Chemnitz: Aussagekräftiges Urteil zum Umgang mit Trunkenenfahrern auf E-Scootern
Das Landgericht Chemnitz hat in seinem Beschluss die vorläufige Fahrerlaubnisentziehung bei einer fahrlässigen Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter abgelehnt. Es stützt sich dabei auf die geringere Gefährlichkeit von E-Scootern im Vergleich zu anderen Kraftfahrzeugen. Die Blutalkoholkonzentration des Beschuldigten lag bei 1,12 Promille, doch das Gericht sieht E-Scooter in ihrer Gefährlichkeit eher mit Fahrrädern vergleichbar.
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✔ Das Wichtigste in Kürze
Die zentralen Punkte aus dem Urteil:
- Fahrlässige Trunkenheitsfahrt: Der Beschuldigte führte einen E-Scooter im fahruntüchtigen Zustand.
- Blutalkoholkonzentration: Eine festgestellte Blutalkoholkonzentration von 1,12 Promille beim Beschuldigten.
- Ablehnung der vorläufigen Fahrerlaubnisentziehung: Das LG Chemnitz lehnte den Antrag der Staatsanwaltschaft auf vorläufige Fahrerlaubnisentziehung ab.
- Vergleich mit Fahrrädern: Das Gericht bewertet die Gefährlichkeit von E-Scootern ähnlich wie bei Fahrrädern.
- Beschluss des Amtsgerichts bestätigt: Das LG Chemnitz bestätigte den vorherigen Beschluss des Amtsgerichts.
- Kostenübernahme durch die Staatskasse: Die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse.
- Verweis auf frühere Entscheidungen: Bezugnahme auf ähnliche Urteile bezüglich der Gefährlichkeit von E-Scootern.
- Individuelle Beurteilung: Trotz hoher Alkoholkonzentration erfolgt eine spezifische Beurteilung aufgrund der Umstände und des Fahrzeugtyps.
Übersicht
In der juristischen Welt wird immer wieder über die Gefahren von Trunkenheitsfahrten mit Kraftfahrzeugen diskutiert. Mit dem Aufkommen von E-Scootern wird diese Debatte nun auch auf diese Art von Fahrzeugen ausgeweitet. Ein neuer Fall vor dem Landgericht Chemnitz befasst sich mit der Frage, ob bei einer fahrlässigen Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter eine vorläufige Fahrerlaubnisentziehung erfolgen sollte. In diesem Fall handelt es sich um einen Beschuldigten, der einen E-Scooter im fahruntüchtigen Zustand führte und eine Blutalkoholkonzentration von 1,12 Promille hatte. Die Staatsanwaltschaft Chemnitz hatte daraufhin eine vorläufige Fahrerlaubnisentziehung beantragt. Das Gericht entschied jedoch anders und lehnte diesen Antrag ab. Die Debatte um die Gefährlichkeit von E-Scootern und ihre Einordnung in das Straßenverkehrsrecht ist komplex und wird in der juristischen Praxis immer wieder thematisiert. Es ist zu erwarten, dass weitere Fälle dieser Art vor Gerichten verhandelt werden und zu einer weiteren Klärung der Rechtslage beitragen werden.
Die Staatsanwaltschaft Chemnitz hat einen Antrag gestellt, um dem Beschuldigten die Fahrerlaubnis vorläufig zu entziehen, da dieser verdächtigt wird, am 16.07.2022 gegen 23:05 Uhr auf der ……straße in Chemnitz ein Elektrokleinstfahrtzeug mit dem Kennzeichen ….. im fahruntüchtigen Zustand geführt zu haben. Die Blutalkoholkonzentration des Beschuldigten wurde mit 1,12 Promille im Mittelwert festgestellt.
Das Amtsgericht Chemnitz lehnte den Antrag der Staatsanwaltschaft ab und begründete dies damit, dass wegen der besonderen Umstände der Tat ein Absehen von der Regelwirkung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB in Betracht kommt. Insbesondere würden die Fahreigenschaften, die Verkehrswahrnehmung und das Gefährdungspotential von E-Scootern am stärksten denen des Fahrrads ähneln.
Die Staatsanwaltschaft Chemnitz legte die Sache der Kammer am 04.08.2022 zur Entscheidung vor. Die Kammer hielt an ihrer Auffassung fest, dass bei E-Scootern die Indizwirkung nach den §§ 69 Abs. 2 Nr. 2, 316 StGB insbesondere deswegen abzulehnen ist, weil E-Scooter gegenüber einspurigen Kraftfahrzeugen eine verringerte abstrakte Gefährlichkeit aufweisen und angesichts ihres Gewichts und der erreichbaren Geschwindigkeit vielmehr mit der Gefährlichkeit eines Pedelecs oder eines konventionellen Fahrrads zu vergleichen sind.
Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Chemnitz gegen den Beschluss des Amtsgerichts Chemnitz wurde abgewiesen. Die Voraussetzungen des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB wurden nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit gegeben.
✔ Wichtige Begriffe kurz erklärt
Was sind die Voraussetzungen für die Anwendung der Vorläufigen Fahrerlaubnisentziehung gemäß § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB?
Die vorläufige Fahrerlaubnisentziehung gemäß § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB kann angeordnet werden, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Zunächst muss eine Anlasstat vorliegen, die in der Regel ein Verkehrsdelikt ist. Typische Verkehrsdelikte, die zu einer vorläufigen Fahrerlaubnisentziehung führen können, sind beispielsweise die Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c StGB, illegale Kraftfahrzeugrennen nach § 315d StGB, Trunkenheit im Straßenverkehr laut § 316 StGB, Unfallflucht nach § 142 StGB und Vollrausch nach § 323a StGB, wenn der Täter in diesem Zustand eine der vorbenannten Taten begeht.
Zusätzlich zur Anlasstat muss eine Ungeeignetheit im Sinne des § 69 StGB vorliegen. Das bedeutet, dass der Täter als ungeeignet zum Führen eines Kraftfahrzeugs angesehen wird. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn der Täter häufig und nach einem gerichtlichen Fahrerlaubnisentzug ein Kraftfahrzeug führt.
Darüber hinaus muss aufgrund „dringender Gründe“ die Annahme bestehen, dass die Fahrerlaubnis nach § 69 StGB entzogen werden wird. Dies ist der Fall, wenn ein hoher Wahrscheinlichkeitsgrad gegeben ist, dass das Gericht den Beschuldigten für ungeeignet zum Führen von Kfz halten und ihm daher die Fahrerlaubnis entziehen wird.
Es ist zu beachten, dass die vorläufige Fahrerlaubnisentziehung eine Maßnahme ist, die dazu dient, die Allgemeinheit vor Straftätern zu schützen, die im Straßenverkehr gefährlich werden könnten.
Das vorliegende Urteil
LG Chemnitz – Az.: 4 Qs 283/22 – Beschluss vom 09.08.2022
1. Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Chemnitz vom 27.07.2022 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Chemnitz vom 25.07.2022, Az. 1 Gs 2649/22, wird als unbegründet verworfen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten hat die Staatskasse zu tragen.
Gründe
I.
Gegen den Beschuldigten ist bei der Staatsanwaltschaft Chemnitz ein Ermittlungsverfahren wegen des Tatvorwurfs der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr anhängig. Nach dem Ergebnis der bisherigen Ermittlungen ist der Beschuldigte dringend verdächtig, am 16.07.2022 gegen 23:05 Uhr auf der ……straße in Chemnitz ein Elektrokleinstfahrtzeug mit dem Kennzeichen ….. im fahruntüchtigen Zustand geführt zu haben. Eine am 17.07.2022 um 00:36 Uhr beim Beschuldigten entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,12 Promille im Mittelwert.
Den Antrag der Staatsanwaltschaft Chemnitz, dem Beschuldigten die Fahrerlaubnis vorläufig zu entziehen (§ 111a StPO), lehnte das Amtsgericht Chemnitz – Ermittlungsrichter – durch Beschluss vom 25.07.2022 mit der Begründung ab, dass wegen der besonderen Umstände der Tat ein Absehen von der Regelwirkung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB in Betracht kommt. Insbesondere würden die Fahreigenschaften, die Verkehrswahrnehmung und das Gefährdungspotential von E-Scootern am stärksten denen des Fahrrads ähneln.
Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Beschwerde vom 27.07.2022.
Auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidung sowie der Beschwerdebegründung wird Bezug genommen.
Am 27.07.2022 half das Amtsgericht der Beschwerde nicht ab. Die Staatsanwaltschaft Chemnitz legte die Sache der Kammer am 04.08.2022 zur Entscheidung vor.
II.
1.
Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Chemnitz gegen den Beschluss des Amtsgerichts Chemnitz, mit dem die Beschlagnahme des Führerscheins aufgehoben und die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 111a StPO abgelehnt wurde, ist nach § 304 Abs. 1 StPO zulässig.
2.
Die Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
Die Kammer hält auch im Hinblick auf die Entscheidungen der 2. und 5. Strafkammer des Landgerichts Chemnitz vom 13.01.2022 bzw. 20.01.2022 (Az. 2 Qs 1/22 jug.; 5 Qs 23/22) an ihrer Auffassung fest (4 Qs 76/22 und 4 Qs 84/22), dass bei E-Scootern die Indizwirkung nach den §§ 69 Abs. 2 Nr. 2, 316 StGB insbesondere deswegen abzulehnen ist, weil E-Scooter gegenüber einspurigen Kraftfahrzeugen eine verringerte abstrakte Gefährlichkeit aufweisen und angesichts ihres Gewichts und der erreichbaren Geschwindigkeit vielmehr mit der Gefährlichkeit eines Pedelecs oder eines konventionellen Fahrrads zu vergleichen sind (LG Halle (Saale), Beschl. v. 16.07.2020 – 3 Qs 81/20 Rn. 8; LG Dortmund, Beschl. v. 07.02.2020 – 31 Qs 1/20 Rn. 13, 17). Auch die übrigen Umstände der Tat, insbesondere der Umstand, dass die Fahrt innerorts auf dem Gehweg und gegen 23:05 Uhr stattfand, sprechen für keine andere Beurteilung.
Auf die zutreffenden Gründe der angegriffenen Entscheidung, die sich die Kammer zu eigen macht, wird vollumfänglich verwiesen. Angesichts dessen liegt es nahe, die Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB hier als widerlegt anzusehen, so dass die Voraussetzungen des § 69 StGB nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit gegeben sind.
III.
Mangels eines anderen Kostenschuldners trägt die Staatskasse die entstandenen Kosten und Auslagen.