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Vertretung des Betroffenen durch unterbevollmächtigten Verteidiger in Hauptverhandlung

Rechtsbeschwerde aufgrund fehlender Vollmacht und fehlender Urteilsgründe

In einem Fall von fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreitung auf einer Autobahn hat das Bayerische Oberlandesgericht (BayObLG) eine Entscheidung getroffen, die die rechtzeitige Beantragung der Zulassung der Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Miesbach feststellt. Das Hauptproblem besteht darin, dass trotz Anwesenheit einer vom Verteidiger des Betroffenen unterbevollmächtigten Verteidigerin bei der Urteilsverkündung, die Hauptvollmacht des Verteidigers fehlte. Zudem waren die Urteilsgründe in dem am 21. April 2022 verkündeten Urteil nicht vollständig.

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Fehlende Vollmacht als entscheidender Faktor

Das Amtsgericht hatte gegen den Betroffenen eine Geldbuße von 120 Euro wegen einer am 06.06.2021 begangenen außerörtlichen Geschwindigkeitsüberschreitung festgesetzt. Der Fahrzeugführer legte gegen dieses Urteil mit Schreiben seines Verteidigers vom 05.05.2022 eine Zulassungsrechtsbeschwerde ein und beantragte zugleich die Wiedereinsetzung in die Versäumung der Wochenfrist für die Einlegung des Rechtsmittels. Der Vertreter des Betroffenen hatte jedoch keine Vollmacht des Hauptverteidigers, trotz Übertragung einer Untervollmacht durch diesen.

Rechtsprechung und Gründe der Entscheidung

Gemäß der Rechtsprechung und Schrifttum ist anerkannt, dass eine der oder dem Unterbevollmächtigten erteilte Vollmacht nicht nachgewiesen sein muss, wenn eine Vertretungsvollmacht durch den Wahlverteidiger im Zeitpunkt der Urteilsverkündung nachgewiesen ist. Im vorliegenden Fall fehlt jedoch der Nachweis einer dem hauptbevollmächtigten Wahlverteidiger erteilten Vertretungsvollmacht. Die maßgeblichen Vorschriften wollen gewährleisten, dass die Vertretung des Betroffenen seinem explizit erklärten Willen entspricht und dem Gericht aus Gründen der Rechtssicherheit nachgewiesen wird. Durch die bloße Erteilung einer Untervollmacht durch den Wahlverteidiger wird dieser Normzweck jedoch nicht erreicht.

Folgen für das weitere Verfahren

Da die festgestellte Wahrung der Rechtsmittelfrist erfolgt ist, hat das Amtsgericht nun die Möglichkeit, innerhalb der gesetzlichen Frist die bisher fehlenden Urteilsgründe zu ergänzen. Die Interessenlage entspricht in diesen Fällen derjenigen bei der Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Die Feststellung, dass kein die Abfassung eines abgekürzten Urteils nach § 77b OWiG rechtfertigender Grund vorlag, macht es erforderlich, das weitere Verfahren entsprechend § 267 Abs. 4 Satz 4 StPO zu gestalten. Die Frist für die Ergänzung der Urteilsgründe beginnt, sobald die Akten bei dem für die Ergänzung zuständigen Gericht eingehen.


Das vorliegende Urteil

BayObLG – Az.: 202 ObOWi 1110/22 – Beschluss vom 06.12.2022

Es wird festgestellt, dass der Betroffene gegen das Urteil des Amtsgerichts Miesbach vom 21. April 2022 rechtzeitig die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt hat.

Gründe

I.

Mit Urteil vom 21.04.2022 hat das Amtsgericht gegen den mit Beschluss vom 07.04.2022 antragsgemäß nach § 73 Abs. 2 OWiG von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung am 21.04.2022 entbundenen Betroffenen in seiner Abwesenheit jedoch in Anwesenheit einer vom Verteidiger des Betroffenen unterbevollmächtigten Verteidigerin wegen einer am 06.06.2021 als Führer eines Pkws auf einer Autobahn fahrlässig begangenen außerörtlichen Geschwindigkeitsüberschreitung um 35 km/h eine Geldbuße von 120 Euro festgesetzt. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner mit Schreiben seines Verteidigers vom 05.05.2022 an diesem Tag beim Amtsgericht eingegangenen Zulassungsrechtsbeschwerde, mit der er zugleich die Wiedereinsetzung in die Versäumung der Wochenfrist für die Einlegung des Rechtsmittels beantragt. Mit Zuleitungsschrift vom 23.08.2022 hat die Generalstaatsanwaltschaft München beantragt, dem Betroffenen Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde zu gewähren.

II.

Die gegen das Urteil vom 21.04.2022 gerichtete Zulassungsrechtsbeschwerde ist rechtzeitig eingelegt worden, weil bislang eine gemäß §§ 35 Abs. 2 Satz 1, 35a, 36 Abs. 1 Satz1 StPO i.V.m. §§ 79 Abs. 3, 80 Abs. 3 und Abs. 4 OWiG gebotene förmliche Urteilszustellung unterblieben und deshalb weder die Frist zur Einlegung noch zur Begründung der Zulassungsrechtsbeschwerde in Gang gesetzt worden ist, weshalb für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mangels Fristversäumung kein Raum besteht.

Wie sich aus § 79 Abs. 4 letzter Halbsatz i.V.m. § 80 Abs. 3 Satz 1 OWiG ergibt, beginnt bei einem in Abwesenheit des Betroffenen verkündeten Urteil die Frist zur Anbringung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde nur dann bereits mit der Verkündung des Urteils zu laufen, wenn der Betroffene bei der Urteilsverkündung von einem nach § 73 Abs. 3 OWiG schriftlich bevollmächtigten Verteidiger vertreten worden ist.

Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Vielmehr handelte es sich um eine Verkündung des Urteils in Abwesenheit des Betroffenen. Zwar war eine mit vom Wahlverteidiger ausgestellter Untervollmacht versehene Verteidigerin in der Hauptverhandlung und bei der Urteilsverkündung anwesend. Allerdings genügt dies nicht, weil eine Vollmacht des Verteidigers nicht vorlag.

In Judikatur und Schrifttum ist anerkannt, dass eine der oder dem Unterbevollmächtigten erteilte Vollmacht nicht nachgewiesen sein muss, es vielmehr genügt, dass eine Vertretungsvollmacht durch den Wahlverteidiger im Zeitpunkt der Urteilsverkündung nachgewiesen ist (OLG Bamberg, Beschl. v. 27.04.2007 – 3 Ss OWi 480/07 = OLGSt OWiG § 73 Nr 11 = BeckRS 2007, 8730; 29.05.2006 – 3 Ss OWi 430/06 = NStZ 2007, 180; 18.04.2011 – 2 Ss OWi 243/11 = NZV 2011, 509 = DAR 2011, 401 = ZfSch 2011, 472 = VRS 121 [2011], 49 = BeckRS 2011, 18642 u. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 06.02.2017 – 2 [6] SsRs 723/16 bei juris, jeweils m.w.N.; vgl. auch Göhler/Seitz/Bauer OWiG 18. Aufl. § 79 Rn. 30a; KK-OWiG/Senge 5. Aufl. § 73 Rn. 41; BeckOK-OWiG/Hettenbach [Stand: 01.10.2022 – 36. Edit.] § 73 Rn. 21 ff. und Krenberger/Krumm OWiG 7. Aufl. § 73 Rn. 21, jeweils m.w.N.).

Dies gilt jedoch nicht im umgekehrten Fall, bei dem es – wie hier – an einem Nachweis einer dem hauptbevollmächtigten Wahlverteidiger erteilten Vertretungsvollmacht fehlt. Denn die genannten Vorschriften sollen gewährleisten, dass die Vertretung des Betroffenen seinem explizit erklärten Willen entspricht und dies dem Gericht auch aus Gründen der Rechtssicherheit nachgewiesen wird. Durch die bloße Erteilung einer Untervollmacht durch den Wahlverteidiger wird dieser Normzweck aber gerade nicht erreicht.

III.

Die Feststellung der Wahrung der Rechtsmittelfrist hat entsprechend § 267 Abs. 4 Satz 4 StPO zur Folge, dass das Amtsgericht innerhalb der in § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO i.V.m. §§ 79 Abs. 3, 80 Abs. 4 OWiG vorgesehenen Frist die bislang fehlenden Urteilsgründe noch ergänzen kann. Denn die Interessenlage entspricht in diesen Fällen derjenigen im Falle der Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Die nachträgliche Feststellung, dass ein solcher Fall nicht vorlag, macht es demgemäß erforderlich, das weitere Verfahren entsprechend § 267 Abs. 4 Satz 4 StPO zu gestalten. Insoweit besteht eine Regelungslücke im Gesetz, die durch analoge Anwendung des § 267 Abs. 4 Satz 4 StPO zu schließen ist (BGH, Beschl. v. 04.10.2017 – 3 StR 397/17 bei juris = BeckRS 2017, 131903 m.w.N.).

Die Frist für die Ergänzung der Urteilsgründe beginnt, sobald die Akten nach der Feststellung des Nichtvorliegens eines die Abfassung eines abgekürzten Urteils nach § 77b OWiG rechtfertigenden Grundes gemäß § 267 Abs. 4 Satz 1 StPO bei dem für die Ergänzung zuständigen Gericht eingehen (vgl. neben BGH a.a.O. auch BayObLG, Beschl. v. 23.07.2020 – 201 ObOWi 881/20 bei juris = BeckRS 2020, 28926).

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