Verlängerung der Bewährungsfrist trotz neuer Straftaten: OLG Dresden klärt auf
In einem kürzlich ergangenen Beschluss des OLG Dresden wurde die Frage behandelt, ob und unter welchen Umständen die Bewährungszeit eines Verurteilten verlängert werden kann, wenn dieser während der Bewährungszeit erneut straffällig wird.
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Übersicht
Widerruf der Strafaussetzung und Vertrauensschutz
Das Gericht stellte fest, dass der Widerruf einer Strafaussetzung auch nach Ablauf der ursprünglichen Bewährungszeit möglich ist. Das Argument des Vertrauensschutzes, das besagt, dass ein Verurteilter nach Ablauf der Bewährungszeit nicht mehr mit Sanktionen rechnen muss, wurde vom Gericht zurückgewiesen. Insbesondere in Fällen, in denen der Verurteilte während der Bewährungszeit erneut straffällig wurde und darüber informiert wurde, kann er nicht darauf vertrauen, dass keine weiteren Maßnahmen gegen ihn ergriffen werden.
Gründe für den Widerruf
Das Gericht erklärte, dass die Strafaussetzung widerrufen wird, wenn der Verurteilte während der Bewährungszeit eine neue Straftat begeht. Dies dient dazu, die Erwartung, dass der Verurteilte keine weiteren Straftaten begehen wird, wiederherzustellen. Es muss eine neue Prognose erstellt werden, um zu beurteilen, ob andere Maßnahmen ausreichen, um das Risiko weiterer Straftaten zu minimieren.
Bewertung der Bewährungssituation
Die Kammer, die für die Überwachung der Bewährung zuständig ist, muss die Frage des Widerrufs auf der Grundlage der aktuellen Situation unabhängig beurteilen. Sie kann verschiedene Faktoren berücksichtigen, einschließlich der Einschätzung des Gerichts, das das ursprüngliche Urteil gefällt hat. In diesem Fall war die sofortige Beschwerde begründet, da die Straftaten, die der Verurteilte begangen hatte, zwar schwerwiegend waren, aber bereits mehr als zwei Jahre zurücklagen.
Entscheidung des Senats
Der Senat entschied, dass die Bewährungszeit um die Hälfte der ursprünglichen Dauer, also um ein Jahr, verlängert wird. Dies wurde als mildere Maßnahme angesehen, da der Verurteilte positive Veränderungen in seinem Leben vorgenommen hatte, einschließlich der Trennung von seiner früheren Partnerin und der Aufnahme einer Arbeit. Der Senat schloss sich der Prognose an, dass der Verurteilte unter den gegebenen Umständen wahrscheinlich keine weiteren Straftaten begehen wird.
Schlussbemerkungen
Zusammenfassend hat das OLG Dresden klargestellt, dass die Bewährungszeit eines Verurteilten verlängert werden kann, wenn er während der Bewährungszeit erneut straffällig wird. Dies dient dem Schutz der Gesellschaft und der Wiederherstellung des Vertrauens in den Verurteilten.
Das vorliegende Urteil
OLG Dresden – Az.: 2 Ws 373/21 – Beschluss vom 20.01.2022
1. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der Auswärtigen Strafvollstreckungskammer Riesa des Landgerichts Dresden vom 05. Oktober 2021 aufgehoben.
2. Unter Verlängerung der mit Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 01. Oktober 2018 bestimmten Bewährungszeit von zwei Jahren um ein weiteres Jahr wird der Widerrufsantrag der Staatsanwaltschaft zurückgewiesen.
3. Die Reste der Gesamtfreiheitsstrafen
a) von acht Monaten aus dem Beschluss des Amtsgerichts Grimma vom 24. Januar 2017 (Az.: …)
und
b) von fünf Monaten aus dem Beschluss des Amtsgerichts Grimma vom 04. Juli 2018 (Az.: …)
werden erlassen.
4. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der dem Verurteilten hierdurch erwachsenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
I.
Die sofortige Beschwerde ist allerdings nicht schon deshalb begründet, weil die ursprünglich maßgebliche Bewährungszeit seit dem 18. Oktober 2020 bereits abgelaufen ist. Denn die Entscheidung über den Widerruf einer Strafaussetzung ist auch nach Ablauf der ursprünglichen Bewährungszeit noch möglich. Das Argument des Vertrauensschutzes greift nicht.
Es kann schon in den Fällen nicht überzeugen, in denen der Verurteilte aufgrund einer von ihm in der ursprünglichen Bewährungszeit begangenen Straftat ohnehin mit bewährungsrelevanten Maßnahmen (Widerruf oder Verlängerung der Bewährungszeit) rechnen muss und ihm dies – wie hier – durch die ausdrückliche gerichtliche Mitteilung auch (nochmals) bewusstgemacht worden ist.
Dies gilt uneingeschränkt, zumal der Verurteilte bereits im Zusammenhang mit der Strafaussetzung selbst über die möglichen Folgen neuer Straftaten in der Bewährungszeit belehrt worden ist (§§ 268a Abs. 3, 454 Abs. 4 StPO). Schon deshalb erscheint ein schutzwürdiges Vertrauen eines in laufender Bewährungszeit erneut straffällig gewordenen Verurteilten darauf, dass er trotz des insoweit schwebenden Verfahrens nach zwischenzeitlichem (formalen) Ablauf der Bewährungszeit keine Nachteile für seine noch nicht durch Straferlass beendete Bewährung befürchten muss, höchst fragwürdig.
Das Bundesverfassungsgericht (Az.: 2 BvR 2595/12) hat hierzu – soweit für die vorliegende Entscheidung maßgeblich – in einer den Widerruf eines Gnadenerweises betreffenden Kammerentscheidung ausgeführt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. März 2013 – 2 BvR 2595/12 –, juris; = NJW 2013, 2414 ff.):
„[…] Schon mit dem Begriff „Bewährung“ verbindet jedermann die sichere Vorstellung, ab sofort keine Straftat mehr begehen zu dürfen, ohne mit Konsequenzen für die Bewährung rechnen zu müssen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Januar 1992 – Az.: 2 BvR 294/91 -, NJW 1992, S. 2877). Bei einem bewährungsbrüchigen Verhalten muss der Betroffene daher grundsätzlich mit einem Widerruf der Strafaussetzung rechnen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 12. April 1989 – Az.: 2 BvR 355/89 –; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 10. Februar 1995 – Az.: 2 BvR 168/95 -, NStZ 1995, S. 437). Erfolgt ein Widerruf nach Ablauf der Bewährungszeit, so hat er jedoch – auch, wenn einfachgesetzlich keine Frist vorgesehen ist – insbesondere aus Gründen des Vertrauensschutzes binnen einer angemessenen Frist zu erfolgen. Dafür, welche Frist im konkreten Fall noch angemessen ist, kommt es nach der verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Rechtsprechung der Fachgerichte auf die Umstände des Einzelfalls an. Neben dem Zeitablauf als solchem ist maßgebend, ob das Verfahren ungebührlich verschleppt worden ist, so dass der Verurteilte mit dem Widerruf nicht mehr zu rechnen brauchte. Für die Frage der Schutzwürdigkeit eines etwaigen Vertrauens des Verurteilten sind auch Art, Schwere und Häufigkeit der neuerlichen Taten zu berücksichtigen […]“ (BVerfG a.a.O., Rdnr. 22).
II.
Nach der gesetzlich als obligatorisch ausgestalteten Vorschrift des § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB – vorliegend i.V.m. § 57 Abs. 5 Satz 1 StGB – widerruft das Gericht die Strafaussetzung ohne Ermessen als Korrektur der Aussetzungsprognose, wenn eine verurteilte Person in der ihr zugebilligten Bewährungszeit eine Straftat begeht und damit die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, widerlegt wurde. Eine (allgemeine) Verhältnismäßigkeitsprüfung findet in diesem Rahmen nicht statt.
Der Widerruf einer Strafaussetzung ist jedoch keine Bestrafung für ein Bewährungsversagen. Nach § 56f Abs. 2 StGB ist daher (ebenso obligatorisch) von einem grundsätzlich veranlassten Widerruf abzusehen, wenn es aus aktueller Sicht ausreicht, entweder (Nr. 1) weitere Auflagen oder Weisungen zu erteilen, insbesondere die verurteilte Person der Bewährungshilfe zu unterstellen, oder (Nr. 2) die Bewährungszeit zu verlängern, um auf diese Weise die in § 56 Abs. 1 StGB festgeschriebene Grundvoraussetzung einer Strafaussetzung zur Bewährung, nämlich die Erwartung, dass der oder die Verurteilte keine weiteren Straftaten begehen wird, wieder herzustellen. Unter Einbeziehung des Verhaltens des Verurteilten während der Bewährungszeit ist deshalb eine erneute Prognose zu stellen und zu beurteilen, ob bei Würdigung aller Umstände andere Maßnahmen genügen, um der Gefahr weiterer Straftaten hinreichend zu begegnen, obwohl die Strafaussetzung zunächst misslungen war (Fischer, StGB 69. Aufl., § 56f Rdnr 14). Hierfür ist auf die weitere Entwicklung des Bewährungsverhaltens des Verurteilten sowie die Sachlage im Zeitpunkt der Widerrufsentscheidung (hier: der Beschwerdeentscheidung) abzustellen. Der Widerruf einer Strafaussetzung wird vom Gesetz damit zur ultima ratio erklärt.
Die bewährungsüberwachende Strafvollstreckungskammer hat die Widerrufsfrage auf Basis einer aktuellen Sachlage eigenständig zu beurteilen. Sie kann u.a. sowohl die Anregung der Vollstreckungsbehörde mit heranziehen, Berichte der Bewährungs- und Gerichtshilfe einfordern als auch auf die Einschätzung des letzten Tatgerichts in der Anlassverurteilung mit abstellen. Regelmäßig ist dessen Beurteilung zeitnäher und auf Basis eines persönlichen Eindrucks in einer Hauptverhandlung ergangen und gibt insofern einen gewichtigen Anhaltspunkt für eine belastbare Bewertung der Bewährungssituation.
Vor diesem Hintergrund ist die zulässige sofortige Beschwerde begründet. Wenngleich die Straftaten vom 01. Juli bis 25. Oktober 2019, die Gegenstand des Urteils des Landgerichts Leipzig vom 31. August 2021 (Az.: 9 Ns 150 Js 66103/19) waren, der Strafvollstreckungskammer zu Recht Anlass gegeben haben, gemäß § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB einen Widerruf der Strafaussetzung in Erwägung zu ziehen, reicht es vorliegend entgegen den Ausführungen im angefochtenen Widerrufsbeschluss als mildere Maßnahme aus, die Dauer der Bewährungszeit um die Hälfte der ursprünglichen Bewährungszeit, somit um ein Jahr zu verlängern, § 56f Abs. 2 Nr. 2 StGB. Dem steht nicht entgegen, dass die ursprünglich auf zwei Jahre bestimmte Bewährungszeit seit dem 18. Oktober 2020 bereits abgelaufen ist (vgl. hierzu grundlegend Senat, Beschluss vom 02. September 2010 – Az.: 2 Ws 197/10 -, juris).
Wenngleich die Anlasstaten vom 01. Juli, vom 10. sowie vom 24./25. Oktober 2019 nicht lediglich Bagatellcharakter hatten, liegen sie dennoch bereits mehr als zwei Jahre zurück. Zur heutigen Erkenntnisgrundlage und die darauf gestützte Beurteilung der (künftigen) Bewährungschance für den Beschwerdeführer hat die Berufungskammer, die ihren persönlichen Eindruck – anders als die Strafvollstreckungskammer – aufgrund einer mündlichen Hauptverhandlung gewonnen hat, in den Urteilsgründen wie folgt dargelegt:
„Der Angeklagte hat sich von seiner damaligen Lebensgefährtin getrennt. Zwei der vier ihm angelasteten Taten waren sog. ”Beziehungstaten“, so dass nach vollzogener Trennung nicht davon auszugehen ist, dass es zwischen diesen beiden Personen zu neuen Straftaten kommen werde. Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte in jeder Beziehung zu Straftaten zum Nachteil seiner jeweiligen Partnerin neigt, fehlen. Vielmehr war bei den beiden Taten, die der Angeklagte zum Nachteil der Frau S. begangen hatte, Auslöser jeweils ein aggressives Verhalten der Frau S. ihm gegenüber gewesen war.
Er hat eigenen Wohnraum, den er allein bewohnt. Er gibt an, zwar in einer neuen Partnerschaft zu leben, aktuell aber noch die räumliche Distanz haben zu wollen. Auch dies spricht dagegen, dass es in nächster Zeit unter den Bedingungen engeren räumlichen Zusammenlebens zu Gewalt gegenüber einer neuen Partnerin kommen würde, zumal der Angeklagte ausgeführt hatte, mit ihr schon einmal 5 Jahre lang liiert gewesen, ohne dass dies zu körperlich ausgetragenen Konflikten geführt habe.
Der Angeklagte hat Arbeit. Er war stets bemüht, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen und hat dabei auch einigen Aufwand in Kauf genommen. Er war für kürzere Zeit beschäftigt bei einer in Frankfurt am Main ansässigen Firma, ehe er jetzt ab 26.08.2021 eine Beschäftigung gefunden hat bei einer Arbeitnehmerüberlassungsfirma und eingesetzt ist bei der Firma R. in Leipzig. Der Angeklagte schildert dazu, dass er mit der Bahn von G. nach E. fahre und von dort das Fahrrad nutze. Er ist unbefristet und in Vollzeit beschäftigt und verdient 11,15 EUR in der Stunde als ungelernter Helfer bei Elektroarbeiten.
Der Angeklagte will die Fahrerlaubnis erlangen. Er hat schon etliche Fahrstunden absolviert, aber die theoretische Prüfung einmal nicht bestanden. Nach seinen Schilderungen steht er kurz vor der erneuten Führerscheinprüfung.
All dies zeigt, dass der Angeklagte bemüht ist, in geordneten Verhältnissen (neue Partnerschaft, eigene Wohnung, Arbeitsverhältnis) Fuß zu fassen. Dies korrespondiert mit seinem Ziel, ”sein Leben in Ruhe zu leben“.
Die dem Angeklagten hier angelasteten Straftaten liegen schon 2 Jahre oder mehr zurück; die letzten Straftaten davor beging er bis Sommer 2017. Der Angeklagte hat danach Hafterfahrung gemacht. Außerhalb einer konfliktbehafteten Beziehung ist er praktisch nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung getreten.
Es ist daher unter gleichbleibenden Umständen mit ganz überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Angeklagte nach Beendigung der durchaus als ”toxisch“ zu bezeichnenden Beziehung zu Frau S. künftig keine neuen Straftaten mehr begehen wird, weil er unter durchaus schwierigen Bedingungen ohne Berufsausbildung und unter den Beschränkungen, die sich für die Arbeitswelt aus der Corona–Pandemie ergeben haben, nicht nur bemüht war, Arbeit zu finden, sondern tatsächlich auch wiederholt einen Arbeitsplatz gefunden hat. Der Angeklagte hat für seine Verhältnisse viel erreicht; für eine positive Sozial– und Kriminalprognose kann sicher nicht erwartet werden, dass eine ungelernte Arbeitskraft sich seit etlichen Monaten in einem guten Job auch schon bewährt hat. Dem Angeklagten ist bewusst, dass er mit einer Inhaftierung den Arbeitsplatz, damit perspektivisch den Wohnraum und möglicherweise auch die Partnerin verlieren würde. Es sind keine negativen Umstände ersichtlich, die dafür sprechen würden, dass der Angeklagte bei klarem Verstand all dies aufs Spiel setzen würde.
Die Verteidigung der Rechtsordnung (§ 56 Abs. 3 StGB) gebietet die Vollstreckung dieser Gesamtfreiheitsstrafe sicher nicht, denn ihr liegen im wesentlichen Straftaten zugrunde, die erwuchsen aus einer Beziehung mit beiderseitiger Aggression. Diese Beziehung ist beendet; negative und dauerhafte Folgen für die ehemalige Lebensgefährtin sind nicht entstanden.
Die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe war daher zur Bewährung auszusetzen.“
Im Ermangelung besserer oder entgegenstehender Erkenntnisse schließt sich der Senat dieser nachvollziehbar dargelegten Prognose an. Es reicht nach § 56f Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StGB aus, die Dauer der verfahrensgegenständlichen Aussetzung zur Bewährung um die Hälfte der zunächst bestimmten Zeitspanne (vgl. § 56f Abs. 2 Satz 2 StGB), somit um ein Jahr, zu verlängern. Ein Widerruf scheidet damit aus.
III.
Die Zeitspanne der auch nach Ablauf der Bewährungszeit noch möglichen Verlängerung schließt sich unmittelbar an die abgelaufene Bewährungszeit an; dies gilt selbst dann, wenn – wie hier – im Zeitpunkt der Beschlussfassung auch der verlängerte Zeitraum bereits wieder abgelaufen ist (vgl. Senat, Beschluss vom 02. September 2010 – Az.: 2 Ws 197/10 -, juris Rdnr. 15 bis 17).
Der Senat teilt in Übereinstimmung mit der weitaus herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur nach wiederholter Prüfung auch weiterhin nicht die in jüngerer Zeit vom Oberlandesgericht München (vgl. OLG München, Beschluss vom 14. Februar 2020 – Az.: 2 Ws 130/20 -, juris) erneut vertretene gegenteilige Ansicht, dass der Verlängerungszeitraum erst „ex nunc“ mit dem Erlass der Verlängerungsentscheidung beginne, (wie hier: vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 12. August 2021 – Az.: 1 Ws 477/21 -, juris; HansOLG Bremen, Beschluss vom 20. September 2019 – Az.: 1 Ws 67 – 69/19 -, juris; KG Berlin, Beschluss vom 18. Juli 2018 – Az.: 5 Ws 78/18 -, juris; Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 22. März 2016 – Az.: 1 Ws 20/16 -, juris; Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 11. Dezember 2013 – Az.: 1 Ws 451/13 -, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 20. Oktober 2009 – Az.: 3 Ws 386/09 -, juris; OLG Bamberg, Beschluss vom 24. März 2015 – Az.: 22 Ws 19/15 -, juris; BVerfG, Kammerbeschluss vom 10. Februar 1995 – 2 BvR 168/95 –, juris; Hubrach in: LK–StGB, 12. Aufl., § 56f Rdnr. 42; a.A. Kinzig in: Schönke/Schröder–StGB, 30. Aufl., § 56f Rdnr. 19 mit umfangreicher Fundstellenangabe zu beiden Auffassungen).
Das OLG München (a.a.O. Rdnr. 22) meint, seine Ansicht auf den Hinweis stützen zu können, dass „sowohl im allgemeinen Sprachgebrauch als auch in der Rechtssprache der Begriff der Verlängerung im Einzelfall aber auch dann gebraucht werden [könne], wenn der Verlängerungszeit eine zeitliche Zäsur vorangeh[e]. So [sei] beispielsweise die Verlängerung einer schon abgelaufenen prozessualen Frist nach den Verwaltungsprozessordnungen ausdrücklich vorgesehen (§ 139 Abs. 3 Satz 3 VwGO; § 160a Abs. 2 Satz 2 SGG, § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG; § 120 Abs. 2 Satz 3 FGO) (vgl. Grothe in Münchener Kommentar, BGB, 8. Aufl. 2018, § 190 Rdnr. 2)“.
Diese Erwägung überzeugt nicht. Hierbei wird übersehen, dass es sich bei den in Bezug genommenen Vorschriften um prozessuale (Ausschluss)fristen handelt, innerhalb derer eine (unterlassene) Handlung vorzunehmen gewesen wäre, nicht jedoch – anders als die Frist nach § 56a StGB – um Wohlverhaltensfristen. Zudem wird aber auch in den genannten Vorschriften der Begriff einer „Verlängerung“ entgegen der Ansicht des OLG München nicht im Sinne der Anordnung einer neuen Frist („ex tunc“) definiert. Vielmehr entfällt durch die „Verlängerung der Frist“ lediglich deren Ausschlusscharakter (ihr Ablauf), so dass sie noch weiterhin offen gehaltenen – eben verlängert – wird.
Zudem befindet sich der Verurteilte – entgegen der Ansicht des OLG München – auch nach Ablauf der ursprünglichen Bewährungszeit bis zum Erlass des Verlängerungsbeschlusses nicht „in einer bewährungsfreien Zeit“, in welcher die Bewährungszeit bei direktem Anschluss der Verlängerung zwar formal, faktisch jedoch nicht verlängert sei (so OLG München a.a.O. Rdnr. 23 [„einhellige Meinung“]; sowie Rdnr. 26, 27, unter Verweis [“vorzugswürdig“] auf eine frühere, indes überwiegend nicht geteilte Rechtsprechung des OLG Frankfurt a.M., vgl. OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR 2008, 221). Daher überzeugt abschließend auch nicht das Argument, dass Weisungen nach § 56c StGB bei einer Verlängerung „ex tunc“ nicht möglich seien, und sie deshalb (!) erst „ex nunc“ (neu) beginnen dürfe (vgl. OLG München a.a.O., Rdnr. 24).
Denn der Proband unterliegt auch in dieser Zeit der „Vakanz“ (Groß, jurisPR-StrafR 12/2014 Anm. 1) dem Bewährungsdiktat, zumal das Rückwirkungsverbot insoweit nicht gilt. Entsprechend sind – unter Beachtung des Vertrauensschutzes (Art. 20 Abs. 3 GG) – Konsequenzen (bis hin zum Widerruf) auch bei einem Fehlverhalten in dieser Zeitspanne möglich (vgl. Senat a.a.O. Rdnr. 19 bis 21, m.w.N.; OLG Hamm, Beschluss vom 20. Oktober 2009 – Az.: 3 Ws 386/09 -, juris). Selbst eine Tat, die in den erst nachträglich verlängerten und sich rückwirkend an die abgelaufene Zeit anschließenden Bewährungszeitraum fällt, kann einen Widerruf rechtfertigen. Gestützt wird diese Auffassung durch die mit § 57 Abs. 5 Satz 2 StGB deutlich zum Ausdruck gebrachte gesetzgeberische Entscheidung, auch Straftaten, welche in „bewährungsfreier“ Zeit begangen werden, grundsätzlich als Widerrufsgrund zuzulassen.
IV.
Die (verlängerte) Bewährungszeit lief somit am 18. Oktober 2021 ab.
Gemäß § 56g Abs. 1 Satz 1 (i.V.m. § 57 Abs. 5 Satz 1) StGB hat das Gericht die Strafe nach Ablauf der Bewährungszeit zu erlassen, wenn es die Strafaussetzung nicht widerruft. Der Straferlass setzt nach übereinstimmender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur (vgl. Thüringer Oberlandesgericht Jena, Beschluss vom 29. Dezember 2011 – Az. 1 Ws 561/11 –; BGH NStZ 1993, 235; OLG Hamm NStZ 1998, 478 f.; OLG Zweibrücken MDR 1989, 178; Lackner/Kühl, StGB, 27. Auflage, § 56g Rdnr.1) voraus, dass sich das Gericht die Überzeugung verschafft hat, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf der Strafaussetzung endgültig fehlen.
Dies ist vorliegend der Fall. Die Generalstaatsanwaltschaft hat auf eine entsprechende Anfrage von Seiten des Senats mitgeteilt, dass in der nach den vorstehenden Ausführungen verlängerten Bewährungszeit keine weiteren Straftaten des Beschwerdeführers bekannt geworden sind, „deren Begehung durch eine rechtskräftige Verurteilung oder durch ein Geständnis des Verurteilten feststeh[e]“. Ein Widerrufsgrund ist demnach nicht ersichtlich, weshalb auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten der Beschluss des Landgerichts Dresden – StVK Riesa – aufzuheben und der Straferlass auszusprechen.
V.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt in Ermangelung eines anderen Kostenschuldners die Staatskasse. Die Auslagenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 467 StPO.