LG Flensburg – Az.: V Qs 42/21 – Beschluss vom 23.09.2021
1. Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Flensburg vom 12.08.2021 wird der Beschluss des Amtsgerichts Flensburg vom 03.08.2021 – 485 Gs 810/21 – aufgehoben.
2. Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis des Beschuldigten wird gem. § 111a StPO angeordnet. Diese wirkt zugleich als Anordnung der Beschlagnahme des Führerscheins, § 111a Abs. 3 StPO.
3. Die Staatskasse hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Die Staatsanwaltschaft Flensburg führt gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 StGB. Sie wirft dem Beschuldigten vor, dass er, nachdem er Alkohol in einer solchen Menge zu sich genommen hatte, dass die ihm am 18.07.2021 um 03:50 Uhr entnommene Blutprobe eine Blutalkoholkonzentration von 1,42 Promille enthielt, um 03:35 Uhr mit einem E-Scooter mit dem Versicherungskennzeichen 490 MPS öffentliche Straßen in der Innenstadt von Flensburg befahren habe.
Eine Polizeistreife beobachtete den Beschuldigten dabei, wie er auf dem Geh- und Radweg S. vom ZOB kommend Richtung F.-Straße auf einem E-Scooter fuhr (Bl. 2 d. A.). Vom R. sei er bis zur A. Straße gefahren, habe dort gewendet und sei zurück zum R. gefahren, wo sein Bruder zu Fuß gegangen sei (Bl. 2 d. A.). Dort habe er erneut gedreht und sei wieder Richtung Angelnburger Straße gefahren (Bl. 2 d. A.). Auf diesem Weg führte die Polizeistreife eine Kontrolle durch. Ausweislich des Polizeiberichts sei der Beschuldigte Schlangenlinien gefahren (Bl. 2 d. A.). Ein vor Ort nach Belehrung durchgeführter Atemalkoholtest ergab um 03:38 Uhr einen Wert von 1,49 Promille. Die um 03:50 Uhr entnommene Blutprobe wies eine Blutalkoholkonzentration von 1,42 Promille auf (Bl. 40 d. A.). Der Führerschein des Beschuldigten wurde beschlagnahmt, wogegen der Beschuldigte Widerspruch einlegte (Bl. 9 d. A.). Bei dem vom Beschuldigten genutzten E-Scooter handelte es sich um einen solchen der Firma Bird, mit einer Nennleistung von 350 W, nutzbar bis zu einem Gewicht des Fahrers von 100 kg (Bl. 46 d. A.).
Ausweislich einer Abfrage vom 19.07.2021 liegen in Bezug auf den Beschuldigten drei Mitteilungen wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten aus den Jahren 2018 und 2020 vor (Bl. 16 ff. d. A.).
Die Staatsanwaltschaft Flensburg hat am 30.07.2021 (Bl. 60 d. A.) beim Amtsgericht Flensburg beantragt, dem Beschuldigten die Fahrerlaubnis gemäß § 111a StPO vorläufig zu entziehen. Als Begründung gab die Staatsanwaltschaft an, dass der Beschuldigte dringend verdächtig sei, sich gemäß § 316 Abs. 2 StGB wegen zumindest fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr strafbar gemacht und sich gemäß § 69 Abs. 2 Nummer 2 StGB durch sein Verhalten als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen zu haben. Die Tatsache, dass der Beschuldigte die Tat mittels eines E-Scooters begangen habe, führe nicht zu einer anderen Beurteilung der Rechtslage. Allein aufgrund der Fahrzeugart von E-Scootern als Kraftfahrzeuge nach § 1 eKFV und § 1 Abs. 2 StVG liege kein Ausnahmefall im Sinne des § 69 StGB vor, auch sonst seien keine Umstände ersichtlich, aufgrund derer ein Ausnahmefall anzunehmen sei.
Das Amtsgericht Flensburg hat mit Beschluss vom 03.08.2021 (Bl. 74 d. A.) den Antrag der Staatsanwaltschaft abgelehnt. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, dass keine dringenden Gründe für die Annahme vorhanden seien, dass die Fahrerlaubnis im Rahmen einer Hauptverhandlung entzogen werden würde. Zwar bestehe vorliegend durchaus ein dringender Tatverdacht dafür, dass der Beschuldigte sich wegen einer Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 StGB strafbar gemacht habe, da es sich bei dem E-Scooter mit einer Nennleistung von 350 W, den der Beschuldigte zum Tatzeitpunkt geführt haben solle, um ein Elektrokleinstfahrzeug handele und damit um ein Kraftfahrzeug, für das bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 Promille unwiderleglich die Fahruntüchtigkeit angenommen werde. Auch bei erfülltem Regelbeispiel nach § 69 Abs. 2 StGB sei die Fahrerlaubnisentziehung aber nicht zwingend, sondern eine Ermessensentscheidung. Nach Auffassung des Amtsgerichts liegen hier Tatumstände vor, die der Tat die Indizwirkung nehmen würden bzw. den an sich formell zum Entzug ausreichenden Verstoß günstiger erscheinen ließen, als den Regelfall. Das sei hier deswegen zu bejahen, da der E-Scooter angesichts seines Gewichts und der bauartbedingten Geschwindigkeit hinsichtlich seiner Gefährlichkeit eher mit einem Fahrrad oder Pedelec als mit einem einspurigen Kraftfahrzeug gleichzusetzen sei. Der nicht einschlägig vorbestrafte Beschuldigte sei auf dem Radweg gefahren und, da er in Begleitung eines Fußgängers gewesen sei, auch nicht sehr schnell. Er sei nicht auf der Straße gefahren und habe zur Tatzeit um 03:35 Uhr aufgrund der ruhigen Verkehrslage die konkrete Gefährlichkeit der Benutzung des E-Scooters noch weiter heruntergesetzt. Durch diese Tatumstände könne zum jetzigen Zeitpunkt nicht auf eine Verantwortungslosigkeit des Beschuldigten geschlossen werden, die ihn als zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet erscheinen ließe. Als erforderliches und verhältnismäßiges Mittel erscheine die Verhängung eines Fahrverbots nach § 44 StGB naheliegender.
Der daraufhin eingelegten Beschwerde der Staatsanwaltschaft Flensburg vom 12.08.2021 (Bl. 82 d. A.) hat das Amtsgericht Flensburg mit Beschluss vom 19.08.2021 (Bl. 84 d. A.) nicht abgeholfen. Ergänzend hat die Staatsanwaltschaft Flensburg in ihrer Beschwerde ausgeführt, dass ein Absehen von der Entziehung der Fahrerlaubnis nur in seltenen Ausnahmefällen in Betracht käme. Eine solche Ausnahmekonstellation sei nicht gegeben, die festgestellte Blutalkoholkonzentration habe deutlich oberhalb des Grenzwertes von 1,1 Promille, ab dem absolute Fahruntüchtigkeit gegeben sei, gelegen. Der Beschuldigte habe den E-Scooter zudem in der Flensburger Innenstadt und damit in einem Bereich geführt, der auch zur Nachtzeit nicht völlig unfrequentiert sei. Zudem sei die Tat aufgrund des Beiseins seiner anderen Person, die ihn begleitete, für diese auch abstrakt gefährlich gewesen. Ein nachvollziehbares Motiv für die Tatbegehung habe nicht vorgelegen. Ein Vergleich zwischen E-Scooter und Pedelecs sei nicht zulässig, da es sich bei E-Scootern um Kraftfahrzeuge handele, bei Pedelecs sei das nicht der Fall. Ein Betracht käme eher ein Vergleich zwischen E-Scooter und Motorroller bzw. Mofas (mit bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von maximal 25 km/h). Aufgrund der deutlich geringeren Radgröße seien E-Scooter aber noch schwieriger als diese zu beherrschen. Zudem sei das Gefahrenpotential auch deswegen höher, da Kraftfahrzeuge mit Verbrennungsmotoren nicht unerhebliche Geräuschkulissen entwickelten, E-Scooter hingegen würden lautlos bewegt werden, sodass ein unvermitteltes Herannahen akustisch nicht wahrnehmbar sei.
II.
Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Flensburg ist zulässig und auch begründet. Die Voraussetzungen für die vorläufige Entziehung einer Fahrerlaubnis nach § 111a StPO liegen vor.
Es sind dringende Gründe für die Annahme vorhanden, dass dem Beschuldigten die Fahrerlaubnis in der Hauptverhandlung gemäß §§ 316, 69 Abs. 1, Abs. 2 Nummer 2 StGB entzogen werden wird. Sowohl der dringende Tatverdacht, dass der Beschuldigte eine zumindest fahrlässige Trunkenheit im Verkehr nach § 316 Abs. 2 StGB begangen hat, als auch eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass das Gericht den Beschuldigten gemäß § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB für ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ansehen wird, liegen vor.
1. Wie auch das Amtsgericht in seinem Beschluss vom 03.08.2021 ausführt, besteht auf Grundlage der zum Entscheidungszeitpunkt vorliegenden Ermittlungsergebnisse der dringende Tatverdacht, dass sich der Beschuldigte nach § 316 StGB strafbar gemacht hat. Die Kammer verweist insofern auf die zutreffenden Ausführungen des Amtsgerichts.
2. Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts ist die Kammer darüber hinaus der Auffassung, dass der Beschuldigte nach § 69 Abs. 2 Nummer 2 StGB auch als zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet anzusehen ist, sodass mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer Entziehung der Fahrerlaubnis im Hauptsacheverfahren auszugehen ist.
a. Im Ausgangspunkt ist dem Amtsgericht zuzustimmen, dass es sich bei § 69 Abs. 2 Nummer 2 StGB um eine Regelvermutung handelt, zu der sich Ausnahmen ergeben können. Zu berücksichtigen ist dabei, dass nur dann, wenn besondere Umstände vorliegen, die den seiner allgemeinen Natur nach schweren und gefährlichen Verstoß in einem anderen Licht erscheinen lassen als den Regelfall, oder die nach der Tat die Eignung günstig beeinflusst haben, Raum für eine selbstständige richterliche Beurteilung des Eignungsmangels eröffnet ist (v. Heintschel-Heinegg/Huber, in: Münchener Kommentar StGB, 4. Aufl. 2020, § 69 Rn. 75 m.w.N.).
Die Verneinung der Ungeeignetheit in den Fällen des Abs. 2 setzt demnach voraus, dass entweder die Anlasstat – bezogen auf die Eignung des Täters zum Führen von Kraftfahrzeugen – Ausnahmecharakter hat, oder das ganz besondere Umstände vorliegen, die nach der Tat die Eignung des Täters günstig beeinflusst haben, sodass ein Eignungsmangel zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht mehr besteht (v. Heintschel-Heinegg/Huber, ebd.). Ein Ausnahmecharakter der Anlasstat kann sich einerseits aus den Umständen der Tat selbst ergeben, insbesondere, wenn es sich um einen Bagatellfall handelt (so beispielsweise bei einer Trunkenheitsfahrt von wenigen Metern, um ein verkehrswidrig abgestelltes Fahrzeug in eine ordnungsgemäße Parkposition zu bringen, vgl. OLG Stuttgart, Beschl. v. 15.10.1986 – 5 Ss 683/86 – NJW 1987, 142). Andererseits kann sich der Ausnahmecharakter daran zeigen, dass besondere Umstände in der Person des Täters ausnahmsweise die Indizwirkung beseitigen. Das kommt in Betracht, wenn die Tat persönlichkeitsfremd erscheint, in einer Ausnahmesituation begangen worden ist und eine Gesamtwürdigung ergibt, dass mit einer Wiederholung nicht zu rechnen ist (Heuchemer, in: BeckOK StGB, 50. Ed., Stand: 01.05.2021, § 69 Rn. 45; v. Heintschel-Heinegg/Huber, a.a.O., Rn. 77). Daran ist beispielsweise zu denken, wenn sich der Täter in einer notstandsähnlichen Lage befand, die sein Verhalten jedenfalls begreiflich erscheinen lässt (v. Heintschel-Heinegg/Huber, a.a.O., Rn. 76).
b. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe kann die Kammer im vorliegenden Fall solche besonders günstigen Umstände in der Person des Täters oder in den Tatumständen, die die Indizwirkung der Tat nach § 69 Abs. 2 Nummer 2 entfallen lassen könnten, nicht erkennen.
Dabei ist der Kammer bewusst, dass es derzeit eine insoweit uneinheitliche Instanzrechtsprechung in Bezug auf die Frage gibt, ob bei Verwirklichung des § 316 StGB mittels eines E-Scooter ein Ausnahmefall von der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nummer 2 anzunehmen ist. Soweit für die Kammer ersichtlich, wird ein solcher Ausnahmefall vom Landgericht Dortmund (Beschl. v. 07.02.2020 – 31 Qs 1/20 – juris) und dem Landgericht Halle (Saale) (Beschl. v. 16.07.2020 – 3 Qs 81/20 – juris) angenommen. Anderer Ansicht, also einen Ausnahmefall ablehnend, sind das Landgericht Stuttgart (Beschl. v. 27.07.2020 – 9 Qs 35/20 – juris) sowie das Bayerische Oberlandesgericht (Beschl. v. 24.07.2020 – 205 StRR 216/20 – juris). Der Bundesgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 02.03.2021 (4 StR 366/20 – juris) die Frage hingegen offengelassen.
i. Die für die Annahme eines Ausnahmefalls angegebene Begründung des Landgerichts Dortmund und des Landgerichts Halle (Saale) überzeugen die Kammer jedoch nicht. Beide Landgerichte gehen insofern davon aus, dass sich der Ausnahmefall aus den Umständen der Tat deswegen ergebe, weil ein E-Scooter gegenüber einspurigen Kraftfahrzeugen eine verringerte abstrakte Gefährlichkeit aufweise (LG Halle (Saale), a.a.O., Rn. 8). Ein E-Scooter sei angesichts seines Gewichts und der erreichbaren Geschwindigkeit vielmehr mit der Gefährlichkeit eines Pedelecs oder eines konventionellen Fahrrads zu vergleichen (LG Halle (Saale), a.a.O., Rn. 8; LG Dortmund, a.a.O., Rn. 13). Außerdem seien die Bürger vor der Zulassung der E-Scooter nicht über die Richtwerte zur Fahruntüchtigkeit nach einem Alkoholkonsum informiert worden, die Einordnung würde den Bürgern jedenfalls deutlich schwerer fallen, als bei sonstigen Kraftfahrzeugen wie PKWs oder Motorrädern, bei denen die Promillegrenze nahezu Allgemeinwissen darstellten (LG Dortmund, a.a.O., Rn. 15).
(a). Insbesondere letzteres Argument hält die Kammer nicht für tragfähig. Es kann dem Nutzer eines Fahrzeugs, auch soweit es sich nicht um ein Motorrad oder ein Pkw handelt, durchaus abverlangt werden, dass er sich vor einer Nutzung über die rechtlichen Voraussetzungen der Führung informiert. Vor dem Hintergrund, dass E-Scooter in den letzten Jahren eine ganz erhebliche Verbreitung im Straßenbild einer jeden Stadt erfahren haben, deren Nutzung mittlerweile durchaus üblich ist und insoweit sowohl ADAC als auch verschiedene Verbraucherportale sich dem Thema gewidmet haben und Informationen online anbieten (bspw. zu finden unter https://www.adac.de/rund-ums-fahrzeug/elektromobilitaet/elektrofahrzeuge/e-scooter/, zuletzt abgerufen am 21.09.2021), ist eine diesbezügliche Selbstinformation des Nutzers vor Antritt der Fahrt unproblematisch möglich. Das Unterlassen einer solchen Information ist kein für einen Ausnahmefall von der Regelvermutung sprechendes Indiz.
(b). Aber auch die Annahme, dass E-Scooter grundsätzlich eine verringerte abstrakte Gefährlichkeit aufwiesen, da sie den Pedelecs oder Fahrrädern gleichstünden, ihre abstrakte Gefährlichkeit verringert sei und deswegen schon aufgrund des verwendeten Fahrzeugtyps eine generelle Bereichsausnahme angenommen werden müsste, überzeugt nicht (vgl. auch BayOLG, a.a.O., Rn. 14 ff.).
Das Anstellen eines solchen Vergleichs trägt schon deswegen nicht, weil der Gesetzgeber sowohl für Fahrräder als auch für Pedelecs andere rechtliche Grundlagen geschaffen hat, die deswegen auch eine andere rechtliche Bewertung rechtfertigen. Diesen Wertungen des Gesetzgebers ist auch Rechnung zu tragen. Sowohl Fahrräder als auch Pedelecs sind gerade keine Kraftfahrzeuge im Sinne des § 1 Abs. 2 StVG. Fahrräder fallen wegen der fehlenden Motorisierung schon von vornherein nicht unter den Begriff des Kraftfahrzeugs in § 1 Abs. 2 StVG. Pedelecs, die grundsätzlich unter den Kraftfahrzeugbegriff aus § 1 Abs. 2 StVG fallen könnten, sind hingegen vom Gesetzgeber im Wege der spezifischen Regelung in § 1 Abs. 3 StVG abweichend geregelt worden.
Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber nur versehentlich übersehen haben könnte, dass E-Scooter unter den Kraftfahrzeugbegriff fallen. Die Regelungen in Bezug auf E-Scooter sind im Wesentlichen durch die Verordnung vom 06.06.2019 über die Teilnahme von Elektrokleinstfahrzeugen im Straßenverkehr („eKFV“), in Kraft getreten am 15.06.2019, geschaffen worden. Gemäß § 1 Abs. 1 der eKFV handelt es sich bei Elektrokleinstfahrzeugen im Sinne dieser Verordnung um Kraftfahrzeuge mit elektrischem Antrieb und einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von nicht weniger als 6 km/h und nicht mehr als 20 km/h, die weitere Merkmale aufzuweisen haben (im Folgenden dann enumerativ aufgezählt). Damit fällt ein Elektrokleinstfahrzeug (=E-Scooter) unter den Kraftfahrzeugbegriff des § 1 Abs. 2 StVG. Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass für E-Scooter ebenso wie für Pedelecs oder Fahrräder andere Regelungen gelten, als sie es für andere Kraftfahrzeuge tun, so hätte nahegelegen, eine Bereichsausnahme entsprechend des § 1 Abs. 3 StVG auch für E-Scooter zu schaffen. In § 1 Abs. 3 StVG werden Pedelecs ausdrücklich vom Kraftfahrzeugbegriff des Abs. 2 ausgenommen. Diese Ausnahme nach § 1 Abs. 3 StVG ist auch bereits am 21.06.2013 in Kraft getreten, sodass sie für E-Scooter bei deren Zulassung für den öffentlichen Straßenraum durch die eKFV als Beispiel hätte dienen können. Jedenfalls hätte aber eine solche Bereichsausnahme durch den Gesetzgeber zwischenzeitlich geschaffen werden können, wenn die E-Scooter eher den Pedelecs oder Fahrrädern hätten gleichgestellt werden sollen. Die oben zitierten Entscheidungen des Landgerichts Dortmund und des Landgerichts Halle (Saale) sind im Jahr 2020 ergangen. Zwischenzeitlich ist mit Gesetz vom 12.07.2021 auch das StVG geändert worden (BGBl. I-2021, S. 3091), sodass sich hinreichend Gelegenheit zur Schaffung einer entsprechenden Bereichsausnahme in Reaktion auf die Rechtsprechung ergeben hätte. Die Kammer sieht sich daher nicht veranlasst, einen Vergleich zwischen E-Scooter und Fortbewegungsmitteln wie Pedelecs oder Fahrrädern anzustellen, die schon nach der Intention des Gesetzgebers unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen unterworfen sind.
Aber selbst wenn man E-Scooter und Fahrräder bzw. Pedelecs vergleichen wollte, ist die Kammer nicht davon überzeugt, dass dies ein tragfähiges Argument für eine Ausnahme vom Regelfall sein würde. Im Vergleich zu Pedelecs und Fahrrädern ergibt sich ein erhöhtes Gefährdungspotenzial durch E-Scooter daraus, dass sie aufgrund ihrer Bauart, also der Tatsache, dass sie sehr kleine, kaum gefederte Räder, einen kleinen Lenker und nur eine Steh- statt einer Sitzfläche aufweisen, erheblich weniger wendig sind und plötzliche Ausweichmanöver, die im öffentlichen Straßenverkehr jedoch auch im nüchternen Zustand jederzeit ausführbar sein müssen, erheblich erschweren. Es besteht die im Vergleich zu Fahrrädern und Pedelecs erhöhte Gefahr, dass die Nutzer der E-Scooter mit diesen unvermittelt umfallen oder Ausweichmanöver nicht rechtzeitig durchgeführt werden können, sodass sie Passanten oder andere im Straßenraum befindliche Fahrzeuge verletzen oder beschädigen können. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass mit E-Scooter auf einem relativ kurzen Fahrweg eine Geschwindigkeit von 20 km/h völlig unabhängig von körperlichem Einsatz, Fitness und Zustand des Nutzers erreicht werden kann, was E-Scooter jedenfalls von Fahrrädern erheblich unterscheidet (so auch LG Stuttgart, a.a.O., Rn. 21). Während der Nutzer eines Fahrrads, insbesondere wenn er erheblich alkoholisiert ist, erst einmal in der Lage sein muss, sein Fahrrad auf entsprechende Geschwindigkeit zu bringen, gelingt dies dem Nutzer eines E-Scooters schon durch kurzes Betätigen eines Schalters. Auch dieses Beschleunigungspotential birgt eine erhöhte Gefährlichkeit.
(c). Es ist daher nach Ansicht der Kammer ein Vergleich der E-Scooter mit anderen unter § 1 Abs. 2 StVG fallenden Kraftfahrzeugen anzustellen. Dabei kommt insbesondere ein Vergleich mit Motorrollern oder Mofas in Betracht. Im Vergleich mit diesen Kraftfahrzeugen haben E-Scooter hingegen ein vergleichbares Gefahrenpotenzial, aufgrund der vergleichbaren Geschwindigkeit und Gewicht. Das Gefahrenpotential erhöht sich sogar noch deswegen – worauf auch die Staatsanwaltschaft zu Recht hingewiesen hat –, da sich E-Scooter aufgrund des Elektroantriebs nahezu lautlos im Straßenverkehr bewegen, und andere Verkehrsteilnehmer nicht einmal durch die vom Kraftfahrzeug erzeugte Geräuschkulisse vor einem Herannahen gewarnt werden.
ii. Auch die konkreten Umstände des Falles geben für die Kammer keinen Anlass dazu, von so besonderen Umständen auszugehen, dass ein Ausnahmefall anzunehmen wäre. Zwar ist es so, dass der Beschuldigte den E-Scooter nachts um 03:35 Uhr nutzte. Allerdings ist dabei auch zu berücksichtigen, dass es sich um die Nacht von Samstag auf Sonntag handelte. Typischerweise ist das ein Zeitraum, in dem trotz Nachtzeit noch Passantenverkehr zu erwarten ist, weil Personen, die sich am Samstagabend aushäusig aufgehalten haben, sei es in Lokalitäten oder bei Bekannten, auch um diese Zeit nach Hause zurückkehren. Dies gilt insbesondere deswegen, da es sich um einen niederschlagsfreien, warmen Sommerabend handelte (Wetterdaten für Flensburg für die Nacht vom 17. auf den 18.07.2021 abrufbar unter https://meteostat.net/de/place/DE-6PNT?t=2021-07-17/2021-07-18, zuletzt abgerufen am 21.09.2021). Zudem bewegte sich der Beschuldigte im Bereich der Flensburger Innenstadt, einem auch zu dieser Nachtzeit aufgrund der oben geschilderten Umstände von Passanten frequentierten Bereich.
Zugunsten des Beschuldigten kann auch nicht berücksichtigt werden, dass er nicht auf der Straße, sondern auf dem Gehweg fuhr. Gemäß § 10 Abs. 1 eKFV dürfen E-Scooter innerhalb geschlossener Ortschaften nur baulich angelegte Radwege, darunter auch gemeinsame Geh- und Radwege, befahren, und nur wenn solche nicht vorhanden sind, darf auf Fahrbahnen oder in verkehrsberuhigten Bereichen gefahren werden. Hätte der Beschuldigte eine andere als die erlaubte Verkehrsfläche befahren, würde dies eine Ordnungswidrigkeit darstellen (§ 14 Nummer 5 eKFV). Es kann jedoch keinen Ausnahmefall nach § 69 Abs. 2 Nummer 2 begründen, auch kein Indiz für einen solchen, dass ein Beschuldigter sich entsprechend der gesetzlichen Vorschriften verhält und keine Ordnungswidrigkeit begeht. Das sollte der Regelfall sein, und keinen Ausnahmefall begründen.
iii. Ebenso sind in der Person des Täters keine Umstände erkennbar, die dafür sprächen, dass es sich für den Täter um eine absolut persönlichkeitsfremde Tat gehandelt haben könnte, mit deren Wiederholung nicht zu rechnen wäre. Der Beschuldigte brach die Tat nicht aus eigenem Antrieb ab, beispielsweise weil er bemerkt hätte, dass er zum Führen des E-Scooters zu stark alkoholisiert war, sondern er wurde von einer Polizeistreife angehalten. Die Tat stellt sich auch nicht als persönlichkeitsfremd dar. So hat der Beschuldigte eine Historie mit Verkehrsordnungswidrigkeiten vorzuweisen, beispielsweise missachtete er am 11.11.2020 das Rotlicht einer Lichtzeichenanlage (Bl. 18 d. A.) und überschritt am 05.04.2018 die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 31 km/h (Bl. 17 d. A.).
iv. Es handelte sich nach den zum jetzigen Zeitpunkt vorliegenden Erkenntnissen auch nicht um eine Bagatelltat. Der Beschuldigte bewegte den E-Scooter nicht nur wenige Meter weit, sondern soll ausweislich des Polizeiberichts diverse Male zwischen den Straßen Reismühlenhof und Angelburger Straße hin und her gefahren sein, was eine Strecke von jedenfalls mehreren hundert Metern ausmacht.
c. Ob ein Fahrverbot gemäß § 44 StGB naheliegender ist oder nicht, wird das Tatgericht im Rahmen der Hauptverhandlung zu prüfen und entscheiden haben (vgl. LG Stuttgart, a.a.O., Rn. 29). Ebenso wird dann zu prüfen sein, ob der Zweck der Maßregel bereits durch die vorläufige Maßnahme erreicht werden konnte, wenn dem Beschuldigten nunmehr der Führerschein entzogen und bis zum Urteil auf die Hauptverhandlung in Verwahrung genommen wird, abhängig von der Dauer des Verfahrens (vgl. BayOLG, a.a.O., Rn. 33).
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Landeskasse zu tragen, da kein anderer Kostenschuldner vorhanden ist.