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Vorlage eines gefälschten Impfausweises in Apotheke

OLG Celle – Az.: 1 Ss 6/22 – Urteil vom 31.05.2022

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts Stade – Strafrichter – vom 24. Januar 2022 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Stade – Strafrichter – zurückverwiesen.

GRÜNDE

I.

1. Dem Angeklagten war mit unverändert zur Hauptverhandlung zugelassener Anklage vorgeworfen worden, in zwei Fällen eine unechte Urkunde gebraucht zu haben, indem er in einer Apotheke einen auf seinen Namen sowie in einer weiteren Apotheke einen auf seinen Namen und einen auf den Namen seines Sohnes ausgestellten Impfausweis mit einem nachgebildeten Jannssen-Chargenaufkleber und einem vorgeblichen Stempel des Impfzentrums des Landes NRW vom 19. Juli 2021 vorzeigte und so den Anschein erweckte, dass er und sein Sohn eine Impfung erhalten hatten, um für beide ein (digitales) EU-Impfzertifikat zu erlangen.

Von diesem Vorwurf hat das Amtsgericht den Angeklagten aus rechtlichen Gründen freigesprochen.

Das Amtsgericht hat nachfolgende Feststellungen getroffen:

„Der Angeklagte legte zwischen dem 19. bis 21.10.2021 zunächst in der XXX Apotheke… sowie später in der XXX-Apotheke… einen Impfpass mit nicht zutreffenden Nachweisen des Impfzentrums des Landes NRW vom 19.07.2021 darüber vor, dass der Inhaber des Impfpasses tatsächlich gegen das Corona-Virus geimpft wurde. Somit begab sich der Angeklagte mit Wissen und Wollen zur Tatbestandsverwirklichung gerade zu den vorgenannten Örtlichkeiten, um eine nicht vorhandene Impfung zu suggerieren und somit eine dem Inhalt nach unzutreffende Impfbescheinigung zu erhalten.“

Das Amtsgericht ist der Rechtsauffassung, dass das festgestellte Verhalten des Angeklagten keinen Straftatbestand erfüllt und straflos ist.

a) Eine Subsumtion unter den Tatbestand der Urkundenfälschung nach § 267 StGB scheide von vornherein aus, da dessen Anwendung im vorliegenden Fall wegen der Sperrwirkung der §§ 277 ff. StGB ausgeschlossen sei. Insoweit bezieht sich das Amtsgericht namentlich auf Entscheidungen des OLG Bamberg vom 17. Januar 2022 (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 17. Januar 2022 – 1 Ws 732/21 –, juris) und des Landgerichts Kaiserslautern vom 23. Dezember 2021 (vgl. LG Kaiserslautern, Beschluss vom 23. Dezember 2021 – 5 Qs 107/21 –, juris).

b) Das Verhalten des Angeklagten erfülle auch nicht den Tatbestand der Fälschung von Gesundheitszeugnissen gemäß § 277 StGB in der zur Tatzeit geltenden Fassung, da es sich bei der Apotheke als getäuschte Stelle nicht um eine Behörde oder Versicherung im Sinne dieser Vorschrift handele. Soweit die Apotheke als gutgläubige Mittlerin ersucht werden sollte, beim Robert-Koch-Institut als selbständige Bundesoberbehörde Daten nach § 22 Abs. 2 S. 1, Abs. 4 IfSG zu übermitteln, scheide eine Strafbarkeit nach § 277 StGB ebenfalls aus, da nicht das unrichtige Gesundheitszeugnis als solches, sondern lediglich einzelne personenbezogenen Daten übermittelt würden.

c) Die Erschleichung der Ausstellung eines unzutreffenden Impfzertifikates durch das Robert-Koch-Institut stelle auch keine mittelbare Falschbeurkundung nach § 271 StGB dar, weil dem Impfzertifikat nicht die erforderliche öffentliche Beweiswirkung zukomme.

d) Da es sich bei den Impfausweisen auch nicht um amtliche Ausweise im Sinne der §§ 275 bzw. 276 StGB handele, scheide auch insoweit eine Strafbarkeit aus.

2. Gegen dieses Urteil richtet sich die Sprungrevision der Staatsanwaltschaft Stade, mit der die allgemeine Sachrüge erhoben wird. Die Staatsanwaltschaft Stade ist der Auffassung, das Amtsgericht habe zu Unrecht freigesprochen, weil das festgestellte Verhalten eine strafbare Urkundenfälschung gemäß § 267 StGB darstelle. Die Generalstaatsanwaltschaft ist der Revision beigetreten und hat beantragt, das angefochtene Urteil mit den angefochtenen Feststellungen aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Stade zurückzuverweisen.

II.

Die zulässig erhobene Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Der Freispruch hält sachlich-rechtlicher Überprüfung durch den Senat nicht stand.

1. Das Urteil leidet bereits an einem Darstellungsmangel, weil die getroffenen Feststellungen lückenhaft und unklar sind.

Vorlage eines gefälschten Impfausweises in Apotheke
(Symbolfoto: Marco Ritzki/Shutterstock.com)

Bei einem Freispruch aus rechtlichen Gründen müssen die Feststellungen zur Sache derart geschlossen und eindeutig mitgeteilt werden, dass sie erkennen lassen, welches tatsächliche Geschehen Bezugspunkt der rechtlichen Würdigung ist (vgl. BGH NStZ-RR 1997, 374 f.; MK-Wenske, StPO, Rn. 501 f. zu § 267; KK-Kuckein/Bartel, StPO, 8. Aufl., Rn. 42 zu § 267). Diesen Anforderungen genügen die eher fragmentarischen Feststellungen im angefochtenen Urteil nicht. Denn die Formulierung im Urteil, „der Angeklagte legte… einen Impfpass mit nicht zutreffenden Nachweisen des Impfzentrums des Landes NRW vom 19.07.2021 darüber vor, dass der Inhaber des Impfpasses tatsächlich gegen das Corona Virus geimpft wurde,“ lässt insbesondere offen, ob der vorgelegte Impfnachweis tatsächlich vom Impfzentrum des Landes NRW erstellt war, also (lediglich) eine schriftliche Lüge enthielt, oder ob es sich dabei um eine Totalfälschung handelte, also der Nachweis entgegen dem äußeren Anschein gar nicht vom Impfzentrum NRW herrührte.

2. Der aufgezeigte Darstellungsmangel wäre nur dann unschädlich und würde den Bestand des angefochtenen Urteils nicht gefährden, wenn ein strafbares Verhalten des Angeklagten in beiden nach den Urteilsfeststellungen möglichen Sachverhaltsvarianten nicht vorläge. Das ist indes nicht der Fall. Denn bei Zugrundelegung der nach den Urteilsgründen in der Gesamtschau und vor dem Hintergrund der zugelassenen Anklage naheliegenderen Sachverhaltsvariante einer Totalfälschung liegt jedenfalls ein strafbares Verhalten des Angeklagten in Form des Gebrauchens einer unechten Urkunde gemäß § 267 Abs.1 3. Alt. StGB vor.

a) Denn ein vollständig ausgefüllter Impfpass ist eine verkörperte Gedankenerklärung, die den erklärenden Impfarzt als Aussteller erkennen lässt sowie geeignet und bestimmt ist, im Rechtsverkehr Beweis zu erbringen (vgl. Fischer, StGB, 69. Aufl., § 267 Rn. 2). Scheinbarer Aussteller des Impfpasses war in der Sachverhaltsvariante der Totalfälschung der Impfarzt des Impfzentrums NRW, obwohl tatsächlicher Aussteller ein Unbekannter, jedenfalls kein Impfarzt des Impfzentrums war. Dem vollständig ausgefüllten Impfpass ist inhaltlich die Erklärung des angeblichen Impfarztes zu entnehmen, dass die im Impfpass bezeichnete Person an einem bestimmten Datum mit einem zugelassenen Impfstoff (aus einer bestimmt bezeichneten Charge) geimpft worden ist. Diese Urkunde ist unecht, weil tatsächlicher und aus der Urkunde hervorgehender Aussteller auseinanderfallen. Mit der Vorlage des Impfpasses in einer Apotheke im Wissen um die dargelegten Umstände und in der Absicht, eine digitale Impfbescheinigung zu erlangen, hat der Angeklagte auch von der unechten Urkunde zur Täuschung im Rechtsverkehr vorsätzlich Gebrauch gemacht.

b) Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts wird der Tatbestand der Urkundenfälschung gemäß § 267 Abs. 1 StGB vorliegend auch nicht durch § 279 StGB in der zur Tatzeit geltenden Fassung verdrängt. Eine Sperrwirkung des privilegierenden Tatbestands besteht hier nicht.

aa) Gemäß § 279 StGB in der bis zum 23. November 2021 geltenden Fassung (im Folgenden: a. F.) wird wegen Gebrauchs unrichtiger Gesundheitszeugnisse bestraft, wer zur Täuschung einer Behörde oder einer Versicherungsgesellschaft von einem (unrichtigen) Gesundheitszeugnis im Sinne der §§ 277, 278 StGB Gebrauch macht. Nach herrschender Meinung (s. nur OLG Stuttgart, Beschluss vom 8. März 2022 – 1 Ws 33/22 -, juris, m. w. N. in Rn. 13) sperrt § 279 StGB a. F., wenn sämtliche seiner Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind, nach den Grundsätzen der Spezialität als speziellerer Tatbestand die Anwendung des allgemeineren Delikts nach § 267 Abs. 1 StGB.

bb) Nach den Feststellungen des Amtsgerichts stellt der vom Angeklagten vorgelegte Impfpass zwar ein Gesundheitszeugnis im Sinne des § 279 StGB a. F. dar; es ist jedoch nicht gegenüber einer Behörde oder Versicherungsgesellschaft gebraucht worden.

(I) Die Apotheke ist keine Behörde, sondern ein privates Unternehmen (vgl. LG Osnabrück, Beschluss vom 26. Oktober 2021 – 3 Qs 38/21 -, juris, Rn. 9; OLG Stuttgart a.a.O. Rn. 16) Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass die Apotheke nach § 22 Abs. 5 Infektionsschutzgesetz die Durchführung einer Schutzimpfung in einem digitalen Impfzertifikat zu bescheinigen hat, weil nicht jede Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben zur Annahme von Behördenqualität führt (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 2 lit. c StGB).

(II) Ein Gebrauchen des Gesundheitszeugnisses gegenüber dem Robert-Koch-Institut als Behörde liegt ebenfalls nicht vor. Denn ein Gebrauchen im Sinne des § 279 StGB a. F. setzt jedenfalls ein Verbringen des Gesundheitszeugnisses in den Machtbereich der Behörde mit der Möglichkeit sinnlicher Wahrnehmung voraus (OLG Stuttgart, Urteil vom 25. September 2013 – 2 Ss 519/13 -, juris, Rn. 21, und a.a.O. Rn. 17). Daran fehlt es vorliegend, weil gemäß § 22 Abs. 5 Infektionsschutzgesetz (IfSG) lediglich personenbezogene Daten aus dem Impfpass elektronisch übermittelt werden, nicht jedoch der Impfpass als solcher.

cc) Danach ist der speziellere Tatbestand des § 279 StGB a. F. vorliegend nicht erfüllt, so dass nicht ohne Weiteres eine Sperrwirkung besteht (ebenso OLG Stuttgart a.a.O., Rn. 18; s. a. OLG Hamburg, Beschluss vom 27. Januar 2022 – 1 Ws 114/21 -, juris, Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 31. März 2022 – 1 Ws 19/22 –, juris; LG Ingolstadt Beschluss vom 7. April 2022 – 2 Qs 40/22 -, BeckRS 2022, 8784; LG Heidelberg, Beschluss vom 31. März 2022 – 1 Qs 5/22 –, juris).

dd) Der Auffassung, die mit dem Amtsgericht von einer umfassenden Sperrwirkung der §§ 277 ff. StGB a. F. als Fall der privilegierenden Spezialität in Bezug auf Gesundheitszeugnisse ausgeht (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 17. Januar 2022 – 1 Ws 732/21 -, juris; LG Osnabrück, Beschluss vom 26. Oktober 2021 – 3 Qs 38/21 -, juris; LG Karlsruhe, Beschluss vom 26. November 2021 – 19 Qs 90/21 -, juris; LG Kaiserslautern, Beschluss vom 23. Dezember 2021 – 5 Qs 107/21 -, juris; LG Landau, Beschluss vom 13. Dezember 2021 – 5 Qs 93/21 -, juris; LG Lüneburg, Beschluss vom 16. Dezember 2021 – 111 Qs 76/21 – und vom 28. Januar 2022 – 111 Qs 5/22 -, juris; LG Würzburg, Beschluss vom 24. Januar 2022 – 1 Qs 18/22 -, juris; LG Hechingen, Beschluss vom 13. Dezember 2021 – 3 Qs 77/21 -, juris; LG Paderborn, Beschluss vom 1. Dezember 2021 – 5 Qs 33/21 -, BeckRS 2021, 40611; LG München I Beschluss vom 29.3.2022 – 12 Qs 7/22 -, BeckRS 2022, 6175; LG Offenburg, Beschluss vom 11. Mai 2022 – 3 Qs 9/22 –, juris; MK-Erb, StGB, 3. Auf., § 277, Rn. 11; SK-Hoyer, StGB, 9. Aufl. § 277 Rn. 5; Zieschang in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Auf., § 277, Rn. 16) folgt der Senat nicht.

Privilegierende Spezialität als besondere Form der Gesetzeskonkurrenz liegt vor, wenn ein Strafgesetz alle Merkmale einer anderen Strafvorschrift aufweist und sich nur dadurch von dieser unterscheidet, dass es mindestens noch ein zusätzliches Merkmal enthält, das den Sachverhalt unter einem genaueren Gesichtspunkt erfasst, und der Täter durch die Spezialvorschrift privilegiert werden soll (BGH, Urteil vom 11. Dezember 2003 – 3 StR 120/03 -, juris, Rn. 7). Fraglos enthält § 279 StGB a.F. mit der Begrenzung auf Gesundheitszeugnisse ein zusätzliches (oder engeres) Tatbestandsmerkmal als das allgemeine Urkundsdelikt nach § 267 Abs. 1 StGB. Dass § 279 StGB a. F. den Täter im Vergleich zur Urkundenfälschung begünstigen sollte, ist nach Wortlaut der Norm, Willen des Gesetzgebers, Zweck der Norm und systematischen Zusammenhang indes nicht zu erkennen, so dass nicht von einer privilegierenden Spezialität mit umfassender Sperrwirkung gegenüber der Anwendung des § 267 Abs. 1 StGB auszugehen ist.

(I) Der Wortlaut der §§ 267 ff. StGB und der §§ 277 ff. StGB a. F. zwingt nicht zur Annahme einer umfassenden Privilegierung und Sperrwirkung durch die Vorschriften über die Gesundheitszeugnisse. Denn ein ausdrücklicher Vorrang der §§ 267 ff. StGB a. F. war gesetzlich gerade nicht angeordnet (Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, a.a.O. Rn. 38; OLG Stuttgart, a.a.O. Rn. 22).

(II) Auch wenn dem historischen Willen des Gesetzgebers angesichts des Alters der strafrechtlichen Normen über unrichtige Gesundheitszeugnisse nur eingeschränkte Bedeutung zukommt, spricht dieser doch eher gegen eine umfassende Privilegierung. Denn die Vorläufernorm des § 277 StGB ist auf eine Vorschrift aus dem preußischen Strafgesetzbuch (§ 256 pStGB) zurückführen, deren Anwendungsbereich im Vergleich zum damaligen Straftatbestand der Urkundenfälschung jedenfalls auch zu einer Erweiterung der Strafbarkeit führte (vgl. dazu ausführlich und mit zahlreichen Nachweisen Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg a.a.O. Rn. 22). Denn seinerzeit waren vom Urkundenbegriff des § 247 Abs. 2 pStGB nur bestimmte Schriftstücke erfasst, die zum Beweis von Rechten oder Rechtsverhältnissen bestimmt waren. Subjektiv war nach § 247 pStGB die Absicht erforderlich, sich oder anderen Gewinn zu verschaffen oder anderen Schaden zuzufügen. Deshalb waren seinerzeit ärztliche Atteste von den allgemeinen Urkundendelikten nicht erfasst, und die Regelung des § 256 pStGB diente also dazu, Fälschungen von Gesundheitszeugnissen überhaupt erst strafrechtlich zu erfassen. Das spricht jedenfalls eher dagegen, dass der historische Gesetzgeber eine Privilegierung für Fälschungen von Gesundheitszeugnissen im Sinn gehabt haben könnte.

Dass der historische Gesetzgeber bereits bei Schaffung des RStGB den Schutz- und Strafbarkeitsbereich der (allgemeinen) Urkundenfälschung nach § 267 RStGB erheblich erweitert hat, ohne die Regelungen betreffend die Gesundheitszeugnisse anzupassen, spricht aufgrund des Fehlens einer ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung zum Verhältnis der Normen zueinander und mangels eindeutiger Anhaltspunkte in den gesetzgeberischen Motiven ebenfalls nicht für einen Privilegierungswillen des historischen Gesetzgebers. Naheliegend erscheint vielmehr, dass dem historischen Gesetzgeber bei Einführung des § 267 RStGB die Vorschriften über die Gesundheitszeugnisse aus dem Blick geraten sein könnten (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg a.a.O. Rn. 22).

(III) Auch die Gesetzessystematik spricht eher dafür, dass nach dem objektiven gesetzgeberischen Willen, Gesundheitszeugnisse nicht grundsätzlich anders behandelt werden sollen als andere Urkunden. Denn die §§ 267 ff. StGB schützen den Rechtsverkehr umfassend vor Herstellung und Gebrauch unechter oder gefälschter Urkunden, wobei eine Differenzierung zwischen Urkunden aus unterschiedlichen Bereichen gerade nicht erfolgt. Die generelle Herausnahme einzig von Gesundheitszeugnissen aus dem Anwendungsbereich der Urkundendelikte wäre kaum erklärlich und verständlich, wenn im Übrigen alle Arten von Urkunden dem Strafrechtsschutz der §§ 267 ff. StGB unterfielen, selbst wenn diesen offensichtlich im Rechtsverkehr eine geringere Bedeutung zukommt als Gesundheitszeugnissen (vgl. OLG Hamburg, a.a.O. Rn. 27; OLG Stuttgart, a.a.O. Rn. 23).

Hinzu kommt, dass die erste Handlungsalternative des § 277 StGB a.F. bei Gesundheitszeugnissen eine schriftliche Lüge unter Strafe gestellt hat, die bei den allgemeinen Urkundendelikten gerade nicht strafbar ist. Das belegt, dass das Gesetz nicht grundsätzlich von einer geringeren Strafwürdigkeit bei der Manipulation von Gesundheitszeugnissen ausging, und spricht dagegen, dass Zweck der Sonderregelungen für Gesundheitszeugnissen eine umfassende Privilegierung sein sollte (ebenso HansOLG Hamburg, a.a.O. Rn.28).

Auch wäre, wenn Zweck der Regelung über Gesundheitszeugnisse gerade eine umfassende Privilegierung gewesen sein sollte, nicht erklärlich, dass eine Privilegierung im Falle der Unterdrückung von Gesundheitszeugnissen mangels einer diesbezüglichen Regelung in §§ 277 ff. StGB a.F. gerade nicht in Betracht käme, so dass in diesem Fall § 274 StGB auch bei der Unterdrückung von Gesundheitszeugnissen anwendbar bliebe (vgl. HansOLG Hamburg, Beschluss vom 27. Januar 2022 – 1 Ws 114/21 -, juris, Rn. 29).

Die hier vertretene Ansicht muss auch nicht dazu führen, dass die Privilegierung des § 277 StGB a.F. bezüglich fehlender Versuchsstrafbarkeit und im Fall des Gebrauchens eines selbst gefälschten Gesundheitszeugnisses zur Vorlage bei einer Behörde oder einer Versicherung dadurch unterlaufen wird, dass bereits vor der Vorlage der Tatbestand des § 267 StGB in Form des Herstellens erfüllt war. Mit dem Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg (a.a.O. Rn.37) ist darauf hinzuweisen, dass ein solches Ergebnis ohne Weiteres dadurch vermieden werden kann, dass Gesundheitszeugnisse, deren Zweckbestimmung zur Täuschung sich auf Behörden und Versicherungen bezog, allein dem Anwendungsbereich des § 277 StGB a.F. unterfallen, also die Herstellung solcher falscher Gesundheitszeugnisse von § 267 StGB nicht erfasst ist.

(IV) Nach alldem ist davon auszugehen, dass die §§ 277 ff. StGB a.F. keine umfassende Privilegierung und Sperrwirkung gegenüber der Anwendung von § 267 StGB begründen. Bereits deshalb kommt hier eine Strafbarkeit des Angeklagten in der denkbaren Sachverhaltsvariante der Totalfälschung in Betracht.

Zudem ist – auch wenn sich das Urteil des Amtsgerichts dazu nicht verhält – davon auszugehen, dass im vorgelegten Impfpass – wie es § 22 Abs. 2 Nr. 2 IfSG entspricht – mit der Chargenbezeichnung auch eine Eintragung vorhanden war, die mit dem Gesundheitszustand des Passinhabers nichts zu tun hat, so dass es sich bei dem Impfpass nicht ausschließlich um ein Gesundheitszeugnis handelt, sondern auch noch weitere Erklärungsinhalte vorliegen, die von der Ausstellergarantie umfasst sind und für die von vornherein eine etwaige Privilegierungswirkung der §§ 277 ff. StGB a.F. nicht greifen könnte.

3. Da mithin jedenfalls im nach den Urteilsfeststellungen denkbaren Fall der Totalfälschung des Impfpasses eine Strafbarkeit des Angeklagten naheliegt, war das angefochtene Urteil angesichts der unzureichenden tatsächlichen Feststellungen mit den getroffenen Feststellungen aufzuheben und zu umfassender neuer Verhandlung und Entscheidung gemäß §§ 353, 354 Abs.2 StPO an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückzuverweisen.

4. Auch wenn es für die zu treffende Entscheidung nicht mehr darauf ankam, weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass auch in der Sachverhaltsvariante der unzutreffenden Dokumentation einer tatsächlich nicht erfolgten Schutzimpfung durch den Impfarzt des Impfzentrums („schriftliche Lüge“) eine Strafbarkeit des Angeklagten nach § 75a Abs. 2 Nr. 1 IfSG in der zur Tatzeit geltenden Fassung in Betracht kommen könnte.

Diese Norm stellt das Gebrauchmachen von inhaltlich falschen, jedoch durch berechtigte Personen hergestellte Impfdokumentationen unter Strafe, ohne dass sich dem Wortlaut

oder der Gesetzessystematik Gründe dafür entnehmen lassen, dass dieser Tatbestand – wie das Sonderdelikt des § 74 Abs. 2 IfSG (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 17. Januar 2022 – 1 Ws 732/21 –, juris, Rn. 22; Gaede/Krüger NJW 2021, 2159 Rn. 11) – allein durch berechtigte Personen begangen werden könnte (vgl. Gaede/Krüger NJW 2021, 2159 Rn. 26-29, BeckOK InfSchR/Neuhöfer/Kindhäuser, 11. Ed. 1.4.2022, IfSG § 75a Rn. 5.1; Lorenz/Rehberger MedR 2022, 38, 42; OLG Bamberg, Beschluss vom 17. Januar 2022 – 1 Ws 732/21 –, juris, Rn. 23; a.A. LG Osnabrück, Beschluss vom 26. Oktober 2021 – 3 Qs 38/21 –, juris, Rn. 16).

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