LG Hechingen – Az.: 11 Ns 13 Js 311/15 – Urteil vom 09.11.2018
Auf die Berufung des Angeklagten wird as Urteil des Amtsgerichts Hechingen vom 25. April 2018 abgeändert und neu gefasst wie folgt:
Der Angeklagte ist des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig.
Er wird hierwegen unter Einbeziehung der Strafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Tübingen vom 18.1.2018 (9 Ds 19 Js 6339/17) und unter Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird.
Vier Monate der Strafe gelten als vollstreckt.
Daneben wird die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet, deren Vollstreckung ebenfalls zur Bewährung ausgesetzt wird.
Die weitergehende Berufung wird verworfen.
Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels, jedoch wie die Berufungsgebühr um die Hälfte ermäßigt. Im selben Umfang fallen die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last.
Angewendete Vorschriften: §§ 1 Abs.1, 3 Abs. 1 Nr. 1, 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG; 55, 56, 64, 67b Abs. 1 Satz 1 StGB; 17 Abs. 2 BZRG
Gründe
(abgekürzt gem. § 267 Abs. 4 StPO)
I.
Mit Urteil des Amtsgerichts Hechingen vom 25. April 2018 wurde der Angeklagte wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu der Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt, Strafaussetzung der Vollstreckung zur Bewährung wurde versagt. Zugleich wurde ausgesprochen, dass zwei Monate dieser Freiheitsstrafe wegen konventionswidriger Verfahrensverzögerung als verbüßt gelten sollen.
Mit seinem unbeschränkt eingelegten Rechtsmittel, welches die Nichtanwendung des § 64 StGB nicht ausgenommen hat, begehrt der Beschwerdeführer Strafaussetzung der Vollstreckung der verhängten Strafe zur Bewährung und zugleich, die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht anzuordnen, da kein Hang vorliege.
Auf die Berufung des Beschwerdeführers hat die Kammer die Strafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Tübingen vom 18. Januar 2018 einzubeziehen gehabt. Erfolg hat die Berufung, soweit der Angeklagte Strafaussetzung der Vollstreckung zur Bewährung erlangt hat, demgegenüber war die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anzuordnen, wobei auch die Vollstreckung dieser Maßregel noch zur Bewährung ausgesetzt werden konnte.
Die weitergehende Berufung des Angeklagten bleibt demnach ohne Erfolg.
Dem Urteil liegt keine Verständigung zugrunde.
II.
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III.
Obwohl der Angeklagte wusste, dass er nicht über eine für den Umgang mit Betäubungsmitteln erforderliche Erlaubnis verfügte, bewahrte er am 20. März 2015 in seiner damaligen Wohnung in Hechingen, St. Straße …, 57,470 g Amphetamin mit einem Wirkstoffgehalt von 6,2 g Amphetaminbase sowie 23,65 g unverschnittenes Methylonhydrochlorid, 17 Ecstasy-Tabletten und 4,895 g Marihuana auf.
Der Grenzwert zur nicht geringen Menge beträgt bei Amphetamin dabei 10 g Amphetaminbase, bei Methylon 30 g Methylonbase, was 35,3 g Methylonhydrochlorid entspricht. Die Grenze zur nicht geringen Menge war in Addition der beiden Rauschgifte mithin um 20 Prozent überschritten. Dies nahm der Angeklagte billigend in Kauf, da ihm darum zu tun war, seinen Bedarf an Rauschgift jederzeit aus einem in ausreichendem Maße zur Verfügung stehenden Vorrat decken zu können.
IV.
Aus den getroffenen Feststellungen folgt, dass sich der Angeklagte des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 Nr. 1, 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG strafbar gemacht hat. Dabei sind Wirkstoffmengen aufzuaddieren, wenn verschiedene Rauschgifte besessen werden (BGH NStZ 2003, 434).
Für Amphetamin hat der Bundesgerichtshof in Strafsachen die Grenze zur nicht geringen Menge bei 200 Konsumeinheiten zu je 50 mg Amphetaminbase und damit bei 10 g Amphetaminbase gezogen (BGHSt 33, 169; 35, 43). Die bei dem Angeklagten aufgefundene Wirkstoffmenge von 6,2 g Amphetaminbase erreicht hiervon 62 %.
Dass unter Berücksichtigung des aufgefundenen Methylonhydrochlorids der Grenzwert zur nicht geringen Menge im Sinne des § 29a BtMG überschritten wurde, ergibt sich aus den Ausführungen des in der Hauptverhandlung vernommenen Sachverständigen Dr. L. vom Landeskriminalamt Baden-Württemberg.
Ausgehend von der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. etwa BGHSt 57, 60) ist der Grenzwert zur nicht geringen Menge eines Betäubungsmittels in Abhängigkeit von dessen konkreter Wirkungsweise und Wirkungsintensität festzulegen. Maßgeblich ist zunächst die äußerst gefährliche, gar tödliche Dosis des Wirkstoffs. Fehlen hierzu gesicherte Erkenntnisse, was nach den Ausführungen des Sachverständigen bei Methylon der Fall ist, so errechnet sich der Grenzwert als ein Vielfaches der durchschnittlichen Konsumeinheit eines nicht an den Genuss dieser Droge gewöhnten Konsumenten, welche zu bemessen ist nach Maßgabe der Gefährlichkeit des Stoffes, insbesonders seines Abhängigkeiten auslösenden oder sonst die Gesundheit schädigenden Potenzials. Nach den Ausführungen des Sachverständigen liegen zum Konsumverhalten bei Methylon bislang keine fundierten und wissenschaftlich belastbaren Daten vor. In Konsumentenberichten, die über das Internet zugänglich seien, würden ecstasyähnliche Wirkungsweisen wie euphorische und antidepressive Wirkungen beschrieben und Dosierungen bei oraler Anwendung im Bereich von 100 bis 150 mg für einen leichten und 150 bis 250 mg für einen schweren Rauschzustand angegeben, bei nasaler Anwendung 35 bis 80 mg für einen leichten und 80 bis 150 mg für einen schweren Rauschzustand. Solches sei plausibel, da es sich bei Methylon um ein Amphetaminderivat aus der Familie der Cathinone handle, so dass auch ähnliche Wirkungen zu erwarten seien. Die Erlebnisberichte seien durchaus als glaubwürdig einzustufen, da es für deren Urheber keine Veranlassung gebe, die Rauschwirkung unzutreffend darzustellen. Die Angaben seien aber wissenschaftlich nicht abgesichert und zudem zumeist von Konsumenten abgegeben worden, bei denen von einer erheblichen Drogenerfahrung und entsprechender Gewöhnung auszugehen sei, weshalb die durchschnittliche Dosis für eine nicht konsumgewöhnte Person deutlich niedriger anzusetzen sein dürfte. Da sich somit auch zum Konsumverhalten keine ausreichend fundierten Erkenntnisse gewinnen lassen, komme es entscheidend darauf an, ob es nach Struktur, Wirkungsweise und Gefährlichkeit vergleichbare Wirkstoffe gibt, zu denen bereits ausreichend gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen, so dass hieraus Analogieschlüsse auf die Wirkung gezogen werden könnten. Dies ist nach den Ausführungen des Sachverständigen bei dem einzigen, als Appetitzügler zugelassenen Arzneimittel Amfepramon der Fall, weil dieses Medikament als Cathinon-Derivat sowohl einen ähnlichen chemischen Aufbau, als auch eine ähnliche Wirkungsweise zeigt wie Methylon. Aufgrund des Durchlaufens des Medikamentenzulassungsverfahrens liegen zu Amfepramon auch ausreichend fundierte und wissenschaftlich abgesicherte Studien insbesondere auch zur Wirkungsweise und Dosierung vor. Dementsprechend könne zur Ermittlung des Schwellenwertes die Dosierungsempfehlung für das Arzneimittel Amfepramon auch für Methylon herangezogen werden. Davon ausgehend könne eine Konsumeinheit von 50 mg bis 75 mg, bezogen auf nasale oder auch orale Applikation, für einen Drogenunerfahrenen als wirksame Dosis für Methylon zugrunde gelegt werden. Die zugrunde gelegte Einzeldosis bezogen auf einen Drogenunerfahrenen von 75 mg lässt sich nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. L. zudem zwanglos mit den Konsumentenberichten drogengewöhnter Personen zur Dosierung von Methylon aus dem Internet in Einklang bringen. Dies entspricht nach den Ausführungen des Sachverständigen dem Ergebnis einer zu Methylon für das Bundeskriminalamt gefertigten gutachterlichen Stellungnahme des dort eingesetzten Sachverständigen Dr. R. D. vom Bundeskriminalamt Wiesbaden, der zudem einen Richtwert von 200 Konsumeinheiten zur Ermittlung der nicht geringen Menge vorgeschlagen habe. Dieser wäre dementsprechend bei 15 Gramm Methylonbase, entsprechend 17,64 Gramm Methylonhydrochlorid, erreicht.
Hat dieser Grenzwert zunächst noch das Amtsgericht auch deshalb überzeugt, weil der Bundesgerichtshof (NStZ-RR 2017, 47) bereits beim Betäubungsmittel Pentedron – ebenfalls ein Cathinonderivat (CA-001) – mit nach dem Sachverständigen ähnlicher chemischer Struktur und Wirkung einen entsprechenden Grenzwert (15 Gramm Base und 18 Gramm Hydrochlorid ausgehend von 200 Konsumeinheiten zu je 90 mg Pentedronhydrochlorid) ebenso festgelegt hat wie das Oberlandesgericht Nürnberg (Beschluss vom 04.04.2016 – 2 OLG 8 Ss 173/15 – , zit. nach Juris) für das nach den Ausführungen des Sachverständigen ebenfalls nach Struktur und Wirkung ähnliche Betäubungsmittel Methylendioxypyrovaleron (10 Gramm MDPV-Base), so ist der Sachverständige in der Berufungshauptverhandlung hiervon ein Stück weit abgerückt.
Im Zuge der Bestimmung der jeweiligen nicht geringen Menge, die als Ausgangspunkt äußerst gefährliche, gar tödliche Dosierungen zugrunde legen, dürfe das Gefährdungspotenzial der verschiedenen Stoffe im Verhältnis zueinander nicht aus dem Auge verloren werden. Im Laufe des Jahres 2018 sei deshalb eine Arbeitsgruppe von Sachverständigen des Bundeskriminalamts und verschiedener Landeskriminalämter zusammengetreten, die eine Abstimmung der nicht geringen Mengen amphetaminartiger Stoffe erarbeiten sollten. Das Ergebnis, bislang online nur veröffentlicht auf der Homepage der Gesellschaft für Toxikologische und Forensische Chemie (https://www.gtfch.org/cms/: „Herleitung von Grenzwerten der ‚nicht geringen Menge‘ im Sinne des BtMG“; zur weiteren Veröffentlichung bestimmt), berücksichtige, dass hinsichtlich Methylon weniger Intoxikationen bzw. Todesfälle dokumentiert seien als bei Pentedron. Zudem seien die Dosierungsangaben der Konsumentenberichte ebenfalls deutlich höher als bei Pentedron, auch belegten Zellkulturstudien eine geringere Schädlichkeit von Methylon. Es könne vergleichend daher nicht für schädlicher gehalten werden als MDMA, für welches der Grenzwert zur nicht geringen Menge bei 30 Gramm MDMA-Base anzunehmen ist (BGHSt 42, 255; NStZ 01, 381).
Dies überzeugt die Kammer deshalb, weil damit das Cathinonderivat Methylon dem Cathinon gleichgestellt wird, für welches der Bundesgerichtshof ebenfalls 30 Gramm Cathinonbase als Grenzwert ansetzt (NJW 2005, 163). 30 Gramm Methylonbase entsprechen dabei mit dem Faktor 1,176 multipliziert 53,3 Gramm Methylonhydrochlorid.
Diesen Grenzwert hat der Angeklagte mit dem Besitz von 23,65 Gramm Methylon-Hydrochlorid zu 67 % erreicht. Rechnet man den weiteren Besitz von 6,2 Gramm Amphetaminbase hinzu, was 62 % des für Amphetamin bei 10 Gramm festgelegten Grenzwertes zur nicht geringen Menge ausmacht und berücksichtigt ferner die weiteren aufgefundenen Betäubungsmittel, insbesondere die 17 Ecstasypillen, ist der Grenzwert zur nicht geringen Menge vom Angeklagten erkennbar überschritten worden, selbst wenn man bei den übrigen Betäubungsmitteln von schlechter Qualität ausgeht.
V.
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VI.
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