Übermüdung am Steuer: Fahrlässige Straßenverkehrsgefährdung führt zu Unfall
Die Thematik des vorliegenden Falles dreht sich um die Straßenverkehrsgefährdung, die durch das Einnicken eines Fahrers aufgrund von Übermüdung und die daraus resultierende Verursachung eines Verkehrsunfalls entsteht. Hierbei wird die Frage aufgeworfen, inwieweit Fahrlässigkeit und Fahruntüchtigkeit vorliegen und welche Konsequenzen dies für den betroffenen Verkehrsteilnehmer hat. Insbesondere wird beleuchtet, wie solche Situationen im Strafrecht behandelt werden und welche Rolle der Entzug der Fahrerlaubnis spielt. Der Fall berührt zudem die Unterscheidung zwischen einer Fahrt unter Übermüdung und einer Trunkenheitsfahrt und wirft Fragen zur Verantwortung und Selbstreflexion des Fahrers auf.
Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 13 Cs 540 Js 31374/22 >>>
✔ Das Wichtigste in Kürze
Das Gericht verurteilte den Angeklagten wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung infolge von Übermüdung zu einer Geldstrafe und entzog ihm die Fahrerlaubnis, da er trotz zweimaligen Einnickens weiterfuhr und einen Verkehrsunfall verursachte.
Die zentralen Punkte aus dem Urteil:
- Der Angeklagte X wurde wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs zu 40 Tagessätzen à 50 EUR verurteilt.
- X’s Fahrerlaubnis wurde entzogen und der Führerschein eingezogen, mit einer Sperrfrist von drei Monaten für eine neue Fahrerlaubnis.
- Der Angeklagte verursachte einen Verkehrsunfall durch Einnicken infolge von Übermüdung, wobei Sachschäden entstanden, aber keine Verletzungen.
- Das Gericht konnte keinen Vorsatz bezüglich des Fahrens trotz Fahruntüchtigkeit nachweisen.
- X hatte vor dem Unfall zweimal eingenickt, was auf Übermüdung hinweist, jedoch wurden keine Fahrfehler berichtet.
- Das Gericht berücksichtigte X’s Persönlichkeit, Intelligenz und Fähigkeit zur Selbstkritik bei der Beurteilung des Vorsatzes.
- X war ein grundsätzlich verantwortungsbewusster Verkehrsteilnehmer und die Fahrtstrecke war ihm vertraut.
- Trotz früherer Müdigkeit nach der Arbeit gab es keine Hinweise auf Übermüdung oder Fahrfehler bei früheren Fahrten.
Übersicht
Ein Tag im Leben des Angeklagten X
Am 23. September 2022 begann der Angeklagte X um 6:00 Uhr seine Arbeit bei der Firma R. in A und beendete sie um 13:00 Uhr. Erschöpft und müde von der Arbeit, trat er mit seinem Audi den Heimweg nach B an. Auf dem Weg nickte er zweimal kurz ein, ohne jedoch Fahrfehler zu begehen. Um 13:19 Uhr fuhr er aufgrund eines erneuten Einnickens auf einen vor ihm fahrenden Kia auf, verursachte dabei einen Sachschaden von 6567 EUR und eine Wertminderung von 750 EUR. Der Angeklagte selbst erlitt einen Schaden von etwa 2500 EUR an seinem Fahrzeug, blieb aber unverletzt.
Rechtliche Fragestellung: Vorsatz oder Fahrlässigkeit?
Die rechtliche Auseinandersetzung drehte sich um die Frage, ob der Angeklagte vorsätzlich trotz seiner Fahruntüchtigkeit aufgrund von Übermüdung gefahren ist. Das rechtliche Problem und die Herausforderung in diesem Fall bestanden darin, zu klären, ob das Einnicken am Steuer und die resultierende Straßenverkehrsgefährdung auf Vorsatz oder Fahrlässigkeit zurückzuführen waren. Es galt zu untersuchen, ob der Angeklagte seine Übermüdung und die damit verbundene Fahruntüchtigkeit hätte erkennen und die Fahrt hätte unterbrechen müssen.
Urteil: Konsequenzen für den Angeklagten
Die Zusammenhänge und zu beachtenden Aspekte in diesem Fall sind vielschichtig. Es wurde geprüft, ob der Angeklagte aufgrund seiner schulischen und beruflichen Bildung sowie seiner eloquenten Ausdrucksweise die nötige Intelligenz und Fähigkeit zur Selbstreflexion besitzt, um seine Fahruntüchtigkeit zu erkennen. Zudem wurde berücksichtigt, dass der Angeklagte keine Fahrfehler bei den beiden vorherigen Einnickvorgängen berichtete und die Fahrtstrecke ihm vertraut war.
Das Gericht entschied, den Angeklagten wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 50,00 EUR zu verurteilen. Zudem wurde ihm die Fahrerlaubnis entzogen und der Führerschein eingezogen, wobei ihm vor Ablauf von drei Monaten keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden darf. Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Schlussfolgerungen und Auswirkungen des Urteils
Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass ein Vorsatz bezüglich des Fahrens trotz Fahruntüchtigkeit dem Angeklagten nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachgewiesen werden konnte. Es wurde festgestellt, dass der Angeklagte zwar zweimal eingenickt war, was auf Übermüdung hinweist, jedoch keine Fahrfehler bei den beiden Einnickvorgängen oder sonst auf der Fahrt berichtet wurden. Zudem wurde berücksichtigt, dass der Angeklagte als grundsätzlich verantwortungsbewusster Verkehrsteilnehmer gilt.
Weitere wichtige Informationen sind, dass der Angeklagte bereits in der Vergangenheit nach der Arbeit müde war, jedoch keine Übermüdung nachgewiesen wurde. Es wurde auch festgestellt, dass der Angeklagte keine Termine einzuhalten hatte und die Fahrtstrecke nicht besonders lang war. Die Auswirkungen des Urteils sind, dass der Angeklagte für eine bestimmte Zeit nicht fahren darf und finanziell für den Verkehrsunfall aufkommen muss.
Das Fazit des Urteils ist, dass der Angeklagte aufgrund von Übermüdung fahrlässig gehandelt hat und somit für die Straßenverkehrsgefährdung und den Verkehrsunfall verantwortlich ist. Das Gericht konnte keinen Vorsatz nachweisen und verurteilte den Angeklagten daher wegen Fahrlässigkeit.
✔ Wichtige Begriffe kurz erklärt
Wie wird die „Fahruntüchtigkeit“ in der Rechtsprechung definiert und bewertet?
Die Fahruntüchtigkeit ist ein Rechtsbegriff, der das Unvermögen eines Fahrzeugführers bezeichnet, ein Fahrzeug jederzeit sicher zu führen. Dieser Zustand kann durch verschiedene Faktoren wie den Konsum von Medikamenten, Rauschmitteln oder Übermüdung hervorgerufen werden. Die Fahruntüchtigkeit wird im Gesetz nicht definiert, sondern von der Rechtsprechung festgestellt, die dazu das Wissen von Sachverständigen nutzt.
Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unterscheidet dabei die relative und die absolute Fahruntüchtigkeit. Bei der absoluten Fahruntüchtigkeit genügt der Nachweis einer bestimmten (Mindest-)Blutalkoholkonzentration des Fahrers, ohne dass weitere Anzeichen unsicherer Fahrweise vorliegen müssen. Seit einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 28. Juni 1990 geht die Rechtsprechung von einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 Promille (für alle Führer von Kraftfahrzeugen) aus.
Die relative Fahruntüchtigkeit hingegen kann auch bei einer Blutalkoholkonzentration unter 1,1 Promille vorliegen, wenn weitere Anzeichen hinzutreten. Die Fahruntüchtigkeit wird in diesem Fall nach der Maßgabe des Einzelfalles, also individuell beurteilt. Beispiele für solche Ausfallerscheinungen können Schlangenlinienfahren oder alkoholbedingte Unfälle sein.
Es ist auch zu erwähnen, dass die Fahruntüchtigkeit nicht nur durch Alkohol verursacht werden kann. Der Konsum von Drogen kann ebenfalls zur Fahruntüchtigkeit führen. In diesem Fall sind jedoch Art und Ausmaß sonstiger Ausfallerscheinungen von Bedeutung. Die Blutwirkstoffkonzentration allein ist nur ein Indiz.
Verstöße aufgrund mangelnder Fahrtüchtigkeit oder Fahreignung gefährden Leib und Leben und werden deshalb in allen Rechtssystemen nach dem Verkehrsrecht geahndet. Bei einer hohen Promillezahl wird vermutet, dass eine Alkoholgewöhnung oder ein Alkoholproblem vorliegt. Dies wird in der medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU) untersucht. Wird in der MPU festgestellt, dass der Fahrende ein Alkoholproblem hat und fällt die Untersuchung negativ aus, wird der Führerschein erst mal nicht wieder erteilt.
Das vorliegende Urteil
AG Emmendingen – Az.: 13 Cs 540 Js 31374/22 – Urteil vom 1.3.2023
Ein verursachten Verkehrsunfalles rechtfertigt für sich genommen noch nicht die Annahme von Vorsatz bezüglich der Fahruntüchtigkeit.
Der Angeklagte X wird wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 50,00 EUR verurteilt.
Die Fahrerlaubnis wird entzogen. Der Führerschein wird eingezogen. Vor Ablauf von weiteren drei Monaten darf dem Angeklagten keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden.
Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
[…]
Gründe
[…]
II.
Am 23.09.2022 begann der Angeklagte X um 6:00 Uhr seine Arbeit bei der Firma R. in A, welche er um 13:00 Uhr beendete. Im Anschluss daran trat der Angeklagte mit seinem Pkw der Marke Audi, amtliches Kennzeichen […] den Heimweg nach B an. Er fühlte sich von der Arbeit erschöpft und müde. Bereits früher hatte er sich an manchen Tagen nach der Arbeit müde gefühlt, vor allem wenn ihn die Arbeit besonders gefordert hatte. Auf dem Weg nach B nickte der Angeklagte zweimal kurz ein, ohne dass es zu Fahrfehlern gekommen wäre. Er setzte seine Fahrt jeweils fort. Um 13:19 Uhr befand sich der Angeklagte hinter einer Fahrzeugkolonne auf der L […] außerhalb geschlossener Ortschaften in Richtung B auf der Gemarkung A vor der Kreuzung mit der C.-Straße. Als ein Fahrzeug in der Kolonne abbremste, um nach rechts Richtung Bahnhof D abzubiegen, fuhr der Angeklagte aufgrund eines erneuten Einnickens auf den zu diesem Zeitpunkt vor ihm mit einer Geschwindigkeit von noch 30 bis 40 km/h fahrenden Pkw der Marke Kia mit dem amtlichen Kennzeichen […] des Y auf. Nur durch Zufall wurde der Fahrer Y nicht verletzt. An seinem Fahrzeug entstand allerdings nicht unerheblicher Sachschaden, der Reparaturkosten von 6567 EUR verursachte. Außerdem trat eine Wertminderung bei dem Fahrzeug des Geschädigten in Höhe von 750 EUR ein. Der Schaden wurde im Dezember 2022 von der Haftpflichtversicherung des Angeklagten reguliert. Dieser hat selbst einen Schaden in Höhe von etwa 2500 EUR an seinem Fahrzeug erlitten, blieb aber ebenfalls unverletzt.
Bei gehöriger Gewissensanspannung hätte der Angeklagte sowohl seine Fahruntüchtigkeit erkennen können und müssen als auch die Möglichkeit einer Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer aufgrund seiner Übermüdung. Er hätte die Gefährdung auch vermeiden können.
[…]
IV.
X hat sich mithin wie folgt strafbar gemacht:
Er hat im Straßenverkehr ein Fahrzeug geführt, obwohl er infolge geistiger oder körperlicher Mängel nicht in der Lage war, das Fahrzeug sicher zu führen, und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet, wobei er fahrlässig handelte und die Gefahr fahrlässig verursachte.
Strafbar gem. §§ 315c Abs. 1 Nr. 1b, Abs. 3 Nr. 2 StGB.
Ein Vorsatz bezüglich des Fahrens trotz Fahruntüchtigkeit war dem Angeklagten nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachzuweisen. Dieser Nachweis ist bei Fällen der vorliegenden Art regelmäßig noch schwerer zu erbringen, als bei Trunkenheitsfahrten (König in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 315c, Rn. 189). Dabei berücksichtigte das Gericht bei seiner Entscheidung, dass Vorsatz insoweit auch dann gegeben ist, wenn der Täter die Fahruntüchtigkeit als möglich und nicht ganz fernliegend erkannt und um des erstrebten Ziels willen – hier möglicherweise, um nach einem anstrengenden Arbeitstag schnell Hause zu kommen – sich mit der Fahrunsicherheit abgefunden hat, mag sie ihm auch an sich unerwünscht gewesen sein (König a.a.O.). Ein Erfahrungssatz, dass ein übermüdeter Fahrer seine hierauf beruhende Fahrunsicherheit im Sinne vorsätzlichen Handelns bewusst in Kauf nimmt, existiert indessen nicht (Krumm in Leipold/Tsambikakis/Zöller, Anwaltskommentar StGB, 3. Aufl., § 315c Rn. 25; BayObLG DAR 1991, 367 – bei Bär). Das Bayerische Oberste Landesgericht führt dazu an der genannten Stelle aus: „Die tatsächlich eingetretene Übermüdung und der Umstand, dass der Angeklagte eingetretene Ermüdungssymptome gekannt hat, führen für sich allein nicht dazu, dass sich der schlechthin seiner Fahruntauglichkeit bewusst sei oder mit ihr rechne“. Schon für die Annahme von Fahrlässigkeit ist es erforderlich, dass sich der Fahrer über von ihm erkannte deutliche Vorzeichen der Übermüdung bewusst hinwegsetzt, wobei es hierzu konkreter Anhaltspunkte bedarf (Krumm a.a.O. Rn 47). Fahrlässigkeit ist hier angesichts des zweimaligen Einnickens vor dem Unfall jedenfalls anzunehmen. Das besagte zweimalige Einnicken belegt zudem, dass eine Übermüdung und nicht bloß Müdigkeit vorlag (dazu Kudlich in BeckOK StGB, Stand 01.11.2022, § 315c Rn. 36; König a.a.O. Rn. 62c).
Dementsprechend sind bei der Frage, ob vorsätzliches Handeln vorliegt, die Persönlichkeit des Täters, seine Intelligenz und Fähigkeit zur Selbstkritik zu würdigen (König a.a.O.; BayObLG a.a.O.).
Hier sind folgende Überlegungen in die Prüfung einzustellen. Nach seinen Angaben in der Hauptverhandlung ist der Angeklagte gleich zweimal eingenickt, so dass er in zwei Fällen klare Hinweise auf Übermüdung bekam. Aufgrund seiner schulischen und beruflichen Bildung und seiner eloquenten Ausdrucksweise ist davon auszugehen, dass er über die nötige Intelligenz und Fähigkeit zur Selbstreflexion verfügt. Allerdings muss demgegenüber gesehen werden, dass der auch sonst ohne Selbstschonungstendenzen berichtende Angeklagte nichts von Fahrfehlern bei den beiden vorigen Einnickvorgängen oder sonst auf der Fahrt berichtete. Diese hätten ihm – wie auch bei einer Trunkenheitsfahrt – unmissverständlich vor Augen geführt, dass er das Fahrzeug wegen der Übermüdung nicht mehr sicher führen konnte. BZR und FAER [die keine Eintragungen enthalten] sprechen zudem dafür, dass es sich beim Angeklagten um einen grundsätzlich verantwortungsbewussten Verkehrsteilnehmer handelt, der der Verkehrssicherheit bei seiner Teilnahme am Straßenverkehr in der Regel die nötige Aufmerksamkeit schenkt. Dies entspricht seinem zurückhaltenden und ausgeglichenen Auftreten in der Hauptverhandlung. Weiter handelte es sich um die Strecke, die der Angeklagte täglich von und zur Arbeit zurücklegte. Diese war ihm also vertraut, weshalb er aus seiner Sicht nicht mit besonderen Anforderungen an seine Fahrleistung rechnen musste. Es war hell und trocken. Die Fahrtstrecke vom Arbeitsplatz zur Wohnung beträgt nach Angaben des Angeklagten etwa 20 km und ist damit auch nicht sonderlich lang. Davon, dass er einen Termin einzuhalten hatte, deshalb in Eile war und keine Pause hätte einlegen können oder wollen, wusste der Angeklagte nichts zu berichten. Es ergaben sich auch sonst keine Anhaltspunkte in diese Richtung. Auch die Tatsache, dass der Angeklagte bereits in der Vergangenheit müde gewesen war, als er von der Arbeit heimkehrte, lässt nicht den Schluss auf einen Vorsatz zu. Dass dabei eine Übermüdung und nicht bloß eine Müdigkeit bestand, ist nicht nachgewiesen (s. o.), denn er berichtete nicht, schon früher öfters eingenickt zu sein. Schon gar nicht wurde von Fahrfehlern bei früheren Fahrten infolge Übermüdung berichtet. Nach einer Bewertung der Gesamtumstände war damit kein Vorsatz nachweisbar.