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Vorläufige Fahrerlaubnisentziehung nach Verkehrsunfallflucht

Abweichen von der Regelvermutung

LG Hannover – Az.: 46 Qs 11/20 – Beschluss vom 19.02.2020

1. Der Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 07.02.2020 wird aufgehoben.

2. Dem Beschuldigten wird die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen. Dies gilt zugleich als richterliche Anordnung der Beschlagnahme des Führerscheins.

3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Beschuldigte zu tragen.

Gründe

I.

Die Staatsanwaltschaft Hannover führt gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142 Abs. 1 StGB). Sie wirft dem Beschuldigten konkret vor, dass er am 10.12.2019 gegen 09.30 Uhr beim Ausparken mit dem Personenkraftwagen Jaguar einen abgestellten Personenkraftwagen VW touchiert und anschließend in Kenntnis des Unfalls den Unfallort verlassen hat, ohne die notwendigen Feststellungen zu ermöglichen. Dabei sei ein Fremdschaden in Höhe von 3.120,00 EUR entstanden.

Der Beschuldigte hat eingeräumt, das Fahrzeug zur Tatzeit geführt zu haben und ein „Ruckeln“ bemerkt, dies aber für einen Zusammenprall mit einer Bordsteinkante gehalten zu haben.

Die Staatsanwaltschaft hat beantragt, gemäß § 111a StPO die Fahrerlaubnis vorläufig zu entziehen und den Führerschein zur Eintragung des Vermerks nach § 111a Abs. 6 StPO zu beschlagnahmen.

Das Amtsgericht hat diesen Antrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt, in diesem Fall und auch zukünftig in Fällen des Aus- und Einparkens auf Parkplätzen mit Einparkboxen erachte es die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis für unverhältnismäßig. Es reiche regelmäßig aus, den Gang einer Beweisaufnahme abzuwarten und im Rahmen einer Hauptverhandlung zu klären, ob sich ein Beschuldigter als so ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr erweise, dass ihm die Fahrerlaubnis entzogen werden müsse.

Gegen diesen Beschluss hat die Staatsanwaltschaft Beschwerde eingelegt. Sie meint, bei der dem Beschuldigten vorgeworfenen Tat handele es sich um einen Regelfall der §§ 69, 69a StGB. Konkrete und einzelfallbezogene Gründe, die ein Absehen von dieser Maßnahme rechtfertigten, habe das Amtsgericht im angefochtenen Beschluss nicht dargetan.

Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es habe eine Einzelfallentscheidung insoweit getroffen, als dass für eine bestimmte Gruppe von Sachverhalten, nämlich das Aus- und Einparken auf großen Parkplätzen (Bagatellblechschäden, Unfallsituationen ohne jedes Risiko, in aller Regel Beschuldigte ohne jede Voreintragung) die einschneidende Sanktion der §§ 69, 69a StGB unverhältnismäßig sei und dem Unrechts- und Schuldgehalt der Taten nicht gerecht werde. Die zur Verfügung stehenden milderen Sanktionen (§ 153a-Auflagen, Strafbefehle, Fahrverbote) reichten aus, wenn die Beweisaufnahme klare Feststellungen zur Tat erlaube.

II.

Die zulässige Beschwerde der Staatsanwaltschaft hat in der Sache Erfolg.

Das Amtsgericht hat den Antrag auf vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis zu Unrecht abgelehnt. Auf das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft war der angefochtene Beschluss daher aufzuheben. Gleichzeitig war dem Beschuldigten die Fahrerlaubnis vorläufig zu entziehen. Dies gilt zugleich als richterliche Anordnung der Beschlagnahme des Führerscheins zur Eintragung eines entsprechenden Sperrvermerks.

Gemäß § 111a Abs. 1 Satz 1 StPO kann der Richter dem Beschuldigten die Fahrerlaubnis vorläufig entziehen, wenn dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass die Fahrerlaubnis entzogen werden wird (§ 69 des Strafgesetzbuches).

Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts lagen diese Voraussetzungen vor.

Der Beschuldigte ist nach den geführten Ermittlungen dringend verdächtig, dass er beim Ausparken mit seinem Jaguar einen abgestellten VW touchiert, dabei einen Fremdschaden in Höhe von 3.120,00 EUR verursacht und anschließend in Kenntnis des Unfalls den Unfallort verlassen hat, ohne die notwendigen Feststellungen zu ermöglichen. Der dringende Verdacht in subjektiver Hinsicht besteht dabei vor dem Hintergrund des anhand der Lichtbilder erkennbaren Schadensbildes und den Angaben des Beschuldigten selbst, dass er ein „Ruckeln“ bemerkt habe.

Vor diesem Hintergrund liegen dringende Gründe für die Annahme vor, dass die Fahrerlaubnis des Beschuldigten gemäß § 69 Abs. 1 StGB entzogen wird. Denn der Beschuldigte wird als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen sein.

Das Gesetz geht in der Vorschrift des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB davon aus, dass der Täter einer wie dem Beschuldigten vorgeworfenen Tat regelmäßig als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen ist. Das erkennende Gericht hat damit im Ausgangspunkt von dieser Regelwirkung auszugehen. Nur ausnahmsweise kann die Wirkung dieser Regelvermutung entfallen. Der Tatrichter ist dabei gehalten, Umstände, welche die Indizwirkung der Katalogtat widerlegen, positiv festzustellen. Die Tat muss Ausnahmecharakter im Hinblick auf die Frage der mangelnden charakterlichen Eignung haben. Das Gesetz geht mit Blick auf die Person und die konkrete Tat des Täters damit von einer konkret-individuellen Betrachtung für die Ermittlung der die Indizwirkung widerlegenden Umstände aus.

Ist hingegen nicht dringend zu erwarten, dass die in § 69 Abs. 2 StGB verankerte Regelvermutung widerlegt sein wird, wird der für die vorläufige Entziehung angerufene Richter trotz der Kannbestimmung des § 111a Abs. 1 Satz 1 StPO in der Regel die Anordnung treffen müssen (vgl. auch Meyer/Goßner/Köhler, StPO, 62. Aufl. 2019, § 111a Rn. 3 m.w.N.). Dies ergibt sich aus dem Regelungsgrund für § 111a StPO – Schutz der Allgemeinheit vor einem ungeeigneten Fahrer (vgl. OLG Jena, Beschl. v. 31.07.2008, Az.: 1 Ws 315/08) – und hat vor allem in den Fällen der eine Regelvermutung begründenden Katalogtaten des § 69 Abs. 2 StGB Relevanz (vgl. MüKoStPO/Hauschild, 1. Aufl. 2014, § 111a Rn. 15).

Vor diesem Hintergrund ist das Amtsgericht von unzutreffenden Maßstäben ausgegangen. Insbesondere hat es verabsäumt, mit Blick auf eine zu erwartende Widerlegung der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 StGB konkret-individuelle Umstände aufzuführen. Vielmehr hat das Amtsgericht eine konkret-generelle Betrachtung vorgenommen, indem es für das Aus- und Einparken auf großen Parkplätzen (Bagatellblechschäden, Unfallsituationen ohne jedes Risiko, in aller Regel Beschuldigte ohne jede Voreintragung) die einschneidende Sanktion der §§ 69, 69a StGB als unverhältnismäßig angesehen hat. Damit hat es aber für bestimmte, anhand konkreter Parameter einzuordnender Fallgestaltungen eine Umkehrung der in § 69 Abs. 2 StGB durch den Gesetzgeber angeordneten Regelvermutung vorgenommen. Schon deshalb konnte die Begründung des Amtsgerichts die Zurückweisung des staatsanwaltschaftlichen Antrags nicht tragen.

Die Kammer hat daher den Beschluss aufgehoben. Sie hat in der Sache selbst entschieden und dem Beschuldigten gemäß § 111a Abs. 1 Satz 1 StPO die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen. In einer Gesamtschau von vorgeworfener Tat und Persönlichkeit des Beschuldigten sind – jedenfalls derzeit – keine Umstände erkennbar, die erwarten lassen, dass sie die Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB widerlegen werden können. Zwar weisen Bundeszentral- und Fahreignungsregister des Beschuldigten keinerlei Eintragungen auf, nach dem sich aus den bisherigen Ermittlungen ergebenden Tatbild liegt aber gerade auch mit Blick auf die verursachte Schadenshöhe kein Fall vor, der als vom gesetzlichen Regelfall abweichend zu betrachten sein wird.

Die vorläufige Entziehung ist auch verhältnismäßig. Wie bereits ausgeführt, ist ihr Zweck, die Allgemeinheit vor einer weiteren Gefährdung durch die Teilnahme des Beschuldigten am Kraftfahrzeugverkehr zu schützen. Sie steht mit Blick auf das Tatbild auch nicht außer Verhältnis zur Schwere des Tatvorwurfs.

III.

Gemäß § 111a Abs. 3 StPO wirkt die vorläufige Entziehung zugleich als Anordnung der Beschlagnahme des Führerscheins.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.

 

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