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Verkehrsunfall mit Todesfolge wegen geplatztem Autoreifen – fahrlässige Tötung?

AG Winsen, Urteil vom 03.04.2017, Az.: 3 Ds – 3103 Js 2080/16 (75/16)

Der Angeklagte wird wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung in 2 rechtlich zusammentreffenden Fällen durch Unterlassen zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten verurteilt.

Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wird zur Bewährung ausgesetzt.

Dem Angeklagten wird für die Dauer von drei Monaten verboten, Kraftfahrzeuge jeder Art im öffentlichen Straßenverkehr zu führen.

Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens und seine eigenen notwendigen Auslagen sowie die Auslagen der Nebenkläger.

Angewendete Vorschriften: §§ 222, 229, 230, 13, 52 StGB.

Gründe

(abgekürzt gemäß § 267 Abs. 4 StPO):

I.

Verkehrsunfall mit Todesfolge wegen geplatztem Autoreifen – fahrlässige Tötung?
Symbolfoto: taviphoto/Bigstock

Der 24-jährige Angeklagte ist deutscher Staatsbürger. Er ist ledig und lebt bei seinen Eltern. Er muss keine Miete zahlen und unterstützt seine Eltern bei Bedarf. Der Angeklagte hat die Ausbildung als Kraftfahrzeugmechatroniker abgeschlossen und bezieht derzeit ein monatliches Einkommen in Höhe von etwa 1.400,00 € (netto). Zur Tatzeit war der Angeklagte noch in der Ausbildung zum Kraftfahrzeugmechatroniker gewesen.

Der Angeklagte ist bisher wie folgt strafrechtlich in Erscheinung getreten:

– hier folgen 2 Registereintragungen aus 2013 und 2015 –

Verkehrsrechtlich ist der Angeklagte ausweislich des in der mündlichen Verhandlung verlesenen Auszugs aus dem Fahreignungsregister vom 19.01.2016 bislang wie folgt in Erscheinung getreten:

– hier folgen 4 Eintragungen aus 2011 bis 2015 –

II.

Der Angeklagte erhielt Anfang Januar 2016 das Fahrzeug der Marke BMW mit dem amtlichen Kennzeichen HH-… von dem Zeugen F. mit dem Auftrag, einen Kostenvoranschlag für erforderliche Lackierarbeiten einzuholen und die sonstigen Schäden, welche durch einen vorherigen Unfall im Dezember 2015 an dem Fahrzeug verursacht worden waren, zu beseitigen. Der Angeklagte war zu diesem Zeitpunkt in der Ausbildung zum Kraftfahrzeug-Mechatroniker.

Im Rahmen dieser Aufgaben stellte der Angeklagte fest, dass der Reifen hinten links an dem Fahrzeug beschädigt worden war und ausgetauscht werden musste. Als der Angeklagte sodann den Reifen abmontierte, stellte er fest, dass der Reifen auf der Innenseite stark abgefahren war. Insbesondere stellt er fest, dass der Reifen auf der Innenseite deutlich stärker abgefahren war als auf der Außenseite. Den Zustand der übrigen drei Reifen überprüfte der Angeklagte dann nur mit einem Blick von außen auf die Reifen, welche sich zu dem Zeitpunkt noch an dem Fahrzeug befanden. Die jeweiligen Innenseiten der übrigen Reifen überprüfte der Angeklagte nicht, obwohl er Kenntnis von dem schadhaften Innenseite des linken hinteren Reifens hatte.

Am 15.01.2016 fuhr der Angeklagte sodann mit dem Fahrzeug zu einer Go-Kart-Bahn nach B.. Auf dem Rückweg befuhr er gegen 20.35 Uhr mit einer Geschwindigkeit von mind. 180 km/h die linke Fahrspur der BAB 7 in Richtung H. Im Fahrzeug befanden sich neben ihm noch Herr H. I. als Beifahrer sowie die Zeugen G. und A. als weitere Insassen auf der Rückbank.

Während der Fahrt löste sich an dem rechten hinteren Reifen die Lauffläche von der Reifenflanke, wodurch das Fahrzeug ins Schleudern geriet und der Angeklagte die Kontrolle über das Fahrzeug verlor. Die Lauffläche hatte sich von der Reifenflanke an dem hinteren rechten Reifen gelöst, da der Reifen auf der Innenseite stark abgefahren war. Die Mindestprofiltiefe von 1,6 mm war auf der Innenseite des Reifens umlaufend auf einem Großteil der Lauffläche deutlich unterschritten gewesen. Aufgrund dessen hatte der Reifen den Belastungen während der Fahrt nicht mehr standhalten können. Es war zu einem Druckverlust gekommen, wodurch der Reifen dann überlastet worden war. Aufgrund dieser Überlastung hatte sich dann die Lauffläche von der Reifenflanke gelöst.

Das Fahrzeug kam sodann nach rechts von der Fahrbahn ab, überquerte alle Fahrstreifen, stieß gegen die Leitplanke, überschlug sich und kam auf einer Wiese neben der Fahrbahn zum Stehen.

Der Beifahrer H. I., welcher zu diesem Zeitpunkt den Sicherheitsgurt nicht angelegt hatte, wurde durch den Aufprall aus dem Fahrzeug geschleudert und verstarb wenige Stunden später an den unfallbedingten Verletzungen.

Die weiteren Insassen wurden schwer verletzt. Der Zeuge O. A. erlitt ein Hochrasanztrauma u.a. mit einem Subduralhämatom, einem Mantelpneumorhorax links, einer Rippenfraktur 5-6 links, einer Lungenkontusion mit Verdacht auf Aspiration, eine Milzlazeration sowie eine Nierenlazeration links. Er musste zunächst acht Tage stationär behandelt werden. Im Früh-jahr 2016 musste er erneut operiert werden. Da es weiterhin Probleme mit seiner Hand gab, wurde er im Februar 2017 wieder operiert, muss bis Ende April 2017 einen Gips tragen und anschließend Reha-Maßnahmen durchführen. Von Januar bis Oktober 2016 konnte der Zeuge zwar arbeiten, wobei er aber psychisch als auch physisch eingeschränkt war. In der Zeit bis Januar 2017 musste er sich dann mehrmals pro Woche krankmelden. Seit der Operation im Februar 2017 ist er krankgeschrieben. Seine Ausbildungszeit hat sich aufgrund der verletzungsbedingten Fehlzeiten um ein halbes Jahr verlängert. Es ist ungewiss, ob der Zeuge nach der Ausbildung in seinem Ausbildungsbetrieb übernommen wird.

Der Zeuge G., welcher zu diesem Zeitpunkt den Sicherheitsgurt nicht angelegt hatte, wurde auch durch den Aufprall aus dem Fahrzeug geschleudert. Er erlitt durch den Unfall mehrere Kratzer und einen Schock. Der Zeuge leidet seit dem Unfall unter depressiven Zuständen.

III.

Die Feststellungen zur Person des Angeklagten beruhen auf dessen Angaben sowie auf der Verlesung der Auskunft des Bundesamtes für Justiz vom … und der Verlesung der Auskunft aus dem Fahreignungsregister vom … .

Die Feststellungen zu der Tat beruhen auf der Einlassung des Angeklagten sowie auf den widerspruchsfreien und glaubhaften Angaben der Zeugen A., G., F., POK M., PK W., PHK K., auf den Ausführungen des Sachverständigen Sch. sowie auf der Verlesung der Todesbescheinigung der Asklepios-Klinik A. (Bl. 12 d.A.), des Entlassungsberichts des Universitätsklinikums E. bezüglich des Zeugen A. (Bl. 101ff. d.A.) und der Inaugenscheinnahme der Bildberichte zu dem Fahrzeug (Bl. 70 d.A.) und zu dem Unfallort (Bl. 71 d.A.) sowie der Inaugenscheinnahme der Lichtbilder zu dem Gutachten des Sachverständigen Sch. (SH Gutachten), wie festgestellt.

Der Angeklagte hat im Wesentlichen erklärt, dass er das Fahrzeug genutzt habe, um damit zur GoKart-Bahn nach B. zu fahren. Auf dem Rückweg nach H. habe sich der Unfall auf der Autobahn ereignet, wie das genau passiert ist, könne er aber nicht mehr erinnern. Er könne sich nur erinnern, wie sie sich in das Fahrzeug gesetzt hätten, was danach passiert ist, wisse er nicht mehr. Er erinnere sich erst wieder, als er in dem Krankenhaus aufgewacht sei.

Er habe das Fahrzeug von dem Zeugen F. erhalten, um einen Kostenvoranschlag für die Lackierarbeiten einzuholen und die weiteren Schäden zu beseitigen, da das Fahrzeug einen Schaden auf der linken Seite erlitten habe. Den linken Reifen habe er zwei Tage vor dem Unfall ersetzt, da dieser beschädigt gewesen sei. Er habe das Fahrzeug nicht auf eine Hebebühne genommen, sondern nur von außen in Augenschein genommen. Er habe festgestellt, dass der Reifen hinten links auf der Innenseite stärker abgefahren gewesen sei als auf der Außenseite, er sei aber davon ausgegangen, dass dies aus dem vorhergegangen Unfall resultiere, da sich möglicherweise die Achse verstellt habe.

Der verstorbene H. I. sei sein Freund gewesen. Es gehe ihm immer noch sehr schlecht, er habe mehrere Monate Schlaftabletten genommen und sei nach dem Unfall mehrere Wochen krankgeschrieben gewesen.

Nach den plausiblen Ausführungen des Sachverständigen Sch., denen sich das Gericht nach eigener kritischer Würdigung anschließt, war der Zustand des hinteren rechten Reifens ursächlich für den Unfall.

Der Sachverständige hat erklärt, dass er das Fahrzeug untersucht und keine möglicherweise unfallursächlichen Auffälligkeiten an dem Fahrzeug festgestellt habe, mit Ausnahme des hinteren rechten Reifens. Der Reifen sei bei der Untersuchung luftleer und geplatzt gewesen. Der Reifen sei abgefahren und ausgefranst gewesen. Dies sei ein Zeichen dafür, dass der Reifen Luft verloren habe. Wenn ein Reifen während einer Fahrt Luft verliere, kann dies dazu führen, dass der Reifen abreißt. Die Spuren auf der Fahrbahn hätten die Vermutung bestätigt, dass der Reifen Luft verloren habe. Das Abreißen des Reifens sei unfallursächlich gewesen. Der Angeklagte müsse mindestens 180 km/h gefahren sein, als der Unfall passierte. Der Beifahrer sei nicht angeschnallt gewesen. Im Kofferraum habe sich ein weiterer Reifen befunden, der dem Abnutzungsbild des hinteren rechten Reifens entsprochen habe. Der Reifen sei für ihn abgefahren gewesen, er habe deshalb die Profiltiefe nicht gemessen. Der hintere rechte Reifen sei so abgenutzt gewesen, dass er seine vollen Kräfte nicht mehr habe aufbringen können. Der Reifen müsse umso mehr Kraft aufbringen, umso höher die Geschwindigkeit sei. Wenn es dann zu einer Überlastung des Reifens komme, könne es sein, dass dieser abreißt. Die Profiltiefe könne sich durch den Unfall, der sich etwa 14 Tage vorher ereignet hat, nicht wesentlich geändert haben.

Soweit der Angeklagte sich dahingehend einlässt, dass er davon ausgegangen sei, dass die Abnutzung des Reifens auf der Innenseite auf dem vorausgegangenen Unfall beruhe, da sich durch diesen möglicherweise die Achse verstellt habe, ist diese Einlassung für das Gericht nicht nachvollziehbar. Es ist nicht nachvollziehbar, wie der linke Reifen auf der Innenseite aufgrund eines Unfalls, der sich etwa zwei Wochen vor dem gegenständlichen Unfall ereignet und einen Schaden an der linken Fahrzeugseite verursacht haben soll, derart stark abnutzen kann. Vielmehr hat auch der Sachverständige erklärt, der Reifen müsse auch schon vor dem Unfall in diesem Zustand gewesen sein. Die Profiltiefe könne sich durch einen Unfall, der sich etwa 14 Tage vorher ereignet hat, nicht wesentlich geändert haben. Es ist auch nicht nachvollziehbar, weshalb dann, falls sich die Achse durch den vorausgegangenen Unfall tatsächlich verstellt habe, tatsächlich nur der linke Reifen auf der Innenseite stark abnutzte.

IV.

Der Angeklagte ist der fahrlässigen Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen durch Unterlassen gemäß §§ 222, 229, 230, 13, 52 StGB schuldig.

V.

Bei der Strafzumessung ist das Gericht gemäß den Grundsätzen der §§ 46 ff. StGB von der Schuld des Angeklagten ausgegangen und hat die Wirkungen, die von der Strafe für sein zukünftiges Leben in der Gesellschaft zu erwarten sind, berücksichtigt.

Im Einzelnen hat es sich von folgenden Erwägungen leiten lassen:

Unter Abwägung der für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkten hat das Gericht auf eine tat- und schuldangemessene Freiheitsstrafe von 8 Monaten erkannt.

VI.

Die Freiheitsstrafe konnte zur Bewährung ausgesetzt werden gemäß § 56 Abs. 1 StGB. Das Gericht geht davon aus, dass sich der Angeklagte die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe mit Bewährung als Warnung dienen lassen wird, zukünftig ein straffreies Leben zu führen.

VII.

Ein dreimonatiges Fahrverbot gemäß § 44 Abs. 1 StGB ist neben der Hauptstrafe zur Einwirkung auf den Angeklagten erforderlich, entspricht seiner Schuld sowie dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und führt zu keiner unangemessen harten Sanktion der Tat. Der Strafzweck, den Angeklagten zur künftigen Beachtung der Gesetze anzuhalten, kann weder durch die Hauptstrafe allein, noch durch eine Erhöhung derselben, sondern nur durch diese zusätzliche Nebenfolge erreicht werden. Für diese Entscheidung war, neben den oben geschilderten Strafzumessungserwägungen, auf die Bezug genommen wird, mit maßgebend, dass der Angeklagte durch grobe Nachlässigkeit die ihm als Kraftfahrzeugführer obliegenden Pflichten verletzt hat.

VIII.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 465 Abs. 1, 472 Abs. 1 StPO.

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