AG Geislingen – Az.: 4 Cs 17 Js 13148/19 – Beschluss vom 14.10.2019
1. Der Erlass des von der Staatsanwaltschaft beantragten Strafbefehls wird abgelehnt.
2. Es wird festgestellt, dass die am 28./29.11.2018 durchgeführte Durchsuchung der Wohnräume des … in … rechtswidrig war.
Gründe
Im Strafbefehlsantrag vom 01.08.2019 legt die Staatsanwaltschaft Ulm dem Beschuldigten folgenden Sachverhalt zur Last:
1.
Am oder kurz nach dem 05.03.2018 verkauften und übersandten Sie von ihrer Wohnanschrift in … aus wissentlich eine vollautomatische Luftdruckwaffe „WE 999 K, Modell 99-002038“ an den Zeugen … nach Stuttgart.
2.
Am 28.11.2018 übten sie in … wissentlich die tatsächliche Gewalt über eine Präzisionsschleuder aus. Hierbei handelte es sich um eine verbotene Waffe.
I.
Die vom Zeugen … an die Polizei übergebene Luftdruckwaffe war im Kriminaltechnischen Institut des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg untersucht worden. Der technische Sachverständige kam zum Ergebnis, dass es sich um ein Soft-Air-Gewehr handelt, wobei linksseitig am Gehäuse (verblasste) Herstellerbezeichnungen aufgebracht sind, in denen er fragmentarisch ein Beschusszeichen „F im Fünfeck“ mit dem Zusatz: „SOK Kal:6mmBB No Retreat“ erkennen konnte. „SOK“ ist keine bei der PTB registrierte Händlerkennzeichnung. Bei einer Funktionsüberprüfung stellte sich heraus, dass die Funktion der Waffe gestört war und dass durch einmalige Betätigung des Abzuges aus dem Lauf des Gewehres mehrere Schüsse abgegeben werden konnten, so dass der Sachverständige die Waffe als Vollautomat einstufte. Da vollautomatische Waffen in Deutschland keine Zulassung erhalten, urteilte der Sachverständige, es könne sich bei dem angebrachten Zeichen „F im Fünfeck“ nicht um ein Original-Prüfzeichen handeln; ein erlaubnisfreier Erwerb und Besitz dieser Waffe könne nicht stattfinden.
Demgegenüber trägt der Beschuldigte vor, die betreffende Soft-Air-Waffe trage sehr wohl eine registrierte Händlerkennzeichnung, nämlich: „SQK“ (nicht SOK) und sei ordnungsgemäß zugelassen gewesen. Es handele sich auch keineswegs um einen Vollautomaten, sondern um eine zur Zulassung geeignete, halbautomatische Soft-Air-Waffe. Bei dieser sei wohl nach dem Verkauf an den Zeugen … eine Störung aufgetreten, möglicherweise aufgrund Verschleißes. Diese Störung müsse dazu geführt haben, dass bei einmaligem Betätigen des Abzugs mehrere Schüsse abgegeben werden konnten, was im Originalzustand nicht der Fall gewesen sei. Auf Rückfrage erklärte der technische Sachverständige des Landeskriminalamts Baden-Württemberg, aufgrund der schlechten Erkennbarkeit der Kennzeichnung und der Bauart der Soft-Air-Waffe könne weder bestätigt noch ausgeschlossen werden, dass die Händlerkennung „SQK“ laute; auch könne nicht festgestellt werden, ob das gegenständliche Gewehr als Vollautomat hergestellt und vertrieben worden sei oder ob die vollautomatische Funktion Folge einer nachträglichen Manipulation, oder auch von Verschleiß oder auch eines Defektes sei. Vielmehr bestehe die Möglichkeit, dass das Soft-Air-Gewehr im Originalzustand als halbautomatische Soft-Air-Waffe über 0,5 Joule legal in Deutschland vertrieben und erworben wurde.
Die Einlassung des Beschuldigten kann daher nicht widerlegt werden. Es ist nicht auszuschließen, dass er die betreffende Soft-Air-Waffe rechtmäßig erworben und besessen hatte. Er hatte nach seinem Vorbringen keine Kenntnis von der vorliegenden Störung, als er die Waffe verkaufte. Der Käufer ist älter als 18 Jahre. Auch er durfte diese Soft-Air-Waffe in ihrem ursprünglichen Zustand erlaubnisfrei erwerben und besitzen. Der im Strafbefehlsantrag erhobene Vorwurf des vorsätzlichen (bzw. auch nur fahrlässigen) Überlassens einer Schusswaffe an einen Nichtberechtigten gemäß § 52 Abs. 3 Nr. 7 WaffG kann daher nicht aufrechterhalten werden.
Aus tatsächlichen Gründen war insoweit der Erlass des betreffenden Strafbefehls abzulehnen.
II.
Dem Tatvorwurf Ziffer 2 lagen folgende Ermittlungshandlungen zugrunde:
Am 28.11.2018 gegen 22:22 Uhr meldete der Anzeigeerstatter …, wohnhaft in …, dem Polizeirevier … telefonisch, er habe durch das Fenster im ersten Obergeschoss des Nachbargebäudes (…) gesehen, dass dort auf dem Wohnzimmertisch eine Langwaffe mit eingeführtem Magazin liege. Er habe zudem beobachtet, wie eine männliche Person mit der Waffe herumhantierte.
Eine Recherche im polizeilichen Informationssystem ergab den Beschuldigten als Bewohner der betreffenden Wohnung, zu ihm gab es einen Eintrag wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz; im Nationalen Waffenregister war kein Eintrag enthalten.
In der Folge begaben sich insgesamt fünf Polizeibeamte des Polizeireviers … in ballistischer Schutzausrüstung – zum Wohngebäude … . Während eine Beamtin vom Garten aus die Wohnung observierte, wurden die vier weiteren Polizeibeamten von einem anderen Hausbewohner ins Gebäude gelassen. Der Beschuldigte öffnete auf Klingeln seine Wohnungstüre und wurde sofort – widerstandslos – durch die Beamten zu Boden gebracht und auf dem Rücken geschlossen. Die Wohnung wurde sodann durch die Beamten gesichert; es befand sich keine weitere Person dort. Im Sachverhaltsbericht der Polizei wird sodann ausgeführt: „Da die Beamten beim Betreten der Wohnung schon mehrere Waffen, welche optisch Kriegswaffen glichen, festgestellt hatten, wurde die Wohnung mit Zustimmung des Beschuldigten durchsucht.“
Es fanden sich verschiedene Soft-Air-Waffen, ein Einhandmesser, ein Kampfmesser, eine Präzisionsschleuder und diverse Patronen verschiedener Kaliber, bei denen es sich nicht um Munition handelte, da kein Zündsatz vorhanden war. Sämtliche Gegenstände, mit Ausnahme der Präzisionsschleuder, die nach wie vor sichergestellt ist, dürfen erlaubnisfrei erworben und besessen werden und wurden dem Beschuldigten deshalb zurückgegeben. In der Niederschrift über die Durchsuchung ist eingangs als Rechtsgrundlage angekreuzt: „PolG“; als Grund der Durchsuchung ist angegeben: „Verdacht Verstoß Waffengesetz“. Vermerkt ist zudem, dass die Durchsuchung begann um 23:55 Uhr am 28.11.2018 und beendet war am 29.11.2018 um 00:45 Uhr. Der die Durchsuchung anordnende Beamte ist nicht genannt. Eine weitere Dokumentation hat nicht stattgefunden. Es war weder ein Staatsanwalt noch ein Richter zuvor mit der Sache befasst und um eine Anordnung gebeten worden.
Gemäß Artikel 13 Abs. 2 GG. § 105 StPO setzt jegliche Durchsuchung eine vorherige richterliche Anordnung voraus, es sei denn, es liegt Gefahr im Verzug vor. Für Letzteres besteht kein Anhalt. Von welcher konkret bestehenden Gefahr die Polizei ausging, erschließt sich nicht, ebenso wenig, aus welchem Grund diese Gefahr akut, dringend, „im Verzug“ war. Es war lediglich von einem Anrufer mitgeteilt worden, dass der Beschuldigte innerhalb seiner Wohnung mit einer Langwaffe hantiere. Bei der Waffe konnte es sich ohne Weiteres um eine erlaubnisfrei zu besitzende handeln, insbesondere (wie tatsächlich) eine Soft-Air- oder auch eine Deko-Waffe; es musste sich keineswegs zwingend um eine erlaubnispflichtige Waffe handeln, die im Nationalen Waffenregister einzutragen wäre. Anhaltspunkte dafür, dass andere Personen einer Gefährdung durch diese Waffe ausgesetzt waren oder sein könnten, lagen nicht vor – der Zeuge hatte lediglich mitgeteilt, in der Wohnung befinde sich eine Waffe; in welcher Weise der Bewohner mit dieser „hantierte“, ist nicht näher ausgeführt. Hinweise auf weitere Personen in der Wohnung lagen nicht vor; von einem wie auch immer gearteten Einsatz der Waffe aus der Wohnung heraus nach außen war nicht die Rede. Zudem ist der Anzeigeerstatter auch im Nachhinein nicht förmlich vernommen worden. In welcher Beziehung er zum Beschuldigten steht, ob er insbesondere mit diesem etwa in Streit verwickelt war, bleibt unklar. Der ohnehin dürftige „Grund-Sachverhalt“ war auch deshalb mit Vorsicht zu bewerten.
Angesichts des hohen Wertes des in Artikel 13 Abs. 1 GG garantierte Grundrechtes des Beschuldigten auf den Schutz seines persönlichen Lebensbereichs, die Unverletzlichkeit seiner Wohnung, stellt jegliche Durchsuchung einen schwerwiegenden Eingriff dar und steht deshalb unter dem Vorbehalt der zuvor durch einen unabhängigen Richter erfolgten Prüfung. Das besondere Erfordernis der vorab einzuholenden richterlichen Entscheidung ist seit mehr als einem Jahrzehnt jedem Polizeibeamten wohlbekannt – die bereits im Jahr 2001 ergangene Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts führte schließlich (über den Bereitschaftsdienst der Staatsanwaltschaft hinaus) zur Einrichtung auch eines richterlichen Bereitschaftsdienstes. Auch zur Nachtzeit war am 28.11.2019 telefonisch ein Bereitschaftsrichter erreichbar. Gefahr im Verzug konnte deshalb nur dann vorliegen, falls die vorherige – telefonische – Einholung der richterlichen Anordnung den Erfolg der Durchsuchung gefährdet hätte. Das ist klar zu verneinen: vom Anruf des Anzeigeerstatters bis zum Aufsuchen der Wohnanschrift des Beschuldigten vergingen gut eineinhalb Stunden; innerhalb dieses Zeitraums wäre ein Anruf bei Staatsanwalt und Richter jederzeit zu bewerkstelligen gewesen. Dass seitens der Polizei nicht einmal versucht wurde, den zuständigen Bereitschafts-Staatsanwalt und über diesen den zuständigen Bereitschafts-Richter um eine Durchsuchungsanordnung anzugehen, ist in keiner Weise nachvollziehbar.
Hier handelte es sich zudem um eine Durchsuchung zur Nachtzeit, die gemäß § 104 StPO noch engeren Voraussetzungen unterliegt. Sie ist nur erlaubt, wenn eine Verfolgung auf frischer Tat stattgefunden hat, es sich um die Wiederergreifung eines entwichenen Gefangenen handelt oder aber (eben) Gefahr im Verzug besteht. Keine dieser Voraussetzungen traf hier zu. § 31 des Polizeigesetzes Baden-Württemberg erlaubt eine Durchsuchung zur Nachtzeit gemäß Abs. 3 nur dann, wenn eine Person entführt worden ist, Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie in einem bestimmten Gebäude festgehalten wird, und auf andere Weise eine konkret bestehende Lebens-oder Gesundheitsgefahr von der entführten Person oder einem Dritten nicht abgewehrt werden kann. Auch diese Vorschrift gestattete eine Durchsuchung hier gerade nicht, wobei auch § 31 des Polizeigesetzes – abgesehen von Gefahr im Verzug – eine richterliche Anordnung voraussetzt.
Von einem wirksamen Einverständnis des Beschuldigten mit der Durchsuchung kann nicht ausgegangen werden. Er hatte mitten in der Nacht auf Klingeln die Wohnungstür geöffnet und sah sich unvermutet vier Polizeibeamten in Schutzausrüstung gegenüber, die ihn sofort zu Boden brachten und fesselten. Er befand sich ganz offenkundig in einer Ausnahmesituation, die eine freie Willensbildung zumindest schwer beeinträchtigte, wenn nicht ausschloss. Hinzu kommt, dass Zweck der polizeilichen Handlungen, beginnend beim Aufsuchen der Wohnanschrift des Beschuldigten, von vornherein gewesen ist, sich Zutritt zu der Wohnung zu verschaffen und diese – nach Waffen – zu durchsuchen.
Die durchgeführte Durchsuchungshandlung war gesetzes- und damit rechtswidrig. Auf Antrag des Beschuldigten war dies festzustellen.
Es handelt sich vorliegend um einen sehr schwerwiegenden Verstoß.
Selbstverständlich ist der Staat verpflichtet, Straftaten zu verfolgen und so weit als möglich aufzuklären. Doch nicht um jeden Preis. Dieser Verpflichtung des Staates steht auf der anderen Seite gegenüber das Grundrecht des einzelnen Bürgers auf Unverletzlichkeit seiner Wohnung – darauf, in seiner Wohnung von staatlicher Gewalt unbehelligt zu bleiben. Beides ist vor jeder Anordnung einer Durchsuchung gegeneinander abzuwägen. Eine solche Abwägung hat vorliegend nicht stattgefunden. Hier wurde sprichwörtlich mit Kanonen auf Spatzen geschossen und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der allem staatlichen Handeln zugrundezulegen ist, völlig außer Acht gelassen. Der auf minimale Fakten gestützte Verdacht gegen den Beschuldigten beschränkte sich von vornherein auf ein lediglich mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren geahndetes Vergehen des unerlaubten Besitzes einer Schusswaffe. Seitens der Polizeibeamten wurde darüber hinaus wissentlich und willentlich der nach allen in Betracht kommenden Gesetzesvorschriften vorhandene Richtervorbehalt unterlaufen. Dabei muss angemerkt werden, dass bei einer ex-ante Beurteilung auf der Grundlage des bis dahin bekannten und eingangs ausgeführten Sachverhalts eine richterliche Anordnung zur Durchsuchung zur Nachtzeit nicht ergangen wäre. Anlass zu besonderer Eile bestand nicht. Die Sicherstellung der Waffe zur Aufklärung des vermuteten Vergehens – nämlich deren unerlaubter Besitz – hätte im Rahmen einer in den Folgetagen stattfindenden Durchsuchung erfolgen können. Denn Anhaltspunkte dafür, der Beschuldigte werde die Waffe alsbald gegen andere Personen einsetzen (oder auch nur an einen anderen, unbekannten Ort verbringen) lagen nicht vor.
Nach Überzeugung des Gerichts muss dieser schwerwiegende Verstoß ausnahmsweise ein Beweisverwertungsverbot zur Folge haben. Die neben einer Reihe erlaubnisfreier Waffen sichergestellte Präzisionsschleuder, bei der es sich um einen verbotenen Gegenstand handelt, dessen Besitz gemäß § 52 Abs. 3 Nr. 1 des Waffengesetzes mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder aber Geldstrafe zu ahnden ist, kann zum Nachweis der Tat daher ebensowenig herangezogen werden wie das Zeugnis der an der Durchsuchung beteiligten Polizeibeamten. Andere Beweismittel sind nicht vorhanden, bis auf eine mögliche, bislang nicht eingeholte, förmliche Aussage des Anzeigeerstatters – der allerdings eine Präzisionsschleuder in seiner telefonischen Mitteilung nicht erwähnt hatte. Der im Strafbefehlsantrag erhobene Tatvorwurf Ziffer 2 wird sich daher nicht erweisen lassen.
Letztlich aus rechtlichen Gründen kann auch hinsichtlich dieses Vorwurfs der beantragte Strafbefehl nicht erlassen werden.