklagte kam der Auflösungsverfügung nicht nach. Das Ablösen der Hand der Angeklagten, die sich mit ihrer Hand auf der Fahrbahn festgeklebt hatte, dauerte über 40 Minuten lang, nämlich von 8:17 Uhr bis 9:01 Uhr. Die Ablösung einer weiteren Person dauerte bis 9:15 Uhr.
Im Vorfeld dieser beiden nicht als Versammlungen angemeldeten Aktionen wurde von der Gruppierung „Angehörige der letzten Generation“ im Internet angekündigt, es werde Aktionen im Berliner Stadtgebiet geben. Konkrete Zeitpunkte und Orte wurden jedoch nicht genannt. Die Aktivistinnen und Aktivisten breiteten während der Blockaden jeweils zumindest ein Transparent vor sich aus, auf dem es hieß: „Öl sparen statt bohren“. Ziel war jeweils eine möglichst große – auch mediale – Aufmerksamkeit für dieses Anliegen.“
Gegen das Urteil des Landgerichts Berlin I hat die Angeklagte durch Schriftsatz ihres Verteidigers am 20. Dezember 2023 Revision eingelegt und diese nach Zustellung des Urteils am 22. Januar 2024 mit Schriftsatz vom 21. Februar 2024, gestützt auf die Verletzung materiellen Rechts, begründet. Die Revisionsführerin wendet sich insbesondere gegen die Annahme der Verwerflichkeit der Taten nach § 240 Abs. 2 StGB sowie die Einordnung der Taten als Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte im Sinne von § 113 Abs. 1 StGB, da keine Gewalt vorgelegen habe.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision der Angeklagten gemäß § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
Die Gegenerklärung des Verteidigers vom 25. April 2024 lag dem Senat vor.
II.
Die auf die Sachrüge gebotene umfassende Überprüfung des Urteils ergibt keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten, der die Aufhebung und Zurückverweisung der Sache gebietet.
Die von der Strafkammer getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch. Die Beweiswürdigung und die Strafzumessung sind rechtsfehlerfrei.
1. Der vom Landgericht festgestellte Sachverhalt bildet eine ausreichende Grundlage für die Verurteilung wegen Nötigung nach § 240 StGB in zwei Fällen.
Als erörterungswürdig erweist sich insoweit nur das Folgende:
a) Bei den von der Angeklagten und ihren Mittätern durchgeführten Straßenblockaden handelt es sich um Gewalt im Sinne des § 240 Abs. 1 StGB. Gemäß der „Zweite-Reihe-Rechtsprechung“ des Bundesgerichtshofs (vgl. Urteil vom 20. Juli 1995 – 1 StR 126/95 -, juris), die vom Bundesverfassungsgericht als verfassungsgemäß bestätigt wurde (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. März 2011 – 1 BvR 388/05 -, juris), liegt Gewalt im Sinne des § 240 StGB vor, wenn aufgrund der Sitzblockade die Fahrzeugführer der ersten Fahrzeugreihe zumindest psychisch zum Anhalten gezwungen werden, weshalb – wie in den vorliegenden Fällen – die Fahrzeugführer ab der zweiten Reihe physisch an der Weiterfahrt gehindert werden. In der vorliegenden Konstellation ist dabei der Umstand, dass die Angeklagte sich zusammen mit ihren Mittätern nicht nur auf die Fahrbahn setzte, sondern sich dort zudem mit einer Hand festklebte, für die Verwirklichung des Tatbestandsmerkmals „mit Gewalt“ nicht weiter relevant.
b) Der erforderliche Nötigungserfolg ist eingetreten, als sich jedenfalls die Fahrzeugführer ab der zweiten Reihe nicht mehr wie geplant fortbewegen konnten und gezwungen wurden, mit ihren Autos stehenzubleiben und später einen anderen als den ursprünglich gewünschten Weg einzuschlagen. Der nötigungsspezifische Zusammenhang zwischen den Nötigungshandlungen und den Nötigungserfolgen ist offensichtlich. Anhaltspunkte dafür, dass es ohne die Handlungen der Angeklagten und ihrer Mittäter an den Autobahnabfahrten zu den Tatzeiten aus anderen Gründen zu Staubildungen gekommen wäre, liegen nicht vor, so dass sich Feststellungen insoweit erübrigen.
c) Anders als vom Verteidiger vorgetragen, hat das Landgericht auch ausreichende Feststellungen zu den genauen Tatorten getroffen, so dass die Taten als einmalige und unverwechselbare Geschehen (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Februar 2019 – 4 StR 555/18 -, juris) erkennbar sind. Die Strafkammer hat die betroffenen Fahrbahnen benannt sowie die Position der Angeklagten und ihrer Mitaktivisten auf den Fahrbahnen genauso wie die Orte der Staubildung hinreichend konkret beschrieben (UA S. 3, 4 und 5). Auch vermag der Senat die vom Verteidiger aufgeworfenen Unzulänglichkeiten der Feststellungen zur Blockadebreite und eventuellen baulichen Besonderheiten wie Seitenstreifen und Fußwegen nicht zu erkennen. Die Feststellungen enthalten bezüglich beider Blockaden klare Ausführungen dazu, dass die Fahrbahnen über die gesamte Breite blockiert waren, so dass es zu erheblichen Verkehrsbeeinträchtigungen für die betroffenen Fahrzeugführer in Form eines Rückstaus kam (UA S. 4/5). Feststellungen dazu, ob im Bereich der Fahrbahnen weitere bauliche Besonderheiten wie Seitenstreifen oder Fußwege vorhanden waren, sind weder für die Identifizierbarkeit der Tatorte noch für das Vorliegen des Wirkungszusammenhangs zwischen Nötigungshandlung und Nötigungserfolg erforderlich. Denn zum einen gab es ersichtlich in beiden Fällen keine Möglichkeit für die betroffenen Fahrzeugführer, die Blockaden auf der Autobahn spontan und unkompliziert zu umfahren. Zum anderen würde die Intensität des Eingriffs in die Grundrechte der blockierten Fahrzeugführer nicht dadurch geschmälert, dass sie sich der Blockade durch das Überfahren von Sonderwegen oder nicht dem Straßenverkehr gewidmeten Flächen hätten entziehen können, weshalb sich auch weitere Feststellungen dazu, ob eine solche Ausweichmöglichkeit angesichts der konkreten baulichen Gegebenheiten theoretisch überhaupt denkbar gewesen wäre, erübrigen (vgl. Senat, Beschluss vom 31. Januar 2024 – 3 ORs 69/23 -, juris).
d) Die Angeklagte handelte bei beiden Taten rechtswidrig.
aa) Das Landgericht ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass das Handeln der Angeklagten nicht nach § 34 StGB gerechtfertigt war, da die Aktionen nicht geeignet waren, den Klimawandel aufzuhalten und im Gegenteil nur dazu führten, dass zahlreiche Fahrzeuge lange im Stau standen und sodann nur über Umwege und unter Mehrverbrauch von Kraftstoff ihre Ziele erreichten (UA S. 14). Entgegen dem Revisionsvorbringen hätte sich das erkennende Gericht bei der Beurteilung der Eignung auch nicht mit eventuell vorliegenden, aber nicht näher bekannten und sich stets ändernden Gesamtkonzepten der Klimaaktivisten auseinandersetzen müssen.
Zutreffend hat die Strafkammer zudem festgestellt, dass die Aktionen jedenfalls zur Abwehr der Gefahrenlage nicht angemessen waren, da zur deren Bewältigung ausreichend andere rechtsstaatliche Verfahren zur Verfügung stehen (UA S.14) und keine Anhaltpunkte vorliegen, dass die zuständigen Institutionen bewusst ihre Schutzplichten vernachlässigen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18 -, juris).
bb) Auch lässt die Bewertung des Landgerichts, die Taten seien „verwerflich“ im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB, keine Rechtsfehler erkennen. Die Strafkammer hat die erforderlichen Feststellungen für die Verwerflichkeitsprüfung getroffen und eine umfassende und rechtlich nicht zu beanstandende Abwägung vorgenommen.
(a) Nach der insoweit maßgeblichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müssen bei der Beurteilung der Verwerflichkeit alle für die Mittel-Zweck-Relation wesentlichen Umstände und Beziehungen erfasst und eine Abwägung der auf dem Spiel stehenden Rechte, Güter und Interessen nach ihrem Gewicht in der sie betreffenden Situation vorgenommen werden, wobei Ausgangspunkt der Prüfung der mit der Nötigungshandlung verfolgte Zweck ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001 – 1 BvR 1190/90; OLG Karlsruhe, Urteil vom 20. Februar 2024 – 2 ORs 35 Ss 120/23 -, beide juris). „Verwerflichkeit“ ist nicht im Sinne eines moralischen Werturteils, sondern im Sinne eines sozialwidrigen Verhaltens zu verstehen. Die Verwerflichkeitsklausel des § 240 Abs. 2 StGB ist Ausdruck des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Sie untersagt übermäßige Sanktionen und schützt insbesondere davor, dass die Strafandrohung ein übermäßiges Risiko bei der Ausübung von Grundrechten bewirkt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001 a.a.O.; OLG Karlsruhe, Urteil vom 20. Februar 2024 a.a.O.). Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz soll aber auch sichern, dass den anderen betroffenen Rechtsgütern Schutz gewährt wird. Kollidiert die Versammlungsfreiheit mit der Entfaltungsfreiheit oder anderen Grundrechten und sonstigen Rechtspositionen Dritter, ist für eine wechselseitige Zuordnung der Rechtsgüter mit dem Ziel größtmöglichen Schutzes beider Sorge zu tragen (BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001 a.a.O.). Entsprechend sind die Tatgerichte im Rahmen ihrer Amtsaufklärungspflicht gehalten, die zur Durchführung der Abwägung in dem konkreten Einzelfall wesentlichen Umstände und Beziehungen zu erfassen und festzustellen (vgl. Senat, Beschluss vom 31. Januar 2024 a.a.O.).
(b) Nach diesen Maßstäben hat das Landgericht ausreichende Feststellungen getroffen, die durch die Darstellungen sowohl des mit den durchgeführten Blockadeaktionen verfolgten kommunikativen Anliegens als auch der hierdurch verursachten konkreten Auswirkungen und weiterer demonstrationsspezifischer Umstände erkennen lassen, dass sich das Gericht der Grundrechtsrelevanz für die Verwerflichkeitsprüfung nach § 240 Abs. 2 StGB bewusst war. Sodann hat es die Taten nach einer ausführlichen Abwägung in nicht zu beanstandender Weise als „verwerflich“ im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB bewertet.
(c) Die Ausführungen der Revisionsführerin, dass die Verwerflichkeitsentscheidung des Landgerichts rechtsfehlerhaft sei, geben darüber hinaus Anlass zu folgenden Bemerkungen:
(1) Eine Bewertung des Gerichts, ob das Anliegen als nützlich und wertvoll einzuschätzen und ob das verfolgte Ziel nach gerichtlicher Beurteilung zu billigen ist oder nicht, verbietet sich, weil der Staat gegenüber der Grundrechtsbetätigung der Bürger auch im Interesse der Offenheit kommunikativer Prozesse inhaltsneutral bleiben muss (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. März 2011 a.a.O.). In Übereinstimmung mit dieser Rechtsprechung ist das Landgericht zutreffend davon ausgegangen, dass eine inhaltliche Bewertung der politischen Ziele der Versammlungsteilnehmer bei der Prüfung der Mittel-Zweck-Relation durch das Gericht grundsätzlich nicht stattzufinden hat (UA S. 10). Entgegen den Ausführungen der Revisionsführerin gilt auch nichts anderes für die politischen Anliegen des Klimaschutzes, auch diese hat die Strafkammer rechtsfehlerfrei bei der Abwägung außer Betracht gelassen (UA S. 10/11). Art. 20a GG, in dem der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und der Tiere als Staatsziel festgeschrieben ist, begründet keine subjektiven Rechte (vgl. Kloepfer in Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 224. Lieferung, Art. 20a GG Rn. 56), sondern nur eine Pflicht des Staates zum Klimaschutz, die auch auf die Herstellung von Klimaneutralität abstellt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18 -, juris). Aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich daher gerade nicht, dass das Klimaschutzanliegen in die Verwerflichkeitsabwägung inhaltlich zu Gunsten der Aktivisten einzufließen hat.
(2) Der Umstand, dass es den Gerichten verwehrt ist, das kommunikative Anliegen inhaltlich zu bewerten, bedeutet nicht, dass dieses völlig außer Betracht zu bleiben hat. Denn setzen die Demonstranten die Blockade als Mittel ein, um das kommunikative Anliegen, die Erzielung von öffentlicher Aufmerksamkeit für ihren politischen Standpunkt, auf spektakuläre Weise zu verfolgen und dadurch am Prozess öffentlicher Meinungsbildung teilzuhaben, wird die Verwirklichung eines solchen Kommunikationsziels im Rahmen des Art. 8 GG durchaus geschützt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001 a.a.O.). Stehen die äußere Gestaltung und die durch sie ausgelösten Behinderungen in einem Zusammenhang mit dem kommunikativen Anliegen oder betrifft das Anliegen auch die von der Demonstration nachteilig Betroffenen, kann die Beeinträchtigung ihrer Freiheitsrechte unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände möglicherweise eher sozial erträglich und in größerem Maße hinzunehmen sein, als wenn dies nicht der Fall ist. Demgemäß ist im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, ob und wie weit die Wahl des Versammlungsortes und die konkrete Ausgestaltung der Versammlung sowie die von ihr betroffenen Personen einen auf die Feststellung der Verwerflichkeit einwirkenden Bezug zum Versammlungsthema haben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001 a.a.O.).
Gemessen an diesem Maßstab ist das Landgericht rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Schutzbereich des Art. 8 GG für die Angeklagte und ihre Mittäter eröffnet ist (UA S. 11). Die Aktivisten breiteten während der Blockaden zumindest ein Transparent vor sich aus, auf dem es hieß: „Öl sparen statt bohren“. Ziel war es jeweils, eine erhöhte öffentliche Aufmerksamkeit für die aus ihrer Sicht unzureichenden politischen Maßnahmen gegen ein Fortschreiten des Klimawandels und im Speziellen gegen zu hohen Ölverbrauch zu erzielen. Zutreffend hat das Landgericht berücksichtigt, dass die Angeklagte und die weiteren Aktivisten als Grundrechtsträger aufgrund des ihnen durch Art. 8 GG eingeräumten Selbstbestimmungsrechts über Ort, Zeitpunkt sowie Art und Inhalt der Versammlungen selbst entscheiden können, wodurch ihnen auch grundsätzlich die Möglichkeit eröffnet ist, durch Sitzblockaden für ihre politisch-gesellschaftlichen Fernziele zu demonstrieren (UA S. 11).
Das Landgericht hat den sachlichen Zusammenhang zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem immer weiter fortschreitenden Klimawandel und dem zu hohen Ölverbrauch erkannt und in rechtlich nicht zu beanstandender Weise in seine Abwägungsentscheidung miteinbezogen. Dass es – wie in der Revisionsschrift gerügt – nicht explizit auf den Zusammenhang zwischen den konkreten Blockadeorten und den Fahrzeugen eingegangen ist, ist unschädlich.
Die Angeklagte und ihrer Mittäter haben die Tatorte – mehrspurige Abfahrten innerstädtisch verlaufender, täglich hoch frequentierter Bundesautobahnabschnitte – erkennbar stellvertretend im deutlichen Bezug zu ihren Anliegen ausgewählt. Es sind Orte, die insbesondere zu den von der Angeklagten und den weiteren Aktivisten gewählten Tatzeiten ein hohes Verkehrsaufkommen haben. Die Tatorte stehen symbolisch für hohe Schadstoffemissionen und hohen Ölverbrauch und stellen den Sachbezug zum fortschreitenden Klimawandel dar (UA S. 13).
Aufgrund dieses Zusammenhanges haben zwar die blockierten Fahrzeugführer grundsätzlich die mit der Ausübung des Versammlungsrechts einhergehenden unvermeidbaren Beeinträchtigungen hinzunehmen, aber es sind nur solche Einschränkungen durch Art. 8 GG gerechtfertigt, die mit rechtmäßigen Demonstrationen als sozial-adäquate Nebenfolge verbunden sind (vgl. BVerfG, Urteil vom 11. November 1986 – 1 BvR 713/83 -, juris; Beschluss vom 24. Oktober 2001 a.a.O.). Das Selbstbestimmungsrecht aus Art. 8 GG umfasst nicht die Entscheidung, welche Beeinträchtigungen die Träger kollidierender Rechtsgüter hinzunehmen haben.
Dem folgend ist die Bewertung der Strafkammer, dass sich der Sachzusammenhang zwischen den Blockadeaktionen und dem motorisierten Individualverkehr im Ergebnis angesichts der Eingriffsstärke in die Rechte Dritter bei der Abwägung nicht entscheidend zugunsten der Angeklagten auswirkt (UA S. 13), – entgegen der Ansicht der Revisionsführerin – nicht zu beanstanden. Zu diesem Ergebnis kommt sie insbesondere deshalb, weil die verfahrensgegenständlichen Straßenblockaden keine sozial-adäquate Nebenfolge der Ausübung des Versammlungsrechts waren, sondern gerade und ausschließlich dem Zweck dienten, die Verkehrsteilnehmer auf den Autobahnabfahrten zu blockieren, diese also gezielt in ihrer Fortbewegungsfreiheit und ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit zu beschränken, um eine größere mediale Aufmerksamkeit für die Fernziele (keine Ölförderung in der Nordsee) zu erlangen. Die daher gezielt und nicht nur als Folge einer Demonstration „zwangsläufig-unbeabsichtigt“ betroffenen Dritten wurden so zu einem Objekt der Meinungsäußerung der Angeklagten und ihrer Mittäter. Sie wurden instrumentalisiert (UA S. 11/ 12).
(3) Der Umstand, dass das Urteil keine Angaben zur genauen Anzahl der von der Blockade betroffenen Fahrzeugführer enthält, führt nicht zur Lückenhaftigkeit der Feststellungen als Grundlage für die Verwerflichkeitsentscheidung. Eine genaue Benennung der Zahl der Betroffenen ist nicht erforderlich, um eine sachgerechte Abwägung im Rahmen der Verwerflichkeitsprüfung vornehmen zu können. Es reicht aus, dass das Gericht die Folgen der Blockade darstellt, aus der die Größenordnung der Beeinträchtigungen erkennbar ist. Das hat das Landgericht in ausreichendem Maße getan. Bezüglich beider Blockaden hat die Strafkammer festgestellt, dass es zu einem Rückstau zahlreicher Fahrzeuge kam, am 12. Juli 2022 für mindestens 20 Minuten über eine Länge von etwa 150 Metern (UA S. 4) sowie am 15. Juli 2022 für jedenfalls 45 Minuten im gesamten Bereich bis zur BAB 100 (UA S. 5).
(4) Ferner überzeugt das Vorbringen der Revisionsführerin nicht, eine nur allgemein gehaltene Ankündigung der Aktionen müsse genügen, um für die Angeklagte positiv in die Abwägungsentscheidung einzufließen, da nach Ort und Zeit konkretisierte Ankündigungen dazu führen würden, dass die Polizei die beabsichtigten Aktionen sofort verhindere. Dem ist insoweit zuzustimmen, dass das im Idealfall die Folge konkreter Ankündigungen sein könnte. Gleichzeitig bedeutet es aber auch, dass abstrakte Ankündigungen keinerlei Nutzen für die später betroffenen Fahrzeugführer haben, da sie sich gerade nicht durch Änderung ihres Fahrweges auf die Blockaden einstellen können. Auch ein Wechsel auf öffentliche Verkehrsmittel ist nicht hinreichend erfolgversprechend, wie sich darin zeigt, dass am 12. Juli 2022 auch ein Bus des öffentlichen Personennahverkehrs von der Blockade betroffen war. Das Landgericht hat daher zu Recht die lediglich abstrakten Ankündigungen nicht im Rahmen der Verwerflichkeitsprüfung zu Gunsten der Angeklagten in die Abwägung einbezogen.
(5) Auch verfängt der Revisionsvortrag nicht, dass ein Stau auf der Berliner Stadtautobahn gerade im morgendlichen Berufsverkehr eine alltägliche Behinderung darstelle, der die Fahrzeugführer jeden Tag ausgesetzt seien, weshalb hätte festgestellt werden müssen, ob und inwieweit die eingetretenen Verzögerungen ein alltägliches Maß überschritten hätten. Zwar trifft es zu, dass der Berliner Berufsverkehr von Verzögerungen geprägt ist. Aber bewusst herbeigeführte zusätzliche Staus, die gerade durch das Ankleben die Fortbewegungsfreiheit der betroffenen Kraftfahrzeugführer besonders lange einschränken sollen, sind mit alltäglichen, sich aus dem Verkehrsgeschehen ergebenden Behinderungen nicht vergleichbar. Sie sind ein zusätzliches Ärgernis und behindern die Leichtigkeit und Flüssigkeit des Straßenverkehrs in sozial unerwünschter Weise. Es wäre daher verfehlt, den Umstand, dass es ohne die Blockaden der Aktivisten häufig im Berufsverkehr zu Einschränkungen kommt, in die Gesamtbewertung dergestalt einfließen zu lassen, dass der Eingriff in die Rechte der blockierten Fahrzeugführer als weniger intensiv und daher vernachlässigenswert anzusehen wäre. Die Bewertung der Blockaden als vernachlässigenswert stünde im Übrigen auch im Widerspruch zu dem eigenen Anliegen der Angeklagten und ihrer Mittäter, durch die Blockaden gerade erhebliche Störungen zu verursachen und damit zusammenhängend mehr Aufmerksamkeit zu erlangen.
(6) Auch vermag der Senat keinen Rechtsfehler darin zu erkennen, dass das Landgericht keine Feststellungen zu „dringlichen Transporten“ getroffen hat. Feststellungen solcher Art sind nur dann erforderlich, wenn der Einzelfall hierzu Anlass gibt (vgl. Senat, Beschluss vom 31. Januar 2024 a.a.O.). Das ist vorliegend nicht der Fall, da das Urteil keinerlei Hinweise darauf enthält, dass es durch die Blockaden zur Behinderung von Transporten ausgewiesener Dringlichkeit, Rettungsdiensten oder sonstigen Einsatzfahrzeugen gekommen ist. Richtigerweise hat das Landgericht Behinderungen dringlicher Transporte auch nicht zu Lasten der Angeklagten in die Abwägung einfließen lassen.
(7) Das Landgericht hat die Dauer der Blockaden jeweils mit mindestens 80 Minuten (Dauer von Beginn der Blockaden bis zur Ablösung der Hände) in seine Abwägungsentscheidung einfließen lassen, wobei es durchaus berücksichtigt hat, dass am 12. Juli 2022 die Zeugin X bereits nach 20 Minuten und am 15. Juli 2022 die Zeugin Y schon nach 45 Minuten rückwärts die Autobahnauffahrt verlassen konnten, dann aber über Umwege zum Ziel gelangen mussten (UA S. 12). Durch die länger andauernde Freiheitseinschränkung mit der Folge erheblicher Zeitverzögerungen und Verspätungen sah das Gericht erhebliche Beeinträchtigungen bei den betroffenen Fahrzeugführern. Dies ist auch nicht zu beanstanden, da im morgendlichen Berufsverkehr 20 bzw. 45 Minuten, in denen die Fahrzeugführer nicht wie geplant zu ihren Terminen gelangen können, nicht mehr als unbedeutende Einschränkungen ihrer Handlungsfreiheit anzusehen sind. Ergänzend hat das Landgericht in seine Erwägung zutreffend eingestellt (UA S. 11, 12), dass die Fahrzeugführer durch die Blockaden nicht nur einer zeitlichen, sondern auch einer räumlichen Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit zwangsweise ausgesetzt waren. Denn die Bewegungsfreiheit beschränkte sich für die Dauer bis zur Ableitung rückwärts von der Autobahn räumlich auf den Bereich ihres Fahrzeugs oder jedenfalls auf den Bereich unmittelbar um ihr Fahrzeug. Spontane Ausweichmöglichkeiten aus den Staus heraus gab es nicht.
cc) Im Übrigen hat das Landgericht entgegen dem Revisionsvorbringen auch nicht verkannt, dass eine fehlende Verwerflichkeit der Taten indiziert sein kann, wenn sich ihre Umstände in der Nähe eines anerkannten Rechtsfertigungsgrundes befinden. Aus den Urteilsgründen ist erkennbar, dass die Strafkammer keinen der möglichen Rechtfertigungsgründe im Ansatz für gegeben ansah, weshalb sich konsequenterweise und rechtsfehlerfrei auch keine Ausführungen zu einer möglichen Indizwirkung bei Rechtfertigungsnähe der Taten finden.
2. Der vom Landgericht festgestellte Sachverhalt trägt in beiden Fällen auch die Verurteilung wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 Abs. 1 Alt. 1 StGB.
a) Widerstand ist jede aktive, gegen die Person des Vollstreckenden gerichtete Tätigkeit, die nach der Vorstellung des Täters geeignet ist, die Vollziehung der Diensthandlung zu verhindern oder zu erschweren (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2012 – 4 StR 497/12 -, juris). Mit Gewalt wird Widerstand geleistet, wenn unter Einsatz materieller Zwangsmittel, vor allem körperlicher Kraft, ein tätiges Handeln gegen die Person des Vollstreckenden erfolgt, das geeignet ist, die Vollendung der Diensthandlung zumindest zu erschweren (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Juni 2020 – 5 StR 157/20 -, juris; Fischer, StGB 71. Aufl., § 113 Rn. 23).
Gewalt im Sinne des § 113 StGB ist nicht mit Gewalttätigkeiten gegen eine andere Person gleichzusetzen (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 23. August 2005 – 2 BvR 1066/05 -, juris), beispielsweise kann auch das Stemmen der Füße gegen den Boden, um das Verbringen an einen anderen Ort zu verhindern, eine Widerstandshandlung mit Gewalt sein (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 23. August 2005 a.a.O.). Das erscheint auch sachgerecht, da der Tatbestand des § 113 StGB in erster Linie dem Schutz der Autorität staatlicher Vollstreckungsakte und damit dem Schutz des Gewaltmonopols des Staates dient (vgl. Fischer, StGB 71. Aufl., § 113 Rn. 2).
Die Gewalt muss aber gegen die Person des Vollstreckenden gerichtet und für ihn – unmittelbar oder mittelbar über Sachen – körperlich spürbar sein (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Juni 2020 a.a.O. und Beschluss vom 15. Januar 2015 – 2 StR 204/14 -, beide juris). Die (mittelbare) Kraftentfaltung muss im Zeitpunkt der Diensthandlung gegen die Person des Vollstreckenden dergestalt wirken, dass dieser seine Diensthandlung nicht ausführen kann, ohne seinerseits eine nicht ganz unerhebliche Kraft aufwenden zu müssen (vgl. BGH, Urteil vom 16. November 1962 – 4 StR 337/62 -, juris). Dieses Erfordernis des Aufwendens einer nicht unerheblichen Kraft, um der (mittelbaren) Kraftentfaltung entgegenzuwirken, korrespondiert damit, dass die herbeigeführte Erschwerung eine gewisse Erheblichkeit aufweisen muss.
Dieses Korrektiv der „Erheblichkeit“ ist erforderlich, um den Gewaltbegriff des § 113 Abs. 1 StGB unter Wahrung des Analogieverbots nach Art. 103 GG – und damit zusammenhängend des Verbots der Verschleifung von Tatbestandsmerkmalen (vgl. kritisch dazu Seel, HRRS 2023, 313) – einzugrenzen und Fälle auszuschließen, die mangels Überschreitens der Erheblichkeitsschwelle logisch-semantisch dem Gewaltbegriff offenkundig nicht unterfallen.
Für das Tatbestandsmerkmal „bei der Vornahme einer Diensthandlung“ reicht es aus, dass der Täter die eigene Kraftentfaltung schon vor Beginn der Diensthandlung vorgenommen hat, sofern sie sich als Widerstand gegen den Beamten im Zeitpunkt seines Tätigwerdens auswirkt (vgl. BGH, Urteil vom 16. November 1962 a.a.O.; OLG Stuttgart, Urteil vom 30. Juli 2015 – 2 Ss 9/15 -, beide juris). Entscheidend ist dabei, dass das vorweggenommene tätige Handeln im Hinblick auf die spätere Diensthandlung zu deren Verhinderung oder Erschwerung vorgenommen wird (vgl. BGH, Urteil vom 16. November 1962 a.a.O.; Senat, Beschluss vom 16. August 2023 – 3 ORs 46/23 -, juris).
b) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist noch keine Widerstandshandlung mit Gewalt darin zu sehen, dass die Angeklagte sich zusammen mit ihren Mitaktivisten auf die Fahrbahnen setzte, um die sich nähernden Fahrzeuge zum Anhalten zu bewegen. Ein solches Verhalten wäre lediglich als passiver Widerstand zu bewerten. Denn die Polizeibeamten hätten die Angeklagte zu diesem Zeitpunkt noch problemlos von der Fahrbahn tragen können.
c) Eine andere Bewertung ergibt sich jedoch in dem Moment, als sie sich in Gegenwart von Polizeibeamten vor Ort in sicherer Erwartung polizeilicher Maßnahmen auf der Fahrbahn sitzend festklebte.
Indem die Angeklagte – in beiden Fällen – die zuvor mit Sekundenkleber benetzte Hand auf die Fahrbahn drückte, so dass Hand und Fahrbahn eine feste Verbindung eingingen, mit dem Ziel, dadurch die spätere Räumung der Fahrbahn durch Polizeibeamte nach Auflösung der Versammlung deutlich zu erschweren, leistete sie Widerstand mit Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 Alt. 1 StGB.
aa) Die Angeklagte hat unter Einsatz materieller Zwangsmittel (Sekundenkleber) in einer Weise aktiv gehandelt, die geeignet war, die Vollendung der Diensthandlung zumindest zu erschweren.
Durch das Auftragen des Klebers auf die Hand und das feste Andrücken der Hand auf die Fahrbahn hat die Angeklagte aktiv Adhäsionskräfte erzeugt und in Gang gesetzt, die später nicht einfach gelöst werden konnten (vgl. zur „Kraftäußerung“ LG Berlin, Beschluss vom 21. November 2022 – 534 Qs 80/22 – und Beschluss vom 31. Mai 2023 – 502 Qs 138/22 -, beide juris). Die Hand der Angeklagten war in beiden Fällen derart fest mit der Fahrbahn verbunden, dass ein einfaches Wegtragen nicht möglich war, die Vollstreckungsmaßnahme durch die Verwendung des Klebers also erschwert wurde.
bb) Die mittelbare Kraftentfaltung durch die Verklebung der Hand mittels Sekundenkleber auf der Fahrbahn wirkte noch im Zeitpunkt der Vollstreckungshandlung (Durchsetzung der Auflösungsverfügung) dergestalt, dass der Polizeibeamte seine Diensthandlung nicht ausführen konnte, ohne seinerseits eine nicht ganz unerhebliche Kraft aufwenden zu müssen. Die Verklebung war für den Polizeibeamten körperlich spürbar.
(a) Ein einfaches Wegtragen der Angeklagten war aufgrund der Verklebung der Hand mit der Fahrbahn nicht möglich. Zum schnellen und effektiven Lösen der bei der Vollstreckungshandlung immer noch wirkenden Adhäsionskräfte des Klebers hätte der Polizeibeamte die Hand mit „körperlich“ spürbarem Kraftaufwand von der Fahrbahn abreißen müssen. Um der Angeklagten diese schmerzhafte Prozedur zu ersparen – was angesichts der Verhältnismäßigkeitserfordernisses bei der Anwendung von Zwangsmitteln (§ 9 VwVG) sachgerecht war – musste der Polizeibeamte sie mit Hilfe eines Lösungsmittels vorsichtig von der Fahrbahn lösen. Ohne Verwendung des Lösungsmittels wäre es dem Polizeibeamten nicht möglich gewesen, die Adhäsionskräfte des Klebers so zu schwächen, dass die von der Angeklagten zuvor herbeigeführte feste Verklebung von Hand und Fahrbahn gelöst werden konnte, ohne die Angeklagte zu verletzen.
Damit ist das Ankleben in seiner physischen Wirkung dem Selbstanketten vergleichbar, da hier wie dort eine durch tätiges Handeln bewirkte Kraftentfaltung vorliegt, die gegen den Amtsträger gerichtet und geeignet ist, die Durchführung der Vollstreckungshandlung zu verhindern oder zu erschweren (vgl. Senat, Beschluss vom 16. August 2023 – 3 ORs 46/23 -, juris). Genau wie durch das Anketten wird durch das Festkleben ein später auf den Polizeibeamten wirkender physischer Zwang begründet, der eine (erhebliche) Kraftentfaltung erfordert, um die Person zu lösen. Entsprechend hat der Senat auch schon in seiner Entscheidung vom 16. August 2023 (3 ORs 46/23, juris) ausgeführt, dass der Umstand, dass die Polizeibeamten das durch das Festkleben entstandene physische Hindernis unter Verwendung eines Lösungsmittels beseitigen können, dem Merkmal der Gewalt nicht grundsätzlich entgegensteht.
(b) Der Einsatz der von dem Polizeibeamten zur Lösung der Verklebung und damit auch zur Durchsetzung der Auflösungsverfügung aufzuwendenden Kraft war auch nicht ganz unerheblich. Die durch die Verklebung herbeigeführte Erschwerung ist derart erheblich, dass die Schwelle vom gewaltfreien passiven Widerstand zum Widerstand mit Gewalt überschritten ist.
(1) Um festzustellen, ob die zur Beseitigung der Erschwerung erforderliche Kraft ausreichend erheblich war, um ein Widerstandleisten mit Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB zu begründen, bedarf es einer Bewertung aller Umstände des Einzelfalls. Hierbei sind Umfang und Dauer der zur Überwindung des Hindernisses erforderlichen Mittel in den Blick zu nehmen (vgl. Senat, Beschluss vom 16. August 2023, a.a.O.).
Diese Bewertung im Einzelfall ist besonders wichtig, um eine Abgrenzung zum straflosen Widerstand ohne Gewalt klar erkennbar zu machen und auszuschließen, dass lediglich unbedeutende Erschwerungen, die niemand vernünftigerweise als „mit Gewalt“ bezeichnen würde, vom Tatbestand des § 113 StGB erfasst sind.
(2) Diesen Anforderungen wird das landgerichtliche Urteil gerecht, die Feststellungen enthalten alle für die Bewertung der Erschwerung als erheblich erforderlichen Angaben. Nach den Feststellungen war ein Lösen der festgeklebten Hand der Angeklagten ohne Hilfsmittel nicht möglich. Die Polizeibeamten mussten ein Lösungsmittel verwenden und benötigten am 12. Juli 2022 26 Minuten (UA S. 4) und am 15. Juli 2022 44 Minuten (UA S. 5) zum Lösen der Hand von der Fahrbahn. Der Umstand, dass die tatsächlichen Feststellungen – wie von der Revisionsführerin gerügt – keine Angaben dazu enthalten, wie das Lösen konkret erfolgte, lassen die Feststellungen nicht lückenhaft erscheinen. Da die Urteilsgründe eine Einheit bilden (vgl. BGH, Urteil vom 11. Februar 1998 – 3 StR 546/97 -; Senat, Beschluss vom 29. April 2022 – (3) 161 Ss 51/22 (15/22) -, beide juris), können die Darstellungen in der Beweiswürdigung, dass die Hand „mittels eines Lösungsmittels“ abgelöst wurde (UA S. 8), in einer Gesamtschau Berücksichtigung finden. Auch zeigt die lange Ablösedauer ausreichend deutlich, dass die Hand in beiden Fällen so fest mit der Fahrbahn verbunden war, dass es nicht möglich war, sie ohne größeren Aufwand von dort zu entfernen. Weitere detaillierte Ausführungen, beispielsweise wie das Lösungsmittel genau unter die Hand gebracht wurde oder wie häufig es aufgetragen werden musste, sind für eine sachgerechte Abwägungsentscheidung nicht erforderlich, so dass die Feststellungen auch insoweit nicht lückenhaft sind.
Eine Ablösedauer von 26 Minuten in Fall 1 und 44 Minuten im Fall 2 ist bei einer polizeilichen Maßnahme zum Wiederfreimachen der Fahrbahn für den innerstädtischen Berufsverkehr an einer Autobahnabfahrt eine deutlich spürbare Zeitdauer und nicht vergleichbar mit einfachem Wegtragen von der Fahrbahn. Die effektive Durchsetzbarkeit der polizeilichen Anordnungen war in den vorliegenden beiden Fällen durch die deutliche Verzögerung der Maßnahmen durch das Ankleben und das Erfordernis des vorsichtigen, behutsamen und möglichst schmerzfreien Lösens der Verklebung in erheblichem Maße betroffen.
(3) Dass die Ablösedauer in die Bewertung der Erschwerung als „erheblich“ und damit in die Bewertung der Taten als „mit Gewalt“ miteingeflossen ist, bedeutet im Übrigen auch nicht – wie von der Revisionsführerin befürchtet -, dass jede durch den Täter verursachte Verzögerung einer polizeilichen Maßnahme den Tatbestand des § 113 StGB erfüllt. Denn bevor die Ablösedauer überhaupt in die Bewertung der Erheblichkeit der Erschwerung einfließen kann, muss zunächst einmal ein aktives Handeln gegen die Person des Vollstreckenden unter Einsatz eines materiellen Zwangsmittels festgestellt werden.
Aber auch bei nur kurzer Ablösedauer kann eine Widerstandshandlung als gewaltsam anzusehen sein. Entscheidend für die Bewertung der Widerstandshandlung als „mit Gewalt“ ist die Intensität der Kraftentfaltung durch das materielle Zwangsmittel und damit zusammenhängend die Kraft, die aufgewandt werden muss, um diese zu überwinden. Unabhängig von der gewählten Methode zur Überwindung der Wirkung des materiellen Zwangsmittels, ist die Kraft, die überwunden werden muss, immer gleich. Die Ablösedauer ist dabei lediglich ein Anhaltspunkt dafür, wie stark die zu überwindenden Kräfte wirken. Ein schnelles, aber kurzzeitig kraftintensives Wegreißen kann daher genauso für einen Widerstand „mit Gewalt“ sprechen wie eine vorsichtige Methode, bei der die die Vollstreckungsmaßnahme erschwerenden Kräfte über einen längeren Zeitraum gelöst werden.
dd) Die Widerstandshandlung erfolgte in beiden Fällen „bei Vornahme einer Diensthandlung“.
Die Angeklagte klebte sich auf der Fahrbahn fest, als Polizeibeamte schon vor Ort waren, eine zu vollstreckende Auflösungsverfügung jedoch noch nicht vorlag. Das Ankleben erfolgte aber bereits in Hinblick auf die sicher erwartete Räumung der Straße nach Auflösung der Versammlung, um diese zu erschweren (UA S. 3, 5). Durch das Festkleben wollte die Angeklagte ein einfaches Wegtragen durch die Polizeibeamten verhindern und die polizeiliche Maßnahme derart erschweren, dass die Blockade deutlich in die Länge gezogen und so die Aufmerksamkeit für ihr politisches Anliegen verstärkt wird. Solch ein zielgerichtetes Tätigwerden bereits vor Beginn der eigentlichen Vollstreckungsmaßnahme erfüllt das Tatbestandsmerkmal „bei Vornahme einer Diensthandlung“ (vgl. BGH, Urteil vom 16. November 1962 a.a.O.).
Soweit der Verteidiger vorträgt, dass die Angeklagte beim Ankleben noch nicht vorhatte, die Klebung bis zum Ablösen durch die Polizeibeamten aufrechtzuhalten und erst später entschieden hat, sich nicht selbst, etwa mit Öl, zu lösen, ist dies nicht nur urteilsfremdes Vorbringen, sondern widerspricht auch der Einlassung der Angeklagten (UA S. 6). Im Übrigen ist es auch fernliegend.
ee) Ohne Rechtsfehler hat die Strafkammer in beiden Fällen auch den subjektiven Tatbestand des § 113 Abs. 1 StGB als verwirklicht angesehen.
3. Der Rechtsfolgenausspruch hält sachlich-rechtlicher Prüfung stand. Die von der Strafkammer vorgenommene Strafzumessung lässt keine Rechtsfehler erkennen.
Der Einwand des Verteidigers, es läge ein Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot nach § 46 Abs. 3 StGB vor, da die konkrete Verzögerungsdauer durch die Blockaden sowohl im Rahmen der Verwerflichkeitsprüfung des § 240 StGB als auch im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigt worden sei, verfängt nicht. Die Verwerflichkeitsklausel ist Ausdruck des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, der übermäßiges Sanktionieren untersagt und im Einklang mit dem Gebot schuldangemessenen Strafens steht (vgl. BVerfG, Urteil vom 11. November 1986 – 1 BvR 713/83 -, juris). Die Tatbestandsverwirklichung ist davon unabhängig, so dass das Doppelverwertungsverbot insoweit nicht greift.
Aber selbst wenn die Verzögerungsdauer als tatbestandsbegründendes Merkmal anzusehen wäre, würde das Doppelverwertungsverbot das Tatgericht nicht daran hindern, im Rahmen der Strafzumessung zugunsten oder zulasten der Angeklagten den Ausprägungsgrad oder die konkrete Modalität eines Merkmals des gesetzlichen Tatbestands zu berücksichtigen, wenn dieses steigerungsfähig ist (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Juni 2016 – 2 StR 150/15 -, juris; Schneider in Leipziger Kommentar, StGB 13. Aufl., § 46 Rn. 253).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.