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Zumutbarkeit einer Abstinenzweisung bei suchtkranker Person

Abstinenzweisung bei Suchtkranken: Zulässig unter bestimmten Bedingungen

Im deutschen Strafrecht ergibt sich häufig die Frage nach der Zumutbarkeit bestimmter gerichtlicher Weisungen, insbesondere wenn diese Personen betreffen, die an einer Suchtkrankheit leiden. Ein zentrales juristisches Thema in diesem Kontext ist die Abstinenzweisung unter Führungsaufsicht gemäß § 68b Abs. 1 S. 1 Ziff. 10 StGB. Die Herausforderung besteht darin, die Verhältnismäßigkeit solcher Weisungen im Spannungsfeld zwischen dem Schutz der öffentlichen Sicherheit und den Rechten der betroffenen Personen abzuwägen.

Dies schließt die Berücksichtigung von Drogensucht und den Erfolgen oder Misserfolgen von Therapieversuchen mit ein. In Fällen, in denen der Strafvollzug abgeschlossen ist, erhebt sich zudem die Frage, inwieweit die Strafvollstreckungskammer in ihrer Funktion der Führungsaufsicht verpflichtet ist, individuelle Aspekte der Lebensführung des Verurteilten und dessen Fähigkeit zur Abstinenz zu bewerten. Die gerichtliche Praxis muss dabei die Grenzen der Zumutbarkeit und die Bedingungen für die Erteilung einer Abstinenzweisung sorgfältig ausloten, um einen gerechten Ausgleich zwischen den Bedürfnissen der Gesellschaft und denen des Einzelnen zu finden.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 7 Ws 176/23 >>>

Das Wichtigste in Kürze


Das Oberlandesgericht Frankfurt hat entschieden, dass eine Abstinenzweisung im Rahmen der Führungsaufsicht für eine suchtkranke Person unter bestimmten Bedingungen zumutbar und rechtmäßig sein kann.

Zentrale Punkte aus dem Urteil:

  1. Rechtmäßigkeit der Abstinenzweisung: Das Gericht bestätigt, dass die Abstinenzweisung nach § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 StGB für Personen unter Führungsaufsicht gesetzlich vorgesehen und anwendbar ist.
  2. Bezug zur Suchtkrankheit: Trotz der Drogensucht des Verurteilten wird die Weisung als angemessen angesehen, vor allem, wenn der Betroffene im Strafvollzug Abstinenz gezeigt hat.
  3. Verhältnismäßigkeit der Anordnung: Das Gericht bewertet die Abstinenzweisung im Kontext der Verhältnismäßigkeit und berücksichtigt dabei sowohl die Schwere der Suchterkrankung als auch die Möglichkeit zur Abstinenz.
  4. Ausnahme von der Regel: Obwohl bei schwer suchtkranken Personen eine Abstinenzweisung normalerweise als unzumutbar gilt, kann es Ausnahmen geben, insbesondere, wenn im Strafvollzug bereits Abstinenz erreicht wurde.
  5. Bedeutung der Strafvollstreckungskammer: Die Rolle der Strafvollstreckungskammer wird hervorgehoben, insbesondere deren Verantwortung bei der Ausgestaltung der Führungsaufsicht und Abwägung der Umstände.
  6. Individuelle Betrachtung des Falls: Das Gericht betont die Notwendigkeit, jeden Fall individuell zu betrachten, um die geeigneten Weisungen festzulegen.
  7. Kontrollweisung: Neben der Abstinenzweisung wird auch die damit verbundene Kontrollweisung als rechtmäßig und angemessen beurteilt.
  8. Auswirkungen auf die Lebensführung: Das Gericht stellt fest, dass die Abstinenzweisung keine unzumutbaren Anforderungen an die Lebensführung des Verurteilten stellt, insbesondere im Hinblick auf die Möglichkeit zur therapeutischen Behandlung und die erfolgreiche Substitutionstherapie.

Die Grundlage des Falls: Verurteilung und Führungsaufsicht

Im Kern des Falles steht ein Verurteilter, der aufgrund mehrfachen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und des Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt wurde. Nach Vollstreckung dieser Strafe wurde die gesetzlich vorgesehene Führungsaufsicht gemäß § 68f Abs. 1 StGB nicht aufgehoben, sondern inhaltlich durch die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Gießen ausgestaltet. Dabei wurden unter anderem Abstinenzweisungen ausgesprochen, gegen die der Verurteilte Beschwerde einlegte. Der Kern der rechtlichen Auseinandersetzung liegt in der Frage, ob und unter welchen Bedingungen eine Abstinenzweisung bei einer suchtkranken Person rechtlich zulässig und verhältnismäßig ist.

Rechtliche Herausforderung: Zumutbarkeit von Abstinenzweisungen

Die rechtliche Herausforderung in diesem Fall besteht darin, die Zumutbarkeit einer solchen Weisung im Einklang mit § 68b Abs. 3 StGB zu bewerten. Es geht um die Balance zwischen dem Schutz der Öffentlichkeit vor potenziellen Straftaten, die durch den Konsum von Betäubungsmitteln begünstigt werden könnten, und den Rechten des Verurteilten, dessen Suchtkrankheit und Therapieerfolge oder -misserfolge in Betracht gezogen werden müssen. Die Zusammenhänge zwischen Drogensucht, den Erfolgsaussichten von Therapieversuchen und den Bedingungen im Strafvollzug sind in diesem Kontext von Bedeutung.

Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt

Das Oberlandesgericht Frankfurt hat in seinem Beschluss vom 18. Oktober 2023 (Az.: 7 Ws 176/23) entschieden, dass die Abstinenzweisung für den betroffenen Verurteilten zulässig und zumutbar ist. Diese Entscheidung basiert auf der Erwägung, dass der Verurteilte während seiner Zeit im Strafvollzug über einen längeren Zeitraum hinweg Abstinenz gezeigt hat. Das Gericht stützt sich dabei auf die ständige Rechtsprechung, die unter bestimmten Umständen eine Abweichung von der Regel zulässt, dass eine Abstinenzweisung bei einer nicht erfolgreich behandelten suchtkranken Person in der Regel nicht zumutbar ist.

Auswirkungen und Fazit des Urteils

Das Gericht betonte, dass die Abstinenzweisung als ein wirksames Mittel zur Verhinderung zukünftiger Straftaten anzusehen ist, auch wenn die Prognose für die dauerhafte Abstinenz des Verurteilten in Freiheit ungewiss bleibt. Dies spiegelt das verfassungsrechtliche Gebot der Verhältnismäßigkeit wider. In die Entscheidung flossen zudem Überlegungen ein, dass der Verurteilte weiterhin bemüht ist, seine langjährige Drogensucht therapeutisch aufzuarbeiten, und keine Anzeichen von Suchtdruck zeigt. Auch wurde berücksichtigt, dass frühere Therapieversuche nicht ausschließlich an der Drogensucht scheiterten, sondern auch aufgrund anderer problematischer Persönlichkeitsanteile des Verurteilten.

Die Auswirkungen dieses Urteils sind vielschichtig. Es zeigt, dass bei der Beurteilung der Zumutbarkeit einer Abstinenzweisung der individuelle Fall genau betrachtet werden muss und dass auch bei einer schweren Drogensucht unter bestimmten Umständen eine solche Weisung gerechtfertigt sein kann. Dies kann als Präzedenzfall für ähnliche Fälle dienen und gibt Aufschluss darüber, wie Gerichte mit der Komplexität von Suchterkrankungen und der Notwendigkeit der Prävention weiterer Straftaten umgehen.

Das Fazit des Urteils ist, dass eine Abstinenzweisung im Rahmen der Führungsaufsicht auch bei einer suchtkranken Person unter bestimmten Bedingungen zumutbar und gesetzlich zulässig sein kann. Dies stellt einen wichtigen Beitrag zur Diskussion um die Rechte von suchtkranken Verurteilten und die Notwendigkeit des Schutzes der Öffentlichkeit dar. Es verdeutlicht, dass bei der Erteilung einer Abstinenzweisung eine sorgfältige Abwägung der Umstände des Einzelfalles erforderlich ist, um sowohl die Rechte des Einzelnen als auch das öffentliche Interesse angemessen zu berücksichtigen.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Welche Kriterien sind für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit einer Abstinenzweisung entscheidend?

Die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit einer Abstinenzweisung basiert auf mehreren Kriterien. Zunächst ist eine Abstinenzweisung nach § 68 b Abs. 1 S. 1 Nr. 10 StGB zulässig, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme begründen, dass der Alkohol- oder Rauschmittelkonsum zur Gefahr weiterer Straftaten beitragen könnte. Allerdings dürfen mit einer solchen Weisung keine unzumutbaren Anforderungen an die Lebensführung des Verurteilten gestellt werden.

Die persönlichen Verhältnisse des Verurteilten, der Grad seiner Abhängigkeit und der Verlauf und Erfolg der bisherigen Therapiebemühungen sind ebenfalls entscheidende Faktoren bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit einer Abstinenzweisung. Es muss geprüft werden, ob der suchtmittelabhängige Verurteilte überhaupt zu nachhaltiger Abstinenz in der Lage ist.

Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass eine Abstinenzweisung dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen muss. Dies bedeutet, dass die Weisung geeignet sein muss, den mit ihr angestrebten Zweck zu erreichen, und dass sie den Betroffenen nicht übermäßig belasten darf. Es muss also die Möglichkeit bestehen, dass Straftaten unterbleiben, die im Falle weiteren Suchtmittelkonsums zu erwarten wären.

Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne setzt eine Abwägung zwischen den Gemeinwohlbelangen, zu deren Wahrnehmung es erforderlich ist, in die Grundrechte einzugreifen, und den Auswirkungen auf die Rechtsgüter des Betroffenen voraus.

Schließlich ist auch die Methode der Abstinenzkontrolle relevant. Traditionelle Biomarker können durch verschiedene Faktoren beeinflusst sein und ihre Aussagekraft ist daher begrenzt. Daher könnten andere Methoden wie die Haaranalyse oder die transdermale Alkoholüberwachung in Betracht gezogen werden.


Das vorliegende Urteil

OLG Frankfurt – Az.: 7 Ws 176/23 – Beschluss vom 18.10.2023

Leitsatz

Zu den Voraussetzungen, unter denen auch bei einer suchtkranken Person eine Abstinenzweisung im Rahmen der Führungsaufsicht nach § 68b Abs. 1 S. 1 Ziff. 10 StGB zumutbar sein kann


Die (einfache) Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Gießen vom 10. Juli 2023 wird auf Kosten des Beschwerdeführers (§ 473 Abs. 1 StPO) verworfen.

Gründe

I.

Mit Urteil vom 10. Januar 2017 (Az. 4 Js 5003/16) verurteilte das Amtsgericht Stadt1 den Verurteilten wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in 14 Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit einer fahrlässigen Gefährdung des Straßenverkehrs sowie tatmehrheitlich wegen Besitzes von Betäubungsmitteln unter Einbeziehung der mit Urteil des Amtsgerichts Stadt1 vom 18. April 2016 (Az. …) wegen zwei Fällen des Fahrens ohne Fahrerlaubnis verhängten Strafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten. Der Verurteilte saß zuletzt in der JVA Stadt2 ein. Die Strafe ist seit dem 31. Oktober 2022 vollständig verbüßt. Mit Beschluss vom 31. März 2023 hat die Strafvollstreckungskammer ausgesprochen, dass nach vollständiger Vollstreckung der vorgenannten Gesamtfreiheitsstrafe die von Gesetzes wegen (§ 68f Abs. 1 StGB) eintretende Führungsaufsicht nicht entfällt (§ 68f Abs. 2 StGB) und diese inhaltlich näher ausgestaltet. Der Verurteilte hat gegen die Anordnung, dass die Führungsaufsicht nicht entfällt, sofortige Beschwerde und (hilfsweise) gegen die Ausgestaltung der Führungsaufsicht einfache Beschwerde eingelegt. Auf die einfache Beschwerde hat die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 24. April 2023 die unter Ziffer 5.e. des angefochtenen Beschlusses erteilte Abstinenzkontrollweisung weiter konkretisiert und der Beschwerde im Übrigen nicht abgeholfen. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat mit Beschluss vom 15. Juni 2023 (Az. 3 Ws 207+213/23) die sofortige Beschwerde als unzulässig verworfen und auf die einfache Beschwerde die Ziffern 5.a. (Meldepflicht bei dem Bewährungshelfer), 5.c. (Meldepflicht bei Wohnungs- oder Arbeitsplatzwechsel), 5.d. (Abstinenzweisung) und 5.e. (Kontrollweisung) des angefochtenen Beschlusses in Gestalt der Abhilfeentscheidung vom 24. April 2023 aufgehoben und die Beschwerde im Übrigen verworfen. Zur Begründung der Aufhebung der Abstinenzweisung hat der Senat ausgeführt, dass der Ausgangspunkt der Strafvollstreckungskammer, wonach die Bekämpfung der Drogensucht des Verurteilten weiterhin dringend geboten sei, zutreffend begründet sei. Der Beschluss lasse aber tragfähige Ausführungen dazu vermissen, ob die Erteilung einer Abstinenzweisung angesichts der massiven Drogenerkrankung des Verurteilten diesem zumutbar sei oder gegen § 68b Abs. 3 StGB verstoße. Auf Grund dieses Beschlusses hat die Strafvollstreckungskammer mit dem angefochtenen Beschluss den Kammerbeschluss vom 31. März 2023 neu gefasst.

Mit der (einfachen) Beschwerde wendet sich der Verurteilte nur gegen die von der Strafvollstreckungskammer unter Ziffer 5.c. und 5.d. erneut erteilte strafbewehrte Abstinenzweisung und die diese flankierende Kontrollweisung. Zur Begründung führt er aus, dass er ohne erfolgreichen Abschluss einer suchttherapeutischen Behandlung keine Basis dafür aufbieten könne, dass er seine langjährige Sucht nach Substanzen mit höchster Abhängigkeitsqualität soweit hinreichend im Griff habe, dass man ihm diesbezüglich – in adäquatem Verhältnis stehend – eine strafbewehrte Abstinenzweisung (nebst -kontrolle) auferlegen könne.

II.

Die Beschwerde ist gemäß § 463 Abs. 2 i.V.m. § 453 Abs. 2 Satz 1 StPO zulässig, in der Sache jedoch unbegründet.

Die Beschwerde kann nur darauf gestützt werden, dass die getroffenen Anordnungen gesetzeswidrig sind (§ 453 Abs. 2 Satz 2 StPO). Dies ist der Fall, wenn sie im Gesetz nicht vorgesehen, unverhältnismäßig, unzumutbar oder zu unbestimmt sind oder nicht auf rechtsfehlerfreier Ermessensausübung beruhen (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschlüsse vom 9. August 2016 – 3 Ws 492/16 und 27. Juli 2023 – 7 Ws 136/23; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 66. Aufl. 2023, § 453 Rn 12). Nach diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hat das Rechtsmittel auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens keinen Erfolg.

Die beanstandete Abstinenzweisung ist gesetzlich ausdrücklich vorgesehen (§ 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 StGB). Sie setzt voraus, dass aufgrund bestimmter Tatsachen Gründe für die Annahme bestehen, dass der Konsum solcher Mittel zur Begehung weiterer Straftaten beitragen wird. Solche Umstände liegen, wie die Strafvollstreckungskammer in ihrem angefochtenen Beschluss zutreffend dargelegt hat und auch mit der Beschwerde nicht in Abrede gestellt werden, bei dem Verurteilten unzweifelhaft vor. Die Abstinenzweisung ist geeignet, dem entgegenzuwirken.

Entgegen der Auffassung des Verurteilten stellt die Abstinenzweisung auch nicht bereits wegen der fehlenden erfolgreichen suchttherapeutischen Behandlung eine unzumutbare Anforderung an seine Lebensführung (§ 68b Abs. 3 StGB) dar.

Zwar ist nach ständiger Rechtsprechung des OLG Frankfurt am Main, die im Einklang mit der gefestigten Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte steht, bei einer manifest suchtkranken Person, die nicht oder nicht erfolgreich behandelt worden ist, eine Weisung nach § 68b Abs. 1 Satz 1 Ziffer 10 StGB in der Regel nicht zumutbar (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 15. Juni 2023 – 3 Ws 207 + 213/23 m.w.N.).

Doch kann von dieser Regel unter Umständen abgewichen werden, wenn sich der Verurteilte während des Strafvollzuges über einen längeren Zeitraum als zur Abstinenz fähig erwiesen hat (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschlüsse vom 15. Juni 2023 – 3 Ws 207 + 213/23; 19. März 2019 – 3 Ws 112 + 115/19 und vom 30. August 2018 – 3 Ws 669/19 m.w.N.; OLG München, Beschluss vom 21. Juni 2011 – 1 Ws 488 – 494/11; OLG Köln, Beschluss vom 13. September 2010 NStZ-RR 2011, 62).

Denn es ist zu bedenken, dass die strafbewehrte Abstinenzweisung vom Gesetzgeber zu Recht als ein grundsätzlich taugliches Instrument zur Beförderung eines künftig straffreien Lebens verstanden wird. Dass sie gerade auch gegenüber Personen zulässig ist, die nach Vollverbüßung unter Führungsaufsicht stehen, belegt, dass die Abstinenzweisung auch in Fällen ungünstiger Prognose in Betracht kommt. Bei Verurteilten, denen es immerhin gelungen ist, im eng strukturierten und kontrollierten Rahmen des Strafvollzugs abstinent zu leben, kann es deshalb unter Umständen auch dann gerechtfertigt sein, eine Abstinenzweisung zu erteilen, wenn es keineswegs gesichert erscheint, dass der Verurteilte in Freiheit dauerhaft abstinent wird leben können. Andererseits gibt es Fälle, in denen es bei einer jahrelang schwer suchtmittelabhängigen Person, bei der Therapieversuche mehrfach gescheitert sind und sich auch im Strafvollzug keine wesentlichen Gesichtspunkte dafür ergeben haben, dass es ihr künftig gelingen könnte, suchtfrei zu leben, trotz eines in Bezug auf Abstinenz im Wesentlichen beanstandungsfreien Verhaltens im Vollzug, so hochgradig wahrscheinlich ist, dass der Betreffende außerhalb der eng strukturierten Bedingungen des Strafvollzugs nicht zu Abstinenz in der Lage sein wird, dass bei einer Abstinenzweisung Straftaten nach § 145a StGB regelrecht vorprogrammiert wären (st. Rspr. des OLG Frankfurt am Main, vgl. Beschlüsse vom 5. Februar 2021 – 3 Ws 6/21; 20. Januar 2022 – 3 Ws 736 + 737/21 und 15. Juni 2023 – 3 Ws 207 + 213/23).

Die Strafvollstreckungskammer, die die Führungsaufsicht ausgestaltet und eine strafbewehrte Abstinenzweisung erteilen will, hat die Gesichtspunkte der Eignung und der Verhältnismäßigkeit mit Blick auf den jeweiligen Einzelfall konkret gegeneinander abzuwägen. Dabei wird sie je nach Konstellation auch das Gewicht derjenigen Straftaten in den Blick nehmen müssen, die durch die Abstinenzweisung verhindert werden sollen (OLG Frankfurt am Main, Beschlüsse vom 15. Juni 2023 – 3 Ws 207 + 213/23 und 6. Juni 2019 – 3 Ws 326/19).

Daran gemessen stellt die angefochtene Abstinenzweisung keine unzumutbaren Anforderungen an die Lebensführung des Verurteilten und damit keinen Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Gebot der Verhältnismäßigkeit dar. Die Ausführungen des Beschlusses tragen die getroffene Entscheidung, trotz der langjährigen, nicht erfolgreich behandelten Drogensucht des Verurteilten, eine strafbewehrte Abstinenzweisung zu erteilen. Die Strafvollstreckungskammer hat im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung die zu verhindernden Straftaten wie die Teilnahme im Straßenverkehr unter dem Einfluss von Alkohol und Betäubungsmitteln aufgrund der damit verbundenen Gefahren für Leib und Leben anderer Verkehrsteilnehmer zutreffend als schwere Straftaten berücksichtigt und bei der Frage der Zumutbarkeit der Abstinenzweisung insbesondere darauf abgestellt, dass der Verurteilte erfolgreich substituiert wird und nach seinen eigenen Angaben keinerlei Suchtdruck verspürt. Sie hat zudem in ihre Entscheidung eingestellt, dass der Verurteilte weiterhin um eine therapeutische Aufarbeitung seiner langjährigen Drogensucht bemüht ist und zwischenzeitliches Scheitern einzelner therapeutischer Maßnahmen in der Vergangenheit nicht zwangsläufig nur auf seine Abhängigkeit, sondern auch auf seine anderen problematischen Persönlichkeitsanteile zurückzuführen sind. So fiel es ihm u.a. in der Vergangenheit schwer, allgemeinverbindliche Strukturen für sich zu akzeptieren (Therapiebescheinigung Therapiezentrum Waldmühle vom 2. September 2019) und hat der Verurteilte in seiner Anhörung im Rahmen der Prüfung einer Reststrafenaussetzung am 9. April 2021 für sich reklamiert, dass die damals wohl letzte Therapie im Kernbereich abgeschlossen gewesen sei und er nur deshalb „rausgeflogen“ sei, weil er wegen eines allergischen Schocks bei seinem Sohn die Klinik sofort („allerdings nach Absprache“) verlassen habe. Wenn die Strafvollstreckungskammer unter diesen Umständen bei gleichzeitiger Berücksichtigung der weiteren Weisungen, insbesondere der engen Anbindung an die Bewährungshilfe, eine ausreichende Chance sieht, dass der Verurteilte einer mit Nachdruck eingeforderten Abstinenzweisung nachkommen kann, hält sich dies noch in dem Beurteilungsspielraum, den der Senat hinzunehmen hat.

Die mit der Abstinenzweisung verbundene Kontrollweisung ist ebenfalls nicht zu beanstanden und genügt insbesondere dem Bestimmtheitserfordernis.

 

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