OLG Hamm – Az.: 4 RVs 48/21 – Beschluss vom 20.05.2021
Das angefochtene Urteil wird mit den zu Grunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Rechtsmittels – an eine andere als Strafrichter zuständige Abteilung des Amtsgerichts Blomberg zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 30 Euro verurteilt, ihm die Fahrerlaubnis entzogen, den Führerschein eingezogen und nach dem laut Hauptverhandlungsprotokoll verkündeten – maßgeblichen – Urteilstenor gegen ihn eine Sperre für die Wiederteilung der Fahrerlaubnis in Höhe von zehn Monaten verhängt.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts war der Angeklagte als Führer eines PKW am frühen Morgen des 00.00.2020 (für ihn erkennbar) so übermüdet, dass er in einen Sekundenschlaf verfiel und infolgedessen von der Fahrbahn abkam. Er prallte gegen einen Baum. Der „Wiederherstellungsaufwand“ für die Beschädigung oder Zerstörung des Baumes beträgt rund 813 Euro. Das von dem Angeklagten geführte Fahrzeug kam nach dem Zusammenprall mit dem Baum in „einem geringen Abstand“ (UA S. 2) bzw. in „unmittelbarer Nähe“ (UA S. 3) zu einer Hausfassade zu stehen. Es verfehlte diese „nur knapp“ (UA S. 4). Deren Beschädigung durch das Fahrzeug konnte indes nicht festgestellt werden.
Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit der (Sprung-) Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Rechtsmittel als offensichtlich unbegründet zu verwerfen und den Tenor des angefochtenen Urteils bzgl. der Sperrfrist entsprechend dem verkündeten Tenor zu berichtigen.
II.
Die zulässige (Sprung-) Revision hat auf die Sachrüge hin Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache (§§ 354 Abs. 2, 349 Abs. 4 StPO).
Das angefochtene Urteil weist einen durchgreifenden Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten auf, da die Urteilsgründe eine Gefährdung fremder Sachen von bedeutendem Wert i.S.v. § 315 c Abs. 1 StGB nicht belegen. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung wird die Wertgrenze insoweit bei 750 Euro gezogen (vgl. nur: BGH NStZ-RR 2012, 185, 186 m.w.N.), wovon auch das Amtsgericht zutreffend ausgeht.
Um eine konkrete Gefährdung einer fremden Sache von bedeutendem Wert bejahen zu können, bedarf es bestimmter Angaben zum Wert der Sache und zur Höhe des drohenden Schadens, berechnet anhand der am Marktwert zu messenden Wertminderung (BGH NStZ 2010, 216, 217; BGH NStZ-RR 2013, 320, 321; Fischer, StGB, 68. Aufl., § 315 Rdn. 16b). Bei mehreren gefährdeten Sachen kommt es auf deren Gesamtwert an (OLG Karlsruhe NJW 1961, 133 LS; Pegel in: MünchKomm-StGB, 3. Aufl., § 315c Rdn. 96).
Das angefochtene Urteil enthält hierzu keine hinreichenden Angaben. Soweit der Tatrichter auf den Baum abstellt, bzgl. dessen offen bleibt, ob er beschädigt oder zerstört wurde, ist schon der Bezugspunkt unzutreffend gewählt, da der Baum keine isolierte Sache ist, sondern – sofern er nicht etwa nur in einen Pflanzkübel o. ä. eingepflanzt war – wesentlicher Bestandteil des ihn tragenden Grundstücks (§ 94 BGB). Mag es noch naheliegend sein, dass ein (auch sehr kleines Grundstück) einen Wert von mindestens 750 Euro hat, so reicht es doch nicht, im tatrichterlichen Urteil bzgl. des drohenden Schadens in Form der Wertminderung allein auf einen nicht näher aufgeschlüsselten „Wiederherstellungsaufwand“ abzustellen. Zwar wird die Wertminderung i.d.R. mit Reparaturkosten identisch sein, jedoch sind etwa Nebenkosten der Wiederherstellung irrelevant (Pegel a.a.O.). Die Angabe eines Wiederherstellungsaufwands lässt nicht erkennen, ob dieser allein die Kosten der eigentlichen „Reparatur“ (also etwaiger zur Erhaltung des Baumes notwendiger Maßnahmen im Falle seiner bloßen Beschädigung) oder der Neupflanzung (im Fall seiner Zerstörung) enthält.
Hinsichtlich der Gefährdung eines Hauses ist ebenfalls zwar naheliegend, dass das Haugrundstück eine fremde Sache von bedeutendem Wert darstellt (wobei die Urteilsgründe offen lassen, ob Haus und Baum sich auf demselben Grundstück befanden). Hier fehlt es aber an hinreichenden Angaben, die eine konkrete Gefährdung belegen. Bei Würdigung aller konkret erheblichen Umstände muss der Eintritt eines substanziellen Schadens in so bedrohliche Nähe gerückt sein, dass seine Vermeidung sich nur noch als Zufall darstellt (Fischer a.a.O., § 315c Rdn. 15a m.w.N.). Dies hängt im vorliegenden Fall wesentlich davon ab, mit welcher Geschwindigkeit das Fahrzeug des Angeklagten sich auf das Haus zubewegte und in welchem Abstand es letztlich vor diesem zu stehen kam. Derartige Angaben fehlen im angefochtenen Urteil. Auch Angaben zur Höhe der Wertminderung (der Reparaturkosten, s. o.) in dem Fall, in dem es zu einem Kontakt zwischen Fahrzeug und Haus gekommen wäre, enthalten die Urteilsgründe nicht.
Das angefochtene Urteil beruht auch auf dem aufgezeigten Rechtsfehler, denn es ist nicht ausgeschlossen, dass sich ein Erreichen der o.g. Wertgrenze nicht feststellen lässt. Um dem neuen Tatrichter widerspruchsfreie neue Feststellungen zu ermöglichen, waren die dem angefochtenen Urteil zu Grunde liegenden Feststellungen insgesamt aufzuheben (§ 353 Abs. 2 StPO).