LG Kiel, Az.: 7 Qs 73/13
Beschluss vom 30.09.2013
Die Beschwerde wird als unbegründet verworfen.
Der Beschuldigte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens und seine ihm im Beschwerdeverfahren erwachsenen Auslagen.
Gründe
Die gemäß § 304 StPO zulässige Beschwerde ist aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses zu verwerfen. Gründe, die eine andere tatsächliche oder rechtliche Beurteilung rechtfertigen, sind nicht ersichtlich.
Insbesondere ist das dem Beschuldigten zur Last gelegte Verhalten in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht ausreichend gekennzeichnet. Voraussetzung für einen Durchsuchungsbeschluss ist lediglich die Wahrscheinlichkeit, dass eine bestimmte Straftat begangen worden ist. Es genügt, dass ein Sachverhalt wahrscheinlich erscheint, aus dem sich Straftaten entnehmen lassen. Dazu müssen ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Von diesen Grundsätzen ausgehend hat das Amtsgericht den erforderlichen Anfangsverdacht für die Begehung einer Straftat aufgrund der ihm vorliegenden Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft, deren Inhalt es in dem Beschluss zutreffend zusammengefasst hat, zu Recht bejaht. Der Anfangsverdacht für eine Straftat nach § 278 StGB ergibt sich aus dem Sachverhalt, den der Anzeigende Dr. M. vorgelegt hat, insbesondere aus der Stellungnahme des Beschuldigten vom 28.07.2008, dem Heilkostenplan vom 17.03.2008, dem Gutachten des Dr. D. vom 09.04.2010, dem Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 18.12.2012 und dem Gutachten des Prof. Dr. F. vom 19.08.2012.
Bei der Stellungnahme des Beschuldigten vom 28.07.2008 handelt es sich um ein Gesundheitszeugnis im Sinne des § 278 StGB. Gesundheitszeugnisse im Sinne dieser Vorschrift sind Urkunden, in denen der Gesundheitszustand eines Menschen beschrieben wird. Erfasst sind sowohl die Darstellung relevanter Tatsachen als auch deren sachverständige Bewertung (Münchener Kommentar, StGB, § 277 Rn. 2). Das ist bei der Stellungnahme des Beschuldigten vom 28.07.2008 der Fall. Der Beschuldigte hat auf der Grundlage der ihm vorliegenden Unterlagen (u.a. Behandlungsplan, Röntgenaufnahmen, Ober- und Unterkiefermodelle) einen Befund festgestellt und diesen sachverständig bewertet. Damit hat er nicht nur eine Stellungnahme zu dem Kosten- und Behandlungsplan des Anzeigenden abgegeben.
Dem Anfangsverdacht einer Straftat gem. § 278 StGB steht nicht entgegen, dass der Beschuldigte die Patientin nicht untersucht hat. § 278 StGB setzt nicht voraus, dass der Aussteller des ärztlichen Zeugnisses eine eigene Untersuchung durchgeführt hat. Weder der Wortlaut der Vorschrift lasst sich eine solche Beschränkung erkennen, noch legt ihr Sinn und Zweck, die Adressaten des Zeugnisses in ihrer Dispositionsfreiheit zu schützen, eine derartige einschränkende Auslegung nahe. Unrichtig ist ein ärztliches Zeugnis regelmäßig, wenn es über einen Befund ausgestellt wird, ohne dass eine Untersuchung stattgefunden hat (LK, StGB, 12. Aufl., 278 Rn. 7; Münchener Kommentar, StGB, 27. Aufl., § 278 Rn. 4; Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 278 Rn. 2; OLG Frankfurt, StV 2006, 471-473; BGH, NStZ-RR 2007, 343-345); denn ein ärztliches Zeugnis begründet gerade das Vertrauen, dass die fachlichen Ausführungen auf einer tragfähigen Grundlage beruhen. Wollte man ärztliche Zeugnisse, die ohne Untersuchung ausgestellt werden, vom Tatbestand ausnehmen, hätte dies zur Folge, dass die Vorschrift bei einem Arzt, der unbesehen beliebige Gefälligkeitsatteste ausstellt, nicht anwendbar wäre, weil dieser sich von der Unrichtigkeit der medizinischen Ausführungen keine positive Kenntnis verschafft und insoweit nicht wider besseres Wissen handeln kann. Soweit sich die Rechtsprechung in der Vergangenheit überwiegend mit Fällen befasst hat, in denen eine Untersuchung erfolgt oder der Anschein einer erfolgten Untersuchung erweckt worden war, wäre dies bereits kein taugliches Argument für die Auslegung der Norm. Zudem ließe sich dieser Umstand dadurch erklären, dass der Abgabe eines Zeugnisses über den Gesundheitszustand eines Menschen in der Regel dessen Untersuchung vorausgehen wird. Zwingend ist dies jedoch nicht, so dass hieraus nicht abgeleitet werden kann, es handele sich bei Erklärungen von Ärzten über den Gesundheitszustand eines Menschen, die erklärtermaßen ohne vorherige Untersuchung abgegeben worden sind, um solche, die von dem Anwendungsbereich der Norm ausgeschlossen sind.
Es besteht auch ein Anfangsverdacht für die Unrichtigkeit dieses Zeugnisses.
Unrichtig ist ein ärztliches Zeugnis dann, wenn es in einem wesentlichen Punkt den Tatsachen oder medizinischen Erfahrungen oder Erkenntnissen widerspricht (LK, StGB, 12. Aufl., § 277 Rn. 2; Lackner, StGB, 27. Aufl., § 278 Rn. 2). Die Unrichtigkeit kann sich auf den Befund oder die Beurteilung beziehen (LK, StGB, 12. Aufl., § 278 Rn. 6). Die Befundmitteilung des Beschuldigten ist im Vergleich zu dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Dr. D., dem das Zivilgericht gefolgt ist, lückenhaft und kommt zu einem anderen Ergebnis hinsichtlich der Bewertung des medizinischen Zustandes und seiner Behandlungsbedürftigkeit.
Der Anfangsverdacht für den subjektiven Tatbestand ergibt sich aus der Schilderung des Dr. M. und der Darstellung des Dr. F., der sich über den ihm vorliegenden Einzelfall hinausgehend dahingeäußert hat, dass sich die medizinische Befundung des Beschuldigten auf wenige Zeilen beschränke, der Textinhalt bei nahezu allen Gutachten des Beschuldigten identisch sei und nur noch Textbausteine folgen würden, die in den multiplen Gutachten des bundesweit bekannten Beschuldigten bei allen Patienten nahezu gleich lauten würden.
Auch formell ist der Durchsuchungsbeschluss nicht zu beanstanden. Tatvorwurf, Zweck, Ziel und Umfang der Durchsuchung sind bestimmt. Die Art und der vorgestellte Inhalt derjenigen Beweismittel, denen die Durchsuchung gilt, sind angegeben, nämlich Unterlagen, die Aufschluss über Art und Umfang der vom Beschuldigten im Auftrag von privaten Krankenkassen erstellten Gutachten sowie die dafür empfangene Vergütung gibt. Eine abschließende Aufzählung aller möglichen Beweismittel ist nicht nötig. Es genügt, dass die erwarteten Beweismittel annäherungsweise in Form beispielhafter Angaben wie hier bezeichnet sind.
Die Anordnung der Durchsuchung war verhältnismäßig. Andere weniger einschneidende dem Ermittlungszweck nicht gefährdende Maßnahmen standen nicht zur Verfügung.
Insbesondere stellt die Beiziehung der Zivilakte kein weniger einschneidendes und gleichermaßen erfolgversprechendes Mittel dar. Im Rahmen des Zivilprozesses wird über die Behauptung der Klägerin entschieden, ob die angestrebte Behandlung notwendig und deshalb von der Krankenkasse zu bezahlen war. Eine Auseinandersetzung mit der Stellungnahme des Beschuldigten ist darin nicht zu erwarten, wie sich auch aus dem Gutachten des Dr. D. ergibt. Etwaige Auskunftsersuchen an die privaten Krankenkassen dürften ebenfalls keine geeigneten milderen Mittel sein; denn die privaten Krankenkassen sind nicht verpflichtet, der Staatsanwaltschaft über einzelne Verträge Auskunft zu geben. Zudem ist unklar, welche weiteren privaten Krankenkassen Aufträge an den Beschuldigten erteilt haben könnten.
Die Durchsuchungsanordnung stand – auch unter Berücksichtigung des besonderen Schutzes des Beschuldigten als Berufsgeheimnisträgers – in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der konkreten Straftat und zur Stärke des Tatverdachts. Es handelt sich nicht nur um vage Vermutungen, sondern um einen auf konkreten Umständen beruhenden Anfangsverdacht. Der Strafrahmen des § 278 StGB beträgt Geldstrafe bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe. Die Vorschrift will die Beweiskraft ärztlicher Zeugnisse sichern, um die Dispositionsfreiheit der in der Vorschrift genannten Adressaten zu gewährleisten. Vor diesem Hintergrund liegt auch keine Bagatellkriminalität vor; denn die Versicherung hat ein Interesse an der Richtigkeit eines Gutachtens, um Folgekosten, die durch eine unrichtige Begutachtung entstehen, zu vermeiden, z.B. Prozesskosten oder erhöhte Behandlungskosten, die durch eine infolge eines unrichtigen Gutachtens später einsetzende Behandlung wegen Fortschreitens der Erkrankung entstehen.
Soweit sich der Beschuldigte gegen die Beschlagnahme der sichergestellten Gegenstände wendet und mit der Beschwerde auch die allgemeine Beschlagnahmeanordnung des Amtsgerichts angreift, obliegt der Kammer insoweit keine Entscheidung, da der gleichzeitig gestellte Antrag auf gerichtliche Entscheidung insoweit vorrangig ist und vom Amtsgericht zu bescheiden ist (Meyer/Goßner, StPO, 56. Auflage, § 98 Rn. 19).
Verfolgungsverjährung ist gem. §§ 78 Abs. 1 Nr. 4,78 c Abs. 1 Nr. 4 StGB nicht eingetreten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.