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Zustellungsvollmacht nur für ein Ermittlungsverfahren – Zustellung in anderen Verfahren wirksam?

Zustellungsvollmacht: Unwirksam bei anderen Ermittlungsverfahren

Das Landgericht Nürnberg-Fürth hob den Beschluss des Amtsgerichts Neustadt a.d. Aisch aufgrund der erfolgreichen sofortigen Beschwerde der Angeklagten auf, da die Zustellung eines Strafbefehls über einen Verstoß gegen das Tierschutzgesetz an einen für ein anderes Verfahren benannten Zustellungsbevollmächtigten keine Rechtswirkungen entfaltete. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten wurden der Staatskasse auferlegt.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 12 Qs 7/24 >>>

✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Das Landgericht Nürnberg-Fürth gab der sofortigen Beschwerde der Angeklagten statt und hob den Beschluss des Amtsgerichts Neustadt a.d. Aisch auf.
  • Eine Zustellungsvollmacht für ein Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz konnte nicht für ein anderes Verfahren hinsichtlich eines Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz herangezogen werden.
  • Die Zustellung eines Strafbefehls an den nicht ordnungsgemäß benannten Zustellungsbevollmächtigten war somit unwirksam.
  • Die Angeklagte hatte wirksam Einspruch gegen den Strafbefehl eingelegt, obwohl dieser ihr nicht ordnungsgemäß zugestellt wurde.
  • Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten fielen der Staatskasse zur Last.
  • Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde der Angeklagten gewährt, da sie irrtümlich so behandelt wurde, als hätte sie die Einspruchsfrist versäumt.
  • Eine heilende Wirkung der Akteneinsicht auf den Zustellungsmangel wurde verneint.
  • Der Einspruch gegen den Strafbefehl war form- und fristgerecht und somit zulässig.

Bestellung eines Zustellungsbevollmächtigten

In Strafverfahren kann es erforderlich sein, einen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen. Dieser ist dann berechtigt, gerichtliche Schriftstücke und Mitteilungen für den Beschuldigten oder Angeklagten entgegenzunehmen. Die Wirksamkeit einer solchen Bevollmächtigung ist jedoch an bestimmte Voraussetzungen geknüpft.

Es kommt immer wieder vor, dass Unsicherheiten darüber bestehen, welchen Umfang eine erteilte Zustellungsvollmacht tatsächlich hat und für welche Verfahren sie genau gilt. Insbesondere ist oft unklar, ob eine für ein bestimmtes Ermittlungsverfahren bestellte Zustellungsvollmacht auch für andere Verfahren gegen dieselbe Person wirksam ist.

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➜ Der Fall im Detail


Zustellungsvollmacht beschränkt sich auf spezifisches Verfahren

Im Zentrum dieses Falles steht eine juristische Auseinandersetzung über die Wirksamkeit einer Zustellungsvollmacht, die ursprünglich nur für ein Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz erteilt wurde. Die Angeklagte hatte einem Herrn M die Vollmacht erteilt, in diesem spezifischen Verfahren gerichtliche und staatsanwaltliche Mitteilungen in ihrem Namen zu empfangen. Diese Vollmacht wurde jedoch ohne Zustimmung der Angeklagten auch in einem völlig anderen Verfahren angewandt, das einen Verstoß gegen das Tierschutzgesetz zum Gegenstand hatte. In letzterem Verfahren wurde ein Strafbefehl gegen die Angeklagte erlassen und an M zugestellt, woraufhin rechtliche Unstimmigkeiten aufkamen.

Gerichtliche Prüfung und Entscheidungsfindung

Das Landgericht Nürnberg-Fürth musste in seinem Urteil vom 14. März 2024, Az.: 12 Qs 7/24, entscheiden, ob die Zustellungsvollmacht, die spezifisch für das Verfahren wegen des Pflichtversicherungsgesetzes erteilt wurde, auch im Verfahren wegen eines Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz wirksam ist. Die zentrale Frage war, ob eine solche Vollmacht allgemeine Gültigkeit besitzt oder sich ausschließlich auf das Verfahren bezieht, für das sie erteilt wurde. Das Gericht stellte fest, dass eine Zustellungsvollmacht grundsätzlich spezifisch und nicht generalisierbar ist. Folglich war die Zustellung des Strafbefehls an M unwirksam, da er weder für dieses spezifische Verfahren benannt wurde noch seine Zustimmung hierfür gegeben hatte.

Grundlage der gerichtlichen Entscheidung

Das Gericht argumentierte, dass die Wirksamkeit der Zustellung an einen Bevollmächtigten voraussetzt, dass dieser vom Vollmachtgeber wirksam benannt wurde und mit seiner Bestellung einverstanden war. Da beides im vorliegenden Fall nicht zutraf, konnte die Zustellung des Strafbefehls keine Rechtswirkungen entfalten. Des Weiteren war der Zustellungsmangel nicht durch die Akteneinsicht der Angeklagten geheilt worden, und der Einspruch gegen den Strafbefehl wurde als zulässig erachtet, da er form- und fristgerecht eingelegt wurde.

Bedeutung der Entscheidung für die Rechtspraxis

Diese Entscheidung unterstreicht die Notwendigkeit einer präzisen und fallbezogenen Erteilung von Zustellungsvollmachten. Sie verdeutlicht, dass Vollmachten nicht pauschal auf andere Verfahren übertragbar sind, ohne eine explizite und spezifische Erteilung durch den Vollmachtgeber und die Zustimmung des Bevollmächtigten. Die Rechtssicherheit für die Beteiligten steht im Vordergrund.

Konsequenzen für die Angeklagte und die Staatskasse

Aufgrund des Erfolgs der sofortigen Beschwerde der Angeklagten wurde der Beschluss des Amtsgerichts Neustadt a.d. Aisch aufgehoben. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die notwendigen Auslagen der Angeklagten fielen der Staatskasse zur Last, was die finanzielle Verantwortung der Staatskasse für die fehlerhafte Anwendung der Zustellungsvollmacht unterstreicht.

✔ Häufige Fragen – FAQ

Was ist eine Zustellungsvollmacht?

Eine Zustellungsvollmacht ist die Befugnis einer Person, im Rahmen einer rechtlichen Angelegenheit Post und Dokumente für eine andere Person entgegenzunehmen. Sie hat die Funktion, die Zustellung von Schriftstücken bei juristischen Auseinandersetzungen, wie z.B. Gerichtsurteilen und Mahnungen, zu erleichtern und sicherzustellen, dass die betreffenden Schriftstücke dem Adressaten rechtswirksam zugehen.

Per Definition ist die Zustellung die Bekanntgabe eines Schriftstückes in der gesetzlich vorgegebenen Form, um den Empfänger von dem Schriftstück in Kenntnis zu setzen. Ein Zustellungsbevollmächtigter ist dabei eine zur Entgegennahme von Zustellungen besonders ermächtigte Person.

Die Zustellungsvollmacht ist in verschiedenen Regelungen der deutschen Rechtsordnung angesiedelt, zentral in den §§ 171 – 173 der Zivilprozessordnung (ZPO), § 132 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) sowie § 174 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen. Sie kann sowohl ausdrücklich als auch stillschweigend erteilt werden, wobei Vereinbarungen mündlich oder schriftlich getroffen werden können. Eine schriftliche Vollmacht in Form einer Vollmachtsurkunde ist jedoch empfehlenswert, um Beweisschwierigkeiten zu vermeiden.

Durch die Zustellung an den Zustellungsbevollmächtigten wird zugleich die Frist in Gang gesetzt, die für den Adressaten zur Reaktion, beispielsweise für Widerspruch oder Einspruch, verstreichen muss. Die Zustellungsvollmacht ermöglicht es somit einer Person, im Namen einer anderen Person rechtliche Dokumente oder Benachrichtigungen zu empfangen und weiterzuleiten.

Wann wird eine Zustellungsvollmacht typischerweise erteilt?

Eine Zustellungsvollmacht wird typischerweise in folgenden Situationen erteilt:

  1. Wenn der Adressat von Schriftstücken abwesend oder schwer erreichbar ist, z.B. bei längeren Auslandsaufenthalten. Durch die Zustellungsvollmacht kann sichergestellt werden, dass wichtige Dokumente den Adressaten trotzdem rechtzeitig erreichen.
  2. Bei mangelnder Rechtskenntnis des Adressaten. Durch Bevollmächtigung eines Rechtsanwalts oder Notars als Zustellungsbevollmächtigten wird gewährleistet, dass die Dokumente fachkundig geprüft und bearbeitet werden.
  3. In Gerichtsverfahren, wenn eine Partei einen Prozessbevollmächtigten bestellt. Dieser ist dann automatisch auch zum Empfang von Zustellungen ermächtigt.
  4. Bei Immobilientransaktionen, wenn der Eigentümer die Abwicklung an einen Dritten delegieren möchte, z.B. bei Abwesenheit oder aus Bequemlichkeit. Die Zustellungsvollmacht ermöglicht dann die Zustellung aller relevanten Dokumente an den Bevollmächtigten.
  5. Im Rahmen der Vorsorge, um im Falle von Krankheit oder Betreuungsbedürftigkeit sicherzustellen, dass ein Bevollmächtigter wichtige Post entgegennehmen kann.
  6. Bei Unternehmen, um die Zustellung an bestimmte vertretungsberechtigte Mitarbeiter zu ermöglichen und den Geschäftsverkehr zu erleichtern.

Zusammengefasst dient die Erteilung einer Zustellungsvollmacht also dazu, den Zugang zu wichtigen Dokumenten auch dann sicherzustellen, wenn der eigentliche Adressat diese nicht persönlich entgegennehmen kann oder will. Sie erleichtert die Kommunikation mit Behörden und Gerichten.

Kann eine Zustellungsvollmacht auf andere Verfahren übertragen werden?

Ob eine Zustellungsvollmacht auf andere Verfahren übertragen werden kann, hängt vom Umfang und der Formulierung der erteilten Vollmacht ab.

Eine Zustellungsvollmacht kann grundsätzlich für ein bestimmtes Verfahren (Spezialvollmacht), für eine Gattung von Verfahren (Gattungsvollmacht) oder als Generalvollmacht für alle Verfahren erteilt werden. Der Vollmachtgeber kann den Geltungsbereich der Vollmacht festlegen.

Wird die Zustellungsvollmacht ausdrücklich nur für ein bestimmtes Verfahren erteilt, ist eine Übertragung auf andere Verfahren in der Regel nicht möglich. Ein Beispiel wäre eine Vollmacht, die sich explizit nur auf ein laufendes Zivilverfahren bezieht.

Ist die Vollmacht jedoch allgemeiner formuliert und nicht auf ein konkretes Verfahren beschränkt, kann sie auch in anderen Verfahren Gültigkeit haben. Dies gilt insbesondere für Generalvollmachten, die den Bevollmächtigten umfassend zur Entgegennahme von Zustellungen in allen denkbaren Verfahren ermächtigen.

Auch bei Gattungsvollmachten, die sich auf eine bestimmte Art von Verfahren beziehen (z.B. „in allen Zivilverfahren“), ist eine Übertragung auf weitere Verfahren derselben Gattung möglich.

Entscheidend sind letztlich die konkreten Formulierungen in der Vollmachtsurkunde. Nur wenn sich aus dem Wortlaut oder den Umständen eine Beschränkung auf bestimmte Verfahren ergibt, ist die Übertragbarkeit ausgeschlossen. Im Zweifel ist von einer weiten Auslegung auszugehen.

Um Unklarheiten zu vermeiden, empfiehlt es sich, den gewünschten Geltungsbereich in der Vollmacht möglichst präzise zu definieren. Soll die Vollmacht nur für ein Verfahren gelten, muss dies explizit klargestellt werden.

Welche Folgen hat eine unwirksame Zustellung?

Eine unwirksame Zustellung hat weitreichende Folgen und kann erhebliche rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen:
  1. Keine Fristauslösung: Eine der wichtigsten Folgen ist, dass unwirksam zugestellte Dokumente keine Fristen in Gang setzen. Beispielsweise beginnt die Einspruchsfrist gegen einen Bußgeldbescheid erst mit der wirksamen Zustellung zu laufen. Auch Rechtsmittelfristen wie für Berufung oder Revision werden durch eine unwirksame Zustellung nicht ausgelöst.
  2. Keine Unterbrechung der Verjährung: Hat ein Dokument wie ein Bußgeldbescheid verjährungsunterbrechende Wirkung, tritt diese nur bei wirksamer Zustellung ein. Ist die Zustellung fehlerhaft, läuft die Verfolgungsverjährung weiter.
  3. Keine Vollstreckbarkeit: Titel wie Vollstreckungsbescheide oder Urteile sind nur dann vollstreckbar, wenn sie dem Schuldner wirksam zugestellt wurden. Andernfalls kann aus ihnen nicht vollstreckt werden.
  4. Kein Zustandekommen eines Prozessrechtsverhältnisses: Wird eine Klage einem Dritten und nicht dem eigentlichen Beklagten zugestellt, entsteht mangels wirksamer Zustellung kein Prozessrechtsverhältnis zwischen den Parteien.
  5. Heilung nur in engen Grenzen möglich: Zwar können Zustellungsmängel nach § 189 ZPO geheilt werden, wenn das Dokument dem eigentlich Zustellungsberechtigten tatsächlich zugeht. Dies ist aber nur in engen Grenzen und nicht bei Zustellung an einen Unbeteiligten möglich.

Um diese gravierenden Folgen zu vermeiden, ist es essenziell, dass Behörden und Gerichte die Vorschriften über die Zustellung penibel beachten. Nur eine den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Zustellung gewährleistet, dass die mit der Zustellung bezweckten Rechtsfolgen auch tatsächlich eintreten.

Wie kann man gegen die Anwendung einer Zustellungsvollmacht in einem nicht intendierten Verfahren vorgehen?

Wenn eine Zustellungsvollmacht in einem nicht intendierten Verfahren angewendet wurde, gibt es verschiedene Möglichkeiten dagegen vorzugehen:

  1. Rüge der fehlenden Vollmacht: Der Betroffene kann die fehlende Zustellungsvollmacht für das konkrete Verfahren rügen. Wird die Vollmacht trotz Aufforderung nicht vorgelegt, ist der Rechtsbehelf (z.B. Widerspruch oder Klage) als unzulässig zu verwerfen.
  2. Heilung nur in engen Grenzen: Zwar können Zustellungsmängel nach § 189 ZPO geheilt werden, wenn das Dokument dem eigentlich Zustellungsberechtigten tatsächlich zugeht. Dies ist aber nur in engen Grenzen und nicht bei Zustellung an einen Unbeteiligten möglich.
  3. Anfechtung der Vollmacht: Unter Umständen kann auch die Vollmacht selbst angefochten werden, wenn sie auf einem Willensmangel beruht, z.B. arglistige Täuschung oder Drohung bei Vollmachtserteilung. Dann entfällt rückwirkend die Vertretungsmacht.
  4. Vollmachtsmissbrauch: Liegt ein Missbrauch der Vollmacht vor, weil der Bevollmächtigte sie bewusst zweckwidrig in einem anderen Verfahren einsetzt, kann dies Schadensersatzansprüche und strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.
  5. Gehörsrüge: Wurde dem Betroffenen aufgrund der fehlerhaften Zustellung rechtliches Gehör versagt, kann er dies mit der Gehörsrüge nach § 321a ZPO beanstanden.
  6. Rechtsmittel: Gegen eine auf fehlerhafter Zustellung beruhende Entscheidung kann der Betroffene die statthaften Rechtsmittel (Berufung, Revision, Beschwerde etc.) einlegen und die Aufhebung erwirken.

Entscheidend ist letztlich immer eine sorgfältige Prüfung im Einzelfall, ob die Vollmacht den Einsatz in dem konkreten Verfahren tatsächlich deckt oder nicht. Im Zweifel sollte der mutmaßlich Bevollmächtigte seine Vertretungsmacht durch Vorlage der Originalvollmacht nachweisen.

§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils

  • § 44 StPO (Strafprozessordnung) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Erläutert die Bedingungen, unter denen eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand nach Versäumung einer Frist beantragt werden kann. Im Kontext des Textes wichtig, da es um die Wiedereinsetzung der Angeklagten in den vorigen Stand geht.
  • § 46 Abs. 1 StPO (Strafprozessordnung) Allgemeine Vorschriften über Rechtsmittel: Stellt allgemeine Regeln für die Einlegung von Rechtsmitteln im Strafprozess dar. Relevant für die Entscheidung des Gerichts, die Beschwerde der Angeklagten anzunehmen.
  • § 37 StPO (Strafprozessordnung) Heilung von Zustellungsmängeln: Beschreibt, wie Mängel bei der Zustellung von Dokumenten geheilt werden können. Im besprochenen Fall relevant, da der Zustellungsmangel des Strafbefehls nicht geheilt wurde.
  • § 189 ZPO (Zivilprozessordnung) Fiktion der Zustellung durch Niederlegung: Wird im Zusammenhang mit § 37 StPO erwähnt, um die Regelungen zur Heilung von Zustellungsmängeln zu ergänzen. In diesem Fall spielte es eine Rolle bei der Bewertung, ob der Zustellungsmangel geheilt wurde.
  • § 410 Abs. 1 Satz 1 StPO (Strafprozessordnung) Einspruch gegen den Strafbefehl: Legt fest, wie und unter welchen Bedingungen gegen einen Strafbefehl Einspruch eingelegt werden kann. Zentral für das Verständnis, warum der Einspruch der Angeklagten zulässig war.
  • § 411 Abs. 1 Satz 2 StPO (Strafprozessordnung) Verfahren nach Einspruch: Beschreibt das weitere Verfahren nach Einlegung eines Einspruchs gegen einen Strafbefehl. Wichtig für das Verständnis des Verfahrensstatus nach dem erfolgreichen Einspruch der Angeklagten.
  • § 467 Abs. 1 StPO (Strafprozessordnung) Kosten bei Einstellung und Freispruch: Regelt die Kostenübernahme im Falle eines Freispruchs oder einer Verfahrenseinstellung. Relevant, da im vorliegenden Fall die Kosten des Verfahrens der Staatskasse auferlegt wurden.


Das vorliegende Urteil

LG Nürnberg-Fürth – Az.: 12 Qs 7/24 – Beschluss vom 14.03.2024

1. Auf sofortige Beschwerde der Angeklagten wird der Beschluss des Amtsgerichts Neustadt a.d. Aisch vom 27.12.2023 aufgehoben.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

I.

Im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz benannte die Angeklagte am 06.10.2020 den M mit dessen Zustimmung als Zustellungsbevollmächtigten. In dem Vollmachtformular fand sich dazu folgender Eintrag:

„Zustellungsvollmacht … wegen (Straftat(en) / Ordnungswidrigkeiten(en) / verletzte Bestimmung(en) / Fundstelle(n): PflVersG i.S. NEA – …

Ich erteile hiermit unwiderruflich Herrn/Frau M … die Vollmacht zum Empfang sämtlicher gerichtlicher/staatsanwaltlicher Mitteilungen, Zustellungen oder Ladungen …“

Die Polizei nahm dieses Formular auch zur Akte des hiesigen Vorgangs gegen die Angeklagte, in dem es um einen Verstoß gegen das Tierschutzgesetz geht. In diesem Verfahren erließ das Amtsgericht Neustadt a.d. Aisch am 20.11.2020 Strafbefehl gegen die Angeklagte. Dieser wurde am 25.11.2020 an M zugestellt.

Die Angeklagte nahm am 12.07.2023 auf der Geschäftsstelle der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth Einsicht in hiesige Verfahrensakte. Mit Schreiben vom 15.08.2023 wandte sie sich gegen den in der Akte enthaltenen Strafbefehl.

Das Amtsgericht Neustadt a.d. Aisch verwarf mit Beschluss vom 27.11.2023 den Antrag der Beschwerdeführerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unbegründet und den Einspruch gegen den Strafbefehl als unzulässig. Hiergegen legte die Beschwerdeführerin „Beschwerde“ ein. Zur Begründung führte sie aus, dass der Zustellungsbevollmächtigte „völlig unrichtig“ sei, insbesondere sei die Zustellungsvollmacht für M auf die Angelegenheit des Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz beschränkt gewesen.

Die Staatsanwaltschaft beantragte die Verwerfung der sofortigen Beschwerde als unbegründet.

II.

Die zulässig erhobene sofortige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.

1. Der Angeklagten war Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 44 Satz 1, § 46 Abs. 1 StPO analog). Wiedereinsetzung erfolgt auch dann, wenn der Betroffene zwar keine Frist versäumt hat, aber irrtümlich so behandelt wurde und dementsprechend auf das Rechtsmittel angewiesen ist (BGH, Beschl. v. 02.09.2015 – 2 StR 294/15, juris Rn. 2; LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 22.09.2023 – 12 Qs 66/23, juris Rn. 10). Einer weiteren Sachprüfung des Wiedereinsetzungsgesuchs bedarf es nicht. So liegen die Dinge hier, weil das Amtsgericht die Angeklagte so behandelt hat, als hätte sie die Einspruchsfrist versäumt, was tatsächlich nicht der Fall war.

a) Die Zustellung des Strafbefehls an M entfaltete keine Rechtswirkungen zum Nachteil der Angeklagten. Voraussetzung der Wirksamkeit der Zustellung an einen Zustellungsbevollmächtigten auch gegenüber dem Vollmachtgeber ist, dass erster vom letzteren wirksam benannt wurde und der Bevollmächtigte mit seiner Bestellung auch einverstanden war (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 11.01.2017 – 1 Ws 274/06, juris Rn. 7). Beides war nicht der Fall.

aa) M wurde von der Beschwerdeführerin schon nicht für Zustellungen im hiesigen Verfahren wegen Verstößen gegen das TierSchG benannt. Bei der Benennung einer Person als Zustellungsbevollmächtigten handelt es sich um die Erteilung einer rechtsgeschäftlichen Empfangsvollmacht, die entweder generell oder aber auch nur für einzelne Fälle erteilt werden kann. Nur soweit sie erteilt ist, kann auch wirksam an die benannte Person zugestellt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 13.09.2016 – VI ZB 21/15, juris Rn. 45 m.w.N.). Ist eine Zustellungsvollmacht nur für ein Ermittlungsverfahren erteilt worden, kann auf ihrer Grundlage in anderen Ermittlungsverfahren nicht wirksam zugestellt werden. Vorliegend hat die Beschwerdeführerin, wie sie in ihrem Schreiben vom 15.08.2023 ausführt, allein eine Empfangsvollmacht für Zustellungen im Verfahren wegen des Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz erteilt und nicht auch bezüglich des hiesigen Schuldvorwurfs. Wenn es in der Urkunde heißt, dass die Vollmacht „zum Empfang sämtlicher … Zustellungen oder Ladungen“ berechtige, dann ist das nämlich dahin zu verstehen, dass damit der Empfang sämtlicher Schriftstücke gemeint ist, der den im Formular umrissenen Gegenstand („wegen …: PflVersG i.S. NEA -…“) betrifft. Eine Auslegung dahin, dass jedweder Schriftverkehr mit den Strafverfolgungsbehörden ohne eine zeitliche und gegenständliche Begrenzung umfasst sein sollte, hat den Wortlaut der Vollmachtsurkunde gegen sich und wird weder dem Interesse des Vollmachtgebers noch dem des Bevollmächtigten gerecht.

bb) Im Übrigen war M auch nicht damit einverstanden, dass Zustellungen an ihn gerichtet werden, die nicht den Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz betreffen. Das ergibt sich aus dem Telefonvermerk der Justizangestellten K des Amtsgerichts Neustadt a.d. Aisch vom 09.01.2024, wonach M mitteilte, gar nicht zu wissen, wie es zu seiner Benennung als Zustellungsbevollmächtigter gekommen sei. Die Kammer hat ergänzend dazu telefonisch bei M angefragt. Er teilte mit, nur einmal der Bevollmächtigung im Zusammenhang mit der Entstempelung eines Kfz der Angeklagten zugestimmt zu haben und ansonsten nicht.

b) Der Zustellungsmangel wurde nicht gem. § 37 StPO i.V.m. § 189 ZPO durch die von der Angeklagten genommene Akteneinsicht geheilt (vgl. BayObLG Beschluss vom 16.06.2004 – 2Z BR 253/03, juris Rn. 9; LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 24.08.2021 – 12 Qs 58/21, juris Rn. 12).

2. Der Einspruch gegen den Strafbefehl ist zulässig, insbesondere wurde er form- und fristgerecht eingelegt (§ 410 Abs. 1 Satz 1, § 411 Abs. 1 Satz 2 StPO). Seiner Zulässigkeit steht nicht entgegen, dass der Strafbefehl der Angeklagten noch nicht zugestellt wurde, da gegen einen bereits erlassenen Strafbefehl auch vor seiner Zustellung wirksam Einspruch eingelegt werden kann (BGH, Beschluss vom 16.05.1973 – 2 StR 497/72, juris Rn. 12).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO analog.

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