OLG Zweibrücken – Az.: 1 OLG 2 Ss 19/18 – Beschluss vom 14.05.2018
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 4. kleinen Strafkammer des Landgerichts Zweibrücken vom 9. Januar 2018 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit
a) die Vollstreckung der gegen den Angeklagten verhängten Gesamtfreiheitsstrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
b) eine Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist.
Im Umfange der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen
2. Das weitergehende Rechtsmittel wird als unbegründet verworfen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Landstuhl hat den Angeklagten am 13. Juni 2017 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung sowie wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt. Außerdem hat es eine (isolierte) Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis von zwei Jahren angeordnet. Die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht mit Urteil vom 9. Januar 2018 als unbegründet verworfen. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit der auf die Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel erzielt auf die Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es jedoch unbegründet i.S.v. § 349 Abs. 2 StPO.
II.
Nach den Feststellungen des Landgerichts litt der von Heroin abhängige Angeklagte am 25. August 2016 unter Entzugserscheinungen, die er mit erheblichen Mengen von Alkohol zu dämpfen suchte. Da er gleichwohl immer stärker unter den Symptomen des Entzugs litt, entschloss er sich, mit dem PKW seiner Lebensgefährtin zu seiner ebenfalls in Landstuhl wohnenden Mutter zu fahren, um diese um Drogen zu bitten. Ihm war bewusst, dass er nicht im Besitz der für das Führen eines Kraftfahrzeugs erforderlichen Fahrerlaubnis war. Auf dem Weg zur Wohnung seiner Mutter verursachte er aufgrund seiner alkoholbedingten absoluten Fahruntüchtigkeit einen Verkehrsunfall, bei dem am Fahrzeug der Unfallgegnerin ein Schaden von ca. 9.000,– EUR entstand. Anschließend flüchtete der Angeklagte zu Fuß vom Unfallort, um Feststellungen zu seiner Person zu verhindern. Die Untersuchung einer ca. 1 Stunde und 45 Minuten später genommene Blutprobe ergab eine BAK von 1,88 Promille im Mittelwert, sowie Abbauprodukte von THC und Morphin.
III.
1.
Die von dem Angeklagten erhobene Formalrüge ist nicht ausgeführt und daher unzulässig (§ 344 Abs. 2 S. 2 StPO).
2.
Die auf die allgemein erhobene Sachrüge veranlasste umfassende Überprüfung des Urteils hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Soweit das Landgericht indes eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unerörtert gelassen hat, hält das Urteil revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand (b). Dies zieht auch die Aufhebung der Entscheidung über die Aussetzung der Gesamtfreiheitsstrafe nach sich (c).
a)
Nach den zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten getroffenen Feststellungen begann dieser im Alter von 11 Jahren mit dem Konsum von THC. Mit 15 Jahren nahm er zudem Amphetamin, seit ca. zwei Jahren auch Heroin. Die Betäubungsmittel bezog der Angeklagte u.a. von seinen drogenabhängigen Eltern. Wenn ihm diese Drogen nicht zur Verfügung standen, trank der Angeklagte vermehrt Alkohol. Im Jahr 2011 absolvierte er eine stationäre Drogenlangzeittherapie, die er regulär beendete. Nachdem er eine gewisse Zeit drogenfrei blieb, wurde der Angeklagte jedoch wieder rückfällig. Im Jahr 2017 – nach den verfahrensgegenständlichen Taten – absolvierte er eine weitere stationäre Langzeittherapie, die er jedoch wenige Wochen vor deren regulären Ende unterbrach und später nicht fortsetzte. Stattdessen nahm er Kontakt zu einer ambulanten Drogenberatungsstelle auf, wo er zukünftig Gesprächstermine wahrnehmen möchte. Der Angeklagte ist wegen im Zusammenhang mit Alkohol- und Drogenkonsum stehender Taten vorbestraft. Zuletzt wurde er am 15. Juni 2016 vom Amtsgericht Zweibrücken u.a. wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Nach den dort getroffenen Feststellungen hatte sich der Angeklagte, der aufgrund vorangegangenen Drogenkonsums fahruntüchtig gewesen war, als Fahrer eines PKWs eine Verfolgungsjagd mit einem Polizeifahrzeug geliefert, wobei zu einem Beinahe-Unfall mit einer Fußgängerin gekommen war.
b) Auf der Grundlage dieser Feststellungen begegnet es durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass die Strafkammer eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) nicht erörtert hat. Dass nur der Angeklagte Rechtsmittel eingelegt hat, hindert gem. § 358 Abs. 2 Satz 3 StPO die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (BGH, Urteil vom 10.04.1990 – 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5; Beschluss vom 25.11.2015 – 1 StR 379/15, juris Rn. 8 mwN.). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen.
aa) Das Landgericht hat ausdrücklich festgestellt (vgl. UA S. 15), dass der Angeklagte die Taten aufgrund seiner Drogenabhängigkeit begangen hat. Dies zugrunde gelegt, wären sowohl die Voraussetzungen eines Hangs i.S.v. § 64 StGB, als auch der notwendige Symptomcharakter der Taten zu bejahen.
bb) Mit Blick auf die Gefahren, die mit dem Führen von Kraftfahrzeugen in alkohol- oder drogenbedingt fahruntüchtigen Zustand ausgehen, handelt es sich bei Vergehen nach den § 315c Abs. 1 Nr. 1 a) StGB bzw. § 316 StGB auch nicht um Bagatelldelikte; diese sind grundsätzlich geeignet, die Anordnung der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zu rechtfertigen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 08.11.2016 – III-3 RVs 85/16, juris Rn. 31).
cc) Es ist letztlich auch nicht ersichtlich, dass eine Behandlung von vornherein keine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht haben würde (§ 64 S. 2 StGB). Der Angeklagte hat sich im Jahr 2017 freiwillig einer stationären Entwöhnungsbehandlung unterzogen und diese fast bis zu ihrem regulären Ende durchgehalten. Seine Bereitschaft, ambulante Gesprächstermine bei einer Drogenberatungsstelle wahrzunehmen, kann ebenfalls einen Beleg für die weiterhin vorhandene Behandlungsbereitschaft sein. Die Maßregelanordnung ist durch die nach den verfahrensgegenständlichen Taten gezeigten Bemühungen auch nicht ohne weiteres entbehrlich geworden. Die Feststellungen belegen bereits nicht, dass der Angeklagte hierdurch sein Suchtproblem abschließend und dauerhaft überwunden hat. Wäre durch entsprechende Weisungen die hangbedingte Gefährlichkeit des Angeklagten signifikant zu verringern, käme eine Entscheidung nach § 67b StGB in Betracht.
c) Der Strafausspruch wird von der zur Unterbringung getroffenen Entscheidung nicht berührt. Der Senat schließt aus, dass das Berufungsgericht im Fall einer Unterbringungsanordnung auf geringere Einzelfreiheitsstrafen und/oder auf eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hätte. Wegen des grundsätzlich untrennbaren inneren Zusammenhangs zwischen der Entscheidung über die (Nicht-)Anordnung der Maßregel nach § 64 StGB und der Bewährungsfrage (vgl. Senat, Beschluss vom 16.01.2018 – 1 OLG 2 Ss 74/17, juris Rn. 7) war der Rechtsfolgeausspruch jedoch aufzuheben, soweit dem Angeklagten eine Bewährungsaussetzung versagt wurde. Darüber und über die Frage, ob die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anzuordnen ist, wird der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) zu entscheiden haben.