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Verzicht auf mündliche Anhörung des Sachverständigen – § 454 Abs. 2 Satz 4 StPO

Ein Verurteilter, der wegen schweren sexuellen Missbrauchs eine mehrjährige Haftstrafe verbüßt, kämpft um seine vorzeitige Entlassung auf Bewährung. Doch ein Formfehler der Justiz bringt ihm nun eine neue Chance: Das Oberlandesgericht Zweibrücken hob den ablehnenden Beschluss auf, da der psychologische Gutachter nicht angehört wurde – eine zwingende Voraussetzung, die nicht einfach übergangen werden kann. Nun muss das Landgericht erneut entscheiden, ob der Verurteilte vorzeitig freikommt, während das Gericht selbst mit den Folgen seines Fehlers ringt.

Das Wichtigste: Kurz & knapp

  • Die sofortige Beschwerde des Verurteilten führte zur Aufhebung des vorherigen Beschlusses der Strafvollstreckungskammer.
  • Der Fall wird zur erneuten Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen.
  • Es gab einen wesentlichen Verfahrensfehler, da die mündliche Anhörung des Sachverständigen nicht stattfand.
  • Ein Verzicht auf die Anhörung muss ausdrücklich vom Verurteilten, seinem Verteidiger und der Staatsanwaltschaft erklärt werden.
  • Im vorliegenden Fall lag nur ein formeller Verzicht von Verteidigung und Staatsanwaltschaft vor, nicht jedoch vom Verurteilten selbst.
  • Die Entscheidung des Gerichts berücksichtigt den eigenen Beschluss und gesetzliche Vorgaben zur mündlichen Anhörung.
  • Der Senat kann die unterlassene Anhörung im Beschwerdeverfahren nicht nachholen, weshalb die Aufhebung notwendig war.
  • Bei der erneuten Anhörung sollte der Sachverständige mit der Stellungnahme des Justizvollzugs konfrontiert werden.
  • Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens bleibt der Strafvollstreckungskammer vorbehalten, da der endgültige Erfolg des Rechtsmittels noch unklar ist.
  • Der Ausgang der erneuten Entscheidung könnte bedeutende Auswirkungen auf die Bewährung des Verurteilten haben.

Verzicht auf mündliche Anhörung: Chancen und Risiken im Strafverfahren

In der deutschen Strafprozessordnung (StPO) sind die Rechte der Verfahrensbeteiligten klar geregelt, um eine faire und gerechte Verfahren zu gewährleisten. Ein zentraler Aspekt in diesem Zusammenhang ist das Recht auf Anhörung, insbesondere auch das Recht, auf die Stellungnahme von Sachverständigen zu reagieren. § 454 Abs. 2 Satz 4 StPO erlaubt es jedoch, in bestimmten Fällen auf eine mündliche Anhörung des Sachverständigen zu verzichten. Dies kann weitreichende Konsequenzen für den Verlauf eines Prozesses haben, da die Einschätzungen und Gutachten von Sachverständigen oft entscheidend für die Urteilsfindung sind.

Der Verzicht auf eine mündliche Anhörung eröffnet sowohl Chancen als auch Risiken. Er kann den Prozess beschleunigen und vereinfachen, doch gleichzeitig könnte das Recht auf eine umfassende und faire Verteidigung gefährdet werden. Die Balance zwischen Effizienz im Strafverfahren und dem Schutz der Rechte der Beteiligten ist daher ein zentrales Anliegen des Gesetzgebers.

Um die Auswirkungen dieses speziellen Paragraphen in der Praxis besser zu verstehen, wird im Folgenden ein konkreter Fall vorgestellt, der die Herausforderungen und Implikationen eines solchen Verzichts beleuchtet.

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Der Fall vor Gericht


Verfahrensfehler bei Entscheidung über vorzeitige Haftentlassung

In einem aktuellen Fall befasste sich das Oberlandesgericht Zweibrücken mit der Frage der vorzeitigen Haftentlassung eines Verurteilten. Der Mann verbüßt derzeit eine Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes, Beischlaf zwischen Verwandten und sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen. Das Landgericht Bad Kreuznach hatte ihn in drei Fällen für schuldig befunden.

Antrag auf Bewährung und Gutachtenerstellung

Nachdem der Verurteilte zwei Drittel seiner Strafe verbüßt hatte, beantragte er am 3. Januar 2024 die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung. Das Landgericht Frankenthal zog daraufhin einen Sachverständigen für Rechtspsychologie und Kriminalprognose hinzu, um die Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung zu prüfen. Im Zuge des Verfahrens erklärten sowohl die Verteidigerin des Verurteilten als auch die Staatsanwaltschaft, auf eine mündliche Anhörung des Gutachters zu verzichten.

Entscheidung der Strafvollstreckungskammer

Am 2. Juli 2024 fand eine mündliche Anhörung des Verurteilten statt, bei der der Sachverständige nicht anwesend war. Zwei Tage später lehnte die Strafvollstreckungskammer den Antrag auf Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung ab. Der Verurteilte legte daraufhin am 9. Juli 2024 sofortige Beschwerde gegen diese Entscheidung ein.

Beschluss des Oberlandesgerichts

Das Oberlandesgericht Zweibrücken gab der Beschwerde des Verurteilten statt und hob den Beschluss der Strafvollstreckungskammer auf. Begründet wurde dies mit einem wesentlichen Verfahrensfehler: Die Kammer hatte zu Unrecht von einer mündlichen Anhörung des Sachverständigen abgesehen.

Das Gericht verwies auf § 454 Abs. 2 Satz 3 der Strafprozessordnung, wonach der Sachverständige bei Einholung eines Prognosegutachtens vor einer Entscheidung über die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung mündlich anzuhören ist. Ein Verzicht auf diese Anhörung ist laut § 454 Abs. 2 Satz 4 StPO nur möglich, wenn sowohl der Verurteilte und sein Verteidiger als auch die Staatsanwaltschaft ausdrücklich darauf verzichten.

Fehlende Verzichtserklärung des Verurteilten

Im vorliegenden Fall lag zwar eine Verzichtserklärung der Verteidigerin und der Staatsanwaltschaft vor, jedoch fehlte die notwendige ausdrückliche Verzichtserklärung des Verurteilten selbst. Das Oberlandesgericht betonte, dass die Erklärung der Verteidigerin, die sie als Verfahrensbeteiligte und nicht im Namen des Verurteilten abgegeben hatte, jene des Verurteilten nicht ersetzen könne.

Aufgrund dieses Verfahrensfehlers sah sich das Oberlandesgericht gezwungen, die Entscheidung aufzuheben und die Sache an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen. Eine Nachholdung der unterlassenen mündlichen Anhörung des Sachverständigen im Beschwerdeverfahren sei grundsätzlich nicht möglich.

Das Oberlandesgericht empfahl, bei der erneuten mündlichen Anhörung den Sachverständigen mit einer ergänzenden Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt Ludwigshafen zu konfrontieren. Der Gutachter solle dann Gelegenheit erhalten, seine Ausführungen unter Berücksichtigung dieser Stellungnahme zu konkretisieren.

Die Entscheidung über die Kosten der sofortigen Beschwerde wurde der Strafvollstreckungskammer vorbehalten, da der endgültige Erfolg des Rechtsmittels zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht absehbar sei.

Die Schlüsselerkenntnisse


Die Entscheidung unterstreicht die strikte Auslegung des § 454 StPO bezüglich der mündlichen Anhörung des Sachverständigen bei Entscheidungen über die Strafrestaussetzung. Ein Verzicht auf diese Anhörung erfordert die ausdrückliche Zustimmung aller Beteiligten, einschließlich des Verurteilten selbst. Die Erklärung des Verteidigers kann die des Verurteilten nicht ersetzen. Dieser Verfahrensfehler führt zwingend zur Aufhebung der Entscheidung und Zurückverweisung, da er im Beschwerdeverfahren nicht heilbar ist.


Was bedeutet das Urteil für Sie?

Dieses Urteil stärkt Ihre Rechte als Verurteilter im Strafvollstreckungsverfahren erheblich. Wenn Sie eine vorzeitige Haftentlassung beantragen und ein Gutachten erstellt wird, haben Sie das Recht, den Sachverständigen persönlich anzuhören. Selbst wenn Ihr Anwalt auf dieses Recht verzichtet, bleibt Ihre persönliche Zustimmung unerlässlich. Dies gibt Ihnen die Möglichkeit, Fragen zu stellen und sicherzustellen, dass alle wichtigen Aspekte Ihres Falls berücksichtigt werden. Sollte dieses Recht missachtet werden, kann die Entscheidung über Ihre Haftentlassung angefochten und möglicherweise aufgehoben werden. Es ist daher wichtig, dass Sie in solchen Verfahren aktiv mitentscheiden und Ihre Rechte wahrnehmen.


FAQ – Häufige Fragen

In unserer FAQ-Rubrik finden Sie wertvolle Informationen und Antworten zu häufig gestellten Fragen rund um das Thema Verfahrensrechte im Strafprozess. Hier erhalten Sie einen klaren Überblick über Ihre Rechte und Pflichten sowie wichtige Abläufe, die für jeden Beteiligten von Bedeutung sind. Egal, ob Sie sich als Beschuldigter, Zeuge oder Opfer in einem Strafverfahren befinden – diese Sammlung von Fragen und Antworten soll Ihnen helfen, das Procedere besser zu verstehen und informierte Entscheidungen zu treffen.


Was bedeutet das Recht auf Anhörung im Strafprozess?

Das Recht auf Anhörung ist ein fundamentales Prinzip im Strafprozess, das sicherstellt, dass alle Beteiligten die Möglichkeit haben, ihre Sichtweise darzulegen, bevor eine Entscheidung getroffen wird. Dieses Recht ist im deutschen Grundgesetz verankert und wird als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts betrachtet. Es garantiert, dass niemand ohne die Möglichkeit einer Stellungnahme verurteilt oder benachteiligt wird.

Bedeutung im Strafprozess

  • Rechtliches Gehör: Jeder Angeklagte hat das Recht, sich zu den Anschuldigungen zu äußern, Beweise vorzulegen und Anträge zu stellen. Dies ist in der Hauptverhandlung besonders wichtig, wo der Angeklagte die Möglichkeit hat, sich umfassend zu verteidigen.
  • Verfahrensvorschriften: Im Strafprozess gibt es spezifische Regelungen, die auf dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs basieren, wie z.B. die Belehrung des Beschuldigten über seine Rechte (§ 136 StPO) oder das Recht auf Kommunikation mit dem Verteidiger (§ 148 StPO).

Konsequenzen bei Verletzung

  • Anhörungsrüge: Wenn eine Person glaubt, dass ihr Recht auf Anhörung verletzt wurde, kann sie eine Anhörungsrüge einlegen. Diese muss innerhalb von zwei Wochen nach der Entscheidung erfolgen und konkret darlegen, inwiefern das rechtliche Gehör verletzt wurde.
  • Fehlerfolgen: Eine fehlende Anhörung kann die Rechtmäßigkeit einer gerichtlichen Entscheidung beeinträchtigen. Beispielsweise kann das Fehlen einer mündlichen Anhörung eines Sachverständigen gemäß § 454 Abs. 2 Satz 4 StPO die Entscheidung beeinflussen, da wichtige Informationen möglicherweise nicht berücksichtigt wurden.

Praktische Relevanz

Stellen Sie sich vor, Sie sind in einem Strafverfahren angeklagt und haben Beweise, die Ihre Unschuld belegen. Ohne das Recht auf Anhörung könnten diese Beweise unberücksichtigt bleiben, was zu einer ungerechten Verurteilung führen könnte. Das Recht auf Anhörung schützt somit nicht nur die Interessen des Angeklagten, sondern trägt auch zur Fairness und Gerechtigkeit des gesamten Verfahrens bei.

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Welche Folgen hat ein Verzicht auf die mündliche Anhörung eines Sachverständigen?

Der Verzicht auf die mündliche Anhörung eines Sachverständigen kann sowohl juristische als auch praktische Konsequenzen nach sich ziehen. Diese Entscheidung sollte daher gut überlegt sein, insbesondere im Kontext der Strafvollstreckung gemäß § 454 Abs. 2 Satz 4 der Strafprozessordnung (StPO).

Juristische Konsequenzen

  • Verfahrensvoraussetzungen: Ein Verzicht auf die mündliche Anhörung ist nur dann möglich, wenn der Verurteilte, sein Verteidiger und die Staatsanwaltschaft ausdrücklich darauf verzichten. Ein bloßes Schweigen oder eine unklare Erklärung reicht nicht aus.
  • Verfahrensfehler: Wird auf die Anhörung verzichtet, ohne dass alle Beteiligten ausdrücklich zugestimmt haben, kann dies als wesentlicher Verfahrensmangel betrachtet werden. Ein solcher Mangel könnte zu einer Zurückverweisung des Verfahrens an die Strafvollstreckungskammer führen.

Praktische Konsequenzen

  • Unvollständige Entscheidungsgrundlage: Die mündliche Anhörung eines Sachverständigen bietet die Möglichkeit, offene Fragen zu klären und die Einschätzungen des Sachverständigen zu hinterfragen. Ein Verzicht könnte dazu führen, dass wichtige Informationen oder Argumente unberücksichtigt bleiben, was die Entscheidungsfindung des Gerichts beeinflussen kann.
  • Risiko für den Verurteilten: Insbesondere bei Fragen der Haftfähigkeit oder der Wiedereingliederungsprognose kann die Anhörung entscheidend sein. Ohne sie könnten relevante Aspekte, die zugunsten des Verurteilten sprechen, unberücksichtigt bleiben, was möglicherweise negative Auswirkungen auf den Ausgang des Verfahrens haben könnte.

Wenn Sie in einer solchen Situation sind, sollten Sie sorgfältig abwägen, ob ein Verzicht sinnvoll ist. Es kann hilfreich sein, sich rechtlich beraten zu lassen, um die möglichen Folgen besser einschätzen zu können.

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Können Verteidiger oder Staatsanwaltschaft alleine auf die Anhörung verzichten?

Nein, weder die Verteidigung noch die Staatsanwaltschaft können alleine auf eine Anhörung verzichten. Im strafprozessualen Kontext, insbesondere bei der Frage des Verzichts auf die mündliche Anhörung eines Sachverständigen, ist es notwendig, dass sowohl der Verurteilte als auch sein Verteidiger und die Staatsanwaltschaft ausdrücklich auf die Anhörung verzichten. Dies ist in § 454 Abs. 2 Satz 4 der Strafprozessordnung (StPO) geregelt. Ein solcher Verzicht muss eindeutig und ausdrücklich erklärt werden; ein bloßes Schweigen reicht nicht aus.

Stellen Sie sich vor, Sie sind in einem Verfahren involviert, bei dem ein Sachverständiger gehört werden soll. Wenn Sie oder Ihr Verteidiger auf diese Anhörung verzichten möchten, ist es wichtig, dass auch die Staatsanwaltschaft und Sie als Verurteilter diesem Verzicht zustimmen. Nur dann kann auf die Anhörung verzichtet werden. Dies dient dem Schutz Ihrer Rechte und stellt sicher, dass alle Parteien die Möglichkeit haben, das Gutachten zu diskutieren und zu hinterfragen.

Es ist entscheidend, dass Sie sich bewusst sind, dass ein solcher Verzicht nicht leichtfertig erfolgen sollte, da er Auswirkungen auf die Entscheidungsfindung im Verfahren haben kann. Wenn Sie unsicher sind, ob ein Verzicht in Ihrem Fall sinnvoll ist, sollten Sie sich rechtlich beraten lassen, um sicherzustellen, dass Ihre Interessen gewahrt bleiben.

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Was passiert, wenn bei einem Verfahren ein Verfahrensfehler vorliegt?

Ein Verfahrensfehler in einem Strafverfahren kann erhebliche Auswirkungen auf den Prozess und dessen Ergebnis haben. Solche Fehler treten auf, wenn die Verfahrensvorschriften nicht korrekt eingehalten werden. Dies kann von kleinen Unregelmäßigkeiten bis zu schwerwiegenden Verstößen reichen, die die Rechte der Beteiligten verletzen.

Mögliche rechtliche Schritte bei Verfahrensfehlern

  1. Rüge des Verfahrensfehlers: Sobald ein Verfahrensfehler erkannt wird, sollte dieser unverzüglich gerügt werden. Dies kann während des laufenden Verfahrens geschehen, um den Fehler zu korrigieren und die Rechte der betroffenen Partei zu wahren.
  2. Rechtsmittel: Ist das Verfahren bereits abgeschlossen, können Rechtsmittel wie Berufung oder Revision eingelegt werden. Diese bieten die Möglichkeit, das Urteil auf Fehler zu überprüfen und gegebenenfalls aufzuheben.
  3. Wiederaufnahme des Verfahrens: In bestimmten Fällen kann ein Verfahren wiederaufgenommen werden, wenn der Verfahrensfehler so gravierend ist, dass er das Urteil beeinflusst hat. Dies ist jedoch an strenge gesetzliche Voraussetzungen gebunden.

Auswirkungen auf das laufende Verfahren

  • Beeinflussung des Urteils: Ein Verfahrensfehler kann das Urteil beeinflussen, indem er die Beweisaufnahme oder die rechtliche Beurteilung verfälscht. In solchen Fällen könnte ein Urteil aufgehoben oder geändert werden.
  • Verzögerungen: Die Entdeckung und Behebung eines Verfahrensfehlers kann zu Verzögerungen im Verfahren führen, da möglicherweise zusätzliche Anhörungen oder Beweisaufnahmen erforderlich sind.
  • Rechtsstaatliche Prinzipien: Verfahrensfehler können das Vertrauen in die Justiz beeinträchtigen, da sie die Fairness und Transparenz des Verfahrens in Frage stellen. Daher ist es wichtig, solche Fehler zu erkennen und zu korrigieren, um die Rechte aller Beteiligten zu schützen.

Beispiel: Verzicht auf mündliche Anhörung des Sachverständigen

Stellen Sie sich vor, in einem Verfahren wird auf die mündliche Anhörung eines Sachverständigen verzichtet, obwohl dies gesetzlich vorgeschrieben ist (§ 454 Abs. 2 Satz 4 StPO). Ein solcher Verfahrensfehler könnte dazu führen, dass wichtige Beweise nicht angemessen berücksichtigt werden, was das Urteil beeinflussen könnte. In diesem Fall wäre es entscheidend, den Fehler zu rügen und gegebenenfalls rechtliche Schritte einzuleiten, um das Verfahren zu korrigieren.

Verfahrensfehler sind komplex und können weitreichende Folgen haben. Es ist daher ratsam, sich bei Verdacht auf einen Verfahrensfehler rechtlich beraten zu lassen, um die bestmöglichen Schritte zur Wahrung der eigenen Rechte zu unternehmen.

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Wie kann ein Verurteilter seine Verfahrensrechte im Strafprozess schützen?

Wie kann ein Verurteilter seine Verfahrensrechte im Strafprozess schützen?

Ein Verurteilter hat im Strafprozess verschiedene Möglichkeiten, seine Verfahrensrechte zu schützen und wahrzunehmen. Diese Rechte sind essenziell, um ein faires Verfahren zu gewährleisten und mögliche Fehlurteile zu vermeiden. Hier sind einige praktische Schritte, die ein Verurteilter unternehmen kann:

Rechtsbeistand einholen

Ein wesentlicher Schritt ist die Konsultation eines erfahrenen Strafverteidigers. Ein Anwalt kann die Rechte des Verurteilten erklären, die Beweise überprüfen und sicherstellen, dass alle Verfahrensschritte korrekt eingehalten werden. Ein Anwalt kann auch helfen, Anträge zu stellen oder Rechtsmittel einzulegen, falls Verfahrensfehler vorliegen.

Verfahrensrechte kennen

Es ist wichtig, die eigenen Rechte zu kennen, wie das Recht auf rechtliches Gehör, das Recht auf Einsicht in die Akten und das Recht auf eine mündliche Anhörung. Beispielsweise kann auf eine mündliche Anhörung des Sachverständigen verzichtet werden, was in § 454 Abs. 2 Satz 4 StPO geregelt ist. Ein Verurteilter sollte sich bewusst sein, wann und wie er auf bestimmte Rechte verzichten kann, um seine Position nicht zu schwächen.

Beweismittel und Gutachten überprüfen

Fehlerhafte oder unvollständige Gutachten können zu Fehlurteilen führen. Es ist daher ratsam, die Qualität und Richtigkeit von Beweismitteln und Gutachten kritisch zu hinterfragen. Bei Zweifeln kann ein eigener Sachverständiger beauftragt werden, um die vorgelegten Beweise zu überprüfen.

Rechtsmittel einlegen

Falls es zu Verfahrensfehlern gekommen ist oder neue Beweise auftauchen, kann der Verurteilte Rechtsmittel wie Berufung oder Revision einlegen. Diese Schritte sollten jedoch gut überlegt und mit Unterstützung eines Anwalts unternommen werden, um die Erfolgschancen zu maximieren.

Wiederaufnahme des Verfahrens

In bestimmten Fällen kann eine Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt werden, insbesondere wenn neue Beweise oder Tatsachen vorliegen, die das Urteil beeinflussen könnten. Dies ist ein komplexer Prozess, der sorgfältige Vorbereitung und juristische Unterstützung erfordert.

Indem Sie diese Schritte beachten und sich aktiv mit Ihrem Fall auseinandersetzen, können Sie Ihre Verfahrensrechte effektiv schützen und die Chancen auf ein faires Verfahren erhöhen.

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Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt

  • Strafrestaussetzung zur Bewährung: Dies ist die vorzeitige Entlassung eines Strafgefangenen unter bestimmten Auflagen und Bedingungen. Sie kann beantragt werden, wenn mindestens zwei Drittel der Strafe verbüßt sind. Ein Gutachter prüft dabei die Prognose, ob der Verurteilte in Freiheit keine weiteren Straftaten begehen wird. Die Entscheidung trifft das Gericht unter Berücksichtigung verschiedener Faktoren wie Führung im Vollzug, Persönlichkeitsentwicklung und Zukunftsperspektiven. Bei positiver Entscheidung wird der Rest der Strafe zur Bewährung ausgesetzt.
  • Prognosegutachten: Dies ist eine fachliche Einschätzung durch einen Sachverständigen, meist einen Psychologen oder Psychiater, zur Frage, wie wahrscheinlich es ist, dass ein Verurteilter erneut straffällig wird. Es spielt eine zentrale Rolle bei Entscheidungen über vorzeitige Haftentlassungen oder Sicherungsverwahrung. Der Gutachter analysiert dabei die Persönlichkeit, das soziale Umfeld, die Tatumstände und die Entwicklung des Verurteilten. Das Gutachten hilft dem Gericht, das Rückfallrisiko einzuschätzen und eine fundierte Entscheidung zu treffen.
  • Mündliche Anhörung des Sachverständigen: Dies ist ein wichtiger Teil des Strafvollstreckungsverfahrens, bei dem der Gutachter persönlich vor Gericht erscheint, um sein schriftliches Gutachten zu erläutern und Fragen zu beantworten. Es ermöglicht allen Beteiligten, zusätzliche Informationen zu erhalten und Unklarheiten zu beseitigen. Die Anhörung ist gesetzlich vorgeschrieben und kann nur unter bestimmten Bedingungen umgangen werden. Sie dient dazu, die Entscheidungsgrundlage des Gerichts zu verbessern und die Rechte des Verurteilten zu wahren.
  • Verzichtserklärung: Im Strafprozess ist dies eine formelle Erklärung, mit der ein Verfahrensbeteiligter auf ein bestimmtes Recht verzichtet, zum Beispiel auf die Anhörung eines Sachverständigen. Sie muss ausdrücklich und freiwillig erfolgen. Wichtig ist, dass nicht jeder Beteiligte für andere verzichten kann – der Verurteilte muss persönlich zustimmen, auch wenn sein Anwalt bereits verzichtet hat. Ein Verzicht kann weitreichende Folgen haben und sollte gut überlegt sein, da er möglicherweise nicht rückgängig gemacht werden kann.
  • Verfahrensfehler: Dies ist ein Verstoß gegen wesentliche Verfahrensvorschriften im Gerichtsprozess. Er kann die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung in Frage stellen und zu ihrer Aufhebung führen. Beispiele sind die Verletzung des rechtlichen Gehörs, Fehler bei der Beweisaufnahme oder die Nichtbeachtung von Anhörungspflichten. Verfahrensfehler können durch Rechtsmittel wie Beschwerde oder Revision gerügt werden. Sie führen oft zur Zurückverweisung an das ursprüngliche Gericht, das dann erneut entscheiden muss, diesmal unter Beachtung der korrekten Verfahrensregeln.
  • Sofortige Beschwerde: Dies ist ein Rechtsmittel gegen bestimmte gerichtliche Entscheidungen, das innerhalb einer kurzen Frist (meist eine Woche) eingelegt werden muss. Es zielt auf eine schnelle Überprüfung von Beschlüssen, die nicht mit Berufung oder Revision angefochten werden können. Die sofortige Beschwerde kann beispielsweise gegen Entscheidungen über Haft, Beschlagnahme oder eben die Ablehnung einer Strafrestaussetzung eingelegt werden. Sie wird in der Regel vom nächsthöheren Gericht geprüft und kann zur Aufhebung oder Änderung der angefochtenen Entscheidung führen.

Wichtige Rechtsgrundlagen


  • § 454 Abs. 2 Satz 3 StPO (Strafprozessordnung): Dieser Paragraph regelt die Durchführung der mündlichen Anhörung eines Sachverständigen in Strafverfahren. Insbesondere bei der Prüfung einer vorzeitigen Haftentlassung aufgrund eines Prognosegutachtens ist die mündliche Anhörung des Sachverständigen zwingend vorgeschrieben.
    • Im vorliegenden Fall hat die Strafvollstreckungskammer die mündliche Anhörung des Sachverständigen unterlassen, obwohl ein Prognosegutachten zur Frage der vorzeitigen Haftentlassung eingeholt wurde. Dies stellt einen wesentlichen Verfahrensfehler dar, der zur Aufhebung der Entscheidung führte.
  • § 454 Abs. 2 Satz 4 StPO: Dieser Paragraph legt fest, unter welchen Bedingungen auf die mündliche Anhörung des Sachverständigen verzichtet werden kann. Ein solcher Verzicht ist nur zulässig, wenn sowohl der Verurteilte als auch sein Verteidiger und die Staatsanwaltschaft ausdrücklich darauf verzichten.
    • Im vorliegenden Fall fehlte die ausdrückliche Verzichtserklärung des Verurteilten selbst, obwohl sein Verteidiger und die Staatsanwaltschaft auf die Anhörung verzichtet hatten. Das Gericht betonte, dass die Erklärung des Verteidigers die des Verurteilten nicht ersetzen kann.
  • § 57 Abs. 1 StGB (Strafgesetzbuch): Dieser Paragraph regelt die Möglichkeit der Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung bei zeitiger Freiheitsstrafe. Eine solche Aussetzung kann erfolgen, wenn der Verurteilte bereits zwei Drittel seiner Strafe verbüßt hat und die Gesamtwürdigung der Umstände ergibt, dass er sich künftig straffrei führen wird.
    • Im vorliegenden Fall hatte der Verurteilte zwei Drittel seiner Strafe verbüßt und beantragte die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung. Das Gericht hatte zur Prüfung dieses Antrags ein Sachverständigengutachten eingeholt.
  • § 311 StPO: Dieser Paragraph regelt das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegen bestimmte gerichtliche Entscheidungen. Die sofortige Beschwerde ermöglicht eine schnelle Überprüfung von Entscheidungen, die nicht mit der Berufung oder Revision angefochten werden können.
    • Im vorliegenden Fall legte der Verurteilte sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer ein, die seinen Antrag auf Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung abgelehnt hatte.
  • Art. 103 Abs. 1 GG (Grundgesetz): Dieser Artikel garantiert das Recht auf rechtliches Gehör in jedem gerichtlichen Verfahren. Jeder hat das Recht, angehört zu werden, bevor eine gerichtliche Entscheidung getroffen wird, die seine Rechte beeinträchtigt.
    • Im vorliegenden Fall wurde das Recht des Verurteilten auf rechtliches Gehör verletzt, da der Sachverständige nicht mündlich angehört wurde, obwohl dies gesetzlich vorgeschrieben war. Das Gericht hob die Entscheidung aufgrund dieses Verfahrensfehlers auf.

Das vorliegende Urteil

 

OLG Zweibrücken – Az.: 1 Ws 176/24 – Beschluss vom 25.07.2024


* Der vollständige Urteilstext wurde ausgeblendet, um die Lesbarkeit dieses Artikels zu verbessern. Klicken Sie auf den folgenden Link, um den vollständigen Text einzublenden.

→ Lesen Sie hier den vollständigen Urteilstext…

 

1. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der Kleinen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 04.07.2024 aufgehoben.

2. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an die Kleine Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) zurückverwiesen.

Gründe

I.

Der Verurteilte wurde durch das Landgericht Bad Kreuznach wegen drei Fällen des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit Beischlaf zwischen Verwandten in Tateinheit mit sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren verurteilt, die er derzeit verbüßt. Zwei Drittel der Strafe waren am 03.10.2023 verbüßt, wobei der Verurteilte zu diesem Zeitpunkt einer Bewährungsaussetzung nicht zustimmte. Das Strafende ist für den 03.02.2025 notiert.

Mit Schreiben vom 03.01.2024 beantragte der Verurteilte die Vollstreckung des Restes der Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen. Das Landgericht hat zur Prüfung einer Aussetzung des Strafrestes nach § 57 Abs. 1 StGB ein Sachverständigengutachten des …, Sachverständiger für Rechtspsychologie und Kriminalprognose, eingeholt.

Am 10.06.2024 teilte die Verteidigerin des Verurteilten und am 19.06.2024 die Staatsanwaltschaft mit, dass auf die Anhörung des Sachverständigen verzichtet werde. Die mündliche Anhörung des Verurteilten fand sodann am 02.07.2024 ohne die Anwesenheit des Sachverständigen statt.

Mit Beschluss vom 04.07.2024 hat die Strafvollstreckungskammer die Vollstreckung des Strafrestes nicht zur Bewährung ausgesetzt.

Hiergegen wendet sich der Verurteilte mit der sofortigen Beschwerde, die am 09.07.2024 beim Landgericht eingegangen ist.

II.

Die gemäß §§ 454 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1, 311 StPO zulässige sofortige Beschwerde hat – jedenfalls vorläufig – Erfolg.

1. Die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer war bereits deswegen aufzuheben, weil sie an einem wesentlichen Verfahrensfehler leidet. Denn die Strafvollstreckungskammer hat zu Unrecht von einer mündlichen Anhörung des Sachverständigen abgesehen.

Gemäß § 454 Abs. 2 Satz 3 StPO ist im Falle der Einholung eines Prognosegutachtens vor einer Entscheidung über die Aussetzung des Restes einer Freiheitsstrafe zur Bewährung der Sachverständige mündlich anzuhören. Von der Anhörung darf gemäß § 454 Abs. 2 Satz 4 StPO nur abgesehen werden, wenn sowohl der Verurteilte und sein Verteidiger als auch die Staatsanwaltschaft ausdrücklich darauf verzichten (MüKo/Nestler StPO § 454 Rn. 58).

Eine solche ausdrückliche Verzichtserklärung liegt hier nur von der Verteidigerin und der Staatsanwaltschaft vor; die zudem notwendige ausdrückliche Verzichtserklärung des Verurteilten ist hingegen nicht erteilt worden. Da die Verteidigerin ihre Erklärung als Verfahrensbeteiligte und nicht im Namen des Verurteilten abgegeben hat, kann ihre Erklärung auch jene des Verurteilten nicht ersetzen (OLG Braunschweig, Beschluss vom 05.10.2023 – 1 Ws 206/23; Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 23.03.2006, 1 Ws 105/06, juris, Rn. 13; Graalmann-Scheerer in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 454 Rn. 64).

2. Der aufgezeigte Verfahrensfehler führt zur Aufhebung der Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer, da der Senat die unterlassene mündliche Anhörung des Sachverständigen im Beschwerdeverfahren grundsätzlich nicht nachholen kann (OLG Hamm, Beschluss vom 30.08.2018, III-3 Ws 363/18, juris, Rn. 13 m.w.N.).

Im Rahmen der mündlichen Anhörung wird sich anbieten, den Sachverständigen mit der ergänzenden Stellungnahme der JVA Ludwigshafen vom 19.06.2024 zu konfrontieren, woraufhin dieser seine Ausführungen – unter Berücksichtigung dieser Stellungnahme – zu konkretisieren haben wird.

3. Die Entscheidung über die Kosten der sofortigen Beschwerde war der Strafvollstreckungskammer vorzubehalten, weil derzeit der endgültige Erfolg des Rechtsmittels noch nicht absehbar ist.


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