OLG Karlsruhe – Az.: 1 Rv 21 Ss 58/21 – Beschluss vom 03.03.2021
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Rastatt vom 10. Oktober 2020 aufgehoben.
2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Rastatt zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht R. verurteilte den Angeklagten mit Urteil vom 01.10.2020 wegen Betruges in 51 Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von 9 Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzte. Die Einziehung von Wertersatz in Höhe von 3.451,17 € wurde angeordnet.
Mit seiner gegen dieses Urteil form- und fristgerecht eingelegten Sprungrevision beantragt der Angeklagte, das amtsgerichtliche Urteil aufzuheben und das Verfahren zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts R. zurückzuverweisen. Er erhebt die allgemeine Sachrüge, insbesondere beanstandet er den Schuldspruch wegen Betruges.
Die gemäß § 335 Abs. 1 StPO zulässige Sprungrevision führt zur Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils.
II.
Nach den getroffenen Feststellungen nutzte der bei der geschädigten Firma S AG als Mechaniker angestellte Angeklagte im Zeitraum vom 15.01.2017 bis 28.10.2018 die von seiner Arbeitgeberin angebotene Möglichkeit, an den Wochenenden regelmäßig Fahrzeuge zum privaten Gebrauch anzumieten. Der jeweils abgeschlossene Mietvertrag sah vor, dass der Treibstoff durch den Mieter selbst beschafft werden musste; die jedem Fahrzeug zugewiesene Tankkarte, die nur für Dienstfahrten verwendet werden durfte, hatte deshalb für die Dauer der Privatmietung im Werk in einer entsprechenden Schlüsselbox zu verbleiben.
Entgegen diesen – dem Angeklagten bekannten – Vertragsbedingungen entnahm der Angeklagte in den abgeurteilten 51 Fällen jeweils die ausschließlich zur Benutzung für Dienstfahrten vorgesehene Tankkarte samt PIN aus der Schlüsselbox und setzte diese – in der Absicht, sich durch wiederholte Tatbegehung eine Einnahmequelle von einigem Umfang und von einiger Dauer zu verschaffen – jeweils ein, um die angemieteten Fahrzeuge und darüber hinaus auch Fahrzeuge unbekannter Dritter zu betanken bzw. Fahrzeuge unter Nutzung der Tankkarte waschen zu lassen, wobei er gegenüber den jeweiligen Mitarbeitern der Tankstelle jeweils vorgab, zum Einsatz der Tankkarte samt PIN berechtigt zu sein. Die jeweiligen Mitarbeiter wurden hierdurch getäuscht und veranlasst, dem Angeklagten den getankten Treibstoff zu übereignen bzw. die Nutzung der Waschstraßen zu ermöglichen. Die hierbei in Anspruch genommenen Leistungen wurden, wie vom Angeklagten beabsichtigt, der S AG berechnet und von dieser bezahlt.
III.
Dem Schuldspruch wegen Betrugs in 51 Fällen fehlt eine tragfähige Beweisgrundlage. Das Amtsgericht hat hierzu lediglich ausgeführt: „Der Angeklagte hat die ihm zur Last gelegten Taten, so wie sie festgestellt wurden, vollumfänglich eingeräumt.“
Dies ist zur beweisrechtlichen Unterlegung der festgestellten Täuschung der Tankstellenmitarbeiter nicht ausreichend, weil nicht zu erkennen ist, worauf die Überzeugung des Amtsgerichts beruht, dass diese hinsichtlich der Berechtigung des Angeklagten zur Verwendung der Tankkarte einem Irrtum unterlagen. Das Amtsgericht hat seine Überzeugung insoweit allein auf das Geständnis des Angeklagten gestützt. Zwar ist es in Massenbetrugsfällen rechtlich nicht zu beanstanden, wenn sich das Gericht seine Überzeugung vom Vorliegen betrugsrelevanter Fehlvorstellungen aufgrund äußerer Umstände und allgemeiner Erfahrungssätze verschafft. Das gilt gerade bei normativ geprägten Vorstellungsbildern der Tatopfer (BGH, Beschl. v. 16.8.2018 – 5 StR 348/18, NStZ 2019, 43; BGH, Urt. v. 22.11.2013 – 3 StR 162/13, NStZ 2014, 215 ff.). Allerdings muss das Tatgericht in einem solchen Fall aus Indizien und allgemeinen Erfahrungssätzen auf einen Irrtum schließen können.
Hierzu verhalten sich die Urteilsgründe nicht. Ihnen ist nicht zu entnehmen, ob das Amtsgericht aus indiziellen Umständen – und gegebenenfalls aus welchen – den Schluss darauf gezogen hat, dass die Mitarbeiter der Tankstellen hinsichtlich der Berechtigung des Angeklagten einem Irrtum unterlagen (anders etwa im Fall BGH, Beschl. v. 4.9.2014 − 1 StR 314/14, NStZ 2015, 98). Für die Feststellung eines Irrtums genügt zwar ein „sachgedankliches Mitbewusstsein“ in dem Sinne, dass insbesondere im Bereich gleichförmiger oder routinemäßiger Geschäfte das Vorstellungsbild von als selbstverständlich angesehenen Erwartungen („alles in Ordnung“) geprägt ist. Allerdings bedarf auch dieses sachgedankliche Mitbewusstsein einer beweisrechtlichen Grundlage, für die gegebenenfalls äußere Umstände und allgemeine Erfahrungssätze genügen können. Ohne dass die betreffenden Tankstellenmitarbeiter – oder jedenfalls exemplarisch einer oder einige – als Zeugen vernommen wurden, wäre hierfür, worauf die Generalstaatsanwaltschaft zu Recht hinweist, beispielsweise die Feststellung erforderlich gewesen, dass die Tankstellenbetreiber verpflichtet waren, die Berechtigung desjenigen zu prüfen, der die Tankkarte vorlegt. Aus diesem Umstand hätte ein tragfähiger Schluss auf ein entsprechendes sachgedankliches Mitbewusstsein der Tankstellenmitarbeiter gezogen werden können (vgl. etwa BGH, NStZ 2014, 215 f. Rn. 9).
Einer beweisrechtlichen Grundlage hätte es vorliegend umso mehr bedurft, als in Betracht kommt, dass es den Tankstellenmitarbeitern aufgrund der zwischen den Tankstellenbetreibern und der S AG bestehenden vertraglichen Vereinbarung gleichgültig sein konnte, ob der Angeklagte die Tankkarte berechtigt (für Dienstfahrten) oder unberechtigt (im Rahmen von Privatanmietungen) benutzte, solange er nur – wie geschehen – die richtige PIN eingab. So läge es insbesondere dann, wenn aufgrund der getroffenen vertraglichen Vereinbarung in jedem Fall eine wirksame Belastungsbuchung und damit ein Anspruch gegen die S AG auf Bezahlung der Leistungen entstanden wäre (dazu unter IV. 2.). In diesem Fall hätten sich die Tankstellenmitarbeiter über die Berechtigung des Angeklagten keine Gedanken machen müssen und wahrscheinlich auch keine gemacht.
IV.
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat – insbesondere im Hinblick auf eine in Betracht kommende Strafbarkeit nach § 263a StGB – auf Folgendes hin:
1. Die Urteilsfeststellungen legen – wenngleich nicht ausdrücklich festgestellt – nahe, dass der Angeklagte durch Eingabe der auf der Tankkarte gespeicherten Daten über ein Lesegerät einen elektronischen Datenverarbeitungsvorgang ausgelöst hat. Denn auf andere Weise lässt sich insbesondere die festgestellte Verwendung der PIN nicht schlüssig erklären. Bei Tankkarten handelt es sich regelmäßig um Codekarten, die (wie eine ec-Karte bzw. Barcodekarte oder Geldkarte) im bargeldlosen Zahlungsverkehr eingesetzt werden. Der Zahlungsvorgang an der Kasse des Tankstellenbetreibers erfolgt dadurch, dass die Karte in das entsprechende Lesegerät eingeschoben und die dazugehörige PIN eingegeben wird. Der Computer überprüft anhand der auf der Karte gespeicherten Daten, ob die eingegebene PIN zu der benutzten Tankkarte passt und belastet, wenn dies der Fall ist, das Konto des Karteninhabers mit dem eingegebenen Betrag. Darüber hinaus findet keine Berechtigungsprüfung des Kartennutzers statt (vgl. OLG Koblenz, Urt. v. 2.2.2015 – 2 OLG 3 Ss 170/14, BeckRS 2015, 3297).
In Betracht kommt in diesem Fall nicht eine Strafbarkeit gemäß § 263 StGB, sondern eine solche gemäß § 263a Abs. 1 StGB in der Variante der unbefugten Datenverwendung, weil die die Zugangsdaten nicht gegenüber einer natürlichen Person, sondern durch Eingabe in ein Computersystem verwendet werden (OLG Koblenz, Urt. v. 02.02.2015 – 2 OLG 3 Ss 170/14, BeckRS 2015, 3297; BayObLG, Beschl. v. 07.11.2000 – 5 StRR 31/00, BeckRS 2000, 15091; OLG Celle, NStZ-RR 2017, 80, 81). In den Fällen des Einsatzes von Codekarten ist die für die Erfüllung von § 263a StGB zu fordernde Täuschungsäquivalenz allerdings nur dann gegeben, wenn der Täter die Karte gefälscht, manipuliert oder – was vorliegend in Betracht kommt – mittels verbotener Eigenmacht im Sinne des § 858 Abs. 1 BGB erlangt hat (BGH NJW 1992, 445 [gefälschte Codekarte]; OLG Köln, NJW 1992, 125 f. [zur verbotenen Eigenmacht]; BGH 4 StR 559/04, Beschl. v. 29.6.2005; BGH 1 StR 482/03, Beschl. v. 31.3.2004, StraFo 2004, 284). Verbotene Eigenmacht ist jede gesetzlich nicht besonders gestattete Beeinträchtigung des bestehenden unmittelbaren Besitzes ohne Einverständnis des Besitzers (MüKoBGB/Schäfer, 8. Aufl. 2020, BGB § 858 Rn. 2). Denn nur in einem solchen Fall, also wenn der Täter die Karte gegen den Willen des Besitzers erlangt hat, würde er im Falle der Verwendung der Daten gegenüber einer natürlichen Person konkludent über seine Berechtigung täuschen, die Karte verwenden zu dürfen. Demgegenüber stellt die nur im Innenverhältnis abredewidrig erfolgte Benutzung einer im Außenverhältnis wirksam überlassenen Codekarte keine für § 263a StGB erforderliche täuschungsgleiche Handlung dar (vgl. BGH, 1 StR 412/02, Beschl. v. 17.12.2002, 1 StR 482/03, Beschl. v. 31.3.2004, NStZ 2005, 213; OLG Celle, Beschl. v. 5.11.2021 – 1 Ws 277/10, BeckRS 2010, 28415 [Tankkarte]; OLG Köln, NJW 1992, 125, 126 f. [EC-Karte]; Fischer, StGB, 68. Aufl. 2021, § 263a Rn. 13; Schönke/Schröder-Perron, a. a. O. Rn. 11, 15).
Allein die vom Amtsgericht bisher getroffene Feststellung (UA II., S. 3), der jeweils vorgesehene Mietvertrag habe vorgesehen, „dass der Treibstoff (Benzin und Diesel) durch den Kunden selbst beschafft werden müsse“ – woraus der Schluss („deshalb…“) zu ziehen sei, dass die jedem Fahrzeug zugewiesene Tankkarte für die Dauer der Privatmieten im Werk in einer entsprechenden Schlüsselbox zu verbleiben gehabt habe, genügt zur Annahme einer Inbesitznahme ohne oder gegen den Willen der für die S AG die Sachherrschaft ausübenden Personen nicht. Denn nach diesen Feststellungen kann nicht ausgeschlossen werden, dass der S AG die bloße Inbesitznahme der Tankkarten durch den Mieter im Grunde gleichgültig war, solange er diese nicht verwendete, oder dass sie sogar mit einer Verwendung der Tankkarte im Rahmen von Privatmieten einverstanden gewesen wäre, wenn der betreffende Mitarbeiter die „Privatbetankung auf Karte“ in der Folge ordnungsgemäß angezeigt und abgerechnet hätte. Ein eindeutig gegen die Inbesitznahme der Tankkarte gerichteter Wille der S AG lässt sich den bisherigen Feststellungen umso weniger entnehmen, als die Tankkarten offensichtlich gemeinsam mit dem Fahrzeugschlüssel – nicht ausschließbar sogar miteinander verbunden – in einer Schlüsselbox verwahrt wurden, zu welcher der Privatmieter jeweils mit Willen der S AG Zugang erhielt.
Ob der Angeklagte in verbotener Eigenmacht handelte – insbesondere, ob er der S AG bzw. den in ihrer „Vertretung“ sachherrschaftsausübenden Personen den unmittelbaren Besitz der Tankkarten ohne oder gegen deren Willen entzog –, bedarf deshalb näherer Feststellungen, die beweiskräftig zu unterlegen sind. Da die Feststellung des tatsächlichen Willens der auf Seiten der S AG die unmittelbare Sachherrschaft über die Tankkarten ausübenden Person(en) nicht auf ein pauschales Geständnis des Angeklagten gestützt werden kann, bedarf es hierzu einer weiteren Beweisaufnahme, die sich auch auf die im Tatzeitraum übliche Verwendungspraxis und die Frage einer etwaigen Duldung einer gemeinsamen Entnahme von Schlüssel und Tankkarte aus der Schlüsselbox zu erstrecken hat.
2. Ließe sich in einer neuen Hauptverhandlung eine verbotene Eigenmacht des Angeklagten tragfähig feststellen, würde eine Strafbarkeit wegen Computerbetrugs auf Grundlage des bisher festgestellten Ablaufs der Verwendung der Tankkarten bei den Tankstellen nicht daran scheitern, dass das vom Angeklagten – durch Einführung der Tankkarte und Eingabe der PIN in ein Lesegerät – beeinflusste Datenverarbeitungsergebnis den Vermögensschaden nicht unmittelbar herbeiführt hätte. Für das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der Unmittelbarkeit reicht es aus, dass der Datenverarbeitungsvorgang nur ein Teilstück einer mehraktigen Verfügung darstellt, z.B. durch eine Person ohne weitere Inhaltskontrolle umgesetzt wird oder in eine weitere EDV-Anlage eingespeichert wird (Perron, a.a.O., Rn 21; BGH, Beschl. v. 30.8.2016 – 4 StR 153/16). Soweit das OLG Celle in einer Entscheidung (NStZ-RR 2017, 80, 81) die Unmittelbarkeit des Schadenseintritts verneint hat, lag dieser Entscheidung ein Sachverhalt zugrunde, der sich aus Sicht des Senats vom vorliegend festgestellten Ablauf dadurch unterscheidet, dass dort der Tankkarte nur die Funktion zukam, die (automatisiert arbeitenden) Zapfsäulen „freizuschalten“ und die Belastungsbuchung und Rechnungsstellung zum Nachteil des Tankkartenhalters erst in einem weiteren Zwischenschritt durch Personal der Tankstelle erfolgte. Im vorliegenden Fall geht der Senat aufgrund des bislang festgestellten Ablaufs davon aus, dass der Tankkarte – entsprechend dem der Entscheidung des BayObLG vom 07.11.2000 (5StRR 317/00, BeckRS 2000, 15091) zugrunde liegenden Sachverhalt – nicht nur die Funktion eines „Schlüssels“ zum Freischalten der Zapfsäulen zukam, sondern die Datenverarbeitungsanlage an der jeweiligen Kasse im Rahmen des Zahlungsvorgangs automatisch eine Belastungsbuchung zum Nachteil der S AG erstellte, ohne dass diesbezüglich noch eine nachfolgende Inhaltskontrolle – etwa durch Personal der Tankstelle – erfolgte (hierzu Schönke/Schröder/Perron, 30. Aufl. 2019, StGB, § 263a Rn. 21). Nötigenfalls werden auch hierzu noch ergänzende Feststellungen zu treffen sein.
3. Der Senat geht nach den zum Tatablauf und zum Schadenseintritt (bei der S AG) getroffenen Feststellungen weiter davon aus, dass es sich vorliegend um die Konstellation eines sogenannten „Dreieckscomputerbetrugs“ handelt, bei dem der Betreiber der EDV-Anlage und der Geschädigte nicht identisch, sondern voneinander verschiedene Rechtssubjekte sind (dies ist beim Computerbetrug die Regel, vgl. Haft, NStZ 1987, 6ff. (8), Tiedemann in: Laufhütte u.a., StGB Leipziger Kommentar, 12. Aufl. 2012, § 263a Rn 71). Sollte – was naheliegt – die S AG aufgrund entsprechender Regelung des zwischen ihr und dem Ausgeber der Tankkarten geschlossenen Tankkartenvertrags und/oder nach den Grundsätzen der Anscheins- und Duldungsvollmacht das Risiko auch einer missbräuchlichen Verwendung der an sie ausgegebenen Tankkarten tragen, wäre der durch die vom Angeklagten verursachte Vermögensschaden durch die missbräuchlichen Einsätze der Karten bei ihr – und nicht bei den Betreibern der Tankstellen eingetreten.
Das beim Dreiecksbetrug als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal vorausgesetzte Näheverhältnis läge vor, wenn der S AG die Rechtswirkungen der Verwendung der Tankkarte – das Entstehen einer rechtsverbindlichen Belastungsbuchung – aufgrund einer vertraglichen Regelung des zwischen ihr und dem Ausgeber der Tankkarten geschlossenen Tankkartenvertrags zuzurechnen wären (vgl. Tiedemann in: Laufhütte u.a., StGB Leipziger Kommentar, 12. Aufl. 2012, § 263 Rn. 116 f. und § 263a Rn. 71; Hefendehl in: MüKoStGB, 3. Aufl. 2019, StGB, § 263 Rn. 364), wovon der Senat ausgeht.