OLG Köln, Az.: III-2 Ws 449/15, Beschluss vom 31.08.2015
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten von der Staatskasse zur Last.
Gründe
I.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat den zu Grunde liegenden Sachverhalt mit der Vorlageverfügung vom 15.07.2015 wie folgt zusammengefasst:
„Der Beschwerdeführer wendet sich gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Schöffengericht – Aachen vom 07.05.2015 – 334 Ls 12/15 – (Bl. 36 d. SH), durch den gegen ihn ein Ordnungsgeld in Höhe von 200,00 Euro, ersatzweise acht Tage Ordnungshaft, verhängt worden ist.
Dem Beschluss liegt ein Vorkommnis im Rahmen der am 07.05.2015 gegen den Beschwerdeführer vor dem Schöffengericht des Amtsgerichts Aachen stattgefundenen Hauptverhandlung zugrunde (Bl. 21 ff. d. SH). Das Hauptverhandlungsprotokoll enthält dazu folgenden Eintrag:
„Die Sitzung wurde von 10:46 Uhr bis 13:00 Uhr unterbrochen.
Dem Angeklagten M wird mitgeteilt, dass das Gericht wegen Ungebühr vor Gericht ein Ordnungsgeld in Höhe von 200,00 Euro, ersatzweise 8 Tage Ordnungshaft zu verhängen.
Die Staatsanwaltschaft schließt sich dem an.
Der Angeklagte M erhält Gelegenheit zur Stellungnahme.
Angeklagter M:
Das ist eine Respektsfrage. Sowas beruht auf Gegenseitigkeit. Respekt muss man sich erst einmal verdienen. Ich habe auf dem Transport nach hier 3 Stunden in einer Transportbox gesessen. Das ist unzumutbar für mich.
Der Angeklagte zieht sein T-Shirt hoch und zeigt allen Anwesenden seinen mit roten Punkten übersäten Rücken.
Angeklagter M:
Die roten Punkte sind eine Haftallergie.
Die Entscheidung über das Ordnungsgeld ergeht später.“
Nach Urteilsverkündung am selben Tag wurde ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls der angefochtene, als Anlage V zum Protokoll genommene Ordnungsgeldbeschluss verkündet (Bl. 24 R d. SH).
Zur Begründung des verhängten Ordnungsgeldes hat das Amtsgericht ausgeführt:
„Die Anordnung beruht auf § 178 GVG.
Der Angeklagte hat sich in der heutigen Hauptverhandlung ungebührlich aufgeführt. Bei Aufruf der Sache und Eintreten des Gerichts weigerte er sich, sich von seinem Platz zu erheben. Er war hierzu erst auf längeres Zureden des Vorsitzenden hin bereit, nachdem ihm erläutert worden war, dass sein Verhalten eine Ungebühr gegenüber dem Gericht darstelle und gegebenenfalls mit einem Ordnungsgeld zu ahnden sei.
Nach Unterbrechung der Hauptverhandlung wegen einer Mittagspause zeigte der Angeklagte dasselbe Verhalten. Erneut weigerte er sich, beim Eintreten des Gerichts von seinem Platz aufzustehen. Er wurde erneut darauf hingewiesen, dass ein solches Verhalten ungebührlich sei und die Verhängung eines Ordnungsgeldes nach sich ziehen werde. Anders als am Morgen zeigte der Angeklagte jedoch kein Einsehen, sondern blieb sitzen und sagte dem Vorsitzenden: „Das ist eine Respektsfrage. Sowas beruht auf Gegenseitigkeit. Respekt muss man sich erst einmal verdienen. Ich habe auf dem Transport nach hier 3 Stunden in einer Transportbox gesessen. Das ist unzumutbar für mich.“ Sodann zog der Angeklagte sein T-Shirt hoch und zeigte allen Anwesenden seinen mit roten Punkten übersäten Rücken, wobei der erklärte: „Das ist eine Haftallergie.“
Die Festsetzung eines Ordnungsgelds in Höhe von 200,00 Euro erschien dem Gericht angemessen zur Ahndung der oben dargestellten Ungebühr des Angeklagten. Der Angeklagte hat sich weder einsichtig gezeigt, noch sich entschuldigt. Stattdessen hat er gegenüber dem Gericht den Vorwurf mangelnden Respektes erhoben.“
Der Beschwerdeführer hat gegen diesen am 07.05.2015 in seiner Gegenwart verkündeten Beschluss mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 13.05.2015, der am selben Tag beim Amtsgericht Aachen eingegangen ist, Beschwerde eingelegt (Bl. 37 d. SH). Zur Begründung hat er unter Verweis auf obergerichtliche Rechtsprechung ausgeführt, das beanstandete Verhalten biete keinen Anlass für die Annahme einer Ungebühr, weil Nummer 124 RiStBV nur das Erheben sämtlicher Anwesenden beim Eintritt des Gerichts zu Beginn der Sitzung, nicht jedoch nach jeder Unterbrechung vorschreibe. Im Übrigen sei das Verhalten des Beschwerdeführers als im Rahmen der Meinungsäußerungsfreiheit zulässige Kundgabe einer aus seiner Sicht ungerechtfertigten Behandlung durch die Justiz anzusehen.“
Darauf nimmt der Senat Bezug. Die Verteidigung hat mit weiterem Schriftsatz vom 03.08.2015 ergänzend Stellung genommen.
II.
Die gem. § 181 GVG fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde, über die gemäß § 181 Abs. 3 GVG das Oberlandesgericht entscheidet, ist begründet.
Der Ordnungsgeldbeschluss ist aufzuheben, weil die Voraussetzungen für die Festsetzung eines Ordnungsgeldes nicht hinreichend festgestellt werden können.
1.
Die Förmlichkeiten der Protokollierung gem. § 182 GVG sind vorliegend vor dem Hintergrund, dass der Beschwerdeführer den in dem angefochtenen Beschluss dargestellten Sachverhalt nicht in Abrede gestellt hat, unter Bezugnahme auf die Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in der Verfügung vom 15.07.2015 noch gewahrt. Dem Beschwerdeführer ist das Ordnungsmittel, soweit es sich auf die Weigerung eines Aufstehens bei Betreten des Sitzungssaales durch das Gericht bezieht, auch vor einem Erlass angedroht worden. Gleiches gilt für die Gewährung rechtliches Gehörs.
2.
Das Sitzenbleiben eines Angeklagten beim Eintreten des Gerichts nach vorangegangener Sitzungspause stellt in der Sache, anders als ein entsprechendes Verhalten zu Beginn einer Hauptverhandlung, auch nach Ansicht des Senats keine Ungebühr im Sinne des § 178 GVG dar. Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu in der Verfügung vom 15.07.2015 zutreffend ausgeführt:
„Die Vorschrift des § 178 GVG verfolgt nach heutiger Auffassung überwiegend praktische Zwecke. Sie soll – gegebenenfalls durch scharfe und sofortige Reaktion – den gesetzmäßigen Ablauf der Verhandlung sichern. Unter Ungebühr wird dabei ein erheblicher Angriff auf die Ordnung in der Sitzung, auf deren justizgemäßen Ablauf, auf den Gerichtsfrieden und auch auf Ehre und Würde des Gerichts verstanden, dessen Autorität vor Einbußen zu bewahren ist (zu vgl. SenE vom 07.05.2008 – 2 Ws 223/08 -, = NJW 2008, 2865 ; SenE vom 07.07.2014 – 2 Ws 374/14 -; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 178 GVG Rn. 2). In der Rechtsprechung und in der Literatur ist überwiegend anerkannt, dass das demonstrative Sitzenbleiben bei Betreten des Sitzungssaals durch das Gericht zu Beginn einer Sitzung, bei der Vereidigung von Zeugen oder Sachverständigen oder bei der Verkündung der Urteilsformel ein ungebührliches Verhalten darstellen kann, insbesondere wenn dies trotz mehrfacher Aufforderung des Vorsitzenden in der Absicht geschieht, das Gericht zu provozieren oder herabzusetzen (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 28.02.2007 – 1 Ws 33/07 -, Rn. 13, zitiert nach juris m. w. N.; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 05.01.2015 – 2 Ws 448/14 -, Rn. 4, zitiert nach juris m. w. N.; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 178 GVG Rn. 3). Das bloße Sitzenbleiben beim Eintreten des Gerichts nach vorangegangener Sitzungspause stellt indes nach zutreffender Ansicht für sich allein keine Ungebühr im Sinne des § 178 GBG dar, und zwar selbst dann nicht, wenn es üblich wäre, dass sich die im Sitzungssaal Anwesenden auch in diesem Fall von ihren Plätzen erheben (OLG Saarbrücken, a. a. O., Rn. 14, zitiert nach juris; OLG Karlsruhe, a. a. O., Rn. 4, zitiert nach juris). Denn anders als der Beginn einer Sitzung stellt deren Fortsetzung nach einer Pause keinen besonderen Verfahrensabschnitt dar, der einer Verdeutlichung durch die äußere Form des Aufstehens der im Sitzungssaal Anwesenden bedarf, was auch die Regelung der Nr. 124 Abs. 2 RiStBV verdeutlich (OLG Saarbrücken, a. a. O., Rn. 14, zitiert nach juris).“
Hierauf nimmt der Senat Bezug.
3.
Ob der angefochtene Ordnungsgeldbeschluss zusätzlich auch Äußerungen des Beschwerdeführers im Rahmen der Gewährung rechtlichen Gehörs, insbesondere seine Angaben, dass sich das Gericht einen Respekt erst einmal verdienen muss, sanktionieren wollte, vermag der Senat hier bereits nicht zweifelsfrei festzustellen. Zwar ist die vorstehend angeführte Äußerung in dem Beschluss vom 07.05.2015 miterwähnt worden, was jedoch ggf. lediglich einer vollständigen Wiedergabe des in der Sitzungsniederschrift insgesamt nicht umfassend protokollierten Sachverhalts dienen sollte. Konkreter Anlass für die Androhung und spätere Festsetzung eines Ordnungsgeldes wegen Ungebühr war vorliegend zudem die endgültige Weigerung des Beschwerdeführers, sich beim Eintreten des Gerichts zu erheben.
Eine abschließende Entscheidung über die zuvor aufgeworfene Fragestellung kann hier jedoch offen bleiben. Denn selbst für den Fall, dass das Gericht (auch) die vorstehende Äußerung des Beschwerdeführers als Ungebühr sanktionieren wollte, würde es an den Voraussetzungen eines ordnungsgemäßen Festsetzungsverfahrens fehlen. Sowohl nach den Ausführungen im Sitzungsprotokoll als auch nach den Angaben im angefochtenen Beschluss wäre die Verhängung eines Ordnungsgeldes wegen der Äußerung des Beschwerdeführers weder angedroht noch ist den Verfahrensbeteiligten insoweit Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt worden. Hinreichende Ausnahmegründe dafür, dass insoweit von einer Androhung bzw. vorherigen Anhörung der betroffenen Person hätte abgesehen werden können (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 178 Rn 14), sind nicht ersichtlich. Die Annahme einer Ungebühr bzw. eines Ungebührwillens ist insoweit nicht offensichtlich bzw. steht nicht völlig außer Frage (vgl. OLG Brandenburg, wistra 2014, 79; OLG Celle, NStZ 2012, 592). Der Beschwerdeführer hat in Zusammenhang mit der betreffenden Äußerung, die bei isolierter Betrachtung durchaus geeignet erscheint, einen Angriff auf die Ehre und die Würde des Gerichts darzustellen, die von ihm empfundenen Belastungen betreffend seines mehrstündigen Transportes zur Hauptverhandlung artikuliert, was als (Beschwerde-)Vorbringen im Rahmen der eigenen Interessenwahrnehmung angesehen und daher nicht ohne weiteres als zielgerichtete und allein bezweckte Diffamierung des Gerichts bewertet werden kann. Darüber hinaus war auch nicht sicher zu erwarten, dass die Einräumung rechtlichen Gehörs ausschließen zu unflätigen Beleidigungen geführt hätte. Schließlich ist die Anhörung vor Erlass des angefochtenen Beschlusses auch nicht nachgeholt worden.
Der angefochtene Ordnungsgeldbeschluss konnte daher insgesamt keinen Bestand haben.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §§ 467 Abs. 1 StPO.