Strafvollstreckungsverjährung & Strafverfolgungsverjährung: Wann verjähren einzelne Straftatbestände?
I. Allgemeines
Zunächst einmal ist es wichtig zu wissen, dass im Strafrecht zwischen der Strafverfolgungsverjährung (§ 78 StGB) einerseits und der Strafvollstreckungsverjährung (§ 79 StGB) andererseits zu unterscheiden ist. Die Strafverfolgungsverjährung gem. § 78 StGB regelt, ab wann eine Straftat nicht mehr verfolgt werden kann. Die Strafvollstreckungsverjährung (§ 79 StGB) hingegen regelt, ab wann eine Strafe nicht mehr vollstreckt werden kann. Sachlogisch betrifft die Strafvollstreckungsverjährung somit nur Täter, die bereits rechtskräftig wegen der Tat verurteilt wurden und sich dann im Anschluss der Vollstreckung einer Geld- oder Freiheitsstrafe entziehen.
II. Die Strafvollstreckungsverjährung gem. § 79 StGB
Dazu eingangs ein erläuterndes Fallbeispiel:
Var. 1: Kalle Grabowski überfällt eine Bank in Castrop-Rauxel. Dummerweise wird er dabei von der Polizei erwischt und in Untersuchungshaft genommen. Nach der rechtskräftigen Verurteilung durch das Gericht gelingt ihm jedoch aufgrund seiner Gerissenheit die – eigentlich zusammen mit der Beute – geplante spektakuläre Flucht an die Copacabana nach Brasilien. Nach zwei Jahrzehnten am Zuckerhut wird die Sehnsucht nach dem Ruhrpott so stark, dass er beschließt, endgültig wieder nach Deutschland zurückzukehren. Muss er in diesem Fall noch mit der Vollstreckung der Freiheitsstrafe rechnen, sobald er deutschen Boden betritt?
Var. 2: Wie Var. 1, nur dass Kalle Grabowski während des Banküberfalls auf einen Sicherheitsmann schießt und diesen hinterrücks durch den Schuss tötet und infolgedessen wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt wurde.
Es dürfte klar sein, worum es bei der Strafvollstreckungsverjährung geht. Allerdings spielen diese Fälle naturgemäß in der Praxis eine weitaus geringere Rolle als die Fälle der Strafverfolgungsverjährung, da sie eine rechtskräftige Verurteilung und die Möglichkeit der Entziehung der Strafe voraussetzen. § 79 StGB enthält unterschiedliche Verjährungsfristen, die sich am Strafmaß der Verurteilung orientieren. Gem. § 79 Abs. 2 StGB verjährt die Vollstreckung von lebenslangen Freiheitsstrafen überhaupt nicht, so dass in der obigen Variante 2 Kalle Grabowski in jedem Fall noch mit der Verbüßung der Freiheitsstrafe rechnen muss. Unterstellt, er sei in Variante 1 zu einer Freiheitsstrafe von knapp unter zehn Jahren verurteilt worden, so richtet sich die Frage nach der Strafvollstreckungsverjährung in diesem Fall nach § 79 Abs. 3 Nr. 2 StGB und würde 20 Jahre betragen, so dass das Ruhrgebiet ihn bald wieder in Empfang nehmen könnte, ohne dass er mit der Vollstreckung der Freiheitsstrafe zu rechnen braucht. In Var. 2 hingegen bleibt festzustellen, dass Kalle Grabowski sich der Strafvollstreckung nicht entziehen können wird, da die Vollstreckung von lebenslangen Freiheitsstrafen nicht verjährt (§ 79 Abs. 2 StGB).
III. Die Strafverfolgungsverjährung gem. § 78 StGB
Bei der praxisrelevanten Strafverfolgungsverjährung geht es hingegen um Fälle, in denen die Tat noch nicht gerichtlich abgeurteilt ist und daher noch gar nicht vollstreckt werden kann. Die Tat wird also noch verfolgt. Ist eine Tat gem. § 78 StGB verjährt, so können die Strafverfolgungsbehörden (Polizei, Staatsanwaltschaft, Gericht) nicht mehr strafrechtlich auf diese Tat reagieren. Insbesondere darf die Tat nicht mehr verfolgt werden und ein bereits eingeleitetes Strafverfahren ist einzustellen.
VI. Die Verjährungsfristen des § 78 StGB
Geregelt ist die Verjährung in den §§ 78ff. StGB. Mord verjährt nach § 78 Abs. 2 StGB nicht.
Die Verjährungsfristen betragen im Übrigen:
- 30 Jahre bei Taten, die im Höchstmaß mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sind,
- 20 Jahre bei Taten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als 10 Jahren bedroht sind,
- 10 Jahre bei Taten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als 5 und bis zu 10 Jahren bedroht sind,
- 5 Jahre bei Taten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als einem Jahr und bis zu 5 Jahren bedroht sind,
- 3 Jahre bei allen übrigen Taten.
(Wortlaut des § 78 Abs. 3 Nr. 1 bis 5 StGB)
Dabei ist die Verjährungsfrist für jede Tat gesondert festzustellen und wird nach der schwersten tateinheitlich verwirkten Strafe beurteilt. Während Privilegierungen und Qualifikationen zu berücksichtigen sind, haben Schärfungen und Milderungen des allgemeinen Teils sowie Strafrahmenverschiebungen (mit Ausnahme des § 78b Abs. 4 StGB) keine Auswirkungen auf die ausschlaggebende Höchststrafe. Für den Beginn der Verjährungsfristen enthält § 78a StGB die entscheidenden Regelungen. Dort heißt es:
Die Verjährung beginnt, sobald die Tat beendet ist. Tritt ein zum Tatbestand gehörender Erfolg erst später ein, so beginnt die Verjährung mit diesem Zeitpunkt.
Es kommt demzufolge für die Frage der Verjährung entscheidend darauf an, wann eine Tat beendet ist. Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass zunächst das gesamte tatbestandliche Verhalten beendet ist und ggf. auch der entsprechende Taterfolg eingetreten sein muss. Konkret beginnt die Frist mit dem Tag, an dem der tatbestandliche Erfolg eingetreten ist. Der letzte Tag ist entsprechend der Tag, der diesem kalendermäßig vorangeht. Doch wie so oft gilt auch hier der Grundsatz: „Keine Regel ohne Ausnahme“, der das Ganze leider ein wenig unübersichtlich und mitunter schwierig zu berechnen gestaltet. Die Rede ist von §§ 78b und 78c StGB, die Ausnahmen der Verjährung vorsehen, so dass sich im Einzelfall mitunter erhebliche Unterschiede in der tatsächlichen Verjährungsfrist ergeben können. § 78b StGB regelt das Ruhen der Verjährung. Konkret bedeutet dies, dass der Beginn oder der Weiterlauf der Verjährung gehemmt sind. Während des Ruhens der Verjährung läuft die Verjährungsfrist also nicht weiter. Da § 78b StGB recht umfangreich ist und unzählige Alternativen vorweist, soll nachfolgend lediglich ein praxisrelevantes Beispiel genannt werden.
Mit einer der häufigsten Fälle sind Sexualdelikte gegenüber Minderjährigen. Für diese Fälle ordnet § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB an, dass die Verfolgungsverjährung bei Sexualdelikten wie z.B. Vergewaltigung oder sexuellem Missbrauch von Kindern erst beginnt, wenn das Opfer das 30. Lebensjahr vollendet hat. Dies soll nach Ansicht des Gesetzgebers die Opfer von Sexualstraftaten schützen, indem es länger eine Verfolgung der Täter ermöglicht. Bis zu diesem Zeitpunkt ruht also die Verjährung.
Allerdings verliert der bis zum Ruhen bereits abgelaufene Teil der Verjährung nicht seine Bedeutung, sodass nach dem Ruhen die Verjährungsfrist weiterläuft und nicht etwa wieder von vorne beginnt. Wesentlich praxisrelevanter ist jedoch die Regelung des § 78c StGB: die Unterbrechung der Verjährung. Die Besonderheit des § 78c StGB liegt u.a. darin begründet, dass in den dort geregelten Fällen die Verfolgungsverjährung mit dem Tag der Unterbrechungshandlung von neuem beginnen. Um zu verdeutlichen, was das im Einzelfall bedeuten kann: sollte beispielsweise nur noch ein Tag bis zur Verjährung fehlen und wird diese durch eine der in § 78c StGB enthaltenen Handlungen unterbrochen, so beginnt die gesamte Verjährung von vorne! Dies kann jedoch nicht unbegrenzt geschehen, da § 78c Abs. 3 S. 2 StGB eine Höchstgrenze für die Unterbrechung vorsieht. Diese liegt bei dem Doppelten der gesetzlichen Verjährungsfrist.
Auch hier sollen exemplarisch die praxisrelevantesten Fälle der Verjährungsunterbrechung aufgelistet werden:
- Unterbrechung der Verjährung bei erster Vernehmung des Beschuldigten oder bei Bekanntgabe, dass gegen diesen ermittelt wird,
- Unterbrechung der Verjährung durch Beauftragung eines Sachverständigen, wenn der Beschuldigte vorher vernommen oder ihm das Ermittlungsverfahren gegen ihn bekannt gegeben wurde,
- Unterbrechung der Verjährung bei richterlicher Beschlagnahme- oder Durchsuchungsanordnung,
- Unterbrechung der Verjährung bei Haftbefehl und Erhebung der öffentlichen Klage, des Hauptverfahrens oder Anberaumung einer Hauptverhandlung,
- Unterbrechung der Verjährung bei Erlass eines Strafbefehls oder der vorläufigen richterlichen Einstellung des Verfahrens wegen Abwesenheit sowie bei jeder Anordnung, die zur Aufenthaltsermittlung des Beschuldigten oder zur Sicherung von Beweisen oder zu einer Untersuchungshandlung im Ausland ergeht.
V. Fazit
Obwohl die Verjährungsprüfung zu den Standardaufgaben einer professionellen Strafrechtsverteidigung zählt, ist sie alles andere als einfach und/oder selbsterklärend. Es empfiehlt sich bei solchen Fragestellungen auf einen erfahrenen Strafverteidiger zu setzen, der diese Prüfung ernst nimmt und entsprechend umzusetzen weiß. Sollten Sie diesbezüglich weitergehende Fragen haben oder möchten Sie verbindlich wissen, ob auch Ihre Straftat möglicherweise schon verjährt ist, so kontaktieren Sie die Rechtsanwälte für Strafrecht der Rechtsanwaltskanzlei Kotz aus Kreuztal bei Siegen. Wir beraten und vertreten Sie in allen strafrechtlichen Fällen und stehen Ihnen mit unserer Erfahrung und unserer Expertise gerne zur Verfügung. Vereinbaren Sie einfach einen Beratungstermin in unserer Kanzlei oder nutzen Sie die Möglichkeit der Online-Rechtsberatung.