Oberlandesgericht Hamburg – Az.: 2 Rev 50/18 – 1 Ss 91/18 – Beschluss vom 27.07.2018
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg, Kleine Strafkammer 14, vom 23. Januar 2018 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. In diesem Umfang wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an eine andere Kleine Strafkammer des Landgerichts Hamburg zurückverwiesen.
2. Im Übrigen wird die Revision der Angeklagten mit der Maßgabe verworfen, dass sich das landgerichtliche Urteil vom 23. Januar 2018 auf das Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Harburg vom 14. Juli 2017 bezieht.
Gründe
I.
Mit auf Antrag der Staatsanwaltschaft ergangenem Strafbefehl vom 17. Februar 2017 hat das Amtsgericht Hamburg-Harburg gegen die Angeklagte wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort auf eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu jeweils 35,- €, auf die Entziehung der Fahrerlaubnis, die Einziehung des Führerscheins und auf eine Sperrfrist zur Neuerteilung der Fahrerlaubnis von einem Jahr ab Rechtskraft des Strafbefehls erkannt. Gegen den am 22. Februar 2017 zugestellten Strafbefehl hat die Angeklagte durch Verteidigerschriftsatz am 28. Februar 2017 Einspruch eingelegt.
Mit Urteil vom 14. Juli 2017 hat das Amtsgericht Hamburg-Harburg die Angeklagte freigesprochen. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht Hamburg, Kleine Strafkammer 14, das Urteil „geändert“ und die Angeklagte am 23. Januar 2018 wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu jeweils 10,- € verurteilt. Weiter hat es der Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen, ihren Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist zur Neuerteilung der Fahrerlaubnis von sechs Monaten bestimmt.
Hiergegen hat die Angeklagte mit unterschriebenem Verteidigerschriftsatz vom 24. Januar 2018, eingegangen am 29. Januar 2018, Revision eingelegt und diese nach aufgrund richterlicher Verfügung vom 15. Februar sodann am 22. Februar 2018 erfolgter Urteilszustellung mit taggleich eingegangenem Schriftsatz vom 22. März 2018 mit der allgemeinen Sachrüge begründet.
Die Generalstaatsanwaltschaft Hamburg hat auf Verwerfung der Revision als unbegründet angetragen. Im Rahmen der Gegenerklärung hat der Angeklagte mit Verteidigerschriftsatz vom 22. Mai 2018 nochmals zur Sachrüge ausgeführt.
II.
Die Revision der Angeklagten ist zulässig (§§ 333, 341, 344, 345 StPO) und hat – im Umfang der erfolgten Aufhebung – in der Sache vorläufig Erfolg.
1. Die Anordnung der Maßregel nach §§ 69, 69a Abs. 1 StGB hält der durch die Sachrüge veranlassten Überprüfung nicht stand.
a) Das in § 69 Abs. 1 und 2 StGB normierte Regel-Ausnahme-Verhältnis sowie der Zweck der Maßregel bestimmen den Maßstab für die Beurteilung der Frage des Eignungsmangels.
aa) Gemäß § 69 Abs. 1 StGB entzieht das Gericht dem Täter einer rechtswidrigen Tat, die er bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs begangen hat, die Fahrerlaubnis, wenn sich aus der Tat ergibt, dass er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Gemäß § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB ist der Täter eines unerlaubten Entfernens vom Unfallort in der Regel als ungeeignet anzusehen, wenn er weiß oder wissen kann, dass bei dem Unfall ein Mensch getötet oder nicht unerheblich verletzt worden oder an fremden Sachen bedeutender Schaden entstanden ist.
bb) Die Wirkung der gesetzlich normierten Regelbeispiele für den vorausgesetzten Zusammenhang zwischen Anlasstat und Eignungsmangel geht dahin, dass eine die Ungeeignetheit positiv begründende Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit nur erforderlich ist, wenn ernsthafte Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sich ein Ausnahmefall ergeben könnte, dass also die Tat Ausnahmecharakter im Hinblick auf die Frage mangelnder Eignung hat (vgl. BGH in NStZ 2000, 26; Fischer § 69 StGB Rn. 21 f.).
Angesichts des § 69 Abs. 2 StGB zugrunde liegenden Regel-Ausnahme-Verhältnisses ist insoweit ein strenger Maßstab anzulegen und sind Indizien restriktiv zu würdigen (vgl. LK/Geppert, § 69 StGB Rn. 91).
Abhängig von den Umständen des Einzelfalls kann zu berücksichtigen sein, dass der Täter vor der Tat langjährig beanstandungsfrei als Kraftfahrzeugführer am Straßenverkehr teilgenommen hat (vgl. OLG Zweibrücken in StV 1989, 250; OLG Karlsruhe in DAR 2001, 469; zur Verwertung getilgter oder tilgungsreifer Eintragungen vgl. § 52 Abs. 2 BZRG, § 29 StVG), dass seit der in Rede stehenden Tat geraume Zeit vergangen und der Täter seither nicht mehr verkehrsrechtlich in Erscheinung getreten ist (vgl. BGH in StV 1992, 64), dass er bereits durch die lange Dauer einer vorläufigen Maßnahme nach § 111a StPO nachhaltig beeindruckt worden ist (vgl. KG in VRS 1981, 109; OLG Zweibrücken a.a.O.; OLG Karlsruhe a.a.O.) oder dass sich die Tat in einer für den Täter außergewöhnlichen, beispielsweise emotional belastenden Situation ereignet hat (vgl. LK/Geppert, § 69 StGB Rn. 92). In eingeschränktem Maße mag im Einzelfall auch die Schwere der Tat, insbesondere das Ausmaß des Schadens in dem für das Regelbeispiel maßgeblichen Rahmen, zu würdigen sein. Ebenso zurückhaltend – da in Bezug auf die Fahreignung nur begrenzt aussagekräftig – sind Fragen des den Täter und den anderen Verkehrsteilnehmer treffenden Verschuldens(-anteils) am Unfallgeschehen zu betrachten (vgl. BGH in NStZ 1991, 183; LK/Geppert, § 69 StGB Rn. 73).
cc) Angesichts der präventiven Zielrichtung der Maßregel, welche der Gewährleistung der Verkehrssicherheit dient und die Allgemeinheit vor künftiger Gefährdung schützen soll, ist für die Beurteilung des Eignungsmangels der Zeitpunkt der letzten tatrichterlichen Entscheidung maßgebend (vgl. BGHSt 7, 165; LK/Geppert, § 69 StGB Rn. 58). Bis zu diesem Zeitpunkt können für die Frage der (Un-)Geeignetheit bedeutsame Vorgänge und Umstände berücksichtigt werden (vgl. LK/Geppert, § 69 StGB Rn. 75).
b) Hieran gemessen ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu prüfen, ob Umstände von ausreichendem Gewicht vorliegen, welche die Indizwirkung des Regelbeispiels entfallen lassen.
Zwar ist das Landgericht zu Recht zunächst vom Vorliegen der Eingangsvoraussetzung nach § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB für die Annahme eines Regelfalles der Fahrerlaubnisentziehung ausgegangen. Indem es zur konkreten Entscheidung im Einzelfall sodann lediglich ausgeführt hat: „Umstände, die die Indizwirkung des Regelfalls widerlegen könnten, waren nicht ersichtlich“, hat es jedoch verkannt, dass für die Beurteilung der Ungeeignetheit eines Täters zum Führen von Kraftfahrzeugen im Sinne des § 69 StGB auf den Zeitpunkt der Urteilsfindung abzustellen ist und für diesen nach den getroffenen Urteilsfeststellungen hier gewichtige Umstände vorliegen, die dafür sprechen, dass die von der Tatverwirklichung ausgehende Regelvermutung vorliegend widerlegt sein könnte.
aa) Bei der in Rede stehenden Tat – unerlaubtes Entfernen vom Unfallort mit einem Fremdsachschaden von 2.041,64 € netto (einschließlich des zu berücksichtigenden Minderwerts) – handelt es sich um einen Regelfall für die Entziehung der Fahrerlaubnis im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB. Die Wertgrenze für den „bedeutenden Schaden“ liegt bei einer Größenordnung von 1.300,- € (vgl. Senat in ZfS 2007, 409; Fischer, § 69 Rn. 29 m.w.N.).
bb) Nach den Urteilsfeststellungen – soweit diese getroffen sind – liegen konkrete Anhaltspunkte vor, die zur Prüfung der Frage des Eignungsmangels unter eingehender Würdigung der Persönlichkeit der Angeklagten drängen.
Sie ist „nicht vorbestraft und wurde bislang nicht wegen Verkehrsverstößen geahndet“. Auf welchen Zeitraum sich dies bezieht, lassen die Urteilsgründe mangels Feststellungen zum Zeitpunkt des Fahrerlaubniserwerbs durch die Angeklagte und ihrer seitdem erworbenen Fahrpraxis nicht erkennen.
Bereits im Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung am 23. Januar 2018 waren seit der in Rede stehenden Tat vom 24. Juni 2016 ein Jahr und sieben Monate vergangen, in denen die Angeklagte ausweislich der Feststellungen verkehrsrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist.
Darüber hinaus hatte die Angeklagte unmittelbar vor der in Rede stehenden Tat erfahren, dass ihr getrennt in der Türkei lebender Ehemann in ein Krankenhaus eingeliefert worden war. Sie war hierdurch psychisch erschüttert und gedanklich sowie praktisch mit der Organisation der Reise zu ihrem Ehemann beschäftigt.
Der Schaden liegt mit rund 2.000,- € einerseits merklich über der Wertgrenze von 1.300,- €, andererseits stellt er sich nicht als so hoch dar, dass den übrigen Indizien von vornherein jegliche Bedeutung für die Beurteilung der Fahreignung abzusprechen wäre.
cc) Auf dieser Grundlage genügt die vorstehend angeführte Kurzbegründung des Landgerichts hier nicht.
c) In der Folge ist auch der – an sich rechtsfehlerfrei erfolgte – Rechtsfolgenausspruch im Übrigen aufzuheben. Falls nach dem Ergebnis der durchzuführenden neuen Hauptverhandlung an Stelle einer Entziehung der Fahrerlaubnis die Verhängung eines Fahrverbots gemäß § 44 StGB in Betracht kommen sollte, steht dieses – im Gegensatz zur Maßregel – als Nebenstrafe in einer Wechselbeziehung zur Hauptstrafe.
d) Aufgrund des aufgezeigten Mangels hebt der Senat das darauf beruhende angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit den dazugehörigen Feststellungen auf (§ 353 Abs. 1 und 2 StPO) und verweist, da die Vornahme eigener Zumessungsentscheidungen durch den Senat hier nicht in Betracht kommt, die Sache insoweit zu erneuter Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an eine andere Kleine Strafkammer des Landgerichts Hamburg zurück (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).
2. Im Übrigen wird die Revision der Angeklagten auf Antrag der Staatsanwaltschaft und nach Anhörung der Beschwerdeführerin aufgrund einstimmiger Entscheidung des Senats als offensichtlich unbegründet gemäß § 349 Abs. 2 StPO verworfen, da die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung insoweit keinen tragenden Fehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat. Lediglich der Tenor des angefochtenen Urteils war in der aus der Entscheidungsformel hervorgehenden Weise zu berichtigen.