AG Tostedt – Az.: 2 Cs 2540 Js 1871/15 – Beschluss vom 11.02.2018
1. Die als Erinnerung zu wertende „Beschwerde“ des Rechtsanwalts … vom 26.10.2017 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Tostedt vom 22.09.2017 wird zurückgewiesen.
2. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
3. Der Wert des Erinnerungsverfahrens wird auf bis zu 650,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die zulässige Erinnerung des Rechtsanwalts … gegen den Beschluss des Amtsgerichts Tostedt vom 22.09.2017 ist zulässig, hat in der Sache allerdings keinen Erfolg, da das Amtsgericht die zu erstattenden Kosten mit zutreffender Begründung – auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird – festgesetzt hat. Eine über das Strafbefehlsverfahren hinaus wirkende Bestellung liegt nicht vor. Eine Vergütung für die über die Einspruchseinlegung gegen den Strafbefehl hinausgehende Tätigkeit kann nicht beansprucht werden und zwar aus folgenden Erwägungen:
Die Beiordnung für das Strafbefehlsverfahren erstreckt sich nicht auf die dem Einspruch nachfolgende Hauptverhandlung (KG Berlin, Beschluss vom 29.05.2012, Az.: 1 Ws 30/12). Würde die Bestellung nach § 408b StPO auch die Hauptverhandlung erfassen, ergebe sich ein Wertungswiderspruch zu § 140 StPO und eine unangemessene Benachteiligung des im Normalverfahren Angeklagten. Denn der Angeklagte, gegen den ein Strafbefehl mit der Rechtsfolge aus § 407 Abs. 2 StPO erlassen worden ist, wäre in der Hauptverhandlung stets durch einen bestellten Rechtsanwalt verteidigt. Der im Normalverfahren nach § 200 StPO Angeklagte, der gegebenenfalls sogar eine unbedingte Freiheitsstrafe erwarten muss, genießt diesen Rechtsvorteil hingegen nur unter den (engen) Voraussetzungen des § 140 StPO (vgl. OLG Düsseldorf im Beschluss vom 21.02.2002, Az.: 2a Ss 265/01 – 91/01 II = NStZ 2002, 390).
Die Gegenmeinung, welche die Bestellung gleichwohl auch auf die Hauptverhandlung erstrecken will (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 11.09.2009, Az.: 2 Ws 386/09 = NStZ-RR 2010, 30; OLG Celle, Beschluss vom 22.02.2011, Az.: 2 Ws 415/10 = NStZ-RR 2011, 295) überzeugt nicht. Zwar beschränkt § 408b StPO die Reichweite der Bestellung – anders als § 118 Abs. 2 Satz 3 StPO („für die mündliche Verhandlung“), § 350 Abs. 3 StPO („für die Hauptverhandlung“) und § 418 Abs. 4 StPO („für das beschleunigte Verfahren“) – nicht ausdrücklich. Die Begrenzung ergibt sich aber bereits daraus, dass der Gesetzgeber die Vorschrift über die Bestellung des Verteidigers in den Abschnitt über das Strafbefehlsverfahren (§§ 407 ff. StPO) eingestellt hat. Hätte die Bestellung im Strafbefehlsverfahren die gesamte Instanz oder das gesamte Verfahren umfassen sollen, wäre es angezeigt gewesen, die Bestellung im Zusammenhang mit der notwendigen Verteidigung (§§ 140 ff. StPO) zu regeln. Denn die Beiordnung nach diesen Vorschriften umfasst grundsätzlich das gesamte Verfahren.
Auch die Gesetzesmaterialien (Bundestagsdrucksache 12/3832, S. 42) legen nahe, dass die Bestellung nach § 408b StPO ausschließlich für das Strafbefehlsverfahren und nicht für die sich anschließende Hauptverhandlung gelten sollte. Darin heißt es:
„Die Regelung ist als eigene Bestimmung in den Abschnitt über das Verfahren bei Strafbefehlen eingefügt worden, um zu verdeutlichen, dass die Bestellung eines Pflichtverteidigers allein auf Grund der besonderen prozessualen Situation geboten ist; der Katalog der notwendigen Verteidigung in § 140 StPO bleibt unberührt“.
Die „besondere prozessuale Situation“ ergibt sich im Wesentlichen aus dem Umstand, dass das Strafbefehlsverfahren eine ausschließlich schriftliche Straffestsetzung ermöglicht. Allein diese Besonderheit rechtfertigt es, dem nicht verteidigten Angeschuldigten zur Kompensation der im schriftlichen Verfahren nicht vorgesehenen persönlichen Anhörung einen Verteidiger beizuordnen.
Nach Einlegung des Einspruchs weist das Verfahren gegenüber den §§ 226 ff. StPO geregelten Normalverfahren hingegen keine so grundlegende Änderung auf, dass die Anwesenheit eines Verteidigers erforderlich wäre. Denn der Angeklagte hat nun – noch dazu nach anwaltlicher Beratung – die Gelegenheit, sich in einer mündlichen Verhandlung zu äußern. Zwar weisen das OLG Celle und das OLG Köln (siehe oben) zutreffend darauf hin, dass im Verfahren nach Einspruchseinlegung gemäß den §§ 411 Abs. 2 Satz 2, 420 StPO für die Beweiserhebung, insbesondere in Bezug auf § 250 StPO, vereinfachte Regeln gelten. Das OLG Celle schließt daraus, das Kompensationsbedürfnis dauere auch nach Einspruchseinlegung fort und erfasse die Hauptverhandlung. Diese Beweiserleichterungen sind aber gerade dem Umfang geschuldet, dass das Verfahren in der Regel überschaubare Sachverhalte betrifft (vgl. Bundestagsdrucksache 12/6853, S. 34). Ein über das ausschließlich schriftliche Strafbefehlsverfahren hinausgehende Kompensationsbedarf, der die Anwesenheit eines Verteidigers notwendig macht, besteht bei diesen Sachverhalten gerade nicht. Sollte sich im Einzelfall – auch unter Berücksichtigung der vereinfachten Beweisregeln nach § 411 Abs. 2 Satz 2 StPO – etwas anderes ergeben, ist dem Angeklagten dann nach § 140 Abs. 2 StPO ein Pflichtverteidiger beizuordnen.
Auch der Einwand der vorgenannten Gegenmeinung, aus der in § 411 Abs. 2 StPO fehlenden Verweisung auf § 418 Abs. 4 StPO sei zu folgern, dass die Bestellung im Strafbefehlsverfahren auch für die Hauptverhandlung gelten solle, überzeugt nicht.
Zutreffend ist zwar, dass im beschleunigten Verfahren als Ausgleich für die Beweiserleichterung dem Angeklagten nach § 418 Abs. 4 StPO ein Verteidiger zu bestellen ist, wenn eine Freiheitsstrafe von mindestens 6 Monaten zu erwarten ist, dem durch Strafbefehl Angeklagten diese Privileg nach der hier vertretenen Auffassung aber auch dann versagt bleibt, wenn eine entsprechende Freiheitsstrafe im Raum steht. Diese Differenzierung rechtfertigt sich aber zum einen aus dem Umstand, dass der Adressat des Strafbefehls jedenfalls vor der Hauptverhandlung durch den nach § 408b StPO bestellten Verteidiger beraten war. Dies ergibt sich zum anderen daraus, dass die durch das OLG Celle und Köln vertretene Auffassung über die bereits genannte Ungleichbehandlung in Bezug auf den im Normalverfahren Angeklagten hinaus zu einem weiteren, gravierenden Wertungswiderspruch führt. Denn der Angeklagte, gegen den im Strafbefehl eine Freiheitsstrafe festgesetzt worden ist, wäre nach der durch das OLG Celle oder das OLG Köln vertretenen Auffassung in der Hauptverhandlung stets verteidigt; dem Angeklagten, gegen den im Strafbefehl eine – ggf. hohe – Geldstrafe festgesetzt worden ist, wäre hingegen kein Verteidiger zu bestellen, obwohl auch er wegen der aufgrund des § 411 Abs. 4 StPO drohenden Schlechterstellung mit einer Freiheitsstrafe selbst dann rechnen muss, wenn die Hauptverhandlung keinen schwerer wiegenden Sachverhalt ergibt (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 30.01.2006, Az.: 1 Ss 5/06 = Beck RS 2006, 01865).
II.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 11 Abs. 4 RpflG.