LG Wiesbaden – Az.: 6 KLs – 1170 Js 30770/06 – Urteil vom 08.02.2017
Der Angeklagte wird freigesprochen.
Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten werden der Staatskasse auferlegt.
Gründe
I.
Dem Angeklagten wird mit Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Wiesbaden vom 14.12.2009 folgendes zur Last gelegt, zwischen September 2004 bis September 2007 durch insgesamt 64 selbständige Handlungen als Arbeitgeber der Einzugsstelle Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthalten haben (Fälle 1.-32.) und den Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige Angaben gemacht oder sie pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen haben und dadurch Steuern (Lohnsteuer) verkürzt haben (Fälle 33.-64.).
Die Firma des Angeklagten A sei bei der Deutschen Rentenversicherung Hessen unter der Betriebsnummer 12289849 geführt worden. Laut Gewerbeanmeldung habe sie folgende Tätigkeiten ausgeführt: Hausmeistertätigkeiten, Estrich- und Bodenleger, Fliesen-, Platten- und Mosaikleger, Trockenbau, Einbau von genormten Baufertigteilen, Parkettleger, Rollladen- und Jalousiebauer, Raumausstatter, Gebäudereiniger, Eisenflechter, Holz- und Bautenschutz. Der Angeklagte habe es unterlassen, die bei seiner Firma beschäftigten polnischen Arbeitnehmer bei der zuständigen Einzugsstelle, der Bahn BKK West, zur Sozialversicherung anzumelden. Infolgedessen habe er für die Beitragsmonate September 2004, März 2005 bis September 2007 keine Sozialversicherungsbeiträge, fällig jeweils zum 15. des Folgemonats, an die zuständige Einzugsstelle abgeführt. Aufgrund der ermittelten Lohnsummen seien, ausgehend von einem Krankenversicherungsbeitrag von 13,9 %‚ einem Rentenversicherungsbeitrag von 19,5 %‚ einem Arbeitslosenversicherungsbeitrag von 6,5 % und einem Pflegeversicherungsbeitrag von 1,95 %, insgesamt 122.757,86 €. Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung nicht an die zuständige Einzugsstelle abgeführt worden.
Außerdem habe der Angeklagte für seine Firma für September 2004 sowie den Zeitraum März 2005 bis September 2007 keine Lohnsteueranmeldungen beim zuständigen Finanzamt Wiesbaden abgegeben. Aufgrund der Umsatzhöhe seines Unternehmens sei der Angeklagte verpflichtet gewesen, für die Jahre 2004 und 2005 jährliche sowie in den Jahren 2006 und 2007 monatliche Lohnsteueranmeldungen abzugeben. Die Verpflichtung zur Abführung der Lohnsteuer sei jeweils spätestens bis zum 10. des jeweiligen Folgemonats zu erfüllen gewesen. Insgesamt habe der Angeklagte so Lohnsteuer in Höhe von 101.382,65 € hinterzogen. Da über die persönlichen Verhältnisse der polnischen Arbeitnehmer nichts Näheres bekannt sei, sei bei der Berechnung der nicht abgeführten Beträge die Steuerklasse VI zugrunde zu legen.
II.
Auf Grund der Hauptverhandlung steht zur Überzeugung des Gerichts folgender Sachverhalt fest:
Der Angeklagte ist polnischer Staatsangehörige und führt seit ca. 15 – 20 Jahren – zumindest gelegentlich – in Deutschland handwerkliche Tätigkeiten aus. Vor ca. 15 – 20 Jahren lernte der Angeklagte im Zusammenhang mit der Durchführung von Renovierungsarbeiten für einen Mieter des Zeugen in dessen Immobilie W-straße 4 in X-Stadt den Zeugen B, der als Rechtsanwalt und Steuerberater tätig war und noch ist, kennen.
In der Folgezeit ließ sich der Angeklagte vom Zeugen B, in steuerlichen und sonstigen rechtlichen Angelegenheiten, wie beispielsweise ausstehender Werklohnforderungen, beraten und vertreten. Der Zeuge meldete den Angeklagten unter anderem bei der Handwerkskammer an und fertigte die Gewerbeanmeldung sowie die Steuererklärungen für den Angeklagten, und überließ diesem zur Erledigung administrativer Aufgaben und zur Lagerung von Werkzeug und Baumaterialien auch unentgeltlich einen Kellerraum in seiner Immobilie W-straße 4 in X-Stadt. Auch als Sitz des Gewerbes des Angeklagten wurde zunächst diese Adresse angegeben.
In der Folgezeit vermittelte der Angeklagte die Kontaktdaten des Zeugen B an andere polnische Staatsangehörige, mit denen er verwandt oder bekannt war und die ebenfalls eine gewerbliche Tätigkeit als Handwerker in Deutschland aufnehmen wollten. Diese polnischen Staatsangehörigen wurden darauf – und werden zum Teil noch heute – vom Zeugen B in seiner Funktion als Steuerberater und Rechtsanwalt beraten und vertreten. Für sie beantragte der Zeuge B unter anderem Steuernummern, meldete ihre Gewerbe an, veranlasste ihre Eintragung in die Handwerksrolle und fertigte ihre Steuererklärungen, wobei bei einigen der polnischen Staatsangehörigen als Sitz ihrer Gewerbe die Adresse W-straße 4 in X-Stadt angegeben wurde. Im Auftrag einiger dieser Personen führte – und führt – der Zeuge gerichtliche Verfahren, insbesondere wegen offener Werklohnforderungen gegen Auftraggeber. Die Beratungsgespräche zwischen den polnischen Staatsangehörigen und dem Zeugen B verliefen dabei teilweise, soweit aufgrund bestehender Verständigungsschwierigkeiten wegen mangelnder Deutschkenntnisse der polnischen Staatsangehörigen eine Übersetzung erforderlich war, in Anwesenheit des Angeklagten, der insoweit als Dolmetscher fungierte. Außerdem überließ der Zeuge B auch diesen polnischen Staatsangehörigen zur Erledigung administrativer Aufgaben und zur Lagerung von Werkzeug und Baumaterialien unentgeltlich den Kellerraum in der W-straße 4 in X-Stadt, den er bereits auch dem Angeklagten überlassen hatte. An einem Klingelschild zu der Immobilie W-straße 4 in X-Stadt befand sich in den Jahren 2005 und 2006 neben dem Namen des Angeklagten ein Zettel mit insgesamt 15 weiteren polnisch klingenden Namen.
Für sämtliche polnischen Staatsangehörigen und den Angeklagten entwarf der Zeuge B auch Vorlagen für die Erstellung von Rechnungen an Auftraggeber mit Angaben zur Art von durchgeführten Arbeiten, Ausführungsdatum sowie Steuernummer. Diese Rechnungsvorlagen wurden digital sowohl auf dem Computer des Zeugen B, als auch auf dem Computer des Angeklagten in dem Kellerraum der W…straße …, gespeichert.
Am 02.02.2006 führte das Hauptzollamt Darmstadt – Finanzkontrolle Schwarzarbeit Wiesbaden – zwischen 10.00 bis 12.30 Uhr, unter anderem unter Teilnahme der Zolloberinspektorin K und dem Zollamtmann W, eine Kontrolle einer Baustelle in der Z–Straße … in Wiesbaden durch, bei der zunächst neun polnische Staatsangehörige angetroffen wurden, von denen einer aufgrund bestehender sprachlicher Verständigungsschwierigkeiten mit den Zollbeamten telefonisch den Angeklagten als Dolmetscher hinzu bat.
Auf der Baustelle Z–Straße … führten der Angeklagte sowie die polnischen Staatsangehörigen verschiedene Abriss-, Rohbau-, Maurer- und Putzarbeiten durch. Die diesbezüglich auszuführenden Arbeiten wurden dabei von dem bauleitenden Architekten, dem Zeugen S…, oder von den Bauherren selbst, den Herren H… junior und H… senior, benannt. Soweit der Zeuge S…, der sich regelmäßige ein- bis zweimal in der Woche auf der Baustelle aufhielt, Anweisungen für auszuführende Arbeiten erteilte, wandte er sich dazu an einen für ihn jeweils greifbaren polnischen Staatsangehörigen und erklärte diesem – soweit Verständigungsschwierigkeiten auftraten teilweise in englischer Sprache und teilweise „mit Händen und Füßen“ – die jeweils auszuführenden Arbeiten. Soweit eine Verständigung so nicht herbeigeführt werden konnte, zog der Zeuge S… den Angeklagten als Dolmetscher hinzu und hieß diesen die Anweisungen für die jeweils auszuführenden Arbeiten in die polnische Sprache zu übersetzen. Umfangreichere Arbeiten besprach der Zeuge S… zuvor mit den Bauherren H… .
Für die auf der Baustelle an der Z–Straße … in Wiesbaden ausgeführten Arbeiten wurden mit der vom Zeugen B erstellten Vorlage Rechnungen erstellt, mit denen Leistungen einzelner polnischer Staatsangehöriger auf Stundenbasis abgerechnet wurden. Teilweise enthielten diese Rechnungen die Bankverbindung des Angeklagten. Soweit keine Barzahlung erfolgte, wurden Rechnungsbeträge teilweise auf das diesbezügliche Konto des Angeklagten überwiesen.
III.
Die getroffenen Feststellungen beruhen auf den Angaben der Zeugen B, C, D, E und F sowie den in der Hauptverhandlung verlesenen Urkunden.
Der Angeklagte hat sich zur Sache nicht eingelassen.
Der Zeuge B hat angegeben, er berate und vertrete den Angeklagten sowie mehrere seiner Kollegen mit polnischer Staatsangehörigkeit vornehmlich in steuerlichen Angelegenheiten, berate und vertrete diese aber auch anderweitig rechtlich, zum Beispiel bei Klagen wegen offener Werklohnforderungen. Den Angeklagten habe er vor circa 15-20 Jahren kennengelernt, als dieser im Auftrag eines seiner Mieter bei ihm im Keller gearbeitet habe. In der Folge habe er für den Angeklagten den „bürokratischen Prozess“ zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit, wie die Anmeldung eines Gewerbes und die Eintragung in die Handwerkskammer, angestoßen. Für die Gewerbeanmeldung hätte es einer Adresse in Deutschland beziehungsweise X-Stadt bedurft. Er habe dem Angeklagten daher unentgeltlich den Gebrauch eines Kellerraumes in seiner Immobilie W-straße … in X-Stadt überlassen und diese Adresse als Gewerbesitz des Angeklagten angegeben. Aktuell sei der Gewerbesitz des Angeklagten in der Y-straße in X-Stadt. Über den Angeklagten sei dann der Kontakt zu anderen polnischen Staatsangehörigen, Verwandte und Bekannte des Angeklagten, die auch eine selbstständige gewerbliche Tätigkeit als Handwerker in Deutschland aufnehmen wollten, zustande gekommen. Da zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit in Deutschland ein „ziemlich aufwändiger bürokratischer Prozess“ angestoßen werden müsse, habe er, der Zeuge, für diese polnischen Staatsangehörigen den „ganzen administrativen Klumpatsch“ erledigt, wie zum Beispiel die Einholung einer Steuernummer, die Gewerbeanmeldung, die Eintragung in eine Handwerksrolle und die Fertigung ihrer Steuererklärungen. Soweit diese über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt hätten, habe er sich mit Ihnen alleine unterhalten. Da er die polnische Sprache nicht beherrsche, sei bei sprachlichen Verständigungsschwierigkeiten der Angeklagte hinzu gezogen worden, der dann als Dolmetscher fungiert habe. Als Gewerbesitz sei von ihm, dem Zeugen, bei einer ganzen Reihe dieser polnischen Staatsangehörigen die Adresse W-straße … in X-Stadt angegeben. Dort habe er ihnen auch – ebenfalls unentgeltlich – zur Erledigung administrativer Aufgaben und zur Lagerung von Werkzeug und Baumaterialien zur Mitbenutzung den Kellerraum, den er bereits auch dem Angeklagten überlassen hatte, zur Verfügung gestellt. Zutreffend sei, dass sich deshalb an einem Klingelschild der Immobilie W-straße … in X-Stadt in den Jahren 2005 und 2006 neben dem Namen des Angeklagten ein Zettel mit insgesamt 15 weiteren polnisch klingenden Namen befunden hätte. Für die polnischen Staatsangehörigen und den Angeklagten habe er, der Zeuge, auch Vorlagen für die Erstellung von Rechnungen an Auftraggeber mit Angaben zu der Art durchgeführter Arbeiten, dem Ausführungsdatum sowie Steuernummer entworfen. Diese Rechnungsvorlagen seien digital sowohl auf dem Computer des Zeugen B, als auch auf dem Computer des Angeklagten gespeichert gewesen. Er, der Zeuge, habe alles aus seiner Sicht „bürokratisch Notwendige“ veranlasst, um den polnischen Staatsangehörigen die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit in Deutschland zu ermöglichen. Der Werklohn der polnischen Staatsangehörigen sei entweder in bar direkt an diese ausbezahlt worden oder, soweit die polnischen Staatsangehörigen über kein eigenes Konto in Deutschland verfügt hätten, auf das Bankkonto des Angeklagten überwiesen worden. Für Ausländer sei es in Deutschland nicht einfach, ein eigenes Bankkonto zu bekommen. Auch die Gebühren für die Handwerkskammer seien damals teilweise vom Bankkonto des Angeklagten überwiesen worden, was dann unter dem Angeklagten und seinen polnischen Kollegen „untereinander ausgeglichen“ worden sei. Kenntnis von diesen Zahlungsmodalitäten habe er, der Zeuge, auf Grund der Fertigung der Steuererklärungen. Soweit er, der Zeuge, dem Angeklagten sowie den übrigen polnischen Staatsangehörigen, über seine
Tätigkeit als Steuerberater und Rechtsanwalt hinaus behilflich gewesen sei, ihnen insbesondere unentgeltlich den Kellerraum seiner Immobilie überlassen habe, hat der Zeuge auf Befragen angegeben, dass er den Angeklagten und seine polnischen Kollegen als fleißige und gute Handwerker geschätzt habe und schätze und er sich „verpflichtet“ gefühlt habe, „Schwächeren zu helfen“: Die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit sei in Deutschland für Ausländer ohne eine deutsche Adressanschrift sehr schwierig.
Diese Angaben des Zeugen B sind in sich stringent und stehen auch nicht im Widerspruch zu Angaben der weiteren Zeugen. Dass sich der Zeuge B dabei an Einzelheiten teilweise nicht konkret erinnern konnte, ist für die Kammer angesichts des Zeitablaufs – mittlerweile über 10 Jahre – nachvollziehbar. Seinen durch unentgeltliche Zurverfügungstellung des Kellerraums überobligatorischen Einsatz im Rahmen eines Mandatsverhältnisses vermochte der Zeuge plausibel damit zu erläutern, dass er den „schwächeren“ polnischen Staatsangehörigen, die er als fleißige und kompetente Handwerker schätze, bei der Aufnahme ihres selbstständigen Gewerbetriebes in Deutschland habe helfen wollen. Sehr selbstbewusst und bestimmend hat der Zeuge B insoweit die Auffassung vertreten, aus seiner Sicht alles bürokratisch Notwendige für seine polnischen Mandanten veranlasst zu haben, damit diese eine legale selbständige Tätigkeit in Deutschland hätten aufnehmen können und sich auch auf kritische Nachfragen von der Rechtmäßigkeit seiner Beratung und des Vorgehens seiner polnischen Mandanten und des Angeklagten in jeder Hinsicht überzeugt gezeigt. Soweit der Zeuge B sich in der Hauptverhandlung in seinem Verhalten ob des gegenständlichen Strafverfahrens und insoweit insbesondere gegenüber dem Vertreter der Staatsanwaltschaft emotional aufgebracht gezeigt hat, ist die für die Kammer angesichts seiner Stellung als früherer Mitbeschuldigter bis zur Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen ihn nach § 170 Abs. 2 StPO durch Verfügung der Staatsanwaltschaft Wiesbaden vom 09.11.2009 zumindest nachvollziehbar.
Die als Zollbeamtin ermittelnde Zeugin D, hat angegeben, dass sich aus den sichergestellten Unterlagen ergeben habe, dass der Zeuge B tatsächlich als Steuerberater und Rechtsanwalt für den Angeklagten und weitere polnische Staatsangehörige tätig geworden sei. Er habe diese insbesondere gegenüber Behörden, beispielsweise gegenüber dem Finanzamt und der Handwerkskammer, vertreten und sei für diese „in formellen Dingen“ tätig geworden. Die aufgefundenen Gewerbeanmeldungen von polnischen Staatsangehörigen seien jeweils identisch gewesen, insbesondere habe jeweils der Betriebssitz in der W-straße … in X-Stadt gelegen. Dabei habe es sich um eine Immobilie des Zeugen B gehandelt, in welcher sich auch die Kanzleiräume des Zeugen befunden hätten. An der Adresse W-straße … in X-Stadt habe die Zeugin im Rahmen einer Objektaufklärung festgestellt, dass dort ein Briefkasten mit dem Namen „A“ vorhanden gewesen sei. Darunter habe sie einen ausgeschnittenen Zettel in Kreditkartengröße, mit einer Vielzahl von polnisch klingenden Namen und mit Tesafilm befestigt, vorgefunden. Bei der Auswertung der Computer des Angeklagten aus dem Kellerraum der Immobilie W-straße …. in X-Stadt und des Zeugen B aus dessen Kanzleiräumen habe man ähnliche Schreiben, insbesondere Rechnungsvordrucke und Rechnungen, gefunden, außerdem im Computer des Zeugen B die eingescannte Unterschrift des Angeklagten. Die Zeugin D hat weiter angegeben, dass es aufgrund eines Hinweises zu der Kontrolle der Baustelle in der Z-Straße gekommen sei. Dort seien neun polnische Staatsangehörige angetroffen worden, die dort gearbeitet hätten. Der Angeklagte habe sich nicht auf der Baustelle befunden, sondern sei von einem der polnischen Staatsangehörigen telefonisch kontaktiert und als Dolmetscher hinzugebeten worden. Der Angeklagte habe später Unterlagen, unter anderem ein Stundenbuch und Rechnungen, übergeben. Erst ab da habe sich der Anfangsverdacht auch gegen den Angeklagten gerichtet.
Der Zeuge C, bauleitender Architekt der kontrollierten Baustelle in der Z-Straße, hat Angaben zu der Tätigkeit des Angeklagten und der weiteren polnischen Staatsangehörigen sowie den Arbeitsabläufen auf dieser Baustelle gemacht. Danach seien die Aufträge an den Angeklagten und an die polnischen Staatsangehörigen – nicht ausgeschriebene Abriss-, Rohbau-, Maurer- und Putzarbeiten – von einem der Bauherren, Herrn G, erteilt worden. In der Ausführung seien viele Tätigkeiten von Herrn G selbst, im Übrigen von ihm, dem Zeugen C, zugewiesen worden. Bei den polnischen Staatsangehörigen habe es sich sämtlich um Kleinunternehmer gehandelt. Der Angeklagte habe auch auf der Baustelle gearbeitet. Ihm, dem Zeugen C, gegenüber sei der Angeklagte von Herrn G jedoch für durchzuführende kleinere Tätigkeiten auch als Dolmetscher vorgestellt worden. Soweit er, der Zeuge C, sich regelmäßig ein- bis zweimal in der Woche auf der Baustelle aufgehalten habe, habe er sich bei Anweisungen für auszuführende Arbeiten an einen für ihn greifbaren polnischen Staatsangehörigen gewandt und diesem – soweit Verständigungsschwierigkeiten auftraten teilweise in englischer Sprache und teilweise „mit Händen und Füßen“ – die jeweils auszuführenden Arbeiten erklärt. Soweit eine Verständigung so nicht herbeigeführt werden konnte, habe er den Angeklagten als Dolmetscher hinzugezogen und diesen die Anweisungen für die jeweils auszuführenden Arbeiten in die polnische Sprache übersetzen lassen. Umfangreichere Arbeiten habe er, der Zeuge C, zuvor mit den Bauherren G besprochen und dann an den Angeklagten weitergegeben. Die polnischen Staatsangehörigen hätten „teilweise mittelalterliches“ eigenes Werkzeug benutzt. Die benötigten Materialien hätte der Bauherr G je nach Bedarf zur Verfügung gestellt. Die Rechnungen wären auf die polnischen Staatsangehörigen ausgestellt gewesen. Es sei nicht ungewöhnlich, dass Kleinunternehmer auch auf Großbaustellen auf Stundenbasis abrechnen. Die Rechnungsadresse sei immer dieselbe gewesen, ebenso die angegebene Bankverbindung. Diese Angaben des Zeugen C stehen auch nicht im Widerspruch zu den Angaben des Zeugen H.
Der Zollbeamte Zeuge H, hat Angaben zur Kontrolle der Baustelle Z–Straße … gemacht. Mehrere polnische „Hilfsarbeiter“ seien auf der Baustelle angetroffen worden. Auf die Frage nach einem Polier, Vorarbeiter oder Ansprechpartner sei ihm der Name des Angeklagten genannt worden. Die polnischen Staatsangehörigen hätten sehr schlecht deutsch gesprochen und obwohl er – der Zeuge – ein „paar Brocken“ Polnisch könne, hätte er sich mit Ihnen nur bruchstückhaft unterhalten können. Er habe die polnischen Staatsangehörigen so „verstanden“, dass der Angeklagte sich um den Personaleinsatz und die Materialbeschaffung gekümmert habe. Der Angeklagte habe, nach den Angaben der polnischen Staatsangehörigen, im Wesentlichen die Funktion eines „Übersetzers“ gehabt. Nach dem Verständnis des Zeugen habe der Bauherr sich insofern nicht an die „versammelte Mannschaft“, sondern an den Angeklagten als „Kolonnenführer“ gewandt, nicht der Architekt oder der Eigentümer habe einzelne polnische Handwerker angewiesen, sondern der Angeklagte. Der Angeklagte selbst habe ihm, dem Zeugen, auf der Baustelle mitgeteilt, dass er sich um Rechnungen und schriftliche Dinge kümmere. Auf Befragen, was konkret der Zeuge unter „um schriftliche Dinge kümmern“ verstanden habe, hat der Zeuge angegeben, dass damit gemeint sei, dass die Gewerbeanmeldung oder die Aufenthaltserlaubnis mit Arbeitsgenehmigung „wohl“ über den Angeklagten gelaufen seien. Auf Vorhalt, dass der Zeuge B angegeben habe, dass er als Steuerberater die Gewerbeanmeldungen für die polnischen Handwerker vorgenommen hätte, hat der Zeuge H ergänzend bekundet, dass er sich, wenn er über „diese Zusammenarbeit“ nachdenke, daran erinnere, dass das Büro des Angeklagten im Haus des Steuerberaters gewesen sei, die Rechnungen „alle“ von dem Steuerberater „oder“ dem Angeklagten geschrieben worden seien, was er, der Zeuge H, daran erkannt habe, dass sie dasselbe Druckbild gehabt hätten. Damals seien viele Scheinselbstständige als Unselbständige enttarnt worden, weil man als Selbständiger seine Abrechnungen selber mache oder durch einen Steuerberater. Aufgrund desselben Druckbildes habe er das so „verstanden“, dass der Angeklagte sich um die Rechnungen und Abrechnungen gekümmert habe. Auf nochmaliges Befragen, ob dies auch der Angeklagte zu ihm gesagt habe, gab der Zeuge sodann an, dass der Angeklagte ihm auf der Baustelle mitgeteilt habe, dass er sich um die Abrechnungen kümmere.
Diese Bekundungen des Zeugen H vermag die Kammer jedoch als insgesamt nicht glaubhaft zu bewerten. Der Zeuge war im Rahmen der Gesamtvernehmung in der Hauptverhandlung nicht in der Lage, tatsächliche Angaben des Angeklagten und tatsächliche Angaben der auf der Baustelle während seiner Kontrolle angetroffenen polnischen Staatsangehörigen, mit denen er sich im Übrigen überhaupt nur „bruchstückhaft“ habe unterhalten können, zu trennen. Unklar bleibt damit, ob und welche Angaben des Zeugen überhaupt seiner eigenen Wahrnehmung entspringen und nicht lediglich das Ergebnis eigenen wertenden „Verständnisse“ ist.
Die weiteren von der Kammer als Zeugen noch vernommenen Finanzbeamten hatten keine konkreten Erinnerungen mehr.
Der Zeugen E, Betriebsprüfer des polnischen Staatsangehörigen I hat lediglich anhand eines ihm vorgehaltenen Aktenvermerkes vom 25.02.2005 zu bekunden vermocht, sich an den Zeitraum und den Namen erinnern zu können sowie daran, dass eine Vielzahl von Namen an einem Wohnhaus, das im Eigentum eines Rechtsanwaltes gestanden hätten, angebracht gewesen seien.
Der Zeuge F, Betriebsprüfer der polnischen Staatsangehörigen J und K, hat lediglich zu bekunden vermocht, sich an eine diesbezügliche Umsatzsteuernachschau und in diesem Zusammenhang lediglich daran erinnern zu können, dass ein Rechtsanwalt einen Raum an dies polnischen Staatsangehörigen vermietet habe und dass sich auch einige Namen an dem Klingelschild befunden hätten.
Der Zeuge L, Betriebsprüfer der polnischen Staatsangehörigen M, hat bekundet, sich an eine diesen betreffende Umsatzsteuernachschau nicht mehr zu erinnern.
IV.
Der Angeklagte war aus tatsächlichen Gründen freizusprechen.
Die Kammer hat sich auf Grund der Beweisaufnahme nicht von der Schuld des Angeklagten überzeugen können. Weder das angeklagte schuldhafte Vorenthalten von Arbeitsentgelt, noch die angeklagte schuldhafte Lohnsteuerverkürzung haben sich in der Hauptverhandlung erweisen lassen.
Zu seinen Gunsten ist nämlich nicht auszuschließen, dass der Angeklagte in Bezug auf eine eventuell objektiv vorliegende, tatbestandlich sowohl von § 266a StGB, als auch von § 41a EStG vorausgesetzte, Stellung als Arbeitsgeber und den sich daraus ergebenden Pflichten ohne Einsicht, Unrecht zu tun, gehandelt hat (§ 17 Satz 1 StGB).
Bei dem Begriff „Arbeitgeber“ im Sinne der §§ 266a StGB, 41a EStG handelt es sich um ein normatives Tatbestandsmerkmal, das objektiv eine wertende Gesamtbetrachtung und Gesamtwürdigung aller sozialversicherungs- und arbeitsrechtlich relevanter tatsächlicher Gegebenheiten im jeweiligen Einzelfall erfordert wie zum Beispiel das Vorliegen eines persönlichen Abhängigkeitsverhältnisses und Weisungsgebundenheit (Beschluss BGH vom 04.09.2013, 1 StR 94/13 m.w.N.). Zur Begründung des diesbezüglichen Unrechtsbewusstseins und der erforderlichen strafrechtlichen Vorsatzschuld ist jedoch allein die Kenntnis des Angeklagten von den dazu eventuell tatbestandsverwirklichenden tatsächlichen Umständen nicht ausreichend; vielmehr bedarf es zusätzlich einer zutreffenden „Subsumtion“ des Angeklagten dahingehend, dass er das im Tatbestand typisierte Unrecht zumindest nach Laienart erfasst hat (Fischer in StGB, 64. Aufl. 2017 Rn. 23; BGH Beschluss vom 07.10.2009, 1 StR 478/09; LG Ravensburg Urteil vom 26.09.2006, 4 Ns 24 Js 22865/03; Mayer, NZWiSt 2015, 169 m.w.N). Kennt der Angeklagte mithin sämtliche tatsächlichen Umstände, die objektiv eventuell seine rechtliche Stellung als Arbeitgeber begründen und erfasst dabei dennoch den für die Unrechtsbegründung wesentlichen Bedeutungsgehalt des Tatbestandsmerkmales „Arbeitgeber“ nicht, kommt bei zureichenden Anhaltspunkten hierfür rechtlich die Annahme eines schuldausschließenden Verbotsirrtums nach § 17 StGB in Betracht (BGH Beschluss vom 07.10.2009, a.a.O.; BGH Beschluss vom 04.09.2013 a.a.O., Rn. 16; BGH Urteil vom 16.04.2014, 1 StR 516/13, BGH Urteil vom 07.04.2016, 5 StR 332/15). Nicht ausreichend wäre insoweit zwar eine nur bedingte Unrechtseinsicht, was aber erfordern würde, dass der Angeklagte nicht nur mit der Möglichkeit rechnete, sein Verhalten könnte verboten sein, sondern diese Möglichkeit in derselben Weise wie beim bedingten Vorsatz in seinen Willen aufgenommen hätte (BGH Urteil vom 07.04.2016, a.a.O., m.w.N.). Davon kann jedoch nicht ausgegangen werden.
Die Kammer kann auf Grund der Hauptverhandlung zu Gunsten des Angeklagten jedenfalls nicht ausschließen, dass der Zeuge B ihm in seiner Funktion als dessen Steuerberater und Rechtsanwalt sowie in Kenntnis der maßgeblichen tatsächlichen Umstände im Rahmen der erfolgten steuerlichen und rechtlichen Beratung den Eindruck vermittelt hat, alle in Deutschland notwendigen rechtlichen Schritte zur Aufnahme einer – legalen – selbständigen Tätigkeit des Angeklagten und auch der übrigen polnischen Staatsangehörigen seien erfüllt gewesen, mit der Folge, dass der Angeklagte als Ausländer aufgrund der ihm so erteilten Beratung von der Rechtmäßigkeit seines Handelns überzeugt war.
Nach den Feststellungen der Kammer war der Angeklagte vom Zeugen B hinsichtlich der Aufnahme eines selbständigen Gewerbes in Deutschland umfassend steuerlich und rechtlich beraten worden und hatte auch, zumindest teilweise, als Dolmetscher an entsprechenden steuerlichen und rechtlichen Beratungen seiner polnischen Bekannten und Verwandten im Zusammenhang mit deren Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit als Gewerbetreibende in
Deutschland durch den Zeugen B teilgenommen. Dem Zeugen B waren dabei aufgrund seiner Tätigkeit auch als Steuerberater des Angeklagten und dessen polnische Bekannte und Verwandte die tatsächlichen Umstände der jeweiligen Auftragsvergabe, der Ausübung der handwerklichen Tätigkeiten auf den jeweiligen Baustellen und der Rechnungsstellungen sowie der Bezahlung durch die Auftraggeber – teilweise über das Konto des Angeklagten – bekannt. Über den tatsächlichen Inhalt der dem Angeklagten insoweit erteilten steuerlichen und rechtlichen Beratung haben sich in der Hauptverhandlung konkrete Feststellungen nicht treffen lassen. Der Angeklagte hat von seinem Recht als Angeklagter, zur Sache keine Angaben zu machen, Gebrauch gemacht. Der Zeuge B hat in der Hauptverhandlung indes angegeben, dass er administrativ auch hinsichtlich der dem Angeklagten verfahrensgegenständlich als Arbeitnehmer zugerechneten polnischen Staatsangehörigen alles in die Wege geleitet habe, was zur Aufnahme ihrer legalen Tätigkeit als selbständiger Gewerbetreibender in Deutschland notwendig gewesen sei. Dies hat der Zeuge B wie festgestellt in der Hauptverhandlung auch sehr selbstbewusst und bestimmend vertreten und dabei insbesondere auch auf kritische Nachfragen die Einordnung der polnischen Staatsangehörigen als Selbstständige rechtlich einwandfrei angesehen und sich von der Rechtsmäßigkeit seiner diesbezüglich erfolgten Beratung als in jeder Hinsicht überzeugt gezeigt.
Der deshalb zu seinen Gunsten nicht ausschließbare Verbotsirrtum des Angeklagten für den Fall seiner – rechtlich gegebenenfalls objektiv zu bejahenden – Arbeitgeberstellung war für ihn auch unvermeidbar im Sinne des § 17 Satz 1 StGB.
Vermeidbar in diesem Sinne ist ein solcher Irrtum dann, wenn der Täter zum Zeitpunkt der Tathandlung sein Vorhaben unter Berücksichtigung seiner Fähigkeiten und Kenntnisse Anlass gehabt haben müsste, über die mögliche Rechtswidrigkeit nachzudenken oder sich zu erkundigen und er auf diesem Weg zur Unrechtseinsicht hätte kommen können. Dabei kann ihm im Einzelfall eine besondere Erkundigungspflicht obliegen; derjenige, der geschäftlich tätig ist, muss sich in der Regel über die insoweit geltenden Vorschriften informieren (BGH Beschluss vom 02.02.2000, Az.: 1 StR 597/99; Fischer, StGB, a.a.O., § 17 Rn. 7ff.). Auf die Auskunft eines Rechtsanwalts, den er als kompetent ansehen durfte und angesehen hat, darf sich ein rechtsunkundiger Täter jedoch in der Regel verlassen. Dies soll wiederum nur dann nicht gelten, wenn sich die Unerlaubtheit des Handelns entgegen der erteilten Auskunft ohne weiteres erkennen lässt, dem Nachfragenden ein Interessenkonflikt bekannt ist oder bei bestellten „Gefälligkeitsgutachten“ (Fischer, a.a.O., Rn. 9a).
Der Angeklagte durfte sich als rechtsunkundiger – zudem aus Polen stammender – Handwerker auf die vom Zeugen B noch in der Hauptverhandlung vertretene Auffassung zur Rechtmäßigkeit der Beschäftigung seiner polnischen Bekannten und Verwandten verlassen.
Er war zuvor bereits selbst vom Zeugen B zunächst als Steuerberater und Rechtsanwalt im Rahmen seiner eigenen selbstständigen Tätigkeit in Deutschland beraten und vertreten worden. Dass dem Angeklagten dabei Zweifel an der Kompetenz des Zeugen als Steuerberater und Rechtsanwalt gekommen wären oder hätten kommen müssen, ist ebenso wenig erkennbar wie der Umstand, dass die eventuelle Unerlaubtheit seines Handelns entgegen der erteilten Auskunft ohne weiteres zu erkennen gewesen wäre. Auch liegen konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte für eine gegebenenfalls „gefällige“ Beratung durch den Zeugen B nicht vor. Allein der Umstand, dass der Zeuge B dem Angeklagten und anderen polnischen Mandanten für eine gewisse Zeit einen Raum in seinem Keller unentgeltlich zur Verfügung stellte, vermag einen dahingehenden zwingenden Schluss nicht zu begründen.
Dass der Zeuge B die ihm bekannten Umstände gegebenenfalls selbst rechtlich falsch eingeschätzt hat, kann nicht dazu führen, dass dem Angeklagten die Auskunft eines Rechtsanwalts und Steuerberaters, auf die er wie aufgezeigt vertrauen durfte, zur Last gelegt wird (dazu BGH Urteil vom 16.04.2014, 1 StR 516/13).
Vor dem Hintergrund des damit jedenfalls zu Gunsten des Angeklagten nicht ausschließbaren, seine Schuld nach § 17 Satz 1 StGB jedenfalls in Wegfall bringenden, Verbotsirrtums kommt es auf die tatsächliche – objektive – rechtliche Einordnung des Angeklagten als Arbeitgeber der verfahrensgegenständlichen polnischen Staatsangehörigen im Sinne der §§ 266a StGB, 41a EStG nicht an.
V.
Da der Angeklagte freigesprochen wurde, fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last (§ 467 Abs. 1 StPO).
VI.
Dem Verfahren lag keine Absprache nach § 257c StPO zugrunde.