Erhöhte Strafen und Fahrverbot: Rechtliche Auseinandersetzung um Geschwindigkeitsverstöße und Rechtsüberholen
In einer kürzlich verhandelten Gerichtsentscheidung aus dem Bereich des Strafrechts ging es um die Verdoppelung einer Regelgeldbuße und die Verhängung eines Fahrverbots im Kontext von Geschwindigkeitsüberschreitungen und Rechtsüberholen. Im Zentrum der Verhandlung standen die Glaubwürdigkeit der Zeugen, die technischen Details der Geschwindigkeitsmessung und die Rechtmäßigkeit der erhöhten Strafen.
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Übersicht
Sachverhalt und Beweismittel
Der Angeklagte wurde beschuldigt, mit einer Geschwindigkeit von 118 km/h nach Abzug der Toleranz auf einer Autobahn unterwegs gewesen zu sein, wo eine Geschwindigkeitsbegrenzung galt. Diese Feststellung beruhte auf den Zeugenaussagen der Polizeibeamten, Videoaufzeichnungen und weiteren Beweismitteln. Es wurde argumentiert, dass die Messungen durch ein Polizeifahrzeug, das möglicherweise mit Winterreifen unterwegs war, während die Kalibrierung des Messgeräts mit Sommerreifen durchgeführt wurde, möglicherweise ungenau sein könnten.
Messgerät und Verteidigungsrügen
Die Verteidigung brachte vor, dass die Kalibrierung des Messgerätes möglicherweise ungültig war, weil das Polizeifahrzeug zum Tatzeitpunkt mit Winterreifen ausgestattet war. Ferner wurde behauptet, dass bei der Auswertung der Messdaten und der Videoaufzeichnung ein sogenannter „Frame-Fehler“ aufgetreten sein könnte, der dazu führte, dass dem Angeklagten eine höhere Fahrgeschwindigkeit vorgeworfen wurde, als tatsächlich korrekt wäre. Beide Einwände wurden jedoch vom Gericht als unerheblich abgetan.
Erhöhung der Geldbuße und Verhängung des Fahrverbots
Aufgrund der signifikanten Überschreitung der erlaubten Geschwindigkeit von über 40% und der Tatsache, dass das Rechtsüberholen eine absichtsvolle Handlung war, stellte das Gericht fest, dass der Angeklagte vorsätzlich gehandelt hat. Daher wurde die Geldbuße gemäß § 3 Abs. 11.3.8 des Bußgeldkataloges, der eine Regelbuße von 280 € vorsieht, auf 560 € verdoppelt. Das Gericht stellte fest, dass eine finanzielle Notlage des Angeklagten nicht erkennbar war und hielt auch ein Fahrverbot für gerechtfertigt, da allein durch eine Geldstrafe keine Besinnung beim Angeklagten zu erwarten war.
Zusammenfassend kann man sagen, dass dieses Urteil verdeutlicht, wie komplex die juristische Auseinandersetzung um Verkehrsverstöße sein kann. Es zeigt auch, dass sowohl technische Details der Geschwindigkeitsmessung als auch die Frage der Vorsätzlichkeit der Handlungen des Angeklagten für das Urteil von entscheidender Bedeutung sein können. […]
Das vorliegende Urteil
AG Tiergarten – Az.: (318 OWi) 3014 Js-OWi 6058/20 (736/20) – Urteil vom 10.11.2020
Der Betroffene erhält wegen einer vorsätzlichen Verkehrsordnungswidrigkeit gemäß § 5 Abs. 1, 41 Abs. 1 i. V. m. Anlage 2 49 StVO, 24, 25 StVG eine Geldbuße in Höhe von 560,00 (fünfhundertsechzig) €.
Dem Betroffenen wird für die Dauer von 2 Monaten verboten, Kraftfahrzeuge jeder Art im öffentlichen Straßenverkehr zu führen.
Das Fahrverbot wird erst wirksam, wenn der Führerschein des Betroffenen nach Rechtskraft dieses Urteils in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von vier Monaten seit Eintritt der Rechtskraft.
Der Betroffene trägt die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen.
Gründe
Der Betroffene ist libanesischer Staatsangehöriger, ledig und kinderlos. Als Angestellter im Einzelhandel hat er ein geregeltes Einkommen.
Der ihn betreffende Auszug des Fahreignungsregisters vom 28.02.2020 weist eine Eintragung aus:
Mitteilende Stelle:
BG-Beh. Der Polizeipräsident in Berlin
Aktenzeichen: 6……..
Datum der Mitteilung: 30.07.2019
Datum der Tilgung: 25.11.2021
Datum der Entscheidung: 07.05.2019
Datum der Rechtskraft: 25.05.2019
Tattag: 26.01.2019
Tatzeit: 20.20 Uhr
Tatort: 10551 Berlin, ……..
Tattext:
Sie setzten das Fahrzeug auf einer öffentlichen Straße in Betrieb, obwohl es nicht zum Verkehr zugelassen war
Tatbestandsnummer(n): 803600
Rechtsgrundlagen: § 3 Abs. 1, § 48 FZV; § 24 StVG; 175 BKat
Verkehrsbeteiligung: Führer des Pkw
Verkehrsunfall: nein
Geldbuße: 70,00 Euro
Punkte: 1
Am 23. Januar 2020 befuhr der Betroffene um 02.03 Uhr als Führer des Pkw Smart mit dem amtlichen Kennzeichen … die Autobahn 100 Süd vor Anschlussstelle Innsbrucker Platz in 10825 Berlin. Dabei überschritt er die durch Zeichen 274 ordnungsgemäß und deutlich sichtbar zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 37 km/h, sodass die festgestellte Geschwindigkeit nach Abzug des erforderlichen Toleranzabzuges 117 km/h betrug.
Im weiteren Verlauf der Fahrt überholte er ein auf dem mittleren Fahrstreifen fahrendes Fahrzeug im Tunnel Innsbrucker Platz um 02.04 Uhr im rechten Fahrstreifen, um sich anschließend – ordnungsgemäß blinkend – wieder auf dem mittleren Fahrstreifen einzuordnen.
Im Verlauf der weiteren Fahrt überschritt er um 02.06 Uhr bei der A 100 Süd vor der Anschlussstelle Oberlandstraße die auf Grund einer Baustelle angebrachten ordnungsgemäßen und deutlich sichtbaren Zeichen 274 60 km/h um 58 km/h, sodass die festgestellte Geschwindigkeit nach Toleranzabzug 118 km/h betrug.
Dieser Sachverhalt steht fest auf Grund der glaubhaften Bekundungen des PHK … sowie denen des PK …, der in der Hauptverhandlung in Augenschein genommenen Videoaufzeichnung, auf der das oben geschilderte Geschehen gut erkennbar ist, sowie die Lichtbilder der Auswertesequenz Blatt 6 und 8 d. A., die in Augenschein genommen wurden und auf die ebenfalls gemäß §§ 71 Abs. 1 OWiG, 267 Abs. 1 Satz 3 StPO Bezug genommen wird sowie der Erörterung des Auswerteberichtes Blatt 16 bis 26 d. A.
Die Verlesung des Eichscheines Blatt 41 f. der Akten ergab dass das verwendete Messgerät zur Tatzeit gültig bis zum 31.12.2020 mit der Bereifung Sommerreifen geeicht und bauartzugelassen war.
Der Betroffene hat sich in der Hauptverhandlung durch seinen Verteidiger vertreten lassen, der für den Betroffenen erklärt hat, dass dieser die Fahrereigenschaft einräume. Im übrigen hat der Verteidiger folgende Rügen angebracht:
Das benutzte Einsatzfahrzeug der Polizei sei mit Winterreifen gefahren, während die Eichung des Messgerätes mit Sommerreifen erfolgte, sodass die Eichung am Tattag erloschen sei.
Dieser Einwand ist unerheblich, da in der gerichtsbekannten Gebrauchseinweisung für das Messfahrzeug, die einen Bestandteil der Zulassungsunterlagen darstellt, im Abschnitt 3.1 Festlegungen zu dem zulässigen Reifenwechsel aufgeführt sind, wobei es u. a. heißt, dass ein Reifenwechsel grundsätzlich nicht ausgeschlossen ist. Um die Verkehrsfehlergrenzen einzuhalten, müssen aber bei einem Reifenwechsel folgende Auflagen berücksichtigt werden: Zum einen sei bei einem mit Sommerreifen geeichten Einsatzfahrzeug der Wechsel auf Winterreifen der gleichen Größe ohne Neueichung zulässig, zum anderen sei generell ein Reifenwechsel innerhalb der gleichen Größe unabhängig vom jeweiligen Hersteller zulässig. Lediglich ein Wechsel von Winterreifen auf Sommerreifen oder auf eine andere Reifengröße ohne Neueichung sei nicht zulässig.
Der Zeuge … hat dazu bekundet, dass es sich bei dem Messfahrzeug um einen 3er BMW handele, bei dem die Winter- und Sommerreifen jeweils gleich seien, sodass es bezüglich eines Wechsels von Sommer- auf Winterreifen keine Zulässigkeitsprobleme gebe.
Angesichts dieser Ausführungen und der Gebrauchsanweisung bestand die Eichung des Gerätes fort. Eines diesbezüglichen Sachverständigengutachtens bedurfte es nicht.
Weiterhin rügt der Verteidiger, dass die Auswertung der Messdaten jeweils, insbesondere bei der Auswertung der Videoaufzeichnung, durch einen sog. „Frame-Fehler“ belastet sei, d. h. es seien weniger Videoframes berücksichtigt, als bei korrekter Auswertung zu berücksichtigen gewesen seien, mit der Folge, dass dem Betroffenen eine höhere Fahrgeschwindigkeit vorgehalten werde, als dies bei korrekter Auswertung allein sachgerecht wäre.
Der Zeuge …, der die Auswertung vorgenommen hat, hat dazu bekundet, dass er keine Anhaltspunkte dafür habe, dass irgendwo ein Framefehler hätte aufgetaucht sein können. Die Berechnung würde stets über die geeichte Frameanzeige oben rechts erfolgen.
So hat denn der Verteidiger im Weiteren auch nicht dargelegt, wie er zu der Mutmaßung eines Frame-Fehlers kommt.
Weiterhin hat er gerügt, dass das Verkehrszeichen 60 km/h in Abweichung der zugrundeliegenden verkehrsrechtlichen Anordnung aufgeführt und aufgestellt gewesen sei.
Das Zeichen sei daher, da es ohne verkehrsrechtliche Anordnung aufgestellt worden sei, ohne Rechtswirkung gewesen.
Dazu hat der Zeuge … bekundet, dass die 60er Zeichen verkehrsrechtlich angeordnet gewesen seien, und zwar wegen einer Baustelle. Die Anzeige sei temporär über die Verkehrsbeeinflussungsanlage erfolgt.
Konkrete Anhaltspunkte dafür, warum dies nicht der zugrundeliegenden verkehrsrechtlichen Anordnung entsprechen solle, hat der Verteidiger nicht gemacht.
Danach waren die von ihm insoweit gestellten Beweisanträge jeweils auch zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich.
Vielmehr wurde die Geschwindigkeitsmessung am Tattag mittels Nachfahren unter Verwendung eines amtlichen unerkannten Messsystems Provida 2000 Vidista durch die erfahrenen und geschulten Zeugen … und … vorgenommen.
Das System besteht aus einer speziellen Videoaufnahmeeinheit, die in einem neutralen Dienstwagen eingebaut ist und einer Videoauswertung im Büro. Die Geschwindigkeitsmessung beruht auf einer Weg- Zeitberechnung unter Berücksichtigung der Abstandsänderung zum überwachten Fahrzeug. Auf die Einhaltung eine gleichmäßigen Abstandes zum gemessenen Fahrzeug kommt es dabei nicht an. Vielmehr wird das Fahrzeug am Anfang und am Ende der Messung ausgemessen.
Die computergestützte Auswertung der Videobilder erlaubt es, die auf der Straße fahrende erfasste Verkehrssituation nachträglich am Bildschirm zu vermessen und mit Hilfe des sog. Strahlensatzes auszuwerten.
Der Zeuge … bekundete glaubhaft und nachvollziehbar, dass ihm und seinem Kollegen das Fahrzeug aufgefallen sei, da es die Autobahn mit überhöhter Geschwindigkeit befahren habe. Der Zeuge … hat darüber hinaus bekundet, dass er den zivilen Messwagen und die Videoanlage zuvor überprüft habe, sich von der Intaktheit der Eichmarken überzeugt habe und im übrigen auch entsprechend der Gebrauchsanweisung keine Fehler habe feststellen können. Anschließend habe er das Video ausgewertet, wobei es zu zwei Auswertungen gekommen sei. Derjenigen um 02.03 Uhr bei einer festgestellten Messzeit von 7,79 Sekunden und einer festgestellten Wegstrecke von 253,37 m und der erlaubten Geschwindigkeit von 80 km/h bei der eine Geschwindigkeit von 117 km/h nach Abzug sämtlicher Toleranzen erfolgt ist, sowie der zweiten Messung um 2.06 Uhr mit einer festgestellten Messzeit von 12,60 Sekunden bei einer Wegstrecke von 416,31 m, wobei die erlaubte Geschwindigkeit von 60 km/h um 58 km/h überschritten wurde, sodass abzüglich aller Toleranzen eine Geschwindigkeit von 118 km/h festgestellt wurde.
Das Gericht hat danach keinerlei Zweifel daran, dass der Betroffene tateinheitlich zunächst eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 37 km/h innerorts begangen und sich danach gemäß §§ 41 Abs. 1 in Verbindung mit Anlage 2, 49 StVO in Verbindung mit § 24 StVG schuldig gemacht hat, im weiteren innerhalb geschlossener Ortschaften verbotswidrig rechts gemäß §§ 5 Abs. 1, 49 StVO in Verbindung mit § 24 StVG überholt hat und sodann die gemäß Zeichen 274 zulässige Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h um 58 km/h überschritten hat und sich somit gemäß §§ 41 Abs. 1 in Verbindung mit Anlage 2, 49 StVO in Verbindung mit § 24 StVG schuldig gemacht hat.
Da der Betroffene die Geschwindigkeit um jeweils mehr als 40 % überschritten hat und auch das Rechtsüberholen eine zielgerichtete absichtsvolle Handlung war, ist das Gericht entsprechend der zuständigen Rechtsprechung des Kammergerichtes jeweils von einer Vorsatztat ausgegangen.
Gemäß § 3 Abs. 4 a des Bußgeldkataloges ist der jeweilige Regelsatz zu verdoppeln, da ein Tatbestand des Abschnitt 1 des Bußgeldkatalogs vorsätzlich verwirklicht ist und eine Geldbuße von mehr als 55,00 € vorgesehen ist. Ausgehend von der höchsten Regelbuße der Nr. 11.3.8 des Bußgeldkataloges, der eine Regelbuße von 280,00 € vorsieht war danach die gegen den Betroffenen festzusetzende Buße auf 560,00 € zu erhöhen.
Das Gericht hat sich bei der Bemessung der Geldbuße auch mit den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen auseinander gesetzt, hat jedoch angesichts seiner geregelten Tätigkeit – nähere Angaben wurden vom Verteidiger nicht gemacht – keine Bedenken gehabt, die festgesetzte Buße auch ohne Ratenzahlung zu gewähren. Eine wirtschaftliche Notlage konnte bei dem Betroffenen nicht erkannt werden.
Zudem war gegen den Betroffenen gemäß § 11.3.8 Bußgeldkatalog das dort vorgesehene Regelfahrverbot von 2 Monaten zu verhängen.
Dieses Regelfahrverbot indiziert bereits das Vorliegen eines groben Verstoßes im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG, der zugleich ein derart hohes Maß an Verantwortungslosigkeit offenbart, dass es regelmäßig der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbotes bedarf. Der vom Gericht festgestellte Sachverhalt weist keine Besonderheiten zugunsten des Betroffenen auf, die trotz des Regelfalles die Verhängung eines Fahrverbotes als unangemessen erscheinen lassen.
Das Gericht hat sich auch mit der Frage auseinandergesetzt, ob bei dem Betroffenen eine Besinnung allein durch die Verhängung einer empfindlichen Geldbuße zu erreichen wäre, diese Frage jedoch verneint. Es haben sich in der Hauptverhandlung auch keine belastbaren Anhaltspunkte ergeben, dass das verhängte Fahrverbot für den Betroffenen eine außergewöhnliche Härte im Sinne der Rechtsprechung bedeuten würde.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 465 Abs. 1 StPO.