Übersicht
- Das Wichtigste: Kurz & knapp
- Wann kann ein Geständnis vor Gericht widerrufen werden?
- Der Fall vor Gericht
- Die Schlüsselerkenntnisse
- FAQ – Häufige Fragen
- Unter welchen Voraussetzungen kann ein Geständnis widerrufen werden?
- Welche Auswirkungen hat ein widerrufenes Geständnis auf die Bewährungsstrafe?
- Welche Rolle spielt die Unschuldsvermutung beim Widerruf einer Bewährungsstrafe?
- Kann ein Bewährungswiderruf auch ohne rechtskräftiges Urteil erfolgen?
- Welche Beweise sind notwendig, um ein Geständnis als glaubhaft zu bewerten?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Das Wichtigste: Kurz & knapp
- Das Gericht entschied, dass ein Geständnis als glaubhaft anerkannt werden kann, auch wenn es nicht zu einer rechtskräftigen Verurteilung geführt hat.
- Der Verurteilte befand sich in Untersuchungshaft wegen des Verdachts mehrerer Betrugsfälle.
- Er gab zu, nicht durchgeführte Corona-Tests abgerechnet zu haben, um unrechtmäßig Vergütungen zu erhalten.
- Das Landgericht Saarbrücken widerrief die Aussetzung der Vollstreckung einer früheren Freiheitsstrafe wegen erneuten Straftaten während der Bewährungszeit.
- Der Verurteilte argumentierte, dass er sich durch eine Vertriebstätigkeit und ehrenamtliches Engagement gebessert habe.
- Das Gericht befand, dass die positiven Prognosen bei der ursprünglichen Entscheidung zur Aussetzung der Strafe nicht erfüllt wurden.
- Es wurde festgestellt, dass der Widerruf der Strafaussetzung auch ohne eine rechtskräftige Verurteilung erfolgen kann, wenn ein glaubhaftes Geständnis vorliegt.
- Die Generalstaatsanwaltschaft beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzulehnen, was das Gericht bestätigte.
- Die Entscheidung zeigt, dass die Unschuldsvermutung nicht verletzt wird, wenn ein glaubhaftes Geständnis als Grundlage für den Widerruf dient.
- Diese Entscheidung verdeutlicht die strenge Haltung gegenüber Straftaten während der Bewährungszeit und die Bedeutung eines glaubhaften Geständnisses im Strafrecht.
Wann kann ein Geständnis vor Gericht widerrufen werden?
Das Recht auf ein faires Verfahren ist ein Grundpfeiler unseres Rechtsstaates. Dieses Recht beinhaltet auch die Unschuldsvermutung, die besagt, dass jeder Mensch als unschuldig gilt, bis seine Schuld rechtskräftig festgestellt wurde. Ein wichtiger Bestandteil dieses Rechts ist die Möglichkeit, ein Geständnis zu widerrufen. Doch unter welchen Umständen ist dies möglich und welche Folgen hat ein Widerruf auf den Prozessverlauf?
Die Frage, wann ein Geständnis widerrufen werden kann, ist komplex und hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab. Zum Beispiel können Fehler bei der polizeilichen Vernehmung oder die fehlende Rechtsberatung dazu führen, dass ein Geständnis unter Zwang oder in Unkenntnis der eigenen Rechte abgegeben wurde. In solchen Fällen kann ein Widerruf gerechtfertigt sein. Die Gerichte prüfen in solchen Fällen sorgfältig, ob das Geständnis freiwillig und ohne äußeren Zwang abgegeben wurde und ob der Beschuldigte über seine Rechte aufgeklärt war.
Im Folgenden wollen wir uns mit einem konkreten Fall beschäftigen, der einen interessanten Einblick in die rechtlichen Aspekte des Widerrufs eines Geständnisses und der Unschuldsvermutung bietet.
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Der Fall vor Gericht
Widerruf der Bewährung trotz fehlendem Urteil: OLG Saarbrücken bestätigt Zulässigkeit
Das Oberlandesgericht Saarbrücken hat in einem kürzlich ergangenen Beschluss die Zulässigkeit des Widerrufs einer Strafaussetzung zur Bewährung bestätigt, obwohl für die neue Straftat noch kein rechtskräftiges Urteil vorlag. Der Fall betraf einen mehrfach vorbestraften Mann, der sich wegen des Verdachts mehrerer Betrugsfälle im Zusammenhang mit Corona-Testzentren in Untersuchungshaft befand.
Glaubhaftes Geständnis als Grundlage für Widerrufsentscheidung
Entscheidend für die Beurteilung des Gerichts war ein umfassendes Geständnis des Verurteilten bei einer staatsanwaltschaftlichen Vernehmung. In Anwesenheit seiner Verteidiger hatte der Mann detaillierte Angaben zu den Taten gemacht, die im Wesentlichen mit den Ergebnissen der bisherigen Ermittlungen übereinstimmten. Das Gericht sah dieses Geständnis als ausreichend an, um den Widerruf der Bewährung zu rechtfertigen, ohne gegen die Unschuldsvermutung zu verstoßen.
Vereinbarkeit mit der Unschuldsvermutung nach EMRK
Das OLG Saarbrücken setzte sich ausführlich mit der Frage auseinander, ob ein Widerruf der Strafaussetzung vor einer rechtskräftigen Verurteilung mit der Unschuldsvermutung nach Art. 6 Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) vereinbar ist. Unter Berufung auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und des Bundesverfassungsgerichts kam das Gericht zu dem Schluss, dass ein Widerruf auf Basis eines glaubhaften Geständnisses zulässig ist. Entscheidend sei, dass sich die Annahme der erneuten Strafbarkeit ausschließlich auf das Geständnis stütze und nicht auf eigene Feststellungen des Vollstreckungsgerichts zur Schuld des Verurteilten.
Enttäuschte Bewährungserwartung als Widerrufsgrund
Neben der Frage der Zulässigkeit des Widerrufs prüfte das Gericht auch, ob die Begehung der neuen Straftaten die der Strafaussetzung zugrundeliegende Erwartung enttäuscht hatte. Das OLG bejahte dies unter Verweis auf die mehrfache einschlägige Vorbelastung des Verurteilten und seine Hafterfahrung. Die ursprüngliche Annahme, der Lebenswandel des Mannes habe eine positive Wendung genommen, sei durch die eingeräumten neuen Betrugstaten widerlegt worden. Auch die vom Verurteilten vorgebrachten Zukunftspläne und Therapieabsichten konnten das Gericht nicht von einem künftig straffreien Lebenswandel überzeugen.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Urteil des OLG Saarbrücken bekräftigt, dass ein Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung auch ohne rechtskräftiges Urteil zulässig ist, wenn ein glaubhaftes Geständnis vorliegt. Dies steht im Einklang mit der Rechtsprechung des EGMR und des Bundesverfassungsgerichts und verletzt nicht die Unschuldsvermutung. Die Entscheidung unterstreicht die Flexibilität des Rechtssystems bei der Handhabung von Bewährungsfällen und betont die Bedeutung von Geständnissen in strafrechtlichen Verfahren.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Wenn Sie ein Geständnis abgelegt haben und nun Zweifel daran hegen, ist äußerste Vorsicht geboten. Das Urteil zeigt, dass selbst ein außergerichtliches Geständnis, etwa bei einer staatsanwaltschaftlichen Vernehmung, ausreichen kann, um schwerwiegende rechtliche Konsequenzen nach sich zu ziehen. Ein Widerruf der Bewährung kann auch ohne rechtskräftiges Urteil erfolgen, solange das Geständnis als glaubhaft eingestuft wird. Bevor Sie ein Geständnis ablegen oder widerrufen, ist es dringend ratsam, sich von einem erfahrenen Strafverteidiger beraten zu lassen. Dieser kann die Umstände Ihres Falls genau prüfen und Sie über mögliche Folgen und Handlungsoptionen aufklären. Bedenken Sie, dass jede Aussage potenziell weitreichende Auswirkungen auf Ihr Verfahren und Ihre persönliche Freiheit haben kann.
FAQ – Häufige Fragen
Die Bewährung ist ein komplexes Thema mit vielen rechtlichen Feinheiten. Widerruf der Bewährung kann schwerwiegende Folgen haben. Unsere FAQ-Rubrik bietet Ihnen umfassende und verständliche Antworten auf Ihre Fragen zu diesem Thema.
Wichtige Fragen, kurz erläutert:
- Unter welchen Voraussetzungen kann ein Geständnis widerrufen werden?
- Welche Auswirkungen hat ein widerrufenes Geständnis auf die Bewährungsstrafe?
- Welche Rolle spielt die Unschuldsvermutung beim Widerruf einer Bewährungsstrafe?
- Kann ein Bewährungswiderruf auch ohne rechtskräftiges Urteil erfolgen?
- Welche Beweise sind notwendig, um ein Geständnis als glaubhaft zu bewerten?
Unter welchen Voraussetzungen kann ein Geständnis widerrufen werden?
Ein Geständnis kann grundsätzlich jederzeit widerrufen werden, da der Beschuldigte oder Angeklagte nicht an seine früheren Aussagen gebunden ist. Dies ergibt sich aus dem Grundsatz der Aussagefreiheit und dem Verbot des Selbstbelastungszwangs. Allerdings hat ein Widerruf nicht automatisch zur Folge, dass das ursprüngliche Geständnis seine Bedeutung verliert.
Im Strafprozess unterliegt der Widerruf eines Geständnisses der freien richterlichen Beweiswürdigung. Das Gericht muss sowohl das ursprüngliche Geständnis als auch den späteren Widerruf sorgfältig prüfen und bewerten. Dabei werden verschiedene Faktoren berücksichtigt:
Der Detailreichtum und die Glaubwürdigkeit des ursprünglichen Geständnisses spielen eine wichtige Rolle. Ein besonders ausführliches Geständnis, das Täterwissen offenbart oder zum Auffinden weiterer Beweismittel geführt hat, wird vom Gericht in der Regel als überzeugender angesehen als ein knapper, unbegründeter Widerruf.
Die Gründe für den Widerruf werden ebenfalls genau untersucht. Kann der Beschuldigte plausibel erklären, warum er zunächst ein falsches Geständnis abgelegt hat, erhöht dies die Glaubwürdigkeit des Widerrufs. Mögliche Gründe könnten beispielsweise Druck durch Ermittlungsbehörden, psychische Belastungen oder ein Irrtum über den tatsächlichen Sachverhalt sein.
Das Gericht muss eine umfassende Gesamtwürdigung aller Umstände vornehmen. Dabei werden neben dem Geständnis und dem Widerruf auch andere Beweismittel und Indizien berücksichtigt. Es gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung, wonach das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung entscheidet.
Ein widerrufenes Geständnis kann trotzdem in die Hauptverhandlung eingeführt werden. Bei einem richterlichen Vernehmungsprotokoll ist eine Verlesung möglich. Bei polizeilichen Vernehmungen können die damals anwesenden Beamten als Zeugen vernommen werden. So kann das ursprüngliche Geständnis zumindest mittelbar in die Beweisaufnahme einfließen.
Im Zivilprozess gelten teilweise andere Regeln. Hier kann ein Geständnis gemäß § 290 ZPO widerrufen werden, wenn die widerrufende Partei beweist, dass das Geständnis der Wahrheit nicht entspricht und durch einen Irrtum veranlasst wurde. Der Widerruf ist jedoch ausgeschlossen, wenn die Partei bewusst eine Erklärung abgegeben hat, ohne den genauen Inhalt zu kennen.
Aus rechtlicher Sicht ist ein Widerruf eines Geständnisses also möglich, aber mit Risiken verbunden. Das Gericht wird sowohl das ursprüngliche Geständnis als auch den Widerruf kritisch prüfen. Ein Freispruch allein aufgrund eines Widerrufs ist daher keineswegs garantiert. Die Entscheidung hängt von der Gesamtschau aller Umstände und Beweismittel ab.
Welche Auswirkungen hat ein widerrufenes Geständnis auf die Bewährungsstrafe?
Ein widerrufenes Geständnis kann erhebliche Auswirkungen auf eine bestehende Bewährungsstrafe haben. Grundsätzlich gilt, dass ein Geständnis als Beweismittel im Strafprozess dient und zur Überzeugungsbildung des Gerichts beiträgt. Wird ein solches Geständnis widerrufen, muss das Gericht die neue Sachlage sorgfältig prüfen.
Der Widerruf eines Geständnisses allein führt nicht automatisch zum Widerruf der Bewährung. Das Gericht muss vielmehr eine umfassende Abwägung vornehmen und dabei verschiedene Faktoren berücksichtigen. Zentral ist hierbei die Frage, ob trotz des Widerrufs weiterhin von der Begehung einer Straftat während der Bewährungszeit ausgegangen werden kann.
Ein wichtiger Aspekt ist die Glaubhaftigkeit des ursprünglichen Geständnisses. Hat der Betroffene detaillierte Angaben gemacht, die mit den Ermittlungsergebnissen übereinstimmen, kann das Gericht dies als Indiz für die Richtigkeit des Geständnisses werten. In solchen Fällen wird ein späterer Widerruf möglicherweise als weniger glaubwürdig eingestuft.
Die Unschuldsvermutung spielt in diesem Kontext eine bedeutende Rolle. Sie besagt, dass jeder Beschuldigte bis zum rechtskräftigen Nachweis seiner Schuld als unschuldig gilt. Ein widerrufenes Geständnis kann dazu führen, dass die Unschuldsvermutung wieder stärker in den Vordergrund rückt. Das Gericht muss dann sorgfältig prüfen, ob trotz des Widerrufs ausreichende Beweise für die Schuld des Betroffenen vorliegen.
Entscheidend ist auch der Zeitpunkt des Widerrufs. Erfolgt er unmittelbar nach dem Geständnis und kann der Betroffene plausible Gründe dafür anführen, wird dies möglicherweise anders bewertet als ein Widerruf, der erst lange Zeit später und ohne nachvollziehbare Begründung erfolgt.
Das Gericht muss bei seiner Entscheidung über den Widerruf der Bewährung auch berücksichtigen, ob neben dem widerrufenen Geständnis weitere Beweise für die Begehung einer Straftat vorliegen. Gibt es beispielsweise Zeugenaussagen oder objektive Beweismittel, die die Schuld des Betroffenen belegen, kann dies trotz des Widerrufs zu einem Bewährungswiderruf führen.
Ein weiterer wichtiger Faktor ist das Verhalten des Betroffenen während der Bewährungszeit. Hat er sich ansonsten an alle Auflagen und Weisungen gehalten und keine weiteren Straftaten begangen, kann dies zu seinen Gunsten berücksichtigt werden. Umgekehrt können Verstöße gegen Bewährungsauflagen oder der Verdacht weiterer Straftaten die Wahrscheinlichkeit eines Bewährungswiderrufs erhöhen.
Es ist zu beachten, dass die Entscheidung über einen Bewährungswiderruf im Ermessen des Gerichts liegt. Die Richter müssen alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigen und eine Prognose für das zukünftige Verhalten des Betroffenen treffen. Ein widerrufenes Geständnis ist dabei nur ein Aspekt unter vielen.
In der Praxis kann ein Geständniswiderruf zu unterschiedlichen Szenarien führen: Das Gericht kann die Bewährung aufrechterhalten, wenn es trotz des Widerrufs von der Schuld des Betroffenen überzeugt ist und keine Gründe für einen Widerruf sieht. Es kann aber auch die Bewährungsauflagen verschärfen oder im Extremfall die Bewährung widerrufen und die Vollstreckung der Freiheitsstrafe anordnen.
Für den Betroffenen bedeutet ein Geständniswiderruf oft eine Phase der Unsicherheit. Er muss damit rechnen, dass das Gericht die Bewährung kritisch überprüft und möglicherweise neue Beweise erhebt. In dieser Situation ist es ratsam, sich kooperativ zu zeigen und die Gründe für den Widerruf nachvollziehbar darzulegen.
Letztlich hängt die Auswirkung eines widerrufenen Geständnisses auf die Bewährungsstrafe von vielen Faktoren ab und muss im Einzelfall beurteilt werden. Die Gerichte sind angehalten, eine sorgfältige Abwägung vorzunehmen und dabei sowohl die Interessen der Strafrechtspflege als auch die Rechte des Betroffenen zu berücksichtigen.
Welche Rolle spielt die Unschuldsvermutung beim Widerruf einer Bewährungsstrafe?
Die Unschuldsvermutung spielt eine zentrale Rolle beim Widerruf einer Bewährungsstrafe und stellt einen wichtigen Schutz für den Verurteilten dar. Sie ist ein fundamentaler Grundsatz des Strafrechts und besagt, dass jeder Beschuldigte bis zum rechtskräftigen Beweis seiner Schuld als unschuldig zu gelten hat.
Bei einem drohenden Widerruf der Bewährung aufgrund einer neuen Straftat kommt der Unschuldsvermutung besondere Bedeutung zu. Grundsätzlich darf die Bewährung nicht allein aufgrund des Verdachts einer neuen Straftat widerrufen werden. Dies würde dem Prinzip der Unschuldsvermutung widersprechen, da der Verurteilte für die neue Tat noch nicht rechtskräftig verurteilt wurde.
Die Rechtsprechung hat jedoch Ausnahmen von diesem Grundsatz entwickelt. So kann ein Widerruf der Bewährung auch ohne rechtskräftige Verurteilung zulässig sein, wenn der Verurteilte die neue Straftat glaubhaft eingestanden hat. Das Eingeständnis muss dabei prozessordnungsgemäß zustande gekommen sein. In diesem Fall wird davon ausgegangen, dass die Unschuldsvermutung nicht verletzt wird, da der Betroffene selbst seine Schuld eingeräumt hat.
Dennoch bleibt die Unschuldsvermutung auch bei einem Geständnis relevant. Das Gericht muss sorgfältig prüfen, ob das Geständnis tatsächlich glaubhaft ist und ob es alle Tatbestandsmerkmale der neuen Straftat umfasst. Es darf nicht vorschnell von einer Schuld ausgegangen werden, nur weil ein Geständnis vorliegt.
Zudem muss das Gericht bei der Entscheidung über den Bewährungswiderruf eine umfassende Abwägung vornehmen. Dabei sind neben dem Geständnis auch andere Faktoren zu berücksichtigen, wie etwa die Schwere der neuen Tat, das bisherige Verhalten während der Bewährungszeit und die Prognose für die weitere Entwicklung des Verurteilten. Die Unschuldsvermutung gebietet hier eine besonders sorgfältige Prüfung.
In Fällen, in denen kein Geständnis vorliegt, ist ein Widerruf der Bewährung vor einer rechtskräftigen Verurteilung wegen der neuen Tat in der Regel nicht zulässig. Die Unschuldsvermutung verlangt hier, dass zunächst das Strafverfahren wegen der neuen Tat abgewartet wird. Erst wenn dort die Schuld des Verurteilten rechtskräftig festgestellt wurde, kann die Bewährung widerrufen werden.
Es ist wichtig zu betonen, dass die Unschuldsvermutung nicht nur ein formales Prinzip ist, sondern auch dem Schutz der Persönlichkeitsrechte des Betroffenen dient. Sie soll verhindern, dass jemand vorschnell als schuldig behandelt und mit den Folgen einer Verurteilung belastet wird, bevor seine Schuld in einem rechtsstaatlichen Verfahren nachgewiesen wurde.
Die Gerichte müssen bei der Anwendung dieser Grundsätze stets eine Balance finden zwischen dem Schutz der Unschuldsvermutung einerseits und dem Interesse an einer effektiven Strafverfolgung und dem Schutz der Allgemeinheit andererseits. Dies erfordert eine sorgfältige Einzelfallprüfung und eine genaue Abwägung aller relevanten Umstände.
Kann ein Bewährungswiderruf auch ohne rechtskräftiges Urteil erfolgen?
Ein Bewährungswiderruf kann unter bestimmten Umständen auch ohne ein rechtskräftiges Urteil erfolgen. Dies ist insbesondere dann möglich, wenn der Verurteilte ein glaubhaftes und nicht widerrufenes Geständnis abgelegt hat. Die rechtliche Grundlage hierfür findet sich in der Auslegung des § 56f Abs. 1 StGB durch die Rechtsprechung.
Entscheidend ist, dass das Gericht aufgrund des Geständnisses zur Überzeugung gelangt, dass der Verurteilte tatsächlich eine neue Straftat begangen hat. Diese Praxis wurde durch mehrere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bestätigt, die einen Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung wegen einer neuen Straftat auch ohne deren rechtskräftige Aburteilung für zulässig erklären.
Die Oberlandesgerichte folgen diesem Grundsatz einheitlich. So hat beispielsweise das OLG Hamm in einem Beschluss festgestellt, dass ein Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung im Hinblick auf eine erneute Straffälligkeit erfolgen kann, wenn ein nicht widerrufenes glaubhaftes richterliches Geständnis vorliegt. Ähnliche Entscheidungen wurden von zahlreichen anderen Oberlandesgerichten getroffen, darunter das OLG Düsseldorf, das OLG Köln und das OLG Stuttgart.
Es ist wichtig zu verstehen, dass diese Praxis nicht im Widerspruch zur Unschuldsvermutung steht. Das Gericht stützt seine Entscheidung auf das Geständnis des Verurteilten und nicht auf eine bloße Vermutung oder einen Verdacht. Dennoch wird in der Rechtsprechung oft betont, dass es in vielen Fällen sinnvoll sein kann, die rechtskräftige Aburteilung der neuen Straftat abzuwarten, um unbillige Ergebnisse zu vermeiden.
Die Möglichkeit des Bewährungswiderrufs ohne rechtskräftiges Urteil dient dazu, zeitnah auf erneute Straffälligkeit reagieren zu können und die Ziele der Bewährung zu wahren. Es liegt im Ermessen des Gerichts, ob es einen Widerruf auf Basis eines Geständnisses für angemessen hält. Dabei müssen alle Umstände des Einzelfalls sorgfältig abgewogen werden.
Diese Praxis unterstreicht die Bedeutung eines umfassenden Verständnisses der rechtlichen Konsequenzen eines Geständnisses während einer laufenden Bewährungszeit. Für Verurteilte auf Bewährung ist es daher ratsam, sich der möglichen Folgen eines Geständnisses bewusst zu sein, auch wenn noch kein rechtskräftiges Urteil vorliegt.
Welche Beweise sind notwendig, um ein Geständnis als glaubhaft zu bewerten?
Die Glaubhaftigkeit eines Geständnisses im Strafprozess unterliegt strengen Anforderungen und muss vom Gericht sorgfältig geprüft werden. Ein Geständnis allein reicht in der Regel nicht aus, um eine Verurteilung zu begründen. Vielmehr müssen weitere Beweise die Aussagen des Geständigen stützen und bestätigen.
Das Gericht ist verpflichtet, das Geständnis im Rahmen der freien Beweiswürdigung kritisch zu hinterfragen und auf seine Plausibilität hin zu überprüfen. Dabei spielen verschiedene Faktoren eine wichtige Rolle:
Detailliertheit und Konstanz der Aussagen: Ein glaubhaftes Geständnis zeichnet sich durch präzise Angaben zum Tathergang aus, die über reines Täterwissen hinausgehen. Die geschilderten Details sollten in sich stimmig sein und bei wiederholten Befragungen konstant bleiben. Widersprüche oder häufige Änderungen der Aussage können die Glaubwürdigkeit mindern.
Übereinstimmung mit objektiven Beweismitteln: Von zentraler Bedeutung ist die Vereinbarkeit des Geständnisses mit anderen vorliegenden Beweisen. Dazu gehören beispielsweise Tatortspuren, Zeugenaussagen oder Videoaufzeichnungen. Je mehr unabhängige Beweismittel die Angaben des Geständigen bestätigen, desto höher ist deren Glaubhaftigkeit einzustufen.
Täterwissen und Insiderkenntnisse: Ein authentisches Geständnis enthält oft Informationen, die nur der tatsächliche Täter kennen kann. Dies können spezifische Details zum Tatablauf, zum Tatort oder zum Opfer sein, die nicht öffentlich bekannt waren. Solches Täterwissen erhöht die Glaubwürdigkeit erheblich.
Psychologische Stimmigkeit: Das Gericht achtet auch auf die emotionale Komponente des Geständnisses. Ein glaubhaftes Geständnis weist häufig eine angemessene emotionale Beteiligung auf, etwa Reue oder Scham. Fehlt jegliche emotionale Reaktion oder wirkt sie übertrieben, kann dies Zweifel an der Echtheit des Geständnisses wecken.
Motivation und Umstände des Geständnisses: Die Gründe für das Ablegen eines Geständnisses sind ebenfalls zu berücksichtigen. Ein freiwilliges Geständnis, das ohne äußeren Druck erfolgt, wird tendenziell als glaubwürdiger eingestuft als eines, das unter fragwürdigen Umständen zustande kam.
Medizinische oder forensische Beweise: In vielen Fällen können medizinische Gutachten oder forensische Analysen die Angaben des Geständigen untermauern. Dies ist besonders bei Gewaltdelikten relevant, wo Verletzungsmuster oder DNA-Spuren mit den geschilderten Tathandlungen übereinstimmen sollten.
Aussagen von Mittätern oder Zeugen: Bestätigen unabhängige Zeugen oder eventuell vorhandene Mittäter die im Geständnis gemachten Angaben, erhöht dies dessen Glaubwürdigkeit. Dabei ist jedoch stets die mögliche Beeinflussung oder Absprache zwischen den Beteiligten kritisch zu hinterfragen.
Es ist wichtig zu betonen, dass das Gericht trotz eines Geständnisses nicht von seiner Pflicht zur umfassenden Sachverhaltsaufklärung entbunden ist. Die Amtsaufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO gilt uneingeschränkt. Das bedeutet, dass das Gericht alle verfügbaren und relevanten Beweismittel heranziehen muss, um die Wahrheit zu ermitteln.
Bei der Bewertung eines Geständnisses ist zudem zu beachten, dass es im Laufe eines Verfahrens widerrufen werden kann. In solchen Fällen muss das Gericht besonders sorgfältig prüfen, welche Version der Ereignisse glaubhafter erscheint und durch objektive Beweise gestützt wird.
Die Anforderungen an die Glaubhaftigkeit eines Geständnisses dienen letztlich dem Schutz vor Fehlurteilen und der Wahrung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ – im Zweifel für den Angeklagten. Nur wenn nach kritischer Prüfung aller Umstände keine vernünftigen Zweifel an der Richtigkeit des Geständnisses bestehen, kann es als tragfähige Grundlage für eine Verurteilung herangezogen werden.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Bewährung: Bewährung ist eine rechtliche Maßnahme, bei der eine Freiheitsstrafe unter bestimmten Auflagen ausgesetzt wird. Der Verurteilte muss sich in dieser Zeit gesetzestreu verhalten und gegebenenfalls weitere Auflagen erfüllen. Bei einem Verstoß gegen die Auflagen kann die Bewährung widerrufen und die Freiheitsstrafe vollstreckt werden.
- Widerruf der Bewährung: Dies bedeutet, dass eine zuvor ausgesetzte Freiheitsstrafe nun doch vollstreckt wird, weil der Verurteilte gegen die Bewährungsauflagen verstoßen hat. Der Widerruf erfolgt oft, wenn der Verurteilte während der Bewährungszeit eine neue Straftat begeht oder andere festgelegte Bedingungen nicht einhält.
- Geständnis: Ein Geständnis ist eine Erklärung, in der der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Tat einräumt. Es kann freiwillig erfolgen oder unter bestimmten Umständen widerrufen werden, etwa wenn es unter Zwang abgegeben wurde oder der Beschuldigte nicht über seine Rechte informiert war.
- Unschuldsvermutung: Die Unschuldsvermutung ist ein Grundprinzip des Strafrechts, das besagt, dass jeder Mensch als unschuldig gilt, bis seine Schuld in einem fairen Verfahren bewiesen ist. Sie soll sicherstellen, dass niemand ohne ausreichende Beweise verurteilt wird.
- glaubhaftes Geständnis: Ein glaubhaftes Geständnis ist eine Aussage des Beschuldigten, die das Gericht als wahr und zuverlässig ansieht. Faktoren wie Konsistenz der Aussage, die Umstände der Vernehmung und die Übereinstimmung mit anderen Beweisen beeinflussen die Glaubhaftigkeit.
- Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK): Die EMRK ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der die Menschenrechte und Grundfreiheiten in Europa schützt. Art. 6 Abs. 2 der EMRK sichert das Recht auf ein faires Verfahren und die Unschuldsvermutung. Gerichte in den Vertragsstaaten müssen die Bestimmungen der EMRK bei ihren Entscheidungen berücksichtigen.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB (Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung): Dieser Paragraph regelt die Voraussetzungen für den Widerruf einer Bewährung, wenn der Verurteilte während der Bewährungszeit eine neue Straftat begeht. Im vorliegenden Fall wurde die Bewährung widerrufen, da der Verurteilte während der Bewährungszeit erneut straffällig geworden ist.
- Art. 6 Abs. 2 EMRK (Unschuldsvermutung): Dieser Artikel der Europäischen Menschenrechtskonvention garantiert jedem Beschuldigten das Recht, als unschuldig zu gelten, bis seine Schuld in einem fairen Verfahren bewiesen ist. Im vorliegenden Fall wurde die Vereinbarkeit des Widerrufs der Bewährung mit der Unschuldsvermutung geprüft, da die neuen Straftaten noch nicht rechtskräftig abgeurteilt waren.
- § 453 Abs. 2 Satz 3 StPO (Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde): Diese Vorschrift regelt die Zulässigkeit einer sofortigen Beschwerde gegen den Widerruf der Strafaussetzung. Im vorliegenden Fall hat der Verurteilte eine solche Beschwerde eingelegt, um den Widerruf seiner Bewährung anzufechten.
- § 306 Abs. 1, § 311 Abs. 2 StPO (Form und Frist der sofortigen Beschwerde): Diese Paragraphen regeln die formalen Anforderungen und die Frist für die Einlegung einer sofortigen Beschwerde. Im vorliegenden Fall wurde geprüft, ob die Beschwerde des Verurteilten fristgerecht und in der richtigen Form eingelegt wurde.
- § 463 StGB (Vollstreckung der Freiheitsstrafe): Dieser Paragraph regelt die allgemeine Vollstreckung von Freiheitsstrafen. Im vorliegenden Fall wurde die Vollstreckung einer zuvor zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe aufgrund der neuen Straftaten des Verurteilten angeordnet.
Das vorliegende Urteil
Oberlandesgericht Saarbrücken – Az.: 1 Ws 17/24 – Beschluss vom 06.02.2024
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Leitsatz
Ein Widerruf nach § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB kann im Fall eines weiterhin gültigen glaubhaften Geständnisses ohne Verstoß gegen die Unschuldsvermutung auch vor einer rechtskräftigen Verurteilung wegen der Anlasstat erfolgen.
Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Landgerichts Saarbrücken – Strafvollstreckungskammer IV – vom 15. Januar 2024 wird kostenpflichtig als unbegründet v e r w o r f e n.
Gründe
I.
Der bereits mehrfach wegen Betruges vorbestrafte Verurteilte befindet sich derzeit in einem von der Staatsanwaltschaft geführten Ermittlungsverfahren (Az.: 39 Js 412/22) aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Saarbrücken vom 31. Mai 2023 (Az.: 8 Gs 147/23) wegen des dringenden Verdachts mehrerer Fälle des (versuchten) Betruges in Untersuchungshaft. Ihm wird vorgeworfen, im Zuge des Betriebs mehrerer sog. Corona-Testzentren im Zeitraum von Dezember 2021 bis Oktober 2022 gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung des Saarlandes tatsächlich nicht durchgeführte Testungen in der Absicht abgerechnet zu haben, hierdurch unrechtmäßig Vergütungszahlungen zu erhalten.
Am 13. Oktober 2023 hat der Verurteilte in Anwesenheit seiner beiden Verteidiger bei einer Vernehmung durch den für das Ermittlungsverfahren zuständigen Staatsanwalt die ihm vorgeworfenen Betrugstaten im Wesentlichen eingeräumt und ins Einzelne gehende Angaben zu den jeweiligen Taten, der Organisation der den Taten zugrundeliegenden „Corona-Testzentren“ und seiner subjektiven Kenntnis der Überhöhung der jeweils abgerechneten Anzahl der durchgeführten Tests gemacht. Der Abschluss der Ermittlungen steht noch aus.
Aus Anlass dessen hat das Landgericht Saarbrücken auf Antrag der Staatsanwaltschaft mit Beschluss vom 15. Januar 2024 die Aussetzung der Vollstreckung einer früheren, durch Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 27. April 2020 (Az.: 12 Ns 112/19) ebenfalls wegen Betrugs- und Urkundsdelikten verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren widerrufen. Es hat auf Grundlage dessen, dass der Verurteilte bereits mehrfach wegen einschlägiger Taten vorbestraft ist und trotz der Erfahrung früherer Strafhaft und erneuter Bewährungschancen wieder Straftaten begangen habe, angenommen, dass die bei der ursprünglichen Entscheidung zur Aussetzung der Vollstreckung der Strafe aus dem Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 27. April 2020 getroffene Prognose, der Verurteilte werde fortan gesetzestreu leben, widerlegt ist und mildere Maßnahmen als eine erneute Strafvollstreckung nicht geeignet sind, den Verurteilten zu einem straffreien Lebenswandel anzuhalten.
Gegen diese ihm am 22. Januar 2024 zugestellte Widerrufsentscheidung wendet der Verurteilte sich mit am 26. Januar 2024 erhobener sofortiger Beschwerde, mit der er für sich insbesondere unter Hinweis auf ein konkretes Vorhaben einer Vertriebstätigkeit im Bereich nachhaltiger Heiz- und Haustechnik und ein ehrenamtliches Engagement im Breiten- und Jugendsport eine günstige Legalprognose beansprucht.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die sofortige Beschwerde aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zu verwerfen.
II.
1. Die gemäß § 453 Abs. 2 Satz 3 StPO statthafte sowie form- und fristgerecht (§ 306 Abs. 1, § 311 Abs. 2 StPO) eingelegte sofortige Beschwerde gegen den Widerruf der Aussetzung der Vollstreckung der Strafe aus dem Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 27. April 2020 (Az.: 12 Ns 112/19) ist unbegründet.
Nach § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB ist eine Strafaussetzung zu widerrufen, wenn der Verurteilte während der Bewährungszeit eine Straftat begeht und dadurch zeigt, dass sich die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, nicht erfüllt hat.
Dies hat das Landgericht aus den im angefochtenen Beschluss dargelegten Gründen, denen der Senat beitritt, zu Recht angenommen, nachdem der Verurteilte bei seiner verantwortlichen staatsanwaltschaftlichen Vernehmung vom 13. Oktober 2023 die ihm im Verfahren 39 Js 412/22 der Staatsanwaltschaft Saarbrücken vorgeworfenen und dem Haftbefehl des Amtsgerichts Saarbrücken vom 31. Mai 2023 (Az.: 8 Gs 147/23) zugrundeliegenden Betrugstaten im Zusammenhang mit der Abrechnung von Testungen im Zuge der von ihm in den Jahren 2021 und 2022 betriebenen „Corona-Testzentren“ und damit eine erneute Strafbarkeit in der Bewährungszeit eingeräumt hat und Zweifel an der Belastbarkeit des Geständnisses nicht veranlasst sind.
a) Der Annahme einer Strafbarkeit des Verurteilten in der Bewährungszeit steht im Hinblick auf die Unschuldsvermutung aus Art. 6 Abs. 2 EMRK insbesondere nicht entgegen, dass die neuen Straftaten bislang noch nicht rechtskräftig abgeurteilt sind.
aa)
Die Feststellung, dass ein Verurteilter in der Bewährungszeit eine neue Straftat begangen hat, setzt nicht zwingend voraus, dass er wegen der neuen Tat bereits (rechtskräftig) verurteilt ist. Der Wortlaut des § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB setzt eine rechtskräftige Verurteilung nicht voraus (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 2. Dezember 2020 – III-1 Ws 479/20 –, juris Rn. 10 m.w.N.). Der Widerruf kann ohne Verstoß gegen die Unschuldsvermutung daher auch auf ein glaubhaftes Geständnis der neuen Tat gestützt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. August 2008 – 2 BvR 1448/08 –, juris Rn. 13 m.w.N.; OLG Koblenz, Beschluss vom 15. Juli 2022 – 4 Ws 326/22 –, juris Rn. 9 m.w.N.; OLG Hamburg, Beschluss vom 17. Oktober 2017 – 1 Ws 118/17 – juris; OLG Hamm, Beschluss vom 16. Juni 2016 – 4 Ws 174/16 –, juris Rn. 4 ff.; OLG Dresden StV 2008, 313; OLG Stuttgart NJW 2005, 83; OLG Zweibrücken NStZ-RR 2005, 8; OLG Nürnberg NJW 2004, 2032; vgl. auch die bisherige Rspr. des Senats: Senatsbeschlüsse vom 29. Oktober 2009 – Ws 182/09 – [für ein Geständnis bei polizeilicher Vernehmung] sowie vom 31. Juli 2012 – Ws 146/12 und vom 17. März 2015 – Ws 16/15 – [jeweils für ein Geständnis bei richterlicher Vernehmung]; noch a.A. Thüringer OLG, Beschluss vom 26. März 2003 – 1 Ws 100/03 –, StV 2003, 574; OLG Celle, Beschluss vom 23. Juli 2003 – 1 Ws 250/03 –, StV 2003, 575). Für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit eines Geständnisses kann im Einzelfall insbesondere entscheidend sein, ob der Betroffene in der Folgezeit an seinem Geständnis weiter festgehalten hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. Dezember 1989 – 2 BvR 1741/89 –, NStZ 1991, 30, und vom 12. August 2008 – 2 BvR 1448/08 –, juris Rn. 13) und unter welchen Umständen es zustande gekommen ist, insbesondere ob prozesstaktische Erwägungen für eine unzutreffende Selbstbelastung ausgeschlossen werden können. Dabei bedarf es nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats nicht zwingend eines richterlichen Geständnisses der neuen Tat. Der Widerruf kann im Einzelfall auch ohne Verstoß gegen die Unschuldsvermutung auf ein außergerichtliches Geständnis gestützt werden, soweit dieses gemessen an voranstehendem Maßstab als glaubhaft zu bewerten ist (vgl. Senatsbeschluss vom 29. Oktober 2009 – Ws 182/09 – [für ein Geständnis bei polizeilicher Vernehmung]; ebenso jüngst OLG Hamm Beschluss vom 2. Dezember 2020 – III-1 Ws 479/20 –, juris Rn. 11 ff.; OLG Koblenz, Beschluss vom 15. Juli 2022 – 4 Ws 326/22 –, juris Rn. 9 ff.).
bb)
Daran ist auch unter Berücksichtigung der zwischenzeitlichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte festzuhalten.
Bereits mit Beschluss vom 29. Oktober 2009 – Ws 182/09 – hat der Senat dargelegt, dass unter Berücksichtigung der bis dahin ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ein Widerruf der Strafaussetzung wegen einer neuen Tat des Betroffenen auch ohne deren rechtskräftige Aburteilung zulässig ist und nicht gegen die Unschuldsvermutung verstößt, wenn ein glaubhaftes Geständnis der neuen Tat vorliegt (vgl. Senatsbeschluss vom 29. Oktober 2009 – Ws 182/09 –, juris Rn. 6 ff.). So hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit Entscheidung vom 9. Oktober 1991 in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 12. August 2008 – 2 BvR 1448/08 –, juris Rn. 12 ff.) anerkannt, dass der Widerruf der Strafaussetzung wegen einer neuen Tat des Betroffenen auch ohne deren rechtskräftige Aburteilung zulässig ist und nicht gegen die Unschuldsvermutung verstößt, wenn sich der Widerruf auf ein bei der polizeilichen Vernehmung und der Vernehmung durch den zuständigen Richter abgegebenes Schuldeingeständnis stützt und zum Zeitpunkt der Entscheidung das Geständnis nicht widerrufen worden ist (vgl. EGMR, Urteil vom 9. Oktober 1991 – 15871/89 –, StV 1992, 282). Abweichendes ergab sich bis zur Entscheidung des Senats im Jahr 2009 auch aus der nachgehenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht. Mit Urteil vom 3. Oktober 2002 – 37568/97 – hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte einen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung zwar darin gesehen, dass das für den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung zuständige Gericht aufgrund eigener Feststellungen die Überzeugung von der Schuld des Verurteilten in Bezug auf die diesem vorgeworfene neue Straftat gewonnen hat, ohne dass gegen den Verurteilten wegen dieser ihm zur Last gelegten Tat nach den gesetzlichen Bestimmungen ein Schuldspruch ergangen war, zugleich aber ausdrücklich hervorgehoben, dass der entschiedene Einzelfall, in dem es um die umfassende Würdigung des Beweiswertes einer belastenden Zeugenaussage ging, keine Entsprechung zu einigen vorangegangenen Fällen, insbesondere der Entscheidung vom 9. Oktober 1991 – 15871/89 – aufwiese, in denen der Widerruf der Strafaussetzung auf das Schuldeingeständnis des Betroffenen zurückzuführen gewesen sei (vgl. EGMR, Urteil vom 3. Oktober 2002 – 37568/97 –, juris Rn. 65; Senatsbeschluss vom 29. Oktober 2009 – 1 Ws 182/09 –, juris Rn. 7).
An dieser Rechtsprechung hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bislang festgehalten. Soweit der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seiner Entscheidung vom 12. November 2015 – 2130/10 – erneut angenommen hat, dass die im Verfahren über den Widerruf der Strafaussetzung Anwendung findende Unschuldsvermutung aus Art. 6 Abs. 2 EMRK verletzt werde, wenn eine gerichtliche Entscheidung oder eine Äußerung eines Amtsträgers über einen Angeklagten die Auffassung erkennen lasse, er sei schuldig, bevor der gesetzliche Nachweis seiner Schuld erbracht worden ist (vgl. EGMR, Urteil vom 12. November 2015 – 2130/10 –, juris Rn. 53), betraf dies einen Fall, in dem die Gerichte ihre Schlussfolgerung, der Betroffene habe während der Bewährungszeit erneut eine Straftat begangen, nicht mehr auf ein gültiges Geständnis stützen konnten und eine Einschätzung der Glaubwürdigkeit der verschiedenen Aussagen des Betroffenen vornehmen mussten, weil der Betroffene ein zunächst abgelegtes Geständnis widerrufen hatte (vgl. EGMR, Urteil vom 12. November 2015 – 2130/10 –, juris Rn. 58 f.). Auch hierbei hat der Gerichtshof diesen maßgeblichen Unterschied zu dem Sachverhalt, der der Entscheidung vom 9. Oktober 1991 – 15871/89 – zugrunde lag, hervorgehoben (vgl. EGMR, Urteil vom 12. November 2015 – 2130/10 –, juris Rn. 60) und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als Orientierungshilfe zur Auslegung des Grundsatzes der Unschuldsvermutung für die nationalen Fachgerichte in den Vordergrund gerückt (vgl. EGMR, Urteil vom 12. November 2015 – 2130/10 –, juris Rn. 60), die die Zulässigkeit eines Widerrufs gerade nicht auf Fälle beschränkt, in denen ein richterliches Geständnis vorliegt, sondern im Einzelfall auch ein glaubhaftes Geständnis der neuen Tat ausreichen lässt (BVerfG, Beschlüsse vom 9. Dezember 2004 – 2 BvR 2314/04 –, juris und vom 12. August 2008 – 2 BvR 1448/08 –, juris). Damit hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nach Auffassung des Senats zu erkennen gegeben, dass er an seiner bisherigen Rechtsprechung festhält und der Widerruf einer Strafaussetzung wegen erneuter Strafbarkeit nach wie vor dann nicht gegen die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 EMRK verstößt, wenn das über den Widerruf entscheidende Gericht seine Entscheidung im Einzelfall auf ein glaubhaftes Geständnis hinsichtlich der neuen Straftat stützt (so jüngst auch OLG Koblenz, Beschluss vom 15. Juli 2022 – 4 Ws 326/22 –, juris Rn. 9 ff. sowie tendenziell auch OLG Hamm, Beschluss vom 2. Dezember 2020 – III-1 Ws 479/20 –, juris Rn. 11 ff.). Die Annahme der erneuten Strafbarkeit stützt sich dann ausschließlich auf das Geständnis und nicht auf eine dem Tatgericht vorzubehaltende eigene gerichtliche Feststellung von der Schuld des Verurteilten in Bezug auf die ihm vorgeworfene neue Straftat durch das Vollstreckungsgericht, wie sie im Sinne der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 3. Oktober 2002 – 37568/97 – unzulässig wäre.
Zuletzt hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte überdies in seiner Entscheidung vom 20. Februar 2020 – 68556/13 – zum Verstoß gegen die Unschuldsvermutung bei Berücksichtigung verfahrensfremder Straftaten im Rahmen der Bewährungsentscheidung (abzurufen über juris) bestätigt, dass bei einem Widerruf der Strafaussetzung wegen Begehung einer erneuten Straftat die Unschuldsvermutung nicht verletzt ist, wenn ein Gericht keine eigenen Feststellungen zur Schuld des Betroffenen trifft, sondern seiner Entscheidung nur dessen Geständnis zugrunde legt (vgl. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil vom 20. Februar 2020 – 68556/13 –, juris Rn. 50).
Daher hält der Senat an seiner bisherigen Rechtsprechung fest, dass im Einzelfall auch ein außergerichtliches Geständnis für einen Widerruf der Strafaussetzung nach § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB ausreichen kann, wenn es nach seinem Inhalt und der Art seines Zustandekommens geeignet ist, dem Widerrufsgericht die erforderliche Überzeugung von der Begehung der neuen Tat zu vermitteln (so jüngst auch OLG Koblenz, Beschluss vom 15. Juli 2022 – 4 Ws 326/22 –, juris Rn. 9 ff. sowie tendenziell OLG Hamm, Beschluss vom 2. Dezember 2020 – III-1 Ws 479/20 –, juris Rn. 11 ff.).
cc)
Ausgehend davon ist das Geständnis des Verurteilten bei seiner staatsanwaltschaftlichen Vernehmung im Einzelfall ausreichend, um den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung wegen der Begehung neuer Straftaten i.S.d. § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB – ohne Verstoß gegen die Unschuldsvermutung – zu rechtfertigen. Der Verurteilte hat die ihm zur Last gelegten Betrugstaten nicht lediglich pauschal eingeräumt, sondern in Anwesenheit seiner beiden Verteidiger nach ordnungsgemäßer Belehrung darüber, dass es ihm nach dem Gesetz freisteht, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen (§ 136 Abs. 1 Satz 2 StPO), ins Einzelne gehende Angaben zu den jeweiligen Taten, der Organisation der den Taten zugrundeliegenden „Corona-Testzentren“ und seiner subjektiven Kenntnis der Überhöhung der jeweils abgerechneten Anzahl der durchgeführten Tests gemacht. Seine Angaben stimmen mit den im Haftbefehl des Amtsgerichts Saarbrücken vom 31. Mai 2023 (Az.: 8 Gs 147/23) niedergelegten Ergebnissen der bisherigen Ermittlungen im Wesentlichen überein. Soweit die Anzahl der zu Unrecht abgerechneten Testungen nach den Angaben des Verurteilten geringer ist als im Haftbefehl vom 31. Mai 2023 ausgewiesen, lässt dies die Strafbarkeit unberührt. Die vom Verurteilten eingeräumte Anzahl an zu Unrecht abgerechneten Testungen lässt überdies eine insgesamt verbleibende Schuldschwere solchen Gewichts erkennen, dass sein Handeln ohne Weiteres die ursprünglich positive Legalprognose zu widerlegen vermag. Anhaltspunkte dafür, dass der Verurteilte sich durch seine detaillierte Einlassung aus prozesstaktischen Erwägungen zu Unrecht belastet haben könnte, sind nicht ersichtlich. Im Übrigen wird das Geständnis von dem Verurteilten auch im Rahmen des Beschwerdeverfahrens weder angegriffen, noch ist es von ihm widerrufen worden, was ebenfalls für seine Glaubhaftigkeit spricht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. August 2008 – 2 BvR 1448/08 –, juris Rn. 13). Zweifel daran, dass das Geständnis nicht prozessordnungsgemäß zustande gekommen ist, bestehen nicht. Der Senat ist daher im Einzelfall hinreichend überzeugt, dass der Verurteilte die ihm Haftbefehl des Amtsgerichts Saarbrücken vom 31. Mai 2023 (Az.: 8 Gs 147/23) vorgeworfenen Taten begangen und sich dadurch erneut strafbar gemacht hat.
b) Der Verurteilte hat aus den vom Landgericht dargelegten Gründen in Anbetracht seiner mehrfachen einschlägigen Vorbelastung und Hafterfahrung durch die Begehung der neuen Straftaten auch gezeigt, dass sich die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, nicht erfüllt hat.
Insbesondere soweit das Landgericht bei der ursprünglichen Entscheidung zur Strafaussetzung im Jahr 2020 angenommen hatte, dass der zuvor von wiederholter Betrugsstrafbarkeit geprägte Lebenswandel des Verurteilten unter anderem aufgrund der Aufnahme einer legalen Erwerbstätigkeit mit geregeltem Einkommen eine positive Wendung genommen habe, ist diese Annahme durch die vom Verurteilten eingeräumten neuen Betrugstaten aus dem Jahr 2022 widerlegt. In Anbetracht dessen erscheint auch die mit der Beschwerde gegen den Widerruf der Strafaussetzung vorgebrachte Behauptung, fortan den Lebensunterhalt legal durch eine Erwerbstätigkeit im Bereich des Vertriebs von Photovoltaikanlagen, Wärmepumpen und anderem bestreiten zu wollen, als nicht belastbare Beteuerung, die die Annahme eines fortan straffreien Lebenswandels nicht rechtfertigen kann. Gleiches gilt für die ehrenamtliche Betätigung des Verurteilten im Bereich des Freizeit- und Jugendsports, weil auch diese ihn bereits bisher nicht von der Begehung von Straftaten abhalten konnte und zudem dem Verurteilten mittelbar Anlass zu den neuen Betrugstaten gab, soweit der Verurteilte Teile der überhöht abgerechneten Testleistungen über das von ihm unter anderem an den Sportplätzen der Vereine, für die er ehrenamtlich tätig ist, betriebene mobile Testzentrum einreichte.
Soweit der Verurteilte schließlich anführt, eine Therapie absolvieren zu wollen, bleiben nicht bloß Ziel und Gegenstand der Therapie im Unklaren, sondern auch, inwieweit die Durchführung einer Therapie einer künftigen Strafbarkeit entgegenwirken soll, zumal die bisherige Strafbarkeit nicht nachweislich Ausfluss einer der therapeutischen Behandlung zugänglichen psychiatrischen Erkrankung oder Abhängigkeitsproblematik ist, sondern vielmehr auf allgemeine Persönlichkeitsdefizite zurückzuführen sein dürfte.
2. Die Kostenlast des Verurteilten folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.