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Straßenverkehrsgefährdung bei Kolonnenspringen ohne konkrete Gefahr

OLG Celle – Az.: 3 Ss 6/21 – Beschluss vom 16.02.2021

In der Strafsache wegen Straßenverkehrsgefährdung hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Walsrode nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft am 16. Februar 2021 beschlossen:

Das angefochtene Urteil des Amtsgerichts Walsrode vom 27.10.2020 wird mit den getroffenen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Walsrode zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Walsrode hat den Angeklagten am 27. Oktober 2020 wegen vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 60 € verurteilt und gegen ihn ein Fahrverbot von 2 Monaten verhängt.

Den getroffenen Feststellungen zufolge befuhr der Angeklagte, wobei das Urteil weder den Tag noch die Uhrzeit mitteilt, die Autobahn A7 in Richtung Hannover auf Höhe des Kilometers 80 auf dem linken Fahrstreifen. Vor ihm fuhr das Fahrzeug des Zeugen W. eben-falls auf dem linken Fahrstreifen, wobei der Angeklagte sehr dicht auf das Fahrzeug des Zeugen W. auffuhr.

Als sich dem Angeklagten auf dem rechten Fahrstreifen zwischen zwei LKW eine Lücke bot, scherte dieser nach rechts aus, um den Zeugen W. zu überholen. Der Abstand zu dem vorausfahrenden LKW stellte sich jedoch als zu gering heraus, so dass der Ange-klagte sein Fahrzeug früher als geplant wieder auf den linken Fahrstreifen steuern musste, um eine Kollision mit dem LKW zu verhindern. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich die Fahrzeuge des Angeklagten sowie des Zeugen W. etwa auf gleicher Höhe. Der Zeuge W. konnte einen Zusammenstoß dadurch verhindern, dass er starke Bremsung und zugleich ein Ausweichmanöver durchführte. Im Verlauf dieses Fahrmanövers betrug der Abstand zwischen den beiden Fahrzeugen zeitweise nur etwa 15 cm.

Aufgrund dieses Ereignisses erschrak sich die zu diesem Zeitpunkt auf dem Beifahrersitz des Zeugen W. befindliche Zeugin N. derart, dass sie zunächst aus Angst vor einem Unfall schrie und sodann zu weinen und zu zittern begann, wobei das Zittern über einen Zeitraum von mehr als zwei Stunden anhielt.

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten namentlich mit dem Vorbringen, den Urteilsgründen fehle es an konkreten Angaben zum Fahrverhalten der Fahrzeuge sowie zu den Reaktionen der Fahrer und zu den wahrnehmbaren Veränderungen des verkehrstypischen Geschehensablaufs.

Der Generalstaatsanwalt hat beantragt, die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Walsrode vom 27.10.2020 gem. § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.

Der Revision kann ein zumindest vorläufiger Erfolg in der Sache nicht versagt bleiben. Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen sind nicht geeignet, den Schuldspruch zu tragen; sie sind lückenhaft.

Zwar ist es von Rechts wegen zunächst nicht zu beanstanden, dass das Amtsgericht auf-grund der getroffenen Feststellungen von einem grob verkehrswidrigen Verhalten des Angeklagten ausgegangen ist. Ein rücksichtsloses Handeln im Sinne von § 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. b StGB geht aus den Feststellungen des Amtsgerichts indessen ebenso wenig hervor wie das Vorliegen einer konkreten Gefahr.

Erforderlich für das Vorliegen einer konkreten Gefahr ist nach gefestigter Rechtsprechung die Feststellung einer auf Tatsachen gegründeten nahe liegenden Wahrscheinlichkeit eines schädigenden Ereignisses, bei der nach Würdigung aller konkret erheblichen Umstände im Rahmen einer objektiven nachträglichen Prognose im Sinne einer ex-ante Beurteilung der Eintritt eines substantiellen Schadens in so bedrohliche Nähe gerückt sein muss, dass seine Vermeidung sich nur noch als Zufall darstellt (vgl. nur Fischer, Strafgesetz-buch, 68. Aufl., § 315c Rn. 15a m.w.N.). Dies lässt sich dem angefochtenen Urteil nicht hinreichend entnehmen. Allein die Feststellung, dass es zu einem Unfall gekommen wäre, wenn der Zeuge W. nicht stark abgebremst und dem Fahrzeug des Angeklagten aus-gewichen wäre, ist hierfür nicht ausreichend. Denn eine konkrete Gefahr liegt regelmäßig nicht vor, wenn es einem Verkehrsteilnehmer noch möglich ist, einen Unfall durch ein im Bereich einer verkehrsüblichen Reaktion liegendes Brems- oder Ausweichmanöver abzuwenden (vgl. BGH vom 03.11.2009, 4 StR 373/09). Es war dem Zeugen W. nach den Feststellungen ersichtlich möglich, dem Fahrzeug des Angeklagten durch ein reaktions-schnelles Fahrmanöver auszuweichen. Das Vorliegen einer konkreten Gefahr ist vielmehr anhand objektiver Kriterien, wie beispielsweise der Geschwindigkeit der beteiligten Fahr-zeuge, des Abstandes zwischen ihnen sowie auch der Beschaffenheit der Fahrzeuge selbst und ggf. bestehender Ausweichmöglichkeiten zu ermitteln. Nicht ausreichend sind insoweit lediglich wertende Umschreibungen wie etwa ein „scharfes“ Abbremsen oder Ausweichen.

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Es stellt im Wesentlichen nur auf ein dichtes Auffahren sowie auf einen Fahrstreifenwechsel des Angeklagten ab, durch welchen der Zeuge W. zu einem starken Abbremsen sowie zu einem Ausweichen gezwungen wurde, jedoch nicht auf notwendige weitere Umstände, um eine strafbare Straßenverkehrsgefährdung anzunehmen. Soweit ein Beinahe-Unfall offenbar in dem – verkehrswidrigen – Rechtsüberholen des Angeklagten liegen könnte, fehlt es an jeglichen Feststellungen zur Verkehrssituation und zur subjektiven Tatseite. Bereits die Geschwindigkeit der beteiligten Fahrzeuge wird nicht mitgeteilt. So bleibt anhand der getroffenen Feststellungen bereits offen, ob sich das Geschehen bei hoher, mittlerer oder geringerer Geschwindigkeit oder bei etwaig erhöhtem Verkehrsaufkommen (sog. Kolonnenspringen) zugetragen hat. Auch fehlt es an Feststellungen zu den Fahrzeugen der Beteiligten sowie zur Beschaffenheit der Fahrbahn (nass, trocken). Es werden auch keine Umstände mitgeteilt, aus denen sich die gefahrene Geschwindigkeit zuverlässig ableiten ließe. Allein aus dem Auslösen des Antiblockiersystems bei dem Fahrzeug des Zeugen W. lässt sich die gefahrene Geschwindigkeit und hiernach die Annahme eines „Bei-nahe-Unfalls“ nicht herleiten, da, was der Senat als allgemeinkundig voraussetzt, auch bei sehr geringen Geschwindigkeiten bis hin zur Schrittgeschwindigkeit das Antiblockiersystem bei einem entsprechend starken Bremsvorgang ausgelöst werden kann, was nicht zuletzt auch abhängig ist von der Beschaffenheit der Fahrbahn. In Bezug auf das Ausweichmanöver des Zeugen W. fehlt es an Feststellungen zu den örtlichen Gegebenheiten, insbesondere hinsichtlich eines eventuellen Abkommens von der Fahrbahn sowie eines Annäherns an die Mittelleitplanke.

Ein Rückschluss auf die gefahrenen Geschwindigkeiten lässt sich auch nicht daraus her-leiten, dass sich die getroffenen Feststellungen zufolge die Fahrzeuge des Angeklagten sowie des Zeugen W. zum Zeitpunkt des Vorfalls zumindest teilweise auf dem linken Fahrstreifen befunden haben und der rechte Fahrstreifen zu diesem Zeitpunkt von LKWs befahren wurde, da das Amtsgericht auch zu der gefahrenen Geschwindigkeit der LKWs keinerlei Feststellungen getroffen hat.

Darüber hinaus fehlt es an Feststellungen zum subjektiven Tatbestand und hierbei insbesondere zum Tatbestandsmerkmal der Rücksichtslosigkeit, welches erfordert, dass der Täter sich aus eigensüchtigen Gründen über seine Pflichten gegenüber anderen Verkehrs-teilnehmern hinwegsetzt oder aus Gleichgültigkeit von vornherein Bedenken gegen sein Verhalten nicht aufkommen lässt. Hierbei ist für das Vorliegen der Rücksichtslosigkeit der äußere Tathergang zwar regelmäßig das wichtigste und oftmals auch ausschlaggebende Entscheidungskriterium. Jedoch reicht das äußere Tatgeschehen allein für die Beurteilung der Rücksichtslosigkeit regelmäßig nicht aus. Es kommt vielmehr auf die konkrete Verkehrssituation, auch im Vorfeld sowie im Nachgang des Vorfalls, unter Einbeziehung der Vorstellungs- und Motivlage des Angeklagten an (vgl. Fischer aaO, Rn. 14a), wobei das Amtsgericht auch hierzu keine Feststellungen getroffen hat. Dies trifft auch auf die aus-weislich des Tenors durch das Amtsgericht angenommene fahrlässige Verursachung der Gefahr gemäß § 315c Abs. 3 Nr. 1 StGB zu.

Das Urteil beruht auf den aufgezeigten Rechtsmängeln. Die Sache bedarf daher neuer tatrichterlicher Prüfung und Entscheidung.

Da die Revision bereits aufgrund der Sachrüge durchgreift, ist ein Eingehen auf die überdies erhobene Verfahrensrüge entbehrlich.

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