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Verbotenes Kraftfahrzeugrennen bei Alleinrennen

Risikoreiche Fahrt stellt kein verbotenes Rennen dar: Analyse der Entscheidung des Landgerichts Berlin

Im vorliegenden Fall hatte das Landgericht Berlin (LG Berlin) zu entscheiden, ob eine riskante Fahrweise als „verbotenes Kraftfahrzeugrennen“ im Sinne des Paragrafen 315d Absatz 1 Nummer 3 des Strafgesetzbuchs (StGB) gewertet werden kann. Auslöser war ein Beschuldigter, dem vorgeworfen wurde, während einer nächtlichen Fahrt in Berlin bei einer zugelassenen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h mit bis zu 120 km/h unterwegs gewesen zu sein und dabei rücksichtslos andere Fahrzeuge überholt zu haben. Als Beweis diente ein auf YouTube veröffentlichtes Video, das die fragliche Fahrt dokumentierte.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: (538 KLs) 255 Js 745/19 (12/20) >>>

Die Anklage und ihre Grundlage

Laut Anklage der Staatsanwaltschaft Berlin ging es dem Beschuldigten darum, während seiner Fahrt eine möglichst hohe Geschwindigkeit zu erreichen. Darüber hinaus sollte der Beschuldigte nach den Vorstellungen der Staatsanwaltschaft die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen wegen Ungeeignetheit entzogen werden (§ 69 StGB). Als Grundlage für diese Anschuldigungen dienten die Videoaufnahmen, die die fragliche Fahrt dokumentierten und aufgrund derer Geschwindigkeiten und Verkehrsverstöße ermittelt wurden.

Der strittige Tatbestand

Eine entscheidende Frage war, ob die aggressive Fahrweise des Beschuldigten als „grob verkehrswidrig und rücksichtslos“ gelten kann und ob sie den charakteristischen Merkmalen eines Rennens entsprach. Eine „nicht angepasste Geschwindigkeit“ allein – d.h. eine Geschwindigkeit, die den Straßen-, Sicht- und Wetterverhältnissen nicht entspricht – galt in diesem Kontext als nicht ausreichend, um von einem verbotenen Rennen sprechen zu können.

Berücksichtigung der Gesetzesintention

Die Anwendung des § 315d StGB erfordert eine abstrakte Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer. Dabei sind laut Gesetzgeber sowohl objektive als auch subjektive Rennmerkmale (z.B. Wettbewerbscharakter) erforderlich. Dabei sind die speziellen Merkmale eines Rennens zu berücksichtigen, wie etwa riskantes Fahrverhalten mit drohendem Kontrollverlust und damit verbundenen Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer. Laut Gericht liegt jedoch kein verbotenes Rennen vor, wenn die dramatische Fahrweise nicht signifikant über die Menge der bußgeldbelegten Geschwindigkeitsverstöße hinausragt und nicht die Qualität eines Rennens hat.

Fehlende Beweislage und Verneinung des Renncharakters

Obwohl der Beschuldigte die zulässige Höchstgeschwindigkeit erheblich überschritt, war nach den vorliegenden Beweisen nicht feststellbar, ob er die Absicht hatte, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Diese Absicht wäre jedoch für die Annahme eines Rennens erforderlich. Das Gericht konnte auch nicht feststellen, dass durch die Fahrweise des Beschuldigten ein Kontrollverlust über das Fahrzeug zu befürchten war. Daher sah das LG Berlin die Merkmale eines verbotenen Rennens als nicht erfüllt an.

Trotz der ablehnenden Entscheidung des Gerichts zu diesem vorläufigen Verfahren steht eine abschließende Bewertung der Beweissituation und Klärung der Schuldfrage noch aus. Dies muss in einer Hauptverhandlung erfolgen.


Das vorliegende Urteil

LG Berlin – Az.: (538 KLs) 255 Js 745/19 (12/20) – Beschluss vom 14.08.2020

Der Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 17. Juni 2020 – 302 Ds 1/20 – wird aufgehoben.

Gründe

I.

Nach dem Ergebnis der Ermittlungen und der darauf beruhenden Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Berlin vom 30. Dezember 2019 soll der Angeschuldigte zwischen dem 5. und 18. Mai 2019 in Berlin mit dem Pkw Lamborghini Aventador, Cabrio-Limousine, amtliches Kennzeichen … die K.straße in … B. befahren haben. Bei einer zugelassenen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h soll er unter anderem 73 km/h gefahren sein. Auf Höhe der Hausnummern 86-99 soll er auf dem linken Fahrstreifen drei Fahrzeuge mit einer Geschwindigkeit von über 120 km/h überholt haben und über eine Wegstrecke von 180 m mit einer Geschwindigkeit von 101 km/h gefahren sein, wobei ihm ein Fahrradfahrer auf dem Fahrradweg entgegen kam. Nach Abbiegen in den 7 m breiten Dammweg, soll er mit einer Geschwindigkeit von über 96 km/h über eine Wegstrecke von ca. 55 m einen Pkw überholt haben. Hierbei soll es dem Angeschuldigten darum gegangen sein, im Sinne eines Rennens eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen.

Der Angeschuldigte wendet sich mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 22. Juli 2020 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 17. Juni 2020, durch welchen ihm gemäß § 111a StPO i.V.m. §§ 69 Abs. 2 Nr. 1a, 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen vorläufig entzogen worden ist, und beantragt dessen Aufhebung.

II.

Der Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 17. Juni 2020 war aufzuheben, weil die Voraussetzungen des § 111a StPO nicht vorliegen. Gemäß § 111a Abs. 1 StPO müssen dringende Gründe für die Annahme vorhanden sein, dass dem Angeschuldigten die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen wegen Ungeeignetheit demnächst durch Urteil entzogen werden wird (§ 69 StGB). Der endgültige Entzug der Erlaubnis muss in hohem Maße wahrscheinlich sein (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 40).

1.

Die Regelung des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB stellt sich bei einschränkender, zurückhaltender Auslegung des Tatbestandes nicht als verfassungswidrig dar (vgl. KG NZV 2019, 210; KG NZV 2019, 314).

2.

Nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB wird bestraft, wer sich als Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Nach summarischer Prüfung ist eine Verurteilung wegen eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens gemäß § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht weit überwiegend wahrscheinlich. Es kann bei zurückhaltender, einschränkender Auslegung des Tatbestandes nach Aktenlage nicht festgestellt werden, dass der Angeschuldigte mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fuhr, um zielgerichtet die höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen.

a) Es ist überwiegend wahrscheinlich, dass der Angeschuldigte phasenweise mit nicht angepasster Geschwindigkeit fuhr. Nicht angepasste Geschwindigkeit meint nämlich eine den Straßen-, Sicht- und Wetterverhältnissen nicht entsprechende Geschwindigkeit, wobei die Überschreitung der vorgegebenen Höchstgeschwindigkeit eine maßgebliche Indizwirkung hat (vgl. KG, Beschl. v. 20. Dezember 2019 – (3) 161 Ss 134/19 (75/19) -). Den im dargelegten Sachverhalt angegebenen Geschwindigkeiten liegt keine Geschwindigkeitsmessung zu Grunde. Die Geschwindigkeiten wurden aufgrund eines auf der Plattform www.Youtube.de eingestellten Videos durch den Sachverständigen Dr. Weyde ermittelt. Neben dem Verstoß gegen die Geschwindigkeitsbegrenzung ist auf dem Video unter anderem zu sehen, dass der Angeschuldigte mehrere Fahrzeuge überholt. Bei einem Überholvorgang kommt ihm ein Radfahrer entgegen. Der Angeschuldigte ist danach dringend verdächtig, mit nicht angepasster Geschwindigkeit gefahren zu sein.

b) Es fehlt indes an der überwiegenden Wahrscheinlichkeit, dass der Angeschuldigte grob verkehrswidrig und rücksichtslos gefahren sei, um die höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Bei der Auslegung der Norm ist zu berücksichtigen, dass nach dem Willen des Gesetzgebers Fälle erfasst werden, in denen nur ein einziges Fahrzeug objektiv und subjektiv ein Kraftfahrzeugrennen darstellt (vgl. BT-Drs. 18/12964, 5). Tatbestandsmäßig sind nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB somit Verkehrsverstöße, von denen eine ähnliche Gefahr ausgeht, wie von einem Kraftfahrzeugrennen (vgl. KG, Beschl. v. 20. Dezember 2019 – (3) 161 Ss 134/19 (75/19) -). Typische Gefahren eines Kraftfahrzeugrennens sind regelmäßig vorkommende waghalsige Fahrweisen mit der damit verbundenen Gefahr des Kontrollverlustes, was erhebliche Risiken für andere Verkehrsteilnehmer mit sich bringt (vgl. Hecker, in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 315d Rn. 1). Die einem solchen Rennen innewohnende Dynamik verleitet in besonderer Weise zu riskanten Verhaltensweisen, denn Rennteilnehmer werden durch den Wettbewerb bestärkt, Fahr- und Verkehrssicherheit außer Acht zu lassen und für einen Zuwachs an Geschwindigkeit den Verlust der Kontrolle über ihre Fahrzeuge in Kauf zu nehmen (vgl. BT-Drs. 18/12964, 5). Das bedeutet, dass bloße Geschwindigkeitsüberschreitungen gerade nicht von der Strafbarkeit nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB erfasst sein sollen (vgl. BT-Drs. 1.8/12964, 6). Tatbestandsrelevant sind vielmehr nur solche Handlungen, die objektiv und subjektiv aus der Menge der bußgeldbelegten Geschwindigkeitsverstöße herausragen (vgl. KG, Beschl. v. 20. Dezember 2019 – (3) 161 Ss 134/19 (75/19) -; Hecker, in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 315d Rn. 8) und qualitativ einem Rennen entsprechen.

Um dem Tatbestand die Qualität des Renncharakters zu verleihen, fordert die Regelung, dass der Täter mit der Absicht – dolus directus ersten Grades – handeln muss, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen (vgl. KG, Beschl. v. 20. Dezember 2019 – (3) 161 Ss 134/19 (75/19) -). Hierbei wird auf die relativ höchstmöglich erzielbare Geschwindigkeit abgestellt, die sich aus der Zusammenschau der fahrzeugspezifischen Beschleunigung bzw. Höchstgeschwindigkeit, des subjektiven Geschwindigkeitsempfindens, der Verkehrslage und der Witterungsbedingungen ergibt; nicht maßgeblich ist dagegen, ob der Täter die Leistungsfähigkeit seines Fahrzeuges vollständig ausschöpft (vgl. KG, Beschl. v. 15. April 2019 – (3) 161 Ss 36/19 (25/19) -), wobei die Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, nicht Haupt- oder Alleinbeweggrund sein muss (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss. vom 4. Juli 2019 – 4 Rv 28 Ss 103/19 -). Zu berücksichtigen ist aber, dass allein der Wille, eine Strecke möglichst schnell zurückzulegen, nicht gleichbedeutend ist mit der Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen (vgl. Jansen, NZV 2019, 285; KG, Beschl. v. 20. Dezember 2019 – (3) 161 Ss 134/19 (75/19) -).

Der Angeschuldigte überschritt zwar die zulässige Höchstgeschwindigkeit phasenweise erheblich. Diese Überschreitung dauerte indes nach dem Gutachten des Sachverständigen nur wenige Sekunden. Durch den Sachverständigen wurde errechnet, dass der Angeschuldigte dabei u. a. eine Wegstrecke von 55 m bzw. 180 m zurückgelegt habe, wobei es sich hierbei um Überholvorgänge gehandelt habe. Dies legt nach Aktenlage – ohne durchgeführte Beweisaufnahme – zunächst den Rückschluss nahe, dass es dem Angeschuldigten darum bestellt war, seine Wegstrecke möglichst schnell zurückzulegen. Die Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit im Tatzeitpunkt der jeweiligen Verkehrssituation zu erreichen, ist danach insgesamt nicht überwiegend wahrscheinlich. Auch ist weder ersichtlich, dass in den vom Sachverständigen errechneten Geschwindigkeitsüberschreitungen ein Kontrollverlust des Angeschuldigten über das Fahrzeug zu befürchten war noch, dass der Angeschuldigte dies in seinen Vorsatz einbezogen hatte.

3.

Im Übrigen unterscheidet sich der hiesige Sachverhalt deutlich von denen, die durch das Kammergericht bereits entschieden wurden. In einem Verfahren, in dem die eingelegte (Sprung-) Revision Erfolg hatte, legte der Angeklagte eine Wegstrecke von mindestens 1,8 km zurück, wobei er ohne Fahrtrichtungsanzeiger vorausfahrende Fahrzeuge links und rechts überholte. Beim einbiegen in eine Rechtskurve wurde das Fahrzeug nach außen getragen (vgl. KG, Beschl. v. 20. Dezember 2019 – (3) 161 Ss 134/19 (75/19) -); in einem anderen Verfahren, in dem die Revision verworfen wurde, legte der Angeklagte eine Wegstrecke von 3,8 km zurück, wobei er zeitweise eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 150km/h erreichte und ohne Fahrtrichtungsanzeiger ruckartig vorausfahrende Fahrzeuge überholte (vgl. KG, Beschl. v. 15. April 2019 – (3) 161 Ss 36/19 (25/19) -).

III.

Eine abschließende Würdigung der Beweismittel und Klärung der Schuldfrage kann jedoch nicht in dem hiesigen, nur vorläufigen Verfahren nach § 111a StPO erfolgen, sondern muss einer Hauptverhandlung vorbehalten bleiben.

 

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