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Verhängung Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld

OLG Zweibrücken – Az.: 1 OLG 2 Ss 44/21 – Beschluss vom 24.11.2021

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts – Jugendschöffengericht – Landstuhl vom 25.06.2021 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.

2. Das weitergehende Rechtsmittel wird verworfen.

Gründe

Das Jugendschöffengericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Hiergegen hat der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 28.06.2021 Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz vom 13.07.2021 hat der Verteidiger mitgeteilt, dass das Rechtsmittel als Revision geführt werden soll. Zugleich hat er die Revision mit der Sachrüge begründet.

Das als (Sprung-)Revision gem. § 335 Abs. 1 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsmittel ist lediglich hinsichtlich des Strafausspruchs begründet.

I.

Nach den vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen hielt sich der am 15.01.1999 geborene Angeklagte am Abend des 13.07.2019 zusammen mit seiner Freundin J. L. sowie drei männlichen Personen im Bereich des Norma-Parkplatzes von G. Gegen Mitternacht gingen die Zeugen N. und F. S., bei denen es sich um Brüder handelte und die auf dem Heimweg von einer Kerweveranstaltung waren, an der Gruppe um den Angeklagten vorbei. Hierbei entwickelte sich ein Streitgespräch zwischen dem Zeugen N. S. und der alkoholisierten Zeugin L. Der Angeklagte, der sich durch das Geschehen gestört fühlte, und auf Seiten seiner Freundin in das Geschehen eingreifen wollte, schlug plötzlich und für diesen unerwartet eine Bierflasche gegen die Stirn des Zeugen, wobei er eine erhebliche Verletzung billigend in Kauf nahm. Der Zeuge erlitt durch den Schlag eine Stirnhöhlenvorderwandimpressionsfraktur, die mittels einer Metallplatte rekonstruiert werden musste, wobei eine intensivmedizinische Versorgung erforderlich war.

Das Amtsgericht ist zu Gunsten des Angeklagten von der Anwendbarkeit von Jugendrecht ausgegangen. Es hat das Vorliegen schädlicher Neigungen für den Zeitpunkt der Hauptverhandlung verneint, die Verhängung einer Jugendstrafe aber wegen der Schwere der Schuld (§ 17 Abs. 2 JGG) für geboten erachtet. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, ein Absehen von der Verhängung von Jugendstrafe sei mit Blick auf den nichtigen Anlass und die Schwere der bewirkten Verletzungen für das Rechtsempfinden schlechthin unverständlich und würde in unerträglicher Weise in Widerspruch zum allgemeinen Gerechtigkeitsgefühl stehen.

II.

1.

Verhängung Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld
(Symbolfoto: Jan H Andersen/Shutterstock.com)

Soweit sich der Beschwerdeführer gegen den Schuldspruch wendet, ist das Rechtsmittel aus den von der Generalstaatsanwaltschaft in der Antragsschrift vom 29.07.2021 dargelegten Gründen unbegründet i.S.d. § 349 Abs. 2 StPO. Im Hinblick auf die getroffenen Feststellungen war das Amtsgericht nicht aus Rechtsgründen veranlasst, Ausführungen zu einer möglichen Putativnotwehrlage zu machen.

2.

Nicht gänzlich frei von Rechtsfehlern erweist sich jedoch die Begründung des Strafausspruchs.

a) Ob die Schuldschwere hinreichende Voraussetzung für die Verhängung von Jugendstrafe nach § 17 Abs. 2 JGG ist oder ob diese zudem auch aus erzieherischen Gründen erforderlich sein muss, ist in der Literatur und obergerichtlichen Rechtsprechung nicht eindeutig geklärt (vgl. zum Meinungsstand: Radtke in: MünchKomm-StGB, 3. Aufl., JGG § 17 Rn. 51 ff.; Sonnen in: Diemer/Schatz/Sonnen, JGG, 8. Aufl. 2020, § 17 Rn. 24 ff.; Ostendorf, JGG, 11. Aufl., § 17 Rn. 4). Auch nach der jüngeren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (NStZ-RR 2012, 92 ) kann die Schuldschwere jedenfalls aber nicht mit dem äußeren Unrechtsgehalt der Tat allein begründet werden. Entscheidend ist vielmehr die innere Tatseite, d.h. inwieweit sich die charakterliche Haltung und die Persönlichkeit sowie die Tatmotivation des Jugendlichen bzw. Heranwachsenden in vorwerfbarer Schuld niedergeschlagen haben (Senat, Beschluss vom 13.10.1989 – 1 Ss 120/89, juris Rn. 6; Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 21.07.2017 – 1 Ws 73/17, juris Rn. 29). Der äußere Unrechtsgehalt der Tat ist nur insofern von Belang, als aus ihm Schlüsse auf die Persönlichkeit des Täters und die Höhe der Schuld gezogen werden können (BGH NStZ-RR 2001, 215, 216; Eisenberg/Kölbel JGG, 22. Aufl. 2021, JGG § 17 Rn. 46 mwN.). Eine erzieherische Notwendigkeit für die Verhängung einer Jugendstrafe wegen der Schwere der Schuld kann sich dabei namentlich aus der Überlegung ergeben, dass dem Täter durch diese Sanktionsfolge das Gebot der Normeinhaltung vor Augen geführt werden soll und eine mildere Rechtsfolge bei ihm den kontraproduktiven Eindruck vermitteln könnte, (auch) staatliche Instanzen würden die Übertretung als „nicht so schlimm“ bewerten. Auch dann aber darf eine etwaige positive Entwicklung des Täters nach der Tat nicht unberücksichtigt bleiben (KG Berlin, Beschluss vom 07.10.2008 – (3) 1 Ss 345/08 (110/08), juris Rn. 5).

Nur ausnahmsweise, etwa wenn die Tat ein Kapitaldelikt oder einen sonstigen Fall schwerster Kriminalität darstellt, wird eine Begründung dieser Rechtsfolge ausschließlich mit dem Gedanken der Sühne und des Schuldausgleichs für denkbar gehalten (in diesem Sinne: BGH NStZ 2016, 102; OLG Düsseldorf Beschl. v. 27.8.2007 – III-2 Ss 92/07 – 33/07 III, BeckRS 2007, 141490 Rn. 5). Im Allgemeinen aber setzt die mit der Schwere der Schuld begründete Jugendstrafe deren erzieherische Notwendigkeit voraus (OLG Karlsruhe, NStZ 1997, 241 m. Anm. Böhm; Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 15.06.1999 – 2 Ss 34/99, juris Rn. 7; OLG Hamm NStZ-RR 2005, 58; a.A. BGH, Beschluss vom 06.05.2013 – 1 StR 178/13, juris Rn. 9 [nicht tragend]; Radtke aaO. Rn. 60). Das Urteil muss daher erkennen lassen, dass das Tatgericht bei der auf § 17 Abs. 2 JGG gestützten Verhängung von Jugendstrafe dem Erziehungsgedanken die ihm zukommende Beachtung geschenkt hat (OLG Hamm NStZ-RR 2005, 58, 59).

b) Diesen rechtlichen Anforderungen an die Begründung der Sanktionsauswahl wird das angegriffene Urteil nicht gerecht.

aa) Das Jugendschöffengericht hat die Verhängung von Jugendstrafe wegen der Schwere der Schuld neben den äußeren Tatfolgen maßgeblich mit der Feststellung begründet, dass der Angeklagte die Tat „aus nichtigem Anlass“ begangen habe. Dass sich aus diesem subjektiven Aspekt jedoch bereits ein Bedürfnis für die Verhängung von Jugendstrafe ergibt, versteht sich hier nicht von selbst. Denn das Jugendschöffengericht hat zugleich festgestellt, dass mit Blick auf den zwischen Tat und Verhandlung vergangenen Zeitablauf schädliche Neigungen „nunmehr jedenfalls“ (UA S. 6) nicht mehr vorhanden sind. Im Rahmen seiner Ausführungen zur Bemessung der Jugendstrafe hat das Amtsgericht zudem ausgeführt, der Angeklagte habe sich „nunmehr geständig“ eingelassen und Reue und Einsicht gezeigt sowie Verantwortung übernommen. Diese Ausführungen legen es nahe, dass das Amtsgericht eine positive Entwicklung des Angeklagten seit der Tatbegehung angenommen hat. Weshalb trotz dieser Entwicklung die Verhängung von Jugendstrafe zur erzieherischen Einwirkung auf den Angeklagten (weiterhin) geboten war, hätte daher näherer Darlegung bedurft. Dies gilt auch dann, wenn, was das Amtsgericht hier allerdings nicht erkennbar getan hat, die erzieherische Notwendigkeit auf das Erfordernis der Normbestätigung gestützt wird.

bb) Soweit das Amtsgericht die Schuldschwere mit der Erwägung begründet hat, ein Absehen von Jugendstrafe sei „für das Rechtsempfinden schlechthin unverständlich und würde sich in unerträglicher Weise in Widerspruch zu dem allgemeinen Gerechtigkeitsgefühl setzten“ (UA S. 6) lässt dies besorgen, dass es dem äußeren Unrechtsgehalt der Tat ein zu hohes Gewicht beigemessen hat. Zwar kann diese generalpräventiv ausgerichtete Erwägung im Einzelfall die Verhängung von Jugendstrafe selbstständig tragen, wenn ihr eine besonders schwere Straftat, etwa ein vorsätzliches Gewaltdelikt mit schweren Folgen für das Tatopfer, zugrunde liegt (BGH, NStZ 2016, 102); dies gilt insbesondere dann, wenn – wie hier – der Täter zur Tatzeit (gerade noch) Heranwachsender und im Zeitpunkt der Verurteilung bereits Erwachsener ist, bei dem ein Erziehungsbedürfnis nicht mehr besteht (BGH, Urteil vom 18.07.2018 – 2 StR 150/18, juris Rn. 10). Auch – bzw. gerade – dann bedarf es jedoch einer dezidierten Auseinandersetzung mit dem gesamten Tatgeschehen und der Frage, inwieweit sich die charakterliche Haltung und die Persönlichkeit sowie die Tatmotivation des Heranwachsenden in vorwerfbarer Schuld niedergeschlagen haben (vgl. BGH, Beschluss vom 25.10.2011 – 3 StR 353/11, juris Rn. 3; BGH, Urteil vom 19.02.2014 – 2 StR 413/13, juris Rn. 10; Eisenberg/Kölbel aaO. § 17 Rn. 51). Dem wird die Begründung des Amtsgerichts, das pauschal auf die Nichtigkeit des Tatanlasses und die Schwere der bewirkten Verletzungen abgestellt hat, nicht gerecht. Denn das Jugendschöffengericht hat namentlich unberücksichtigt gelassen, dass der Angeklagte nach seiner den Feststellungen zugrunde gelegten Einlassung seiner Freundin, die sich in einer verbalen Auseinandersetzung mit dem später Geschädigten befunden hatte, „zu Hilfe habe kommen wollen“ und die Schwere der durch den Schlag bewirkten Verletzung zwar in Kauf genommen, aber nicht gezielt herbeigeführt hat. Ferner hätte es in seine Wertung einstellen müssen, dass es sich offensichtlich um eine nicht geplante, in einer emotional aufgeheizten Situation spontan ausgeführte Tat gehandelt hat und der Angeklagte weder davor noch danach mit Gewaltdelikten in Erscheinung getreten ist. Diese Gesichtspunkte sind namentlich gegen die in der Körperverletzungshandlung zum Ausdruck kommende Unbeherrschtheit abzuwägen.

Die Bestimmung der Rechtsfolge bedarf daher erneuter Verhandlung und Entscheidung durch das Amtsgericht.

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